1. Zur Relevanz virtueller Museen und Ausstellungen
[1]Die Fotografie hat die Malerei nicht ersetzt, Instagram hat die
Fotografie nicht platt gemacht und virtuelle Museumsrundgänge werden nicht die
Museen killen.[1]
[2]Mit diesen Worten verfechtet die Kuratorin und Kolumnistin Anika Meier die Rolle
virtueller Museumsrundgänge und verteidigt sie vor all jenen Kritiker*innen, die
behaupten, eine virtuelle Museumserfahrung könne niemals den realen Besuch
ersetzen. Diese Sichtweise sei laut Meier ein großes Missverständnis: Bei
virtuellen Rundgängen gehe es nicht darum, Museen zu ersetzen, sondern darum,
einen neuen Zugang zu Kunst und Kulturgütern zu schaffen.
[3]Unter virtuellen Museumsrundgängen versteht man sämtliche Angebote online
zugänglicher Ausstellungen von Kunst und anderen Kulturgütern. Die Präsentation
der Exponate ist dabei vielfältig und reicht von einfachen Fotografien bis hin zu
videospielartigen 360-Grad-Erfahrungen.[2] Bereits lange bevor die Covid-19-Pandemie viele Museen und
Kulturinstitutionen dazu zwang, ihre Tore für Besucher*innen zu schließen,[3] wurde das Internet als
Ausstellungsplattform von Museen genutzt. Die Pandemie zeigt jedoch stärker und
dringlicher denn je den Bedarf, aber auch die Potenziale virtueller Rundgänge auf.
Neben einer hohen Zugänglichkeit durch die Verfügbarmachung von Exponaten im
Internet sowie die Überwindung geografischer und zeitlicher Barrieren bieten
virtuelle Museen die Möglichkeit, die Museumserfahrung interaktiv zu gestalten und
Nutzer*innen beispielsweise durch digitales Storytelling zu aktivieren. Virtuelle
Museen haben keine Einschränkungen, was die Größe der Ausstellungsräume betrifft
und ermöglichen Kurator*innen und Museumsschaffenden, Räumlichkeiten nach den
unterschiedlichen Bedürfnissen der Nutzer*innen zu gestalten und neuartige
Präsentationsformen von Exponaten zu testen und umzusetzen. Weiterhin lassen sich
fremde Exponate als Digitalisate in eine virtuelle Ausstellung einbinden. Nicht
zuletzt können historische Stätten und zerstörte Orte, die nicht besucht werden
können, für Nutzer*innen rekonstruiert und zugänglich gemacht werden.[4] Beispielhaft für die Relevanz virtueller Museen steht hier das
Virtual Museum of Iraq: Dieses virtuelle Museum
entstand aus der Not heraus, als während des Irakkrieges im Jahr 2003 das Gebäude
des irakischen Nationalmuseums erheblichen Schaden nahm und unzählige Artefakte
gestohlen wurden. Im Rahmen des Projektes des Consiglio
Nazionale delle Ricerche,[5] des
italienischen Außenministeriums und des irakischen Nationalmuseums wurden einige
Exponate der Sammlung digitalisiert und in einen virtuellen Raum eingebunden, in
dem Nutzer*innen 3D-Modelle der Artefakte, ergänzt durch Audio- und Videoinhalte,
betrachten konnten. Das Projekt trug maßgeblich dazu bei, das
historisch-archäologische Erbe des Iraks für die ganze Welt zugänglich zu machen,
als das Museum selbst für Besucher*innen schließen musste. Das Virtual Museum of
Iraq wurde so zu einem wichtigen Element der Sicherung des kulturellen Erbes des
Landes.[6]
[4]Während die Relevanz virtueller Museumsräume spätestens seit Covid-19 außer Frage
steht,[7] so ist aus Perspektive der public
history für den Aspekt der Wissensvermittlung ein weiterer zentraler
Faktor die Akzeptanz.[8] Die Akzeptanz virtueller Ausstellungen hängt dabei wesentlich von
deren Gestaltung unter Berücksichtigung des Kriteriums der Usability ab. Immer dann, wenn wir das Gefühl haben, dass ein Produkt
oder eine Software einfach zu benutzen ist und vielleicht sogar Spaß macht, ist
