Visualisierung

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Linda Freyberg Autor*inneninformationen

DOI: 10.17175/wp_2023_014_v2

Nachweis im OPAC der Herzog August Bibliothek: 183976709X

Erstveröffentlichung: 25.05.2023

Version 2.0: 07.11.2024

Lizenz: CC BY-SA 4.0, sofern nicht anders angegeben. Creative Commons Deed

Letzte Überprüfung aller Verweise: 18.10.2024

GND-Verschlagwortung: Diagrammatik | Terminologie | Visualisierung

Empfohlene Zitierweise: Linda Freyberg: Visualisierung. In: AG Digital Humanities Theorie des Verbandes Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e. V. (Hg.): Begriffe der Digital Humanities. Ein diskursives Glossar (= Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften / Working Papers, 2). Wolfenbüttel 2023. 25.05.2023. Version 2.0 vom 07.11.2024. HTML / XML / PDF. DOI: 10.17175/wp_2023_014_v2


Version 2.0 (07.11.2024)

Überarbeitung gemäß Open Public Peer Review. Bibliografie an aktuelle Zitierregeln angepasst. E-Mail-Adresse der Autorin geändert. Absatzzählung verschoben.


Synonyme und ähnliche Begriffe: Bildlichkeit | Datenvisualisierung | Graph | Informationsvisualisierung | Sichtbarmachung
Pendants in kontrollierten Vokabularen: Wikidata: Q451553 | TaDiRAH: Data Visualization

1. Begriffsdefinition

[1]Bei Visualisierungen handelt es sich um bildliche Darstellungen abstrakter → Daten von Sachverhalten, zu deren Verständnis sie beitragen sollen. Sie können unter anderem gezeichnet oder mit Informationstechnologie erstellt werden. Ihre Funktionen erstrecken sich von der Orientierung bis hin zur (hypothetischen) Voraussage und vom Überblick bis zur Evidenzsuggestion. Sie können in verschiedenen Darstellungsformen vorliegen wie z. B. als Karte, Koordinatensystem, Skala, Tabelle, Graph, (Gantt-, Euler-, Venn-)Diagramm, Netzwerk, Cluster und vieles mehr.

[2]In den Geisteswissenschaften werden Visualisierungen als Illustrationen, als Gedächtnisstützen für bekannte Sachverhalte, oder bei der Organisation von Wissen eingesetzt, sowie als Erkenntnismittel in der Vermittlung und Erzeugung von (neuem) Wissen. Dabei fungieren sie als Analysewerkzeug und sind im übergeordneten Kontext der Bildlichkeit und der verschiedenen visuellen Ausdrucksformen im Digitalen selbst Forschungsgegenstand.

2. Begriffs- / Ideengeschichte

[3]Etymologisch verweist das Wort ›Visualisierung‹ auf das lateinische ›videre‹ (sehen). Nach Sybille Krämer fungieren Visualisierungen, wie auch Bilder generell, als eine »Sprache des Raumes«, die sich durch Haltbarkeit, Zweidimensionalität und Simultanität auszeichnet, und bringen eine »Versinnlichung von Unsichtbarem«‍[1] hervor. Der Begriff der Visualisierung bezeichnet sowohl einfache topologische Anordnungen im physischen Raum als auch elaborierte multidimensionale Visualisierungen im Virtuellen, für die eine Software oder generell ein Kodierungsprozess, in dem Daten verarbeitet und in eine grafische Darstellungsform gebracht werden, notwendig sind.

[4]Die Vielfalt von Visualisierungen reicht von Abbildungen über → Modelle bis hin zu → Simulationen. Sie fungieren als Medium der Vermittlung, durch die Sachverhalte beobachtet, abgelesen oder analysiert werden können.

[5]Historische Beispiele für Visualisierungen sind frühe Kartierungen, geometrische Darstellungen und erste statistische Darstellungen, wobei mit der Zunahme von statistischen Daten im 19. Jahrhundert die visuelle Darstellung von abstrakten Sachverhalten zugenommen hat. Einen Überblick der Geschichte der Visualisierung bietet hierzu eine Zeitleisten-Visualisierung von Michael Friendly und Daniel J. Denis, die die Meilensteine der Visualisierung in Bezug auf Kartografie, Statistik und Grafik, Technologie und weitere beinhaltet.‍[2]

