Digital Humanities? Gibt’s doch gar nicht!

Views
32778
Downloads
27
Editorial Pre-Review
Kategorie
Artikel
Version
1.0
Patrick Sahle Autoreninformationen

DOI: 10.17175/sb001_004

Nachweis im OPAC der Herzog August Bibliothek: 830166343

Erstveröffentlichung: 19.02.2015

Lizenz: Sofern nicht anders angegeben Creative Commons Lizenzvertrag

Medienlizenzen: Medienrechte liegen bei den Autoren

Letzte Überprüfung aller Verweise: 24.05.2016

GND-Verschlagwortung: Digital Humanities |

Empfohlene Zitierweise: Patrick Sahle: Digital Humanities? Gibt’s doch gar nicht!. In: Grenzen und Möglichkeiten der Digital Humanities. Hg. von Constanze Baum / Thomas Stäcker. 2015 (= Sonderband der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften, 1). text/html Format. DOI: 10.17175/sb001_004


Abstract

Die Digital Humanities sind entweder ein Forschungsfeld oder eine Disziplin, möglicherweise auch beides. Sie verfügen jedenfalls über eine gut ausgebaute Infrastruktur der Organisation, Information und Kommunikation und blicken in Bezug auf ihre vielfältigen Forschungsansätze teilweise auf lange Traditionen zurück. Als Bindeglied zwischen den Geisteswissenschaften und der Informatik scheint das Feld heute nicht nur für diese beiden Bereiche, sondern auch für die Organe der Forschungsförderung von besonders hoher Attraktivität zu sein. Neben der Wissenschaft haben selbst die Massenmedien in den letzten Jahren die Digital Humanities entdeckt. Die hohe Anziehungskraft des Feldes hat erfreulich integrative Tendenzen. Allerdings birgt dieser DH-›Hype‹ auch Gefahren. Diese reichen von der bloßen Aneignung des Etiketts über explizite Abwehrhaltungen bis hin zu Ignoranz und Verleugnung: »DH? Das gibt es doch gar nicht!«


The Digital Humanities are either a field of research or an academic discipline, possibly both. In any case, they are embedded in an extensive infrastructure in regard to organization, information, and communication and build upon long traditions in various areas of research. Furthermore, as a link between the humanities and computer science, the field seems to be highly attractive, not only to these areas, but also to neighboring disciplines as well as to the research funding agencies. Outside of the academic context, the mass media have discovered the digital humanities in recent years. While this attractiveness has several positive integrative effects, the current DH hype is not without certain risks, ranging from the mere misappropriation of the term to explicitly defensive or negative attitudes, and even ignorance and denial: »DH? But there is no such thing!«


1. Digital Humanities als Disziplin

Die Tagung des DHd 2014 »Digital Humanities – methodischer Brückenschlag oder ›feindliche Übernahme‹« in Passau vom 25.–28.3.2014 war die erste Fachtagung des noch jungen Digital Humanities-Verbandes für den deutschsprachigen Raum (DHd). Die hohe Zahl der eingereichten Vorträge und Poster sowie die große Publikumsbeteiligung dokumentierten eindrucksvoll die aktuelle Attraktivität und Relevanz der Digital Humanities. Aber was ist das eigentlich, dieses ›DH‹? Würde man sich der Frage ganz unvoreingenommen, ja im besten Sinne ahnungslos nähern, um z.B. eine vorurteilsfreie wissenschaftssoziologische Betrachtung anzustellen, dann würde man wohl die gleichen Strategien verwenden und die gleichen Merkmale untersuchen wie bei anderen wissenschaftlichen Feldern und Disziplinen. Zu einer Disziplin-Checkliste könnten dann gehören:

1.) Die Einstiegspunkte unserer Zeit. Wikipedia bietet einen eigenen Eintrag zu »Digital Humanities« in 16 Sprachen, Google liefert über eine Million Treffer für »Digital Humanities« bzw. »Humanities Computing« (und nationalsprachlichen Äquivalenten) als feststehenden Ausdrücken.

2.) Der Forschungsbereich ›Digital Humanities‹ schlägt sich in einer inzwischen unüberschaubaren Zahl von Projekten nieder, in denen er entweder den methodisch-technischen Teil der Fachforschung ausmacht oder selbst die Fragestellung liefert und den zentralen Gegenstand bildet. Digital Humanities als Disziplin ist mehr noch als andere Disziplinen projektgetrieben; ihre methodisch-theoretischen Leistungen nehmen in den allermeisten Fällen von den konkreten Forschungsproblemen der Geisteswissenschaften ihren Ausgangspunkt.

3.) Eine thematische Eingrenzung der Digital Humanities lässt sich über die einschlägigen Tagungen vornehmen, auf denen sich das Feld präsentiert und wo ein gemeinsamer Kommunikationsraum gebildet wird. Eine der einfachsten Antworten auf die Frage »Was ist DH?« lautet: »DH ist die Summe der auf den DH-Tagungen behandelten Themen«. Für einen solchen Zugang besteht mit der jährlichen, internationalen, zentralen Konferenz des Dachverbandes der »Digital Humanities« ein ideales Studienobjekt.[1] Der strenge Peer-Review-Prozess offenbart dabei, was von der Community als DH aufgefasst wird und was davon dem aktuellen Stand der Forschung entspricht. Hinzu kommt ein für die Beiträge dieser Kongressreihe eingeführtes Schlagwortsystem, das die Themen und ihre quantitative Bedeutung leicht fassbar macht.[2]

4.) Für die erweiterte Fachkommunikation besteht eine gut ausgebaute Informationsinfrastruktur. Die reiche Fachliteratur ist in Bibliografien erfasst[3] und seit Jahrzehnten bestehen einschlägige Zeitschriften[4]. Für die digitale Welt werden Informationsportale gepflegt[5], Blogs geführt[6] und Nachrichten über Twitter verbreitet.

5.) Organisatorische Verfestigung und Verbände. Die beiden traditionsreichen Organisationen Association for Literary and Linguistic Computing / European Association for Digital Humanities (ALLC/EADH, seit 1973) und Association for Computers and the Humanities (ACH, seit 1978) sind mit anderen Vereinigungen im globalen Dachverband Association for Digital Humanities Organizations (ADHO) zusammengeschlossen. In den letzten Jahren haben sich weitere regionale und nationale Verbände gebildet. Dazu gehören die Canadian Society for Digital Humanities / Société canadienne des humanités numériques (CSDH/SCHN), die italienische Associazione per l’informatica umanistica e la cultura digitale (AIUCD), die spanische Organisation Humanidades Digitales Hispanicas (HDH), die mexikanische Red de Humanidades Digitales (RedHD), die Associção das Humanidades Digitais (AHDig) für die portugiesischsprachige Welt, die Australasian Association for Digital Humanities (aaDH), die Japanese Association for Digital Humanities (JADH) oder eben der DH-Verband für die deutschsprachigen Länder DHd. Geografisch übergreifend bestehen weitere Organisationen wie Centernet, einem Zusammenschluss von DH-Zentren.