dies auf die inhärente Usability zurückzuführen. Gute Usability ist typischerweise
das Ergebnis vieler unterschiedlicher Faktoren und deswegen nicht immer klar
benennbar.[9] Deshalb schlägt
etwa Nielsen vor, Usability nicht als abstraktes, eindimensionales Konzept zu
behandeln, sondern in mehrere konkrete Komponenten wie Erlernbarkeit, Effizienz,
Einprägsamkeit, Fehlerquote und Zufriedenheit zu zerlegen.[10] Auf Basis dieser einzeln benennbaren
Komponenten wurden im Bereich der human computer
interaction (HCI) in der Vergangenheit unterschiedliche Guidelines,
Heuristiken und Best Practices abgeleitet, um die Erstellung von
Benutzeroberflächen mit einer möglichst hohen Usability und
User Experience zu unterstützen. Dabei gibt es
einerseits generische Guidelines, wie beispielsweise die Usability-Heuristiken von
Nielsen[11] oder die acht goldenen Regeln des Interface-Designs von Shneiderman
et al.[12] Andererseits
gibt es eine ganze Reihe von domänen-spezifischen, angepassten Varianten von
Design-Guidelines und Heuristiken, etwa für die Bereiche mobile
design oder e-commerce.[13]
[5]Auch für die Domäne virtueller Ausstellungen finden sich Best Practices im Bereich
der Benutzeroberflächen: Beispielsweise untersucht Johnson verschiedene
Präsentationsformen von 3D-Objekten im Internet und leitet aus der Evaluation von
fünf Projekten Best Practices ab, die Museen und andere Gedächtnisinstitutionen
dabei unterstützen sollen, 3D-Objekte online frei verfügbar zu machen.[14] Vergleichbare Empfehlungen für die
Umsetzung von Desktop-VR-Anwendungen im musealen Bereich sucht man bislang jedoch
vergebens. Dabei liegt es nahe, generische Heuristiken aus dem übergeordneten Feld
der VR-User-Interfaces[15] für den Bereich virtueller Museumsräume zu adaptieren.
[6]In unserem Beitrag verwenden wir die zwölf Heuristiken von Sutcliffe und
Gault,[16] um bestehende
virtuelle Ausstellungen zu evaluieren und Best Practices für deren Umsetzung
abzuleiten. Das Vorgehen orientiert sich dabei am Prinzip einer heuristischen
Evaluation,[17] d. h. es werden
sechs exemplarische virtuelle Ausstellungen systematisch exploriert und gegen die
genannten Heuristiken evaluiert. Im Ergebnis entstehen so Best Practices für den
Anwendungsbereich virtueller Ausstellungs- und Museumsräume, welche künftig für
die Evaluation bestehender Angebote und vor allem auch für die Umsetzung neuer
Ausstellungen eingesetzt werden können.
2. Methodisches Vorgehen
[7]In diesem Abschnitt wird das methodische Vorgehen bei der heuristischen Evaluation
dargestellt. Dabei werden zum einen die zugrundeliegenden Heuristiken und zum
anderen die evaluierten Projekte näher erläutert. Zudem sollen vorab einige
grundlegende Begrifflichkeiten im Kontext des (3D-)User-Interface-Designs kurz
erörtert werden.
2.1 Grundbegriffe des User-Interface-Designs
[8]Während ein User Interface (UI) das Medium beschreibt,
mithilfe dessen die Kommunikation zwischen Nutzer*in und Computer stattfindet,
werden Interaktionen in einem 3D-User-Interface in einer virtuellen 3D-Umgebung
bewältigt. Eine 3D-Welt, welche aus einer First-Person-Perspektive erkundet
wird, bezeichnet man als Virtual Environment (VE). Ein
VE, welches nicht mithilfe eigens für den Zweck entwickelter Ein- und
Ausgabegeräte (beispielsweise Controller und VR-Headset) betreten wird und
stattdessen den Computerbildschirm als Fenster in die virtuelle Realität nutzt,
wird als eine Desktop-VR-Anwendung bezeichnet.[18] Solche
Desktop-VR-Anwendungen, die von Museen, aber auch anderen Institutionen frei im
Internet zugänglich gemacht werden, sind Gegenstand der nachfolgenden
Evaluationsstudie.