3. Erläuterung

[6]Visualisierungen als Erkenntnismittel besitzen das Potenzial für die Entdeckung von neuen Zusammenhängen. Durch die topologische Anordnung von Objekten können neue Beziehungen und somit neues Wissen erschlossen werden. In der universalen Philosophie des Logikers, Mathematikers, Semiotikers und Pragmatikers Charles Sanders Peirce spielt das Bildliche insgesamt und für den Erkenntnisprozess insbesondere im Kontext der Abduktion, als Phase des Erkenntnisprozesses in dem neue Ideen entwickelt werden, eine zentrale Rolle. Nach Peirce ist: »All necessary reasoning without exception [...] diagrammatic.«‍[3] Diese sehr breite Auffassung der Bildlichkeit nimmt Bezug auf die Verräumlichung des Denkens, die bei der Konstruktion von Wissen zentral ist und als bildliches Schlussfolgern (diagrammatic reasoning) bezeichnet wird.

[7]Im Kontext des diagrammatic reasoning identifiziert Michael Hoffmann einen kreativen Teil, nämlich in Peirces Konzept des »theoric reasoning«, welches »the power of looking at facts from a novel point of view«‍[4], also das Einnehmen einer neuen Perspektive bezeichnet, die durch Visualisierungen ermöglicht werden kann.

[8]Auf Zeichenebene sind Visualisierungen Bilder und somit in ihrer Repräsentationsfunktion als ikonische Zeichen aufzufassen, die sich durch eine Objektähnlichkeit auszeichnen. Visualisierungen fungieren jedoch gleichermaßen als kulturhistorische Ausdrucksformen und sind somit als Symbole in ihrer zeiträumlichen Verortung zu lesen. Als visuelle Repräsentationen wirken sie im Sinne der Diagrammatik‍[5] erkenntnisfördernd.‍[6]

[9]Die epistemische Funktion, speziell des ikonischen Zeichens, geht nach Peirce auf die Eigenschaft zurück, dass im Visuellen mehr sichtbar wird als die Summe der einzelnen Elemente: »For a great distinguishing property of the icon is that by the direct observation of it other truths concerning its object can be discovered than those which suffice to determine its construction.«‍[7]

[10]Im Vergleich zu → textuellen Darstellungsformen sind Visualisierungen in der Lage, »to expand perception by adding understanding beyond that of the textual narrative or data«‍[8]. Diese Funktionalität des Verstehens beruht auf der Eigenschaft von Bildern, dass Beziehungen zwischen den Objekten oder bestimmten Entitäten visuell ausgedrückt werden und dadurch topologische und morphologische Strukturen entstehen: »A single colour spot in paintings […] does not ›mean‹ anything. It generates meaning by ›cooperation with other spots in a lateral way‹«‍[9], oder nach W. J. T. Mitchell: »The image is syntactically and semantically dense in that no mark may be isolated as a unique, distinctive character (like a letter in an alphabet), nor can it be assigned a unique reference or ›compliant‹. Its meaning depends rather on its relation with all the other marks in a dense, continuous field.«‍[10]

[11]Vor allem in Bezug auf digitale Anwendungen werden durch Visualisierungen verschiedene Zugangsebenen zu Objekten ermöglicht, die nach bestimmten Aspekten geordnet und (im besten Fall) dynamisch und interaktiv präsentiert werden. Die Objekte können dabei sowohl in einem größeren Gesamtkontext als auch in direkter semantischer Relation zu anderen Objekten dargestellt werden, was eine überblicksartige Darstellung in übergeordneten Dimensionen wie Zeit und Raum ermöglicht, aber auch die Beantwortung konkreter Forschungsfragen.

[12]In der visuellen Darstellung werden mehr Aspekte (beispielsweise Farbigkeit, Formen) sichtbar, als den Daten selbst innewohnen. Durch die Betrachtung von Mustern und vor allem durch das Erkennen von Ähnlichkeiten, die, wie Frederik Stjernfelt annimmt, »the very source of new ideas«‍[11] sind, wird der Forschungsprozess unterstützt oder gewisse Erkenntnisse sogar erst ermöglicht. Die Darstellung von Relationen kann dabei explizit erfolgen durch direkte Verweise (beispielsweise durch Hyperlinks) oder implizit durch das Aufzeigen von Ähnlichkeit verschiedener Art.‍[12]

[13]Bei der Visualisierung von Kulturdaten, die meist die digitalisierten Kulturobjekte selbst sowie ihre beschreibenden Strukturdaten beinhalten und die in vielen geisteswissenschaftlichen Disziplinen eine zentrale Rolle spielen, sind die Darstellungsmöglichkeiten spezifisch. Nach Windhager et al. sind hier vier visuelle Granularitäten zu unterscheiden:‍[13] 1) Einzelobjektvorschauen, z. B. hochauflösende Fotos, 3D-Scans, Videoclips oder Audiokodierungen, 2) Multi-Objekt-Vorschauen, welche Miniaturansichten (Thumbnails) zu Multi-Objekt-Anordnungen wie Listen, Rastern oder Mosaiken zusammenfassen, 3) Sammlungsübersichten, die umfassende Anordnungen von Stellvertretern verwenden und eine Darstellung auf Makroebene bieten, während Metadaten in visuelle Variablen kodiert werden und zuletzt 4) Sammlungsübersichten, die Abstraktionen verwenden, um alle möglichen Arten von diagrammatischen Repräsentationen, die von den versteckten Objekten abstrahiert sind, darzustellen.

