Modell

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Erstveröffentlichung: 25.05.2023

Version 2.0: 16.05.2024

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Medienlizenzen: Medienrechte liegen bei den Autor*innen

Letzte Überprüfung aller Verweise: 22.03.2024

GND-Verschlagwortung: Maschinelles Lernen | Modell | Statistische Schlussweise | Terminologie | 

Empfohlene Zitierweise: Ramona Roller: Modell. In: AG Digital Humanities Theorie des Verbandes Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e. V. (Hg.): Begriffe der Digital Humanities. Ein diskursives Glossar (= Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften / Working Papers, 2). Wolfenbüttel 2023. 25.05.2023. Version 2.0 vom 16.05.2024. HTML / XML / PDF. DOI: 10.17175/wp_2023_009_v2


Version 2.0 (16.05.2024)

Überarbeitung gemäß Open Public Peer Review. Bibliografie an aktuelle Zitierregeln angepasst. Absatzzählung verschoben.


Synonyme und ähnliche Begriffe: Datenbank | Datenmodell | Inferenz | mathematische Formel | Repräsentation | Theorie | Visualisierung
Pendants in kontrollierten Vokabularen: Wikidata: Q1979154 | TaDiRAH: modeling

1. Begriffsdefinition

[1]Ein Modell lässt sich durch drei Merkmale beschreiben.[1]

  • Abbildungsmerkmal: Ein Modell ist eine Abbildung oder Repräsentation von einem Original.
  • Verkürzungsmerkmal: Ein Modell besitzt ausgewählte, aber nicht alle Merkmale des Originals; es ist eine Abstraktion des Originals.
  • Pragmatisches Merkmal: Ein Modell hat einen Verwendungszweck. Es wird von Modellierer*innen benutzt, um Fragestellungen über ein Objekt oder System zu beantworten.

2. Begriffs- / Ideengeschichte


                                Abb. 1: Etymologie des Modellbegriffs. Sprachen sind abgekürzt
                                    (ide. (indo-europäisch), lat. (lateinisch), gr. (griechisch),
                                    ital. (italienisch)). [Grafik: Ramona Roller 2024; Adaption von Favre
                                    2006]
Abb. 1: Etymologie des Modellbegriffs. Sprachen sind abgekürzt (ide. (indo-europäisch), lat. (lateinisch), gr. (griechisch), ital. (italienisch)). [Grafik: Ramona Roller 2024; Adaption von Favre 2006]

[2]Ursprünglich stammt der Modellbegriff vom lateinischen ›modus‹ und dessen Diminutiv ›modulus‹ (vgl. Abbildung 1). Hieraus entwickelte sich die spätlateinische Bezeichnung ›modellus‹, die in der Renaissance zum italienischen ›modello‹ führte. Dieser Begriff wurde zunächst nur in der Architektur verwendet und bezeichnete dort eine Reihe von Entwurfsprinzipien.

3. Erläuterung

3.1 Mehrdeutigkeiten


                                    Abb. 2: Mögliche Gliederung von Modelltypen nach
                                    Funktionalität. [Grafik: Ramona Roller 2024]
Abb. 2: Mögliche Gliederung von Modelltypen nach Funktionalität. [Grafik: Ramona Roller 2024]

[3]Heute wird der Modellbegriff auf vielfältige Weise verwendet und zeichnet sich – auch innerhalb der DH – durch eine große semantische Komplexität aus.[2] Zum einen dient Herbert Stachowiaks Modelldefinition (vereinfachte Abbildung eines Originals mit einem Verwendungszweck) als Grundlage für formale Modelle, welche im Mittelpunkt dieses Artikels stehen. Formale Modelle formalisieren Entitäten (z. B. Personen, Orte, Texte, archäologische Fundstücke) sowie deren Attribute (z. B. Alter, Inhalt) und Beziehungen (z. B. Freundschaft, geografische Distanz) aus der realen Welt durch Verwendung maschinell lesbarer Strukturen, wie z. B. mathematische Formeln oder Daten. Formale Modelle manifestieren sich in unterschiedlichen Modelltypen, welche sich in ihrer Form und Zielsetzung unterscheiden (vgl. Abbildung 2).