2.2 Ausgangslage: Heuristiken nach Sutcliffe und Gault
[9]Die Ermittlung von Best Practices im Anwendungsgebiet virtueller Museen stützt
sich zunächst auf allgemeine Gestaltungsgrundsätze für (3D-)User-Interfaces.
Solche Heuristiken, also Gestaltungsgrundsätze bzw.
Usability-Prinzipien für Benutzeroberflächen, dienen deren Evaluation.[19] Basierend auf der
Methode der Usability Inspection,[20] bei der User Interfaces von
Expert*innen getestet werden, ist die heuristische
Evaluierung eine Methode, bei der überprüft wird, ob eine
Benutzeroberfläche mit allgemeinen Heuristiken der entsprechenden Domäne
übereinstimmt und welche Probleme sich bei der Benutzung eines Interfaces
ergeben könnten.[21] Solche
Heuristiken wurden mit dem Hinweis, diese für explizite Anwendungsgebiete
anzupassen und zu ergänzen, von Nielsen und Molich und in überarbeiteter Form
von Nielsen veröffentlicht.[22] Diese Heuristiken beziehen sich
ausschließlich auf 2D-User-Interfaces und sind deshalb nicht oder nur teilweise
für die Nutzung in anderen Anwendungsszenarien geeignet.
[10]Die Heuristiken dienen trotz ihres weit zurückliegenden Publikationsdatums in
vielen Anwendungsgebieten nach wie vor als Grundlage für die Erstellung von
neuen, domänenspezifischen Heuristiken, welche die Eigenheiten und spezifischen
Probleme des jeweiligen Anwendungsfelds berücksichtigen, beispielsweise für die
sprachliche Interaktion von Mensch und Maschine oder für
Augmented-Reality-Anwendungen für das Smartphone.[23] Für die Gestaltung
und Evaluation von VEs präsentieren Sutcliffe und Gault zwölf Heuristiken (vgl.
Tabelle 1), die im Folgenden genauer betrachtet werden sollen.
Nr. |
Name |
Beschreibung |
1 |
Natural engagement |
Interaktionen sollen sich den Erwartungen der Nutzer*innen an die
Interaktion in der realen Welt so weit wie möglich annähern. Die
Interpretation dieser Heuristik hängt von der Anforderung der
Natürlichkeit der Anwendung sowie dem Gefühl der Präsenz und des
Interesses der Nutzer*innen ab.[24] |
2 |
Compatibility with the user‘s task and domain |
Das VE und das Verhalten von Objekten sollen so genau wie möglich den
Erwartungen der Nutzer*innen an Objekte der realen Welt, ihrem Verhalten
und den Möglichkeiten für die Durchführung von Aufgaben entsprechen.
|
3 |
Natural expression of action |
Die Darstellung des Selbst im VE soll es den Nutzer*innen ermöglichen,
auf natürliche Weise zu handeln und zu erforschen und normale körperliche
Bewegungen nicht einschränken. Diese Gestaltungsqualität kann durch die
verfügbaren Geräte eingeschränkt sein. Wenn das haptische Feedback fehlt,
leidet unweigerlich der natürliche Ausdruck. |
4 |
Close coordination of action and representation |
Die Darstellungen des im VE manifestierten Selbst sollen den
Handlungen der Nutzer*innen getreu sein. Die Reaktionszeit zwischen einer
Bewegung der Nutzer*innen und der Aktualisierung der Anzeige des VE soll
weniger als 200 ms betragen, um Probleme mit Cybersickness[25] zu vermeiden. |
5 |
Realistic feedback |
Die Auswirkungen der Aktionen der Nutzer*innen auf Objekte der
virtuellen Welt sollen sofort sichtbar sein und den physikalischen
Gesetzen sowie den die Wahrnehmung betreffenden Erwartungen der
Nutzer*innen entsprechen. |
6 |
Faithful viewpoints |
Die visuelle Darstellung der virtuellen Welt soll der normalen
Wahrnehmung der Nutzer*innen entsprechen, und der Blickpunktwechsel durch
Kopfbewegungen soll ohne Verzögerung wiedergegeben werden. |
7 |
Navigation and orientation support |
Für Nutzer*innen soll es immer möglich sein, ihre Position im VE
auszumachen und zu bekannten, voreingestellten Positionen zurückzukehren.