[14]Diese Granularitäten lassen sich als Skalierung von Close zu Distant Reading lesen und sind in aktuellen Visualisierungswerkzeugen wie dem VIKUS Viewer[14] gleichermaßen darstellbar. Vor allem um Forschungsfragen in den Geisteswissenschaften darzustellen, die beispielsweise die Rezeptionsgeschichte sowie die kulturhistorische Einbettung adressieren, ist sowohl eine Fokussierung auf einzelne Objekte als auch das Aufzeigen semantischer Relationen zwischen verschiedenen Objekten im Überblick hilfreich. Dieser Ansatz entspricht Ben Shneidermans »Visual Information Seeking Mantra«: »Overview first, zoom and filter, then details-on-demand«‍[15], welches in zeitgenössischen Visualisierungen vielfach zur Anwendung kommt.

[15]Visualisierungen sind durch einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Grad der Simplifikation oder Komplikation geprägt. Darüber hinaus zeichnen sie sich durch Effektivität und / oder Expressivität aus.‍[16] Diese Qualitäten können sowohl gleichermaßen gegeben sein, als auch diametral zueinander stehen. Wenn eine hohe visuelle Expressivität in der Darstellungsform gewählt wird – ausgedrückt beispielsweise im Detailreichtum – könnte die Effektivität in Bezug auf die Erkenntnisfunktion – also der Transfer der Informationen – in den Hintergrund treten und der repräsentierte Sachverhalt könnte somit nicht mehr verständlich sein. Einen guten Überblick dieser Skalen bietet das ›Visualization Wheel‹ von Alberto Cairo (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Visualization Wheel. [Grafik: Earl 2013 nach Cairo 2013]
Abb. 1: Visualization Wheel. [Grafik: Earl 2013 nach Cairo 2013]

[16]Wenngleich zahlreiche unterstützende Software-Anwendungen zur Visualisierung (wie Gephi, RAWGraphs etc.) existieren, ist für die Erarbeitung maßgeschneiderter Visualisierungen in der Digital-Humanities-Forschung die Expertise sowohl von Fachwissenschaftler*innen als auch Informationsspezialist*innen wie (Interface-)Designer*innen erforderlich.

3.1 Mehrdeutigkeiten

[17]Prinzipiell besitzt der Begriff der Visualisierung viele Spezifikationen und wird unterschiedlich breit aufgefasst und angewendet. Der Begriff der Datenvisualisierung ist weit gefasst und bezieht sich auf die visuelle Repräsentation abstrakter Daten, sowohl in prädigitaler als auch digitaler Form. Friendly beschreibt Datenvisualisierung (data visualization) als: »[T]he science of visual representation of ›data‹, defined as information which has been abstracted in some schematic form, including attributes or variables for the units of information.«‍[17]

[18]Eine oftmals zitierte Definition von Visualisierung nach Card et al., die sich auf die Anwendung im Digitalen bezieht und auch die Erkenntnisfunktion miteinbezieht, lautet: »The use of computer-supported, interactive, visual representations of data to amplify cognition.«‍[18] Demnach beruhe Visualisierung auf dem Einsatz von Computertechnik sowie dem Vorliegen interaktiver und visueller Repräsentationen von Daten, die Erkenntnis fördern. Visualisierungen in der Wissenschaft operieren oftmals mit Daten, die der physischen Welt verbunden sind und somit einen konkreten Raumbezug besitzen. Die Informationsvisualisierung hingegen operiert auch mit abstrakten, nicht-räumlichen (non spatial) Daten wie Finanzdaten, Sammlungen von Dokumenten oder Konzepten.‍[19] Card et al. differenzieren daher Visualisierung im Allgemeinen und Informationsvisualisierung im Speziellen durch den Zusatz der Abstraktion folgendermaßen: »The use of computer-supported, interactive, visual representations of abstract data to amplify cognition.«‍[20]