6.) Der Forschungs- und Arbeitsbereich ›Digital Humanities‹ verfügt über eine sehr lebendige Community von Aktivisten, die sich sowohl in DH-Verbänden als auch in den traditionellen Fachverbänden in Arbeitsgruppen organisieren und Vereine oder losere Gruppen bilden. Für den deutschsprachigen Raum wären hier z.B. die AG Digitale Geschichtswissenschaft im Verband der Historiker Deutschlands, der Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte, das Institut für Dokumentologie und Editorik e.V. (IDE), der Arbeitskreis Digital Humanities München oder der DH-Stammtisch Berlin zu nennen. Der Verbreitung der Digital Humanities dienen häufig Summer Schools[7] und die inzwischen als Veranstaltungsform etablierten »Unkonferenzen« unter dem Reihentitel THATCamp (The Humanities and Technology Camp). Typisch für den Versuch, Inhalte und Wesen der DH zu vermitteln, sind auch Initiativen wie Global Outlook DH, verschiedene DH Manifestos oder lokale Dissemination-Workshops.[8]

7.) Die Forschungs- und Projektorientierung der DH zeigt sich auch darin, dass zu den wichtigsten Katalysatoren in der institutionellen Verfestigung explizite DH-Kompetenzzentren gehören. Hier sind neben den international renommierten Zentren in London, Victoria oder Lincoln im deutschsprachigen Raum vor allem das Kompetenzzentrum in Trier, das ZIMIG in Graz, das GCDH in Göttingen und das Kölner CCeH zu nennen. Auch die TELOTA-Gruppe an der BBAW ist als etabliertes de-facto DH-Zentrum zu bezeichnen. Zu den jüngeren Gründungen gehören Einrichtungen in Basel (Digital Humanities Lab[or]), Tübingen (eScience-Center) oder Nürnberg-Erlangen (Interdisziplinäres Zentrum für Digitale Geistes- und Sozialwissenschaften), weitere Zentren sind angekündigt oder befinden sich im Prozess der Gründung und Etablierung.[9] An anderen Standorten bestehen eher lose Organisationsformen unterhalb der Ebene einer expliziten Institutionalisierung in Form eines Zentrums.[10]

8.) Die Professionalisierung einer Disziplin lässt sich leicht an dedizierten Stellen bzw. Stellenausschreibungen ablesen. Während auf der Ebene der befristeten Projektmitarbeiter die Suche nach »Digital Humanities«-Experten schon länger üblich ist, findet die Professionalisierung ihren Niederschlag inzwischen auch in einer breiteren Professoralisierung. In den letzten Jahren sind zu den Professuren in Köln, Graz, Würzburg, Trier und Darmstadt weitere in Passau, Bern, Leipzig, Luxemburg, Basel, Göttingen und Stuttgart besetzt oder ausgeschrieben worden. Hier ist auch zu beobachten, dass neben den »Fach X plus Digital Humanities«-Lehrstühlen immer mehr eine reine »Digital Humanities«-Denomination tragen. Die Einrichtung von Professuren begleitet und verstärkt außerdem die institutionelle Verfestigung der DH, wenn sie mit der Verwandlung von Kompetenzzentren in Universitätsinstitute einhergeht.

9.) Professuren sind außerdem ein wichtiges Element im Aufbau von Ausbildungsprogrammen in den Digital Humanities. Jenseits der erwähnten Summer Schools, einzelnen Lehrveranstaltungen oder Modulen in anderen Studiengängen gibt es inzwischen weltweit rund 100 Programme auf BA- und MA-Ebene, die dem DH-Bereich zuzuordnen sind.[11] Dabei ist die Zahl der explizit »Digital Humanities« benannten Studiengänge zwar noch recht überschaubar, auch sie nimmt aber stetig zu.

10.) Zur Kanonisierung eines Faches gehört die Selbstvergewisserung und die Sicherung der erreichten Wissensstände in Form von Überblicksdarstellungen, Einführungen und Handbüchern, die z.B. unmittelbar in grundlegenden Einführungs-Lehrveranstaltungen genutzt werden.[12] Zur Etablierung eines Faches trägt außerdem das Bewusstsein für die eigene Tradition und Geschichte, mithin die eigene Geschichtsschreibung, bei.[13] Die Digital Humanities führen sich demnach selbst bis in die 1940er Jahre zurück und sehen weitere wichtige Entwicklungsschritte in den 1960er bis 1980er Jahren, bis die 1990er Jahre mit der Durchsetzung des Internet-Paradigmas ihr den wohl entscheidenden Schub gegeben haben.

11.) In einem nicht-soziologischen Ansatz könnte behauptet werden, dass sich eine neue Disziplin durch einen eigenen Forschungsbereich bestimmt, der zu den bestehenden Nachbardisziplinen hinreichend distinkt ist. Danach würde eine Disziplin durch die eigene Definition geschaffen. In den Digital Humanities ist es gewissermaßen Sport, dass jeder DH-Spezialist mindestens eine eigene Definition hat. Sie ist u.a. Voraussetzung für die Teilnahme am »Day of DH«, Gegenstand zahlreicher Artikel und eines eigenen Sammelbandes.[14]

12.) Die Jahre 2013 und 2014 scheinen in der Etablierung des Faches einen weiteren Höhepunkt markiert zu haben. Nie zuvor war auch in den populären Medien, also vor allem in Zeitungsartikeln und Radiobeiträgen so viel von Digital Humanities die Rede. Damit dürften die DH auch im Bewusstsein einer – an wissenschaftlichen Themen interessierten – breiteren Öffentlichkeit und der Forschungspolitik angekommen sein.

13.) Ungleich länger scheint der Weg in die Fachsystematiken hinein zu sein, die eine endgültige Anerkennung belegen würden. Fachreferate in Bibliotheken, ein bibliothekarischer Sammelschwerpunkt, die DFG-Fachsystematik und andere Fächerlisten wären ein weiterer Indikator für die Wahrnehmung als eigenes Fach. Die Aufnahme in solche Systematiken ist aber für neue, kleine Fächer nicht leicht und braucht wohl noch einige Zeit.

2. Digital Humanities als Brücke und als Feld?

Mit dieser Checkliste ist der Entwicklungsstand der Digital Humanities im Jahre 2014 grob skizziert. Die DH erscheinen als voll ausgereiftes, eigenständiges Fach. Es kann kaum bezweifelt werden, dass wir es hier mit einer eigenständigen Disziplin zu tun haben. Allerdings scheint die Sache doch nicht ganz so einfach zu sein, weil diese Disziplin einen besonderen Charakter hat. Als »Brückenfach«, ihrem Wesen nach inter- oder transdisziplinär und zugleich viele spezialisiertere Ausprägungen umgreifend, bestimmt sie sich nämlich nicht nur in Abgrenzung von anderen Fächern, sondern gerade auch in ihrer Hinwendung zu ihnen. In vielen Beschreibungen und Definitionen wird deshalb trotz der oben beschriebenen Verfestigung und Institutionalisierung eher von einem ›Forschungsfeld‹ oder einem ›Forschungsbereich‹ als von einer Disziplin geredet.[15]

Dabei dürfte auch dies Teil eines normalen Entwicklungsprozesses sein. Neue Fächer entstehen in der Fokussierung auf bestimmte neue Forschungsfragen. Sie bewegen sich zunächst im Rahmen bestehender Disziplinen, vielleicht auch ihrer Randbereiche und Schnittmengen, bevor sie ihren Gegenstand als etwas Besonderes und Eigenständiges bestimmen, der in den bestehenden, etablierten Fächern nicht mehr hinreichend abgedeckt wird. Disziplinen entstehen aus einer fachlichen Bewegung, wachsen aus anderen Disziplinen heraus und führen letztlich zu einer Ausdifferenzierung der Fächerlandschaft. Damit lässt sich auch für die DH eine eher abstrakte Definition bilden:

Die Digital Humanities befassen sich mit Problemen, die über die benachbarten Einzelfächer in einem doppelten Sinne hinausgehen. Zum einen betreffen sie Fragen, die für viele Fächer gleichermaßen gelten; zum anderen betreffen sie Fragen, die von den benachbarten Fächern nicht behandelt werden, weil sie aus ihrer Sicht zu speziell sind oder Kompetenzen erfordern, die in den Fächern nicht enthalten sind.