Unnatürliche Aktionen, wie beispielsweise das Durchfliegen eines Raumes,
können hilfreich sein, müssen aber in einem Kompromiss mit der
Natürlichkeit beurteilt werden (Heuristik
1 und Heuristik 2).
|
8 |
Clear entry and exit points |
Die Mittel zum Betreten und Verlassen einer virtuellen Welt sollen
klar kommuniziert werden. |
9 |
Consistent departures |
Wenn Designkompromisse eingegangen werden, sollen sie konsistent und
klar gekennzeichnet sein. |
10 |
Support for learning |
(Inter-)Aktive Objekte sollen markiert werden und sich gegebenenfalls
selbst erklären, um das Erlernen von VEs zu fördern. |
11 |
Clear turn-taking |
Wo Systeminitiativen eingesetzt werden, sollen diese klar
signalisiert, weiterhin sollten Konventionen für das turn-taking
festgelegt werden. |
12 |
Sense of presence |
Die Präsenz im virtuellen Raum sollte sich für Nutzer*innen so
natürlich und real wie möglich anfühlen. |
Tab. 1:
Heuristiken nach Sutcliffe und Gault. [Suttcliffe / Gault
2004]
[11]Wenngleich die Heuristiken nach Sutcliffe und Gault für die Evaluation von VEs
bereits vor über 15 Jahren veröffentlicht wurden, erweisen sie sich nach wie
vor als aktuell.[26] Die grundlegende Eignung der in Tabelle 1 vorgestellten
Heuristiken wurde dabei anhand zweier Fallstudien evaluiert.[27] Wenngleich
die Ergebnisse der Evaluation grundlegend positiv waren, so ergaben sich in der
Gesamtschau einige weitere Erkenntnisse für die Optimierung der Heuristiken.
Vor der konkreten Anwendung der Heuristiken sollten diese, angepasst an das
jeweilige VE, gefiltert werden. Die Autoren schlagen dafür folgende Einteilung
vor:[28]
- Heuristiken 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 und Heuristik 12 sind elementare Heuristiken, welche in jedem Fall für die
Evaluation von VEs hinzugezogen werden können.
- Heuristiken 8 und 9 hingegen eignen sich nur dann, wenn es
sich beim VE um eine Desktop-VR-Anwendung handelt.
- Die Einbindung von Heuristik 10
hängt von der Komplexität und Größe des VE ab.
- Heuristik 11 eignet sich nur für
kollaborative VEs, also solche VEs, in denen sich mehrere Nutzer*innen
gemeinsam bewegen.
[12]Die Evaluation zu den Heuristiken nach Sutcliffe und Gault zeigt, dass die
Sammlung zwar viele wichtige Aspekte abbildet, allerdings nicht gleichermaßen
für die ganze Bandbreite von VE-Szenarien eingesetzt werden kann. Im Rahmen
dieses Beitrags dienen die Heuristiken deshalb zunächst als Ausgangspunkt, um
bestehende virtuelle Ausstellungen systematisch zu evaluieren und auf dieser
Basis Best Practices für deren benutzerfreundliche Gestaltung abzuleiten.
2.3 Heuristische Evaluation
[13]Für die Erarbeitung von allgemeingültigen Best Practices zur Entwicklung und
Gestaltung virtueller Museumsräume werden ausgewählte VEs aus dieser Domäne
genauer betrachtet und Beispiele zur konkreten, positiven Umsetzung der
Heuristiken[29] präsentiert. Der
Erkenntnisgewinn stützt sich dabei auf ein deduktives Vorgehen, angelehnt an
die heuristische Evaluation nach Nielsen:[30] Die Heuristiken werden dabei als Schablone auf die Anwendungen
gelegt, woraufhin untersucht wird, ob und wie diese realisiert wurden. Mithilfe
textueller Beschreibungen werden die Möglichkeiten zur Umsetzung der
Heuristiken diskutiert und anschließend für jede Heuristik zusammengefasst.