[19]Eine engere Definition von Informationsvisualisierung von Kirsten Wagner macht ebenso die Datenverarbeitung zur Voraussetzung und sieht die Informationsvisualisierung als direkten Anschluss an wissenschaftliche Visualisierungen.‍[21]

[20]Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Visualisierungen, wo nach Wagner neuere bildgebende Verfahren wie

»Computergrafik, Computeranimation und Virtuelle Realität, eingesetzt werden, um physikalische Vorgänge und Phänomene der Natur abzubilden, geht es mit der Informationsvisualisierung um die grafische Darstellung von Datenbanken, und zwar von nach bestimmten Kriterien geordneten Datenbanken.«‍[22]

[21]Diese Definition ist sehr eng gefasst, da sie sich auf die grafische Darstellung von durch Klassifikation strukturierte Datenbanken bezieht und somit nicht nur die Daten selbst, sondern auch deren Organisationsinstanzen einbezieht.

[22]Die Bezeichnung der wissenschaftlichen Visualisierungen adressiert hingegen eher ihren Entstehungskontext und ihre Inhalte und wird in einer eng gefassten Betrachtungsweise auch mit bildgebenden Verfahren in Verbindung gebracht, die Naturphänomene oder auch synthetische Phänomene abbilden.

3.2 Differenzen der Begriffsverwendung

[23]In den Geisteswissenschaften generell haben sich Visualisierungen als Präsentations- aber auch als Erkenntnismittel, wenngleich in verschiedenen Darstellungsformen und mit unterschiedlichen → methodischen Ansätzen, etabliert.

[24]In der Kunstgeschichte werden beispielsweise Personennetzwerke für die Darstellung von Beziehungen von Künstler*innen sowie Kartendarstellungen häufig eingesetzt. Im Kontext der digitalen Kunstgeschichte wird vermehrt der Fokus auf Bildinhalte und Bilddetails gelegt und automatisierte Verfahren wie Computer Vision, Deep Learning sowie neuronale Netzwerke[23] zur Bildersuche und Ähnlichkeitsanalyse kommen zum Einsatz. In Visualisierungen in diesem Kontext geht es übergeordnet um die Darstellung von Ähnlichkeit sowohl visuell als auch semantisch in Bezug auf Metadaten.

[25]Lev Manovich verwendet beispielsweise die Methode der Principal Component Analysis (PCA), um Miniaturansichten einer großen Anzahl französischer impressionistischer Gemälde anzuzeigen.‍[24] Bei der PCA werden die Objekte nach Haupteigenschaften im Raum angeordnet. In dieser Art der Darstellung ist es möglich, einen Überblick der Daten zu präsentieren, durch den potenziell neue Muster (types) zu entdecken sind. Die Unterscheidung von Peirce zwischen einem type und einem token kann also in diesem Zusammenhang bemüht werden, um zwischen wiederkehrenden Mustern und einzelnen Elementen zu differenzieren. Peirce definiert ein token als »a single object or thing which is in some single place« und einen type als »a definitely significant form«.‍[25] Für die Forschung sind beide Aspekte gleichermaßen relevant, denn das Zusammenspiel von Mustern und Singularitäten führt zum Beispiel in der Kunstgeschichte zum Verständnis von Epochen, Kunstwerken und stilistischen Entwicklungen. Wenn type und token in einer Visualisierung miteinander in Beziehung gesetzt werden, können Struktur, Genese der Objekte und gleichermaßen ihr Kontext auf einen Blick erfasst werden. Dieses Mittel der digitalen Repräsentation kann also helfen, die Objekte als Konfigurationen von Singularität und Replikation, das heißt von Differenz und Wiederholung zu verstehen. Diese Zeichenarten sind als abstrakte und konventionelle Typen essenziell für den Erkenntnisprozess, denn »[w]ithout tokens there would be no generality in the statements, for they are the only general signs; and generality is essential to reasoning«‍[26], so Peirce. Es existieren verschiedene Ansätze der Visualisierung für die Kunstgeschichte, die sich sowohl durch quantitative Zugriffe auf große Mengen von Kunstwerken auszeichnen als auch auf die Analyse einzelner Objekte und deren Details beziehen. Bei der PCA der Gemälde bei Manovich wird – abgesehen von sich in der Darstellung überlappenden Bildern – zwar kein Objekt ausgeschlossen, aber die Einzelbilder sind dennoch stark reduziert und abstrahiert. Bei diesem Ansatz geht es also doch eher um neue oder alternative Muster, die in der Gesamtsicht sichtbar werden. Der Fokus liegt dabei eher auf der Quantität, also auf großen Datenmengen und bietet keine Lösungen für Forschungsfragen, die eine detaillierte Interpretation einzelner Artefakte erfordern, wie es in den Bild- und Textwissenschaften größtenteils der Fall ist.