Die Digital Humanities bestimmen sich weitgehend in ihrer Positionierung und ihrem Verhältnis zu anderen Fächern. Zunächst stehen sie offensichtlich zwischen den Geisteswissenschaften und der Informatik. Dann betreffen sie grundsätzlich alle Geisteswissenschaften, haben aber historisch bedingt unterschiedlich starke Wurzeln und Schwerpunkte. Wenn man die Geschichte des Feldes untersucht, dann bilden traditionell z.B. die Bereiche der ›digitalen Philologien‹ und der Digitalisierung in Library and Information Science bzw. dem Kulturerbesektor (BAM bzw. GLAM)[16] einen wesentlichen Schwerpunkt. Auf der anderen Seite haben sich seit langem Bereiche wie die Computerlinguistik, aber auch die Computerarchäologie oder Archäoinformatik zu weitgehend autonomen Forschungszweigen entwickelt. Insbesondere die Computerlinguistik hat seit den 1980er Jahren mit einer Reihe von Lehrstühlen und Studienprogrammen fast den Charakter einer eigenständigen Disziplin gewonnen. Zu den neueren Entwicklungen gehört, dass traditionelle Fächer in der Umstellung auf digitale Methoden und Werkzeuge Spezialbereiche ausbilden, die ebenfalls den Digital Humanities zugeordnet werden können. Beispiele für solche Schnittmengenbereiche wären ›Digital History‹ oder ›Digitale Kunstgeschichte‹.[17]

So wie andere Brücken- oder Schnittstellenfächer auch können die Digital Humanities in verschiedener Weise in ihrem Status bestimmt und nach ihrer Position lokalisiert werden. Während man sie auf der einen Seite – vor allem durch die dedizierten Lehrstühle und Studiengänge – als eigenständige Disziplin verstehen kann, bilden sie zugleich einen Bereich in anderen Fächern. Man könnte dann sagen, dass Digital Humanities-Aktivitäten, z.B. in der Abdeckung methodisch-technischer Aspekte der jeweiligen Forschung, Teil der bestehenden Fächer sind. Dabei sorgen sie dann zugleich für die Transformation traditioneller Fächer gemäß den aktuellen epistemologischen Bedingungen einer zunehmend digitalen Informationsversorgung und Informationsverarbeitung. In diesem Sinne kann DH als Skala beschrieben werden: Auf dem einen Ende kann es um den Einsatz generischer Werkzeuge in den Fächern gehen (low end DH), auf dem anderen Ende um die Entwicklung spezieller neuer Werkzeuge und Methoden (high end DH) und ihre theoretische Reflektion.[18] Zugleich decken die DH damit einen weiten Bereich ab, mit dem sie sowohl in anderen Fächern vertreten sind, als auch eine Lücke zwischen den Fächern füllen und damit ihre Position als eigenständige Disziplin bestimmen. Durch die Bewegung der Geisteswissenschaften in Richtung angewandter Informatik und Informationswissenschaft zum einen und die Bewegung der Informatik in Richtung Geisteswissenschaften zum anderen lässt sich der Bereich der DH insgesamt abstecken.

Abb. 1: 3-Sphären-Modell zur Kartierung
                                der Digital Humanities als Schnittmenge, Brücke und eigenständigem
                                Bereich zwischen (ausgewählten) traditionellen Disziplinen. Quelle:
                                Eigener Entwurf. Zuerst veröffentlicht in Patrick Sahle, DH
                                studieren! Auf dem Weg zu einem Kern- und Referenzcurriculum der
                                Digital Humanities. DARIAH-DE Working Papers Nr. 1. Göttingen:
                                GOEDOC 2013. [online]
Abb. 1: 3-Sphären-Modell zur Kartierung der Digital Humanities als Schnittmenge, Brücke und eigenständigem Bereich zwischen (ausgewählten) traditionellen Disziplinen. Quelle: Eigener Entwurf. Zuerst veröffentlicht in Patrick Sahle, DH studieren! Auf dem Weg zu einem Kern- und Referenzcurriculum der Digital Humanities. DARIAH-DE Working Papers Nr. 1. Göttingen: GOEDOC 2013. [online]

Die Grafik (Abbildung 1) versucht deutlich zu machen, dass sich die Digital Humanities als Bereich mit unscharfen Grenzen mit anderen Bereichen überlappen. Für eine distinguierende Beschreibung lässt sich die Grafik aber auch als Drei-Sphären-Modell verstehen. Dabei würden die DH die Sphären der »eigenen Disziplin«, der »digital transformierten Disziplinen« (z.B. Computerlinguistik) und der »traditionellen Fächer mit digitalen Anteilen« umfassen. Diese Beschreibung könnte zum Verständnis des ganzen Feldes beitragen. Sie hilft aber auch in der Lokalisierung von Aktivitäten, Projekten oder Studienprogrammen. Die Ausdehnung und Vielfalt der Digital Humanities kann sie besonders da begreifbar machen, wo sie auf einzelne Akteure angewandt wird. Fächer werden von Menschen gebildet und getragen. So wie Disziplinen in Bewegung sind, sind es auch die Identitäten von Fachwissenschaftlern. Digital Humanities werden spätestens dann als Disziplin anzuerkennen sein, wenn eine gewisse Menge von Forschern sich selbst als »Digital Humanists« verstehen und bezeichnen. Diese Selbstbezichtigung liegt auch dann nahe, wenn sie sich aus einer entsprechenden Ausbildung oder einer Stellenaus- und -beschreibung speist. Wer einen BA und MA in »Digital Humanities« hat, wird wohl ein Digital Humanist sein; wer eine Professur in »Digital Humanities« innehat, wird wohl ein Digital Humanist sein.[19] Wir sind aber auch jenseits dieser Formalia recht frei, uns zu definieren und zu etikettieren. Dabei ist es vielleicht gerade typisch für unsere Zeit, dass wir fließende, unscharfe und multiple Identitäten und Selbstbeschreibungen pflegen. Für die Digital Humanities ließe sich dies vermutlich empirisch-experimentell anlässlich der Digital-Humanities-Tagung mit einer Umfrage leicht überprüfen:

  1. Auf die Frage »Was sind Sie?« würden wohl nur wenige die einfache Antwort »Digital Humanist« geben.
  2. Die Frage »Sind Sie ein Digital Humanist?« würde wohl häufig mit »Hm, ja, irgendwie schon, auch, sonst wäre ich ja nicht hier« beantwortet werden.
  3. »Was sind Sie?« würde wohl häufig eine solche Reaktion hervorrufen: »Ich bin [Fach X]-Fachwissenschaftler und interessiere mich für Digital Humanities / arbeite mit digitalen Methoden«.

»Früher war ich Historiker, jetzt bin ich Digital Humanist«; »Ich bin Germanist und Computerphilologe«; »Ich bin Computerlinguist und betreibe damit angewandte Informatik«; »Ich bin Informatiker und bearbeite geisteswissenschaftliche Fragestellungen«; »Ich mache digitale Kunstgeschichte« – die Selbstbeschreibungen sind so vielfältig, temporär und unscharf wie die Interessen und Aktivitäten der Akteure. Gerade weil die Digital Humanities fast immer verschiedene Dinge miteinander verbinden, liegt es hier nahe, dass Selbstbeschreibungen häufig ein oder mehrere »unds« enthalten. Digital Humanities betrifft in der Regel die Entwicklung und Anwendung von Techniken und Methoden auf bestimmte Fachprobleme. Deshalb muss man in mindestens zwei Gebieten unterwegs sein. Darüber hinaus liegen für viele die spannendsten Fragen auf einer Metaebene: Wohin führt die Konfrontation der beiden Welten eigentlich? Wie können punktuelle Lösungen verallgemeinert werden? Was bedeuten die neuen Prozesse und Verfahren für die Geisteswissenschaften und für die Informatik insgesamt? Arbeiten wir nicht letztlich alle an der Praxis und Theorie der Erkenntnisgewinnung in der digitalen Welt?

Die inhärente Multidisziplinarität des Feldes macht es zu einem schwierigen und komplexen Gebiet. Auf der anderen Seite scheinen die Vertreter des Feldes ein besonderes Kompetenzprofil zu entwickeln, das für die Herausforderungen unserer Zeit ungewöhnlich attraktiv sein dürfte. Die Verbindung geisteswissenschaftlicher und informatischer Ansätze erscheint so spannend, dass die Digital Humanities in letzter Zeit auch außerhalb der engeren Fachzirkel eine sehr hohe Aufmerksamkeit gewonnen haben.

3. Digital Humanities als Hype

Digitale Verfahren werden in der geisteswissenschaftlichen Forschung allmählich zu einer Selbstverständlichkeit. Es gibt immer weniger neue große Projekte, die nicht digitale Komponenten enthalten, von denen dann vor allem die Methoden, die Werkzeuge, die Arbeitspraxis und die Publikationsformen betroffen sind. Die Digital Humanities gewinnen dadurch eine stetig wachsende Präsenz und Aufmerksamkeit in den Geisteswissenschaften. Diese Entwicklung ist auch von den Organisationen der Forschungsförderung (insbesondere DFG und BMBF) erkannt worden und hat in den letzten Jahren zur Ausschreibung gezielter Förderprogramme geführt. Die Verbindung spannender Fragen aus den Geisteswissenschaften mit neuen analytischen Methoden, digitalen Publikationen und eindrucksvollen Visualisierungen haben ebenso wie die wissenschaftspolitische Diskussion um die Notwendigkeit oder nur Nützlichkeit der DH auch dazu geführt, dass das Thema 2013 und 2014 in den alten Massenmedien (Zeitungen, Radio, Fernsehen) so präsent war wie noch nie. Die Digital Humanities haben dadurch eine ungeahnte Anziehungskraft entwickelt. Viele neue Akteure sind dabei, das Feld für sich zu entdecken, viele alte sind zunehmend bereit, sich unter dem gemeinsamen Label DH zu versammeln.