Unterstützend wird für die Beurteilung der Ansätze der Anwendungen einschlägige
Literatur zu 3D-UIs hinzugezogen. Weiterhin wird die Relevanz jeder Heuristik
für die gegebene Domäne diskutiert.
2.4 Projektauswahl
[14]Bei der Erarbeitung von Best Practices wurden insgesamt sechs VEs aus dem
GLAM-Bereich ausgewählt. Die Projekte wurden weiterhin so ausgewählt, dass
möglichst vielfältige, unterschiedliche Ansätze zur Umsetzung virtueller
Museumsräume abgedeckt werden. Konkret wurde bei der Wahl der Projekte auf
Diversität im Hinblick auf die nachfolgenden Selektionskriterien geachtet:
- Gesamtansatz: eher klassisch vs. eher
experimentell
- Grad der Immersion: eher immersiv vs. weniger
immersiv
- Bewegung im Raum: eher frei vs. eher
eingeschränkt
- Interaktionsmöglichkeiten: eher viel vs. eher wenig
[15]Alle ausgewählten Projekte sind Desktop-VR-Anwendungen, die frei im Internet
zur Verfügung stehen. Um die Projekte nutzen zu können, brauchen die
Nutzer*innen also lediglich einen Computer mit Bildschirm, Tastatur und Maus
und einem Audioausgang. Zum Teil unterstützen die Anwendungen zwar die Nutzung
von VR-Headsets, dies wurde in der Analyse aber nicht weiter berücksichtigt, da
die Nutzung der Anwendungen eine hohe Zugänglichkeit gewährleisten soll.
Nachfolgend werden die Projekte kurz vorgestellt. Die Beschreibungen basieren
dabei, wenn nicht anders gekennzeichnet, auf der eigenen Betrachtung und
Nutzung der Anwendungen. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht über die ausgewählten
Anwendungen sowie eine Aufschlüsselung der Selektionskriterien.
|
|
|
Selektionskriterien |
ID |
Name |
Veröffentlichungsjahr |
Gesamtansatz |
Grad der Immersion |
Bewegung im Raum |
Interaktionsmöglichkeiten |
1[31] |
WDR Zeitkapsel[32] |
2018 |
Eher experimentell |
Eher immersiv |
Eher eingeschränkt |
Eher viel |
2 |
Google Arts and Culture[33] |
2011 |
Eher klassisch |
Wenig immersiv |
Eher frei |
Eher wenig |
3 |
Nach Berlin[34] |
2020 |
Eher experimentell |
Wenig immersiv |
Eher eingeschränkt |
Eher wenig |
4 |
Walter’s Cube[35] |
2016 |
Eher klassisch |
Eher immersiv |
Eher frei |
Eher wenig |
5 |
Digitale Kunsthalle[36] |
2019 |
Eher klassisch |
Eher immersiv |
Eher frei |
Eher viel |
6 |
Museum Schnütgen[37] |
2020 |
Eher klassisch |
Wenig immersiv |
Eher frei |
Eher wenig |
Tab. 2:
Übersicht über die zu untersuchenden Projekte. [Piontkowitz /
Burghardt 2021]
[16]
-
Projekt: WDR-Zeitkapsel
Die WDR-Zeitkapsel ist ein Projekt, welches den Nutzer*innen eine
virtuelle Zeitreise ermöglichen soll. Es besteht die Möglichkeit, ein
Wohnzimmer im Jahr 1968 zu besuchen oder an Bord eines Flugzeuges im Jahr
1960 zu reisen. Die virtuellen Orte bieten den Nutzer*innen eine
360°-Perspektive mit vielen Interaktionsmöglichkeiten. Bei bestimmten
Interaktionen werden innerhalb der Umgebung kurze Videosequenzen abgespielt,
die in die 360°-Erfahrung eingebunden sind. Der WDR bietet darüber hinaus
Unterrichtsmaterialien für Lehrer*innen, um die Zeitkapsel in den
Schulunterricht einzubinden.[38]
-
Projekt: Google Arts and Culture
In diesem Projekt von Google werden virtuelle
Rundgänge für eine Vielzahl von Museen und historischen Stätten angeboten.