[4]Zum anderen wird Stachowiaks Modelldefinition durch Ansätze aus den DH und weiteren Disziplinen ergänzt. So stellt Clifford Geertz dem Stachowiak’schen Abbildungsmerkmal (›model of‹) ein Designmerkmal (›model for‹) gegenüber, mithilfe dessen ein Modell etwas Neues realisieren kann (z. B. architektonischer Bauplan).[3] Willard McCarty vertieft Geertz’ Definition, indem er die Konstruktions- und Manipulationsmerkmale eines Modells betont und dieses von verwandten Begriffen abgrenzt (Idee, Analogie, Repräsentation, Diagramm und Karte).[4]

[5]→ Theoriegeleitete Ansätze aus den DH und anderen Disziplinen erweitern den Modellbegriff. Im Gegensatz zu formalen Modellen haben theoriegeleitete Ansätze keinen Bezug zu Daten. In den DH werden theoriegeleitete Ansätze verwendet, um Denkstrukturen zu formalisieren, wie z. B. die Periodisierung von Geschichte oder die Interpretation von Texten (Hermeneutik).[5] Oft werden diese theoriegeleiteten Ansätze auch als Modelle bezeichnet, was zu begrifflichen Unschärfen und Missverständnissen führen kann, insbesondere bei der Abgrenzung von konzeptionellen Datenmodellen (vgl. Abbildung 2). Die Modelltheorie, ein Bereich der Logik, befasst sich mit der Interpretation von Sprache.[6] Modelle definieren Regeln, nach denen Sätze als wahr oder falsch gekennzeichnet werden, und die Theorie beschreibt die Beziehung zwischen diesen Modellen.

  • Materielle Modelle sind Gegenstände in der analogen Welt, die haptisch erfahrbar sind und Objekte oder Systeme repräsentieren (z. B. gedruckte Landkarte, Bozzetto eines Bildhauers oder einer Bildhauerin, Gebäude im verkleinerten Maßstab). Formale Modelle sind abstrakte, maschinell lesbare Repräsentationen von Objekten und Systemen (z. B. Datenbank, mathematische Formel, Fortschreibungsregel).
  • Abbildende Modelle stellen Objekte oder Systeme räumlich am Computer dar. Beispiele umfassen 3D-Modelle für Gebäude oder Proteine, digitale Kopien von Gemälden und Netzwerke. Ziel des Modells ist es, Funktionsweisen und Perspektiven zu zeigen, die am realen Objekt aus Gründen der Zugänglichkeit (z. B. zerstörte Gebäude) oder der Sichtbarkeit (z. B. Mikroorganismen) nicht möglich sind.
  • Datenmodelle beschreiben, wie → Daten organisiert und gespeichert werden. Sie standardisieren die Informationen über und die Verbindungen zwischen Datenelementen. Ziel des Modells ist es, diese Informationen für Suchabfragen zu nutzen, um sie in visuellen oder mathematischen Analysen weiterverarbeiten zu können. Verbindungen zwischen Datenelementen werden konzeptionell in einem Entity-Relationship-Diagramm dargestellt,[7] welches dann auf der Struktur einer bestimmten Datenbank abgebildet wird.[8]
  • Mathematische Modelle beschreiben ein System mithilfe mathematischer Gleichungen. Im Gegensatz zu Datenmodellen, in denen lediglich neue Verknüpfungen zwischen vorhandenen Daten erstellt werden, werden jene Daten im mathematischen Modell verwendet, um neue Werte zu berechnen. Desweiteren werden messbare Charakteristika im mathematischen Modell durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen (Zufallsvariablen) beschrieben. Dieser Artikel klassifiziert mathematische Modelle nach ihrer Funktion in Modelle des maschinellen Lernens, statistische Modelle und rechnergestützte Modelle.[9]
  • Statistische Modelle beschreiben die mathematische Beziehung zwischen einer oder mehreren Zufallsvariablen (vgl. mathematische Modelle) und weiteren Variablen. Zum Beispiel kann ein statistisches Modell beschreiben, wie Kooperationsbereitschaft mit Herrschaftsstrukturen zusammenhängt. Bekannte Modelle umfassen Regressionen, Event-History-Modelle und t-Tests. Das Hauptziel ist es, zu erklären, wie Daten zustande kommen (Datengenerierungsprozess),[10] wobei Rückschlüsse von der Datenstichprobe auf die Gesamtpopulation gezogen werden (Inferenz). Statistische Modelle sind für Datensätze mit wenigen dutzend Variablen konzipiert, treffen Annahmen über die Zufallsvariablen und quantifizieren Unsicherheiten im Modellergebnis (Konfidenzintervall, p-Wert).
  • Modelle des maschinellen Lernens (ML-Modelle) sind eine Klasse von Lernalgorithmen, die generalisierbare Muster in Daten erkennen. Zum Beispiel können Datenpunkte aufgrund ihrer Attribute in Gruppen eingeteilt werden. Bekannte ML-Modelle umfassen Random Forest, Neuronale Netze und Support Vector Machines. Das Hauptziel ist die Vorhersage nicht-observierter Daten, wie beispielsweise fehlender Briefverbindungen oder beschädigter Teile eines Gemäldes, sowie die Gruppierung ähnlicher Datenpunkte, z. B. Genrekategorien von Romanen. ML-Modelle sind für Datensätze mit Tausenden oder Millionen Variablen konzipiert und machen keine Annahmen über den Datengenerierunsgprozess.
  • Rechnergestützte Modelle beschreiben ein System über die Zeit, wobei einzelne Zeitschritte hintereinander berechnet werden (numerische Lösung), anstatt direkt durch eine geschlossene Funktion (analytische Lösung).[11] Zum Beispiel kann solch ein Modell berechnen, wie sich Veränderungen in der Vegetation über die Zeit auf das Siedlungsverhalten von Menschen auswirken. Hauptziel ist es nicht nur, Zufallsvariablen zu identifizieren, die ein Systemverhalten verursachen (vgl. statistische Modelle), sondern auch den Mechanismus zu verstehen, wie dieses Verhalten zustande kommt.