Aus Sicht der Community ist gerade die zuletzt genannte Tendenz sehr wichtig. Die Digital Humanities sind – zum Teil noch unter dem Vorläuferbegriff »Humanities Computing« – in den letzten Jahrzehnten manchmal als Bereich wahrgenommen worden, der vor allem von den digitalen Sprach- und Literaturwissenschaften dominiert worden ist.[20] In den letzten Jahren lässt sich nun eine starke Verbreiterung der Themen und eine Einbeziehung aller geisteswissenschaftlichen Teildisziplinen beobachten. Vor allem aber kommt es zu einer Annäherung von Spezialisierungsfeldern, die traditionell schon eine gewisse Autonomie entwickelt hatten. Hier sind vor allem die Computerlinguistik, aber auch die Archäoinformatik zu nennen, die erst in den letzten Jahren zunehmend an den gemeinsamen Dachkonferenzen der Digital Humanities teilnehmen. Auf der anderen Seite haben ebenfalls erst in den letzten Jahren viele Akteure aus der ›normalen‹ Informatik erkannt, dass in den Geisteswissenschaften interessante Probleme zu bearbeiten sind und sich den Digital Humanities zugewandt. Die DH selbst betrachten sich als weites und offenes Feld. Unter dem Schlagwort des »Big Tent« wird ein integratives Selbstverständnis gepflegt, bei dem »alle Stämme« eingeladen sind, sich dem gemeinsamen Arbeitsbereich zuzurechnen und sich an den gemeinsamen Projekten, Konferenzen und Organisationen zu beteiligen.[21] Der gegenwärtige Hype lässt diese Einladung für viele attraktiv erscheinen und hat damit erfreuliche integrative Tendenzen. Er könnte dazu führen, dass der Begriff der Digital Humanities als gemeinsamer Sammelbegriff für durchaus unterschiedlich ausgerichtete Teilfelder etabliert wird. In der Konsequenz würde dadurch auch die Wahrnehmung der DH als Disziplin und Fach gestärkt.

Nicht zu übersehen ist allerdings, dass der gegenwärtige Gipfelpunkt im Hype-Zyklus auch einige Gefahren birgt. Er zieht viele neue Akteure an, die bei näherer Betrachtung vielleicht gar nicht an der Entwicklung der DH interessiert sind, sondern ihre eigene Agenda nur unter ein attraktiv erscheinendes Label stellen wollen. Statt gegenseitiger Befruchtung bleibt es dann bei der Konzentration auf die eigenen Fragestellungen. Dies geht zuweilen einher mit einer gewissen Ignoranz gegenüber den bestehenden Traditionen, Erkenntnissen und Erfahrungen der Digital Humanities. Die Vorstellung, DH sei etwas ganz neues, begünstigt den Ansatz, das Rad immer wieder neu erfinden zu wollen. Das vage, anscheinend nicht verfestigte und nicht geschützte Etikett »Digital Humanities« kann auch zu einer gewissen Beliebigkeit führen. Es trägt dann nicht zur Substanz des Forschungsfeldes bei und hat keine nachhaltigen Auswirkungen, wenn eine Auseinandersetzung mit der Disziplin und eine Einbringung in die Community unterbleibt. Eine solche oberflächliche Hinwendung zu den DH im Hype kann dann auch erhebliche desintegrative Effekte haben.

4. Beobachtungen

Negative, ablehnende und desintegrative Haltungen, die häufig auf die gleichen Grundmissverständnisse zurückgehen, lassen sich aus verschiedenen Richtungen verzeichnen. Für viele Forscher aus den Geisteswissenschaften liegt der Fokus neben der Bearbeitung von konkreten Fragestellungen auf der Digitalisierung von Quellen, der Zugänglichkeit von Informationen und den digitalen Medien als Kommunikationsraum und Publikationsumgebung. Hier wird zwar auch ein theoretischer Diskurs über digitale Medien geführt, dieser ist aber weitgehend von einer Auseinandersetzung mit ihren technischen und methodischen Grundlagen abgekoppelt. Vorherrschend ist ein Interesse an unmittelbaren Lösungen für bestehende Probleme und an leicht einsetzbaren Werkzeugen. Dabei wird oft angenommen, dass die Werkzeuge nur bestehende Methoden leichter umsetzbar machen würden, selbst aber keine methodischen oder epistemologischen Implikationen hätten. Auf diesem Grundmissverständnis aufbauend werden auch die DH als reiner Dienstleister der Forschung und als Feld der ›Anwendung von Werkzeugen‹ verstanden. Weil die DH damit aber auch nur in den traditionellen Geisteswissenschaften stattfinden würden, gäbe es gar keine eigenständige Disziplin DH. Wenn sich die Fragestellungen und Methoden in Wirklichkeit gar nicht ändern, sondern nur der Gebrauch von Werkzeugen, dann hätten wir es nur mit einer allmählichen Evolution der Geisteswissenschaften zu tun. Ein digitaler Geisteswissenschaftler wäre dann jemand, der fortgeschrittene Werkzeuge benutzt.[22] Letztlich würden aber alle digital arbeiten und wenn die Aneignung der Werkzeuge allgemein durchgesetzt wäre, gäbe es auch keinen Bedarf an Digital Humanities mehr. »Die Geisteswissenschaften werden digital, die DH bilden keinen eigenen Bereich, sie sind allenfalls ein Übergangsphänomen und werden wieder verschwinden«[23], ist denn auch ein unter etablierten Geisteswissenschaftlern oft zu hörendes Credo, das zuweilen mit der plakativen Forderung nach eine Zerstörung der Digital Humanities einhergeht.[24]

Eine ähnliche Negation kommt auch aus der anderen Richtung. Aus Sicht der angewandten Informatik geht es bei den DH meistens um technische Problemlösungen, um die Anwendung etablierter Konzepte und Ansätze aus der Informatik auf Fragestellungen der Geisteswissenschaften. Nicht zuletzt die unausrottbare Startannahme, dass es sich dabei um einfache Probleme handeln würde, die mit Standardlösungen zu behandeln seien, hat in den letzten 30 Jahren zum vielfachen Scheitern geisteswissenschaftlich-informatischer Kooperationen geführt. Zugleich ist diese Grunderfahrung eine der Ursachen für die Entwicklung der Digital Humanities. In ihrer historischen Agnostik wiederholen manche Vertreter der Informatik die Geschichte nun wieder, während andere erkannt haben, dass die Problemstellungen aus den Geisteswissenschaften häufig nicht trivial sind, sondern im Gegenteil sogar wertvolle Anstöße für Entwicklungen sowohl in der angewandten, als auch in der theoretischen Informatik selbst geben können. Mit vielen Geisteswissenschaftlern teilen sie aber die Meinung, dass ein Bereich Digital Humanities überflüssig sei, weil die Probleme aus den Fächern von der Informatik unmittelbar in Software übersetzt und damit gelöst werden könnten. Damit teilen sie aber vor allem das Grundmissverständnis, dass DH eben nicht mehr sei, als die Entwicklung und Anwendung von Werkzeugen, die keine eigenen theoretischen und methodischen Implikationen hätten. Außerdem wird hier das Problem der Kommunikation und der Übersetzung zwischen den beiden Welten übersehen, das eines der Hauptgründe für das Scheitern kooperativer Ansätze ist. Ohne das gleichzeitige Verständnis der geisteswissenschaftlichen Herangehensweisen und informatischer Bearbeitungsmöglichkeiten geht jedenfalls häufig viel Zeit verloren, bis beide Seiten über das Gleiche reden. Außerdem sind beide Seiten oft eher an konkreten Ergebnissen und exemplarischen Lösungen interessiert als an verallgemeinerbaren, nachhaltigen Entwicklungen, wie sie im Fokus eines Faches wie Digital Humanities stehen, das kontinuierlich an einem feldübergreifenden Arsenal von konzeptionellen Ansätzen, bereichsspezifischen Standards und nachnutzbaren Softwarekomponenten interessiert ist.

Interessant ist, dass ein Teilfeld, bei dem es sich offensichtlich um eine angewandte Informatik der Geisteswissenschaften handelt, in ganz ähnlicher Weise mit den Digital Humanities und den benachbarten Disziplinen ›fremdelt‹: Die Computerlinguistik betrachtet sich jedenfalls häufig als echte Informatik und hat mit dieser zugleich kein Problem und kein großes Interesse an ihr, wenn man von offensichtlichen Schnittstellenthemen wie Information Retrieval, Text Mining und Machine Learning absieht. Auf der anderen Seite wird mitunter betont, dass man zwar Fragestellungen aus den Geisteswissenschaften aufgreife und Werkzeuge entwickle, die eigentlich für alle ihre Teildisziplinen relevant seien. Gleichzeitig insistieren einige Vertreter in Gesprächen jedoch darauf, dass die Computerlinguistik schon so weit eine generische Ingenieurssparte sei, dass man als Computerlinguist jedenfalls nicht automatisch auch ein Linguist sei.

Statt Integration, vielfältiger Ausrichtung und multipler Identitäten findet man auch an anderen Stellen häufig ablehnende Haltungen, Monopolisierungsversuche und separatistische Tendenzen. Innerhalb des Feldes begegnet man dieser Tendenz, wenn z.B. die DH primär als digitale Textwissenschaft oder als literary and linguistic computing verstanden werden, wobei alle anderen Aktivitäten dann nur exotische Randbereiche wären. Eine Ausgrenzungsstrategie liegt in dem Versuch, technische Mindesthöhen zu etablieren, nach denen z.B. niemand ein Digital Humanist sein könne, der nicht jeden Tag selbst Programmcode schreiben würde; DH sei eigentlich Software Engineering und alles andere nur Geisteswissenschaft.

Außerhalb der DH findet man von Seiten dieser Geisteswissenschaften manchmal auch starke grundsätzliche Vorbehalte, eine prinzipielle Ablehnung und verschiedene Ängste. Gegen das scheinbare Heilsversprechen der Rettung der Geisteswissenschaften durch ihre Informatisierung steht die Angst vor einer »feindlichen Übernahme«, bei der die traditionellen Methoden der Geisteswissenschaften einem Pseudo-Objektivismus und inadäquaten Ansätzen geopfert würden.[25] Informatisierung wird dabei als Zumutung, als Kulturfrevel und als Anfang des Untergangs der Geisteswissenschaften empfunden. Dabei sind diese Ängste nur der übersteigerte Ausdruck der an sich nachvollziehbaren Annahme, dass sich Hermeneutik eben nicht eins zu eins durch Statistik und Stochastik ersetzen ließe. Innerhalb der DH wird dies wiederum konstruktiv aufgegriffen, wenn ernsthaft nach der Operationalisierung genuin geisteswissenschaftlicher Verfahren gefragt wird, wenn der scheinbar feststehenden Zielstellung des high performance computing bewusst ein minimal computing entgegengesetzt wird oder dem big data-Ansatz mit der Frage nach dem Wesen von smart data begegnet wird.

Ein Beispiel für die ›Hinwendung‹ der Informatik zu neuen Themenbereichen ist der cultural heritage-Sektor. Jenseits der Metadaten sind hier z.B. Informationssysteme, Langzeitarchivierung, semantische Informationsmodellierung, fortgeschrittene Digitalisierungsverfahren und neue Analysemethoden Gegenstand des informatischen Interesses. Inzwischen gibt es dabei aber Projekte, Netzwerke, Publikationsorgane und Tagungsreihen, in denen die angewandte Informatik das Thema allein bearbeitet, fast unter sich bleibt und der Zusammenhang zu geisteswissenschaftlichen Fragestellungen oder Betrachtungsweisen mehr und mehr aus dem Blick gerät.[26] Aus Sicht der Informatik erscheinen die Geisteswissenschaften hier manchmal als überflüssiges Anhängsel.

Für die Entwicklung der Digital Humanities als integratives Fach und für die Haltung der verschiedenen Akteure hierzu kann auch eine Analyse der institutionellen Entwicklung, des Arbeitsmarktes und der ›Professoralisierung‹ sehr erhellend sein. In den letzten Jahren hat es eine ganze Reihe von Zentrumsgründungen gegeben, wobei eine genauere Betrachtung, welche dieser Ansätze (a) tatsächlich mit Leben erfüllt worden sind, (b) tatsächlich die DH in ihrer Breite zum Gegenstand haben und (c) mehr als nur Umetikettierungen bestehender Strukturen sind, zu sehr ernüchternden Ergebnissen führen dürfte. Ein positiveres Signal geht dagegen von den immer zahlreicher werdenden Stellenausschreibungen aus, die meistens im Kontext von Forschungsprojekten explizit an »Digital Humanists« gerichtet sind. Hier wird in der Detailbeschreibung zwar auch nach bestimmten Fachausrichtungen und speziellen Kompetenzen gefragt - angesichts eines Überhangs an Stellen gegenüber einem Mangel an qualifizierten Bewerbern sind die Ausschreibungen in den meisten Fällen aber recht offen gehalten: Sie lassen grundsätzlich offen, ob Bewerber nun Geisteswissenschaftler mit informatischen Kompetenzen, Informatiker mit geisteswissenschaftlichem Problemverständnis oder eben beidseitig gleichermaßen qualifizierte Digital Humanities-Experten sind. Ganz anders sieht die Situation bei den Leitungsstellen und Professuren aus. Ausschreibungen, die DH-Professuren zum Gegenstand haben, bei denen »das Fach in seiner ganzen Breite« abgedeckt werden soll, sind sehr selten. Häufiger bleibt der Eindruck zurück, dass unter dem allgemeinen Etikett »Digital Humanities« etwas sehr Spezielles versteckt wird. Das kann z.B. durch eine sehr lokale Definition von »Digital Humanities« erfolgen, die keinen Bezug zu der breiten internationalen Community herstellt, sondern nur eine klar begrenzte Perspektive vor Ort realisiert. Damit kann auch die Beschreibung eines engen Aufgabenprofils einhergehen, mit dem dann kein integrativer Impetus zum Fach DH hin verbunden ist. Häufig verbirgt sich hinter der DH-Überschrift sehr klar die Orientierung an einem der traditionellen Fächer. Bewerber müssen dann von vorneherein z.B. germanistische Philologen, aus dem Fach »English Studies« oder Medienwissenschaftler sein. Im Extremfall werden Interessenten, die nicht über einen bestimmten formalen Abschluss (z.B. in der Informatik) verfügen, von vornherein von einer Bewerbung ausgeschlossen – was der Idee der DH als ein Brückenfach entgegensteht. Problematisch und erhellend zugleich ist die Ansiedlung solcher Professuren an den bestehenden Strukturen. Von der Sache her liegt eine Zuordnung unmittelbar zu einer Fakultät oder einem DH-Zentrum nahe. Tatsächlich sind solche Stellen aber meistens einem Institut oder Department zugeordnet, das ein bestimmtes einzelnes Fach vertritt. In der akademischen Strukturlogik ist es dann aber sehr unwahrscheinlich, dass innerhalb eines Fachinstituts eine gänzlich fach- oder sogar fakultätsübergreifende Ausgestaltung einer Professur gewollt wird. Häufig nur umetikettierte oder zusätzlich gelabelte Stellen bewahren so einen engen Fokus auf ein bestimmtes Fach. Aus dieser Perspektive erklärt sich dann auch die Ignoranz gegenüber den DH als etabliertem globalen Forschungsfeld und die Beschränkung auf die jeweils eigene idiosynkratische Bestimmung dessen, was man vor Ort darunter zu verstehen beliebt. Nichts spricht gegen Professuren, die in dem weiten Feld der DH bestimmten Bereichen gewidmet sind, es stellt sich aber die Frage, ob diese Stellen als Teil einer breiteren Disziplin und als Brücke zu diesem Bereich oder doch nur als Fortsetzung der traditionellen Fachzuschnitte ohne Verbindung zu anderen Entwicklungen gedacht werden.

Vielleicht sind dies typische Phänomene aus der Verfestigungsphase einer neuen Disziplin. Wissenschaftssystematisch und wissenschaftshistorisch könnte hier eine Vergleichsbetrachtung zu einem sehr ähnlichen Fach wie der inzwischen weithin etablierten Wirtschaftsinformatik fruchtbar sein.[27] Auch diese steht ja zwischen der angewandten Informatik und einem anderen Fachbereich. Auch sie wird häufig nach einem Drei-Säulen-Modell beschrieben, das aus dem Ausgangsfach, der Informatik und einem genuinen Zwischenbereich besteht. Man hat allerdings den Eindruck, dass die Existenz und Daseinsberechtigung der Wirtschaftsinformatik nicht in dem Maße in Frage gestellt wird, wie dies bei den Digital Humanities der Fall ist. Während bei der Wirtschaftsinformatik schon die Entwicklung wertvoller Problemlösungen und die Ausbildung stark nachgefragter spezialisierter Fachleute eine hinreichende Legitimation zu sein scheint, dürfte gerade die große methodische und konzeptionelle Distanz zwischen den Geisteswissenschaften und der Informatik eine der Ursachen für den beidseitigen Argwohn und die manchmal überraschend starken Vorbehalte und Ablehnungen bis hin zum ›Beißreflex‹ sein.

5. Effekte

Die digitalen Geisteswissenschaften gehen seit etlichen Jahrzehnten ihren Weg. Können die positiven oder negativen Erscheinungen des gegenwärtigen Hypes daran etwas ändern? Haben sie jenseits der theoretischen Debatten überhaupt praktische Auswirkungen? Kann es uns nicht egal sein, ob andere DH faszinierend oder abstoßend finden?

Leider steht zu befürchten, dass eine Verwendung von »Digital Humanities« als bloßes Etikett, unter dem dann ganz andere Dinge betrieben werden, der Entwicklung und Etablierung der Disziplin mehr schadet als nutzt. Denn in diesem Fall entstehen keine echten und nachhaltigen Beiträge zum Forschungsfeld und es wird eher verunklart, was eigentlich Gegenstand und Zielstellungen der DH sind. Diese Probleme aus dem Umfeld des gegenwärtigen Hypes lassen sich vielleicht auch an einem nicht unwichtigen Beispiel zeigen: den Förderlinien des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), mit denen in den Jahren 2013 und 2014 erhebliche Gelder für »Forschungs- und Entwicklungsvorhaben aus dem Bereich der eHumanities«[28] ausgelobt worden sind. Trotz der Begriffsverwendung »eHumanities« und dem Fehlen des Ausdrucks »Digital Humanities« in den Richtlinien ist davon auszugehen, dass hier thematisch die Digital Humanities angesprochen sind, da beide Begriffe synonym verwendet werden. Jedenfalls ist keine Definition einschlägig, nach der es sich bei den eHumanities um ein anderes, von den DH distinktes Feld handeln würde. Der Call richtet sich zum Teil auf den Aufbau von nachhaltigen Strukturen in den eHumanities, er geht aber ausdrücklich davon aus, dass die Fragestellungen aus den Geisteswissenschaften kämen, die dann mit informatischen Ansätzen zu bearbeiten seien. Auch wenn hier nicht von eHumanities oder Digital Humanities geredet wird, ist das aus DH-Sicht zunächst unproblematisch, da die DH entweder tatsächlich geisteswissenschaftliche Fragestellungen aufgreifen oder – wo es um genuine DH-Probleme geht – selbst zu den Geisteswissenschaften gezählt werden können.[29] Auf der anderen Seite kann auch die Lösung der Probleme mit informatischen Ansätzen unproblematisch sein, da sich die DH ja als angewandte Informatik verstehen und spätestens mit den im Call genannten »informatiknahen Fächern« nichts anderes als die Digital Humanities gemeint sein können.

Dass die Ausschreibung hier sprachlich etwas unklar und interpretierbar ist, kann bei der Diversität der beteiligten Akteure nicht überraschen.[30] Problematisch wird dies erst durch die Effekte der verschiedenen Deutungen. Der Call geht z.B. immer von einem Team aus Wissenschaftlern aus Geisteswissenschaften und Informatik aus, das von einer entsprechenden Doppelspitze geleitet würde. Es stellt sich dann die Frage, wo und wie Anträge aus den DH im engeren Sinne zu positionieren wären. Gilt DH dann als Geisteswissenschaft – mit dem Zwang zu einem zusätzlichen Partner aus der Informatik? Oder als »informatiknahes Fach« - mit dem Zwang eines zusätzlichen Partners aus den Geisteswissenschaften? Oder fallen beide Seiten in den DH zusammen, so dass sich der DH-Teil zur Erfüllung der »Doppelspitze« verdoppeln müsste? Eine entsprechende Anfrage beim Projektträger wurde dahingehend beantwortet, dass dieses Problem in Wirklichkeit nicht bestehen würde, weil es die eHumanities ja (noch) nicht geben würde (!), sondern nur Geisteswissenschaftler und Informatiker. Das inhaltliche Verständnis auf Seiten des Projektträgers, der ja nur für die administrative Abwicklung zuständig sein sollte, mag man für irrelevant halten.[31] Entscheidend sind letztlich die Gutachter. Aber hier zeigt sich ein ähnliches Phänomen. Zu jedem Antrag werden zwei Stellungsnahmen eingeholt, die von Experten aus drei Gruppen angefertigt sind: den Geisteswissenschaften, den Digital Humanities und der Informatik (mit Computerlinguistik und Informationswissenschaft), wobei die DH-Experten nur eine sehr kleine Gruppe bilden. Anscheinend hat es immer ein Gutachten von der geisteswissenschaftlichen Seite und eines aus der Informatik oder den DH gegeben. Für etliche Anträge ist es dabei zu sehr stark divergierenden Punktzahlen gekommen.[32] Die anonymen und sehr knappen Rückmeldungen lassen bei aller gebotenen Vorsicht der Interpretation den Eindruck entstehen, dass vor allem von Gutachtern aus der Informatik und Computerlinguistik Anträge mit starken DH-Anteilen rundweg abgelehnt werden, wenn nicht die je eigenen thematischen Interessen angesprochen oder in hohem Maße klassische Informatik-Institute außerhalb der Digital Humanities eingebunden sind. Dadurch kann aber eine starke Schieflage und Chancenungleichheit entstehen, bei der bestimmte geisteswissenschaftliche Bereiche und genuine DH-Ansätze benachteiligt werden. Im Sinne dieses Beitrages ist aber vor allem zu folgern, dass mit den vom BMBF organisierten Ausschreibungen die eHumanities bzw. Digital Humanities als Forschungsbereich und als gemeinsamer Kommunikationsraum nicht konsequent aufgegriffen und gestärkt werden, sondern ein nur kooperatives Nebeneinander von Geisteswissenschaften und Informatik befördert wird. Dabei ist schon in den Ausschreibungsverfahren deutlich geworden, wie alle Seiten von Anfang an aneinander vorbeireden, wenn die Digital Humanities nicht als Bindeglied ernst genommen werden. In der Negation dieser Disziplin liegt zudem die Gefahr eines deutschen Sonderweges. Erfahrungsgemäß verbleiben in rein kooperativen Projekten die Ergebnisse und Erkenntnisse der geisteswissenschaftlichen bzw. der informatischen Partner in deren jeweiligen Fachdiskursen - ohne dass es zu einem Anschluss an die internationale Digital Humanities-Entwicklung kommen würde.

Auf dieser Grundlage besteht dann aber auch die Gefahr, dass es trotz des hohen Mitteleinsatzes nicht zu einer dauerhaften Stärkung und einem Ausbau der Digital Humanities in Deutschland kommt, sondern aus unverbundenen Teilen bestehende Kooperationsprojekte jenseits ihrer lokalen Problemlösung keine nachhaltigen Effekte auf die DH insgesamt haben werden. Die Betonung der autonomen Ränder hat dann jedenfalls desintegrative Effekte auf den doch eigentlich adressierten Kernbereich und fördert eher zentrifugale als zentripetale und integrative Tendenzen.

6. Digital Humanities quo vadis?

Was ist zu tun? Um die Digital Humanities nicht der Beliebigkeit anheim fallen zu lassen, kommen wir nicht umhin, auf einen klar und fest definierten Begriff zu pochen. Man wird mit dem Spagat leben müssen, dass es die DH im engeren Sinne (als eigene Disziplin) und im weiteren Sinne (als Phänomen in den anderen Fächern) gibt. Allerdings sollte auch die Vorstellung von den DH als einer Community nicht aufgegeben werden. Integration in dieser Fachgemeinschaft und Trennschärfe nach außen sind zwei wichtige Ziele. Die DH sind dadurch bestimmt, dass sie einen gemeinsamen Aufgabenbereich abdecken, in dem spezifische – aber eben nach außen gut anschlussfähige – Techniken, Methoden und Theorien bearbeitet werden. Dieser Bereich muss in horizontaler und vertikaler Hinsicht abgrenzbar sein. Man muss auch sagen können, was DH nicht ist. Dazu kann gehören, dass z.B. Digital Literacy nicht DH ist. Der Einsatz von Standardanwendungen oder allgemeiner Software bei geisteswissenschaftlichen Fragestellungen ist ebenfalls kein DH. Auf der anderen Seite sind auch generische Fragestellungen oder Ansätze aus der Informatik nicht automatisch DH. 3D-Scanning und 3D-Modelle sind z.B. nur dann DH, wenn sie nicht nur angewandt werden, sondern wenn die spezifischen Problemlagen geisteswissenschaftlicher Datenbestände oder Fragestellungen zu einer Weiterentwicklung solcher Verfahren führt oder wenn über die Rückwirkungen auf die Forschungsprozesse reflektiert wird. Die Digital Humanities sind ihrem engeren Begriff nach ein Bereich zwischen Geisteswissenschaften und Informatik – alles, was ohne Verbindungen nach außen in den Fächern passieren kann, ist nicht DH im eigentlichen Sinne.

Zum weiteren Ausbau der DH sind neben der klaren inhaltlichen Positionierung weitere Maßnahmen nötig. Dazu gehört die Verstärkung der Verbandsarbeit mit dem Ziel einer Integration nach innen und einer besseren Sichtbarkeit nach außen. Die Ergebnisse der vielfältigen Einzelprojekte sollten stärker durch Dokumentation, Evaluation und Reflektion gesichert und zu einem gemeinsamen Wissensbestand zusammengeführt werden. Nachhaltige institutionelle Strukturen in Form von Zentren, Abteilungen und Lehrstühlen sind aufzubauen. Ausbildungsprogramme sollten verstärkt als dem gemeinsamen Feld Digital Humanities zugehörig erkennbar gemacht werden und soweit wie möglich inhaltlich abgestimmt werden. In der Vermittlung der DH sollten ihre Aktivitäten sowohl im lokalen, regionalen, nationalen als auch im internationalen Kontext verankert werden. Bei den Förderorganisationen ist darauf zu drängen, dass DH-Fachgremien eingerichtet werden, die dann auch mit Experten aus den DH (durchaus im weiteren Sinne) besetzt werden. Schließlich ist sicher zu stellen, dass auch DH-Förderanträge von Gutachtern aus dem entsprechenden Gebiet bewertet werden und nicht von fachfremden Wissenschaftlern ohne genauere Kenntnis des Feldes.

Dies wären jedenfalls wichtige Voraussetzungen dafür, dass auch die Digital Humanities ihre Entwicklung zu einer leistungsfähigen wissenschaftlichen Disziplin erfolgreich fortsetzen können.


Fußnoten

  • [1]
    Zuletzt 2014 in Lausanne; die englische Wikipedia führt eine Liste der Tagungen seit 1990. Zur globalen Veranstaltung kommen nationale (z.B. Digital Humanities Congress 2014 in Sheffield) und regionale Konferenzen (z.B. »Grenzen überschreiten – digitale Geisteswissenschaften heute und morgen«, im Februar 2014 in Berlin) sowie zahlreiche auf einzelne Problembereiche fokussierte Tagungen und Workshops.

  • [2]
    Vgl. dazu die visualisierenden Untersuchungen von Weingart 2013f., die vor allem auf Akzeptanz- und Ablehnungsstrukturen zielen.

  • [3]
    Vgl. z.B. die DARIAH-Bibliografie Doing Digital Humanities bzw. die allgemeine ZOTERO-Bibliografie Digital Humanities, die zuletzt rund 500 Einträge hatte.

  • [4]
    Am wichtigsten für die Breite des Feldes wohl immer noch LLC – The Journal of Digital Scholarship in the Humanities; daneben vor allem Digital Humanities Quarterly (DHQ), neuerdings auch Journal of Digital Humanities (JDH). Historisch wichtig vor allem Computers and the Humanities (1966–2004).

  • [5]

  • [6]
    Zu den vielen persönlichen Blogs kommen Community-Blogs wie der DHd-Blog und der Kollektiv-Blog zum jährlichen »Day of DH« (seit 2009, zuletzt 2014).

  • [7]
    Die Anbieter von kontinuierlich stattfindenden Schools sind inzwischen in einem »DH Training Network« zusammengeschlossen.

  • [8]
    Vgl. DH Manifesto 2011, DH Manifesto 2014 bzw. den Workshop des Einstein-Zirkels, Grenzen überschreiten – Digitale Geisteswissenschaft heute und morgen, in Berlin am 28.02.2014.

  • [9]
    Vgl. z.B. DH an der Universität Bern, ansatzweise Zentrumsbildungen sind auch für Heidelberg und München zu verzeichnen.

  • [10]
    Hierzu zählen z.B. die wichtigen DH-Standorte Darmstadt, Hamburg, Leipzig oder Würzburg.

  • [11]
    Für einen analytischen Überblick vgl. z.B. Patrick Sahle 2013.

  • [12]
    Den eindeutigsten Handbuch-Charakter hat Schreibman 2004. 2015 soll das Handbuch vollständig neu bearbeitet noch einmal erscheinen. Als Handbuch für einen Teilbereich der DH ist auch Susan Schreibman / Ray Siemens 2007 einschlägig.

  • [13]
    Bezeichnenderweise beginnt bereits das Companion to Digital Humanities (Schreibman / Siemens 2007) mit dem Kapitel The History of Humanities Computing. Der rezenteste Beitrag dürfte Willard McCartys Getting there from here. Remembering the future of digital humanities von 2014 sein (McCarty 2014). An einem größeren Projekt zur Geschichte der DH arbeitet Julianne Nyhan. Vgl. z.B. Julianne Nyhan et al. 2013, die Digital Humanities Quarterly-Sonderausgabe 2012, die »Hidden Histories«-Bibliographie und die demnächst erscheinende Monographie von Julianne Nyhan mit dem Titel Computation and the Humanities: towards a history of Digital Humanities.

  • [14]
    Terras et al. 2013. Eine Sammlung von Kurzdefinitionen aus dem Day-of-DH-Umfeld findet sich online.

  • [15]
    Typisch sind hier die verschiedenen Wikipedia-Artikel in insgesamt 16 Sprachen, die ja versuchen einen Konsens abzubilden. Während der deutsche Beitrag »Fach« sagt, ist im Englischen von »area of research, teaching, and creation« die Rede. Andere scheinen sich - vielleicht einfach übersetzend - davon abzuleiten: »campo di studi, ricerca, insegnamento« (italienisch), »domaine de recherche, d'enseignement et d’ingénierie« (französisch), »área de investigación, enseñanza y creación« (spanisch).

  • [16]
    Bibliotheken, Archive und Museen (= BAM); Galleries, Libraries, Archives, Museums (= GLAM).

  • [17]
    Dabei ist nicht zu unterschlagen, dass auch der Computereinsatz in den Geschichtswissenschaften eine sehr lange Tradition hat, die eine eigene historische Aufarbeitung nahelegt. Das Etikett »Digital History« markiert insofern eher eine neue Route als den Versuch einer ›Erstbesteigung‹.