Einerseits haben Nutzer*innen die Möglichkeit, Museen und historische
Stätten in der Funktionsweise von Google Street View zu besuchen,
andererseits gibt es ein großes Angebot hochauflösender Fotografien von
Exponaten, die in eigens für dieses Medium konzipierten Ausstellungen
eingebunden sind.
-
Projekt: Nach Berlin
Die virtuelle Ausstellung Nach Berlin ist ein Projekt zum 75. Jahrestag des Kriegsendes. Die Ausstellung
bietet 360°-Ansichten an unterschiedlichen Orten, darunter der Reichstag,
das Brandenburger Tor, das ehemalige KZ Sachsenhausen sowie der
Alexanderplatz. Bei der 360°-Erfahrung werden Bilder der Orte, wie sie heute
aussehen, vermischt mit historischen Bildern vom Kriegsende. Audiosequenzen,
Bilder und kurze Texte versorgen die Nutzer*innen mit Informationen zu
unterschiedlichen Aspekten des Krieges und des Kriegsendes.
-
Projekt: Walter’s Cube
Walter’s Cube bietet Galerien und Museen die Möglichkeit, Ausstellungen
als 3D-Räume zu erfassen und auf verschiedenen Plattformen zu
veröffentlichen. Nutzer*innen können sich frei in den virtuellen Räumen von
Walter’s Cube bewegen und unterschiedliche Kunstwerke wie Malereien oder
3D-modellierte Skulpturen betrachten. Das Ziel der Organisation ist es,
zeitliche und geographische Barrieren abzubauen und Ausstellungen frei
zugänglich zu machen.
-
Projekt: Digitale Kunsthalle
Die digitale Kunsthalle ist ein Projekt des ZDF, das wechselnde Ausstellungen in einem
virtuellen Museum zeigt. Gezeigt werden neben Bildern und Malereien auch
3D-modellierte Objekte, welche durch die freie Bewegung im Raum und das
Heranzoomen mit dem Mausrad genauer betrachtet werden können. Eine
Einbindung von Informationstexten und Videos vermittelt den Nutzer*innen
weitere Hintergründe zur Ausstellung und ihren Exponaten.
- Projekt: Museum Schnütgen
Die Dauerausstellung des Kunstmuseums Museum Schnütgen ist als
virtueller 360°-Rundgang online zugänglich. Nutzer*innen können sich an
bestimmten Punkten in der Ausstellung in einer 360°-Perspektive umsehen und
sich mit einem der Audioguides (für Kinder oder für Erwachsene) über die
Ausstellung und die Exponate informieren. Zusätzlich stehen für eine
Vielzahl der Exponate Fotografien in guter Qualität zur Verfügung, die in
die virtuelle Ausstellung eingebunden sind.
3. Best Practices für die Gestaltung virtueller Museumsräume
[17]In diesem Abschnitt stellen wir die Ergebnisse der heuristischen Evaluation von
den genannten virtuellen Museumsräumen vor und leiten jeweils Best Practices für
die konkrete Umsetzung einzelner Heuristiken ab. Dabei diskutieren wir die
Anwendbarkeit und mögliche Interpretationsspielräume der bestehenden
VE-Heuristiken für das Szenario musealer Räume. In Ergänzung zu den nachfolgenden
Heuristiken sollten virtuelle Ausstellungen grundsätzlich einen möglichst
barrierefreien Zugang haben. Gemeint ist damit beispielsweise die Verfügbarmachung
von Untertiteln für auditive Elemente und Vorlesefunktionen für textuelle
Informationen, aber auch die Möglichkeit, Texte in leichter Sprache anzeigen zu
lassen.