3.2 Differenzen der Begriffsverwendung

[6]

  • Architektur- und Kunstgeschichte: Hier werden hauptsächlich abbildende Modelle verwendet, um konkrete Einzelobjekte darzustellen. Ziel ist es, diese Einzelobjekte differenziert zu beschreiben und fiktive Szenarien an ihnen durchzuspielen (Hypothesen zu testen), zum Beispiel, um die mögliche Nutzung hinsichtlich räumlicher Verhältnisse zu testen.[12] Abbildende Modelle können auf zwei Arten entstehen: als ›gebaute‹ Modelle mit ausgewählten Vektorelementen ähnlich einer Vektorgrafik, oder als ›gescannte‹ Modelle mit zunächst bedeutungslosen Messpunkten ähnlich einer Rastergrafik, die jeweils den Bereichen der Rekonstruktion bzw. Digitalisierung zugeordnet werden.
  • Literatur- und Sprachwissenschaften: Hier werden hauptsächlich Modelle des maschinellen Lernens (ML-Modelle) für Natural Language Processing (NLP) und Text Mining (TM) verwendet.[13] Im NLP werden Wörter u. a. als numerische Vektoren, sogenannte Word Embeddings,[14] dargestellt, die den Verwendungskontext eines Wortes mitberücksichtigen.[15] Oft werden diese Embeddings als pre-processing step für weitere Analysen erstellt.[16] Etablierte Modelle umfassen Word2Vec[17], GloVe[18] und BERT und dessen anwendungsspezifische Varianten,[19] aber auch Large Language Models[20] wie GPT[21] oder Google Gemini (vormals Bard)[22]. TM nutzt Worthäufigkeiten und Korrelationen zwischen Wörtern, um die Struktur von Texten zu erfassen und daraus Informationen zu extrahieren. Die Anwendungsbereiche umfassen Klassifizierung und Clustering von Wortmustern,[23] welche zur Identifikation von Emotionen,[24] Genres,[25] Figuren[26] und Themen[27] verwendet werden.[28] Abbildende Modelle finden in Form von Figurennetzwerken breite Anwendung.[29]
  • Musik- und Filmwissenschaften: Hier werden hauptsächlich ML-Modelle zu generativen Zwecken und für Music und Image Mining verwendet. Generative Modelle, vor allem Deep Neural Networks, erzeugen neue Musik[30] oder transkribieren Audiospuren zu Musiknoten.[31] Modelle des Music und Image Minings erfassen Strukturen im Ton- und Filmmaterial und werden zur Identifizierung von Komponist*innen,[32] Stilen,[33] Instrumenten,[34] Genres,[35] Farben[36] und Bewegungen[37] verwendet. In den Filmwissenschaften haben diese Analysen zu komplexen Datenmodellen geführt, die zum Beispiel Körperhaltungen mit numerischen Vektoren repräsentieren und somit Haltungen miteinander vergleichen können.[38]
  • Geschichtswissenschaft und Archäologie: Hier werden hauptsächlich statistische und rechnergestützte Modelle verwendet. Erstere dienen dazu, soziale, politische und ökonomische Zusammenhänge in vergangenen Gesellschaften zu beschreiben. Beispiele umfassen lineare und logistische Regressionen[39] sowie Event-History-Modelle.[40] Rechnergestützte Modelle dienen dazu, Hypothesen über geschichtliche Prozesse und Ereignisse zu testen, manchmal auch in einem kontrafaktischen Szenario.[41] Beispiele umfassen partielle Differentialgleichungen zur Erforschung von Landnutzungsänderungen[42] und agentenbasierte Modelle zur → Simulation prähistorischer Kulturen[43] und Kriegsverläufe.[44] Abbildende Modelle kommen vor allem als Netzwerke vor.[45]