  • [18]
    Zur low-end-high-end-Terminologie vgl. Burghardt / Wolff 2014, S. 40. Kirsch 2014 spricht von »minimalist understanding« (Werkzeugeinsatz) und »maximalist understanding« (DH als Paradigmenwechsel in der Auseinandersetzung mit unserer Kultur).

  • [19]
    Für die Digital Humanities gibt es das Problem der ›ersten Generation‹: die ersten Vertreter des Faches müssen aus anderen Gebieten kommen, andere Ausbildungsbiografien haben und damit auch eine andere ›Berufsbezeichnung‹. Mit den expliziten DH-Studiengängen müsste sich dies aber umdrehen – auch wenn ein Studiengang nicht direkt zu einer Berufsbezeichnung führt. Kölner Absolventen neigen z.B. dazu zu sagen »Ich habe Informationsverarbeitung studiert«, aber auch »Ich bin Medieninformatiker/in«.

  • [20]
    Diese Tendenz und Wahrnehmung scheint in den USA besonders stark zu sein. In den meisten Fällen, in denen z.B. eine »Digital Humanities Position« ausgeschrieben ist, handelt es sich tatsächlich um Stellen im Bereich »English Studies«.

  • [21]
    Vgl. z.B. Pannapacker 2011. Kritisch dazu Melissa Terras, in: Terras et al. 2013, S. 263–270 und Terras 2011 in ihrem Blogbeitrag »Peering Inside the Big Tent: Digital Humanities and the Crisis of Inclusion«.

  • [22]
    Ein ›normaler‹ Geisteswissenschaftler würde hingegen nur triviale Werkzeuge benutzen. Diese Sicht z.B. bei Haigh 2014, S. 28: »The digital humanities movement is a push to apply the tools and methods of computing to the subject matter of the humanities« - wer heute E-Mail benutze, sei kein digitaler Geisteswissenschaftler, wer ein eigenes Web-CMS installieren und betreiben würde, aber schon.

  • [23]
    Haigh 2014, S. 28: »the allure of ›digital humanist‹ as an identity will fade over time«.

  • [24]
    So explizit Nordmeyer 2013 in einem Blogbeitrag: »Destroy the Digital Humanities! #dighum1213«.

  • [25]
    Kirsch 2014. Für den deutschsprachigen Raum zusammenfassend Kaden 2013. Initial für den »Übernahme«-Begriff Röhnert 2013.

  • [26]
    Nur ein Beispiel für diese Tendenz mag das EU-geförderte Doktorandenprogramm Initial Training Network for Digital Cultural Heritage sein. Von den 16 Fellows haben drei einen Bildungsanteil in Geschichtswissenschaft oder Archäologie. Fast alle anderen haben einen eher naturwissenschaftlichen Hintergrund.

  • [27]
    Zur Entwicklungsgeschichte der Disziplin siehe z.B. das Projekt WIGE - Wirtschaftsinformatik Genealogie.

  • [28]

  • [29]
    Svensson 2012, S. 42–60.

  • [30]
    Der Strategiebeirat deckt im Grunde die ganze Bandbreite von geisteswissenschaftlichen Disziplinen über Digital-Humanities-Experten im engeren Sinne bis zur Informationswissenschaft und der Informatik ab.

  • [31]
    Zum Projektträger vgl. einen Kommentar von Nettelbeck 2015.

  • [32]
    Dieser Eindruck ist bei vielen Gesprächen mit Antragstellern bestätigt worden. Dass ausdrückliche Nicht-Gutachten (bei denen eine echte Begutachtung eben verweigert wird) mit Null Punkten bewertet und zur arithmetischen Mittelung herangezogen werden oder bei stark divergierenden Wertungen kein drittes Gutachten eingeholt wird, betrifft nur die Frage, ob das Verfahren den allgemein üblichen Standards entspricht. Diese Frage kann aber nicht Gegenstand des Beitrags sein.


Bibliographische Angaben

  • Manuel Burghardt / Christian Wolff: Digital Humanities: Buzzword oder Strukturwandel der Geisteswissenschaften? In: Blick in die Wissenschaft - Forschungsmagazin der Universität Regensburg 29 (2014), S. 40. [online]

  • A Companion to Digital Humanities. Hg. von Susan Schreibman / Ray Siemens / John Unsworth. Malden 2004. [online]

  • A Companion to Digital Literary Studies. Hg. von Ray Siemens / Susan Schreibman. Malden 2007. [online]

  • Defining Digital Humanities. A Reader. Hg. von Melissa Terras / Julianne Nyhan / Edward Vanhoutte. Farnham 2013. [Nachweis im OPAC]

  • Thomas Haigh: We Have Never Been Digital. In: Communications of the ACM 57 (2014), H. 9, S. 24–28. DOI: 10.1145/2644148.

  • »Hidden Histories: Computing and the Humanities c. 1965–1985«. Digital Humanities Quarterly-Sonderausgabe 6.3 (2012). [online]

  • Ben Kaden: Wer übernimmt was? Zum Verhältnis von Digital Humanities und Geisteswissenschaften. In: LIBREAS. Debatte, 12. September 2013. [online]

  • Adam Kirsch: Technology Is Taking Over English Departments - The false promise of the digital humanities, New Republic vom 2. Mai 2014 [online]

  • Willard McCarty: Getting there from here. Remembering the future of digital humanities: Roberto Busa Award lecture 2013. In: Literary & Linguistic Computing 29 (2014), H. 3, S. 283–306. DOI:10.1093/llc/fqu022. [Nachweis im GBV]

  • Joachim Nettelbeck: Abwicklung im Blindflug. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. September 2015. [online]

  • Philip Nordmeyer: »Destroy the Digital Humanities! #dighum1213«. Blogbeitrag vom 9.12.2013. [online]

  • Julianne Nyhan / Andrew Flinn / Anne Welsh: Oral History and the hidden histories project: towards histories of computing in the Humanities. In: Literary and Linguistic Computing 28 (2013), S. 1–15. DOI: 10.1093/llc/fqt044. [Nachweis im GBV]

  • Julianne Nyhan: Computation and the Humanities: towards a history of Digital Humanities. Cham 2016. [online]

  • William Pannapacker: ›Big Tent Digital Humanities‹ – A View From the Edge. In: The Chronicle of Higher Education vom 31. Juli 2011. [online]

  • Jan Röhnert: Feindliche Übernahme? Die Geisteswissenschaften wehren sich gegen falsche Ansprüche der Informatik, aber setzen auf die »Digital Humanities«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Juli 2013. [online]

  • Patrick Sahle: DH Studieren! Auf dem Weg zu einem Kern- und Referenzcurriculum der Digital Humanities. DARIAH-DE Working Papers Nr. 1. Göttingen 2013. [online]

  • Patrik Svensson: The digital humanities as a humanities project. In: Arts and Humanities in Higher Education 11/1-2 (2012), S. 42–60. [Nachweis im GBV]

  • Melissa Terras: Peering Inside the Big Tent: Digital Humanities and the Crisis of Inclusion. In: Blogbeitrag vom 26. Juli 2011. [online]

  • Scott Weingart: Submissions to Digital Humanities 2015 (mehrere Teile). In: the scottbot irregular. 2013f. [online]

  • Scott Weingart: Submissions to Digital Humanities 2014. In: the scottbot irregular. 2013f. [online]

  • Scott Weingart: Acceptances to Digital Humanities 2014. In: the scottbot irregular. 2013f. [online]

  • Scott Weingart: Acceptances to Digital Humanities 2013. In: the scottbot irregular. 2013f. [online]


Abbildungslegenden und -nachweise

  • Abb. 1: 3-Sphären-Modell zur Kartierung der Digital Humanities als Schnittmenge, Brücke und eigenständigem Bereich zwischen (ausgewählten) traditionellen Disziplinen. Quelle: Eigener Entwurf. Zuerst veröffentlicht in Patrick Sahle, DH studieren! Auf dem Weg zu einem Kern- und Referenzcurriculum der Digital Humanities. DARIAH-DE Working Papers Nr. 1. Göttingen: GOEDOC 2013. [online]