[26]Dieser Ansatz wurde auch für die Literaturwissenschaft vorgeschlagen, insbesondere Franco Moretti forderte eine Änderung des Fokus vom Einzelfall (»exceptional«) zum großen Überblick (»large mass«).‍[27] Auf diesen Perspektivwechsel vom close reading zu einem distant reading ( »a shift from the close reading of individual texts to the construction of abstract models«‍[28]) beziehen sich Visualisierungen in den Geisteswissenschaften generell, wie oben erläutert. Moretti erklärt weiter, dass »graphs are not models; they are not simplified versions of a theoretical structure«‍[29]. Prinzipiell ist die Visualisierung ein Modus der Datenabstraktion und Musterdarstellung.

[27]In Bezug auf die Visualisierung und deren Erkenntnispotenzial im Zusammenspiel von → Text und Bildlichkeit kann nach Jan Horstmann in Textpräsentation als Visualität des schriftlichen Textes selbst und Textrepräsentation als symbolische Repräsentation unterschieden werden.‍[30] In der digitalen Literaturwissenschaft werden sowohl Texte als Ganzes, Texte im Kontext ihres Korpus, Fakten aus den Texten sowie Metadaten visualisiert.‍[31]

[28]Die methodische Tendenz in den digitalen Textwissenschaften geht zu einer → Verquickung von qualitativen und quantitativen Aspekten von Texten und changiert zwischen Close, Distant und Mega-Distant Reading (z. B. Topic Modelling).‍[32]

4. Kontroversen und Diskussionen

[29]Wenngleich Visualisierung als Präsentations- und Erkenntnismittel in den Geisteswissenschaften bereits vielfach eingesetzt wird, sind die Darstellungsmöglichkeiten und -konventionen von der Anwendung in den Naturwissenschaften geprägt. In einer naturwissenschaftlichen Bildsprache steht eher das Zeigen von Fakten oder Ergebnissen im Vordergrund, wohingegen in den Geisteswissenschaften das → Interpretieren und Auslegen auf verschiedenen Ebenen maßgeblich ist.

[30]»Charts use simple (if often misleading) geometric forms that lend themselves to legible comparison of values, proportions, or the exhibition of state changes across time. Lines, bars, columns, and pie charts are the common and familiar forms.«‍[33] Wie in diesem Zitat von Johanna Drucker deutlich wird, basieren diese Formen auf statistischer Häufigkeit, Messbarkeit und einer generellen Wahrheits- und Objektivitätsannahme, welche zunächst einmal kritisch zu sehen und in ihrer individuellen Übertragbarkeit zu prüfen sind.‍[34] Dies tangiert generelle Diskurse zum Entstehungskontext wie den Bias von Daten,‍[35] Datenfeminismus‍[36] etc. Die von Drucker vorgeschlagene Differenzierung von data als ›gegeben‹ und capta[37] als ›entstanden‹ spiegelt diese Kontroverse wider.

[31]In Bezug auf die Darstellungsform wäre eine mögliche Lösung, die Instrumente wie Visualisierungen den geisteswissenschaftlichen Fragestellungen anzupassen, wie es ebenso Drucker vorschlägt.‍[38] Eine inhaltliche Tiefe der Visualisierungen kann beispielsweise durch die Ergänzung weiterer Dimensionen erreicht werden, die empirische Daten aufweisen.‍[39]

[32]Nach Drucker müssten die gängigen naturwissenschaftlichen Darstellungsweisen wie Skalen oder Koordinatensysteme für geisteswissenschaftliche Fragestellungen erweitert oder auch neu erdacht werden. Die notwendige übergeordnete → theoretische Analyse der visuellen Wissensproduktion bezeichnet Drucker als »Graphesis«‍[40]. In humanistischen, konstruktivistischen oder interpretativen visuellen Ausdrucksformen müsse es darüber hinaus Raum für Ambiguität, aber auch für Ungewissheit (uncertainty) geben.‍[41] Eine vielschichtige hermeneutische Herangehensweise im Visuellen abzubilden, beziehungsweise Formen zu finden, diese Methode ausdrückbar zu machen, stellt eine Herausforderung dar.

[33]Abschließend lässt sich konstatieren, dass die Entwicklung einer umfassenden Bildsprache als Basis für Visualisierungen für die Geisteswissenschaften weiterhin ein Desiderat bildet.


Fußnoten


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