3.1 Natürlichkeit der Anwendung (Natural
engagement)
[18]Bei der Untersuchung der ausgewählten Projekte auf ihre Natürlichkeit und Nähe
zur realen Welt stellt sich die Frage, welcher Anspruch an Natürlichkeit bei
der Gestaltung eines virtuellen Museums gestellt werden sollte. Hier bietet
sich ein Vergleich zu einer anderen Domäne an: Ist das VE beispielsweise eine
Trainingssoftware für Chirurgie, so sollten sich die Aktionen und Interaktionen
von Nutzer*innen klar an der realen Welt orientieren und diese nachahmen.
Virtuelle Museen dagegen haben niedrigere Anforderungen an die Natürlichkeit,
da hier nicht der Anspruch besteht, eine möglichst reale Museumserfahrung zu
imitieren, sondern vielmehr die Vorteile und Stärken des interaktiven Mediums
genutzt werden sollen. Dieser Kompromiss wird von Sutcliffe und Gault auch
betont,[39]
indem sie verdeutlichen, dass die Interpretation dieser Heuristik von den
Anforderungen an die Natürlichkeit der Anwendung abhängig gemacht werden soll.
In der zu betrachtenden Domäne sollte nur dann eine Nähe zur realen Welt
aufgebaut werden, wenn dies auch direkte Vorteile für die Nutzung der Anwendung
mit sich bringt. Es lassen sich bestimmte Funktionen festmachen, die einerseits
das Maß der Natürlichkeit der Anwendung erhöhen und andererseits auch zur
intuitiven Nutzung der Anwendung beitragen.
[19]Wie in Projekt 5 umgesetzt, ermöglicht
die freie Bewegung im Raum den Nutzer*innen, sich ohne Einschränkungen
umzusehen, verschiedene Positionen und Blickwinkel einzunehmen und so
beispielsweise Skulpturen im Museum ganzheitlich betrachten zu können. Die
Nutzer*innen können sich einerseits mit den Pfeiltasten fortbewegen,
andererseits können sie mit der Maus einen beliebigen Punkt im Raum anklicken,
um dorthin zu gelangen. Hält der*die Nutzende eine beliebige Maustaste gedrückt
und bewegt die Maus, kann die Sicht in alle Richtungen verändert werden. Diese
handgesteuerte Lenkung hat einerseits den Nachteil, dass die Nutzer*innen zwei
Richtungen, also Blick- und Bewegungsrichtung, kontrollieren müssen, was die
Lenkung komplizierter macht. Andererseits birgt diese Art der Lenkung den
Vorteil, dass Blick- und Bewegungsrichtung nicht die gleiche sein müssen und
sich durch die Kontrolle zweier Richtungen schneller ein räumliches Verständnis
bei den Nutzer*innen bildet.[40]
[20]Zusammenfassung: Die Natürlichkeit der Anwendung ist keine
hohe Priorität bei virtuellen Museen und sollte lediglich dann umgesetzt
werden, wenn dies die Usability erhöht oder Möglichkeiten für das
Vermittlungskonzept bietet. Durch die freie Bewegung im Raum mit einer
handgesteuerten Lenkung können Nutzer*innen Kunstwerke und Exponate aus
unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und das VE besser erkunden.
3.2 Konformität mit der Anwendungsdomäne und den Nutzererwartungen (Compatibility with the user’s task and domain)
[21]Bei Betrachtung dieser Heuristik sollte vorerst definiert werden, welche
Aufgaben Nutzer*innen potenziell in einem virtuellen Museum durchführen bzw.
welche Ziele sie erreichen möchten, und wie sie diese Aufgaben in einem realen
Museum durchführen würden. Deggim et al. nennen verschiedene Anwendungen für
die Nutzung virtueller Museen:[41] den Zugang zu Informationen und Zusammenhängen, die
Präsentation von Inhalten, wie sie gegebenenfalls mit klassischen
Ausstellungsmethoden nicht möglich ist, die Entwicklung eines Interesses am
Themengebiet sowie die Möglichkeit zeit- und ortsunabhängiger Museumsbesuche.
Letzteres ist bei allen ausgewählten Projekten gegeben, da diese online zur
Verfügung stehen. In besonderem Maße wird dies jedoch von Projekt 4 umgesetzt. Zum einen handelt es sich hier um
3D-modellierte Ausstellungen, die nachträglich verändert werden können und
deshalb nicht in einer Zeit ›stehenbleiben‹. Weiterhin macht sich die Firma
Walter’s Cube die Orts- und Zeitunabhängigkeit explizit zur Aufgabe: »Our
mission is to eliminate geographic and temporal barriers between exhibitions
and the audiences.«[42]
[22]Exponate betrachten zu können und sich über diese und darüberhinausgehende
Zusammenhänge zu informieren, ist eine elementare Aufgabe, die in virtuellen
Museen unbedingt durchführbar sein sollte. Projekt 6 ermöglicht den Nutzer*innen die Bewältigung dieser
Aufgaben, wobei eine starke Orientierung an realen Museumserfahrungen auffällt.
Die Möglichkeit zur Informationsakquise wird hier durch unterschiedliche Medien
gewährleistet: Nutzer*innen können sich mithilfe eines Audioguides durch die
Ausstellung führen lassen. Ein zusätzlicher Audioguide für Kinder vermittelt
die Inhalte in leicht verständlicher, kindgerechter Weise. Die Stationen für
die Audioguides werden durch runde Buttons mit entsprechenden Symbolen
gekennzeichnet. Wird der Button angeklickt, öffnet sich oben rechts im
Bildschirm ein kleines Fenster, das den Titel der Tonspur, die Länge der
Audiosequenz, die Länge der bisher angehörten Audiosequenz sowie einen Play-
und Pause-Button anzeigt. Darüber hinaus sind ausgewählte Exponate mit Buttons
versehen, die kennzeichnen, dass zu diesem Objekt eine hochauflösende
Fotografie sowie ein Informationstext oder eine Beschreibung des Exponats zur
Verfügung steht. Detailansichten, die mit Informationstexten versehen sind,
finden sich auch in Projekt 5. Hier
klicken Nutzer*innen die Exponate an, wobei sich ein neues Fenster öffnet,
welches entweder mit Fotografien der Exponate aus unterschiedlichen
Blickwinkeln und passenden Informationstexten gefüllt ist oder die Nutzer*innen
mit zusätzlichen Medien wie eigens für die Ausstellungen gedrehten Videos
versorgt (vgl. Abbildung 1).
[23]Weiterhin umfasst diese Heuristik auch das Verhalten von virtuellen Objekten,
welches den Erwartungen der Nutzer*innen weitestgehend entsprechen sollte.
Beispielhaft lässt sich dies in Projekt 1
festmachen. Im Szenario 1968 – Schöner Wohnen haben Nutzer*innen etwa die Möglichkeit mit Elektrogeräten in
authentischer Weise zu interagieren. Beim Fernseher können Nutzer*innen ein
Programm auswählen und sich dieses anschauen, das Radio bietet die gleiche
Möglichkeit. Mit einem Klick auf den Plattenspieler können Nutzer*innen
zwischen zwei Platten wählen und diese dann abspielen. Bei Projekt 5 zeigt sich beispielhaft, wie multimediale
Inhalte für die Nutzer*innen intuitiv eingebunden werden können: In der
Ausstellung Geraubte Kunst – Jüdische Sammlungen im
Nationalsozialismus befindet sich im zweiten Raum ein 3D-modellierter Schreibtisch, auf dem
unterschiedliche Objekte präsentiert sind, unter anderem ein Laptop. Der
Bildschirm des Laptops zeigt ein Standbild eines Interviews, welches mit einem
Klick auf das Gerät abgespielt wird.
[24]Zusammenfassung: Es zeigt sich, dass Detailansichten von
Exponaten, versehen mit hochauflösenden Fotografien der Objekte und
Informationsmedien unterschiedlicher Art, den Nutzer*innen deren Betrachtung
erleichtert. Weiterhin bietet es sich im virtuellen Raum an, Gebrauchsobjekte
entsprechend ihrer Verwendung in der