4. Kontroversen

4.1 Standardisierung von Datenmodellen

[7]Um Datenmodelle unterschiedlichster Projekte miteinander zu verknüpfen, müssen Daten auf eine standardisierte Weise gespeichert werden. Kontroversen entzünden sich an den Fragen, ob Standards in DH-Datenmodellen überhaupt umsetzbar sind,[46] wie diese aussehen sollen[47] und wer sie entwickelt und wartet.[48]

4.2 Qualitätsanforderungen an Datenmodelle

[8]Die DH stellen disziplinspezifische Anforderungen an Datenmodelle, wie zum Beispiel die Abbildung von Historizität, Unschärfe und subjektiven Entscheidungen, sowie die langfristige Verfügbarkeit der Modelle. Kontroversen entzünden sich an der Frage, wie diese Anforderungen in der Praxis umzusetzen sind, insbesondere bei eingeschränkter Datenverfügbarkeit.[49]

4.3 Interpretierbarkeit von mathematischen Modellen

[9]Modelle des maschinellen Lernens (ML) werden oft auch als Black-Box-Modelle bezeichnet, da der Mechanismus, nach dem das Modell Eingabedaten in Ergebnisse umwandelt, nicht verständlich ist, was die Interpretierbarkeit einschränkt. Kontroversen entzünden sich an der genauen Definition von Interpretierbarkeit[50] und der Frage, ob sich eine verbesserte Interpretierbarkeit überhaupt lohnt. Letztere basiert auf einem inzwischen widerlegten Zielkonflikt zwischen Interpretierbarkeit und Genauigkeit: Beide Konzepte können demnach nicht gleichzeitig optimiert werden und Interpretierbarkeit und Genauigkeit werden fälschlicherweise jeweils statistischen und ML-Modellen zugeschrieben.[51]

4.4 Evaluation von abbildenden Modellen

[10]Die Evaluation eines Modells bewertet, wie gut das Modell ist, wobei die Defintion von ›gut‹ vom spezifischen Anwendungsfall abhängt. Während die Evaluation statistischer und ML-Modelle bereits standardisiert ist,[52] hat sich zum Beispiel bei Netzwerkmodellen noch keine Evaluationsmethode etabliert.[53]


Fußnoten


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Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1: Etymologie des Modellbegriffs. Sprachen sind abgekürzt (ide. (indo-europäisch), lat. (lateinisch), gr. (griechisch), ital. (italienisch)). [Grafik: Ramona Roller 2024; Adaption von Favre 2006]
  • Abb. 2: Mögliche Gliederung von Modelltypen nach Funktionalität. [Grafik: Ramona Roller 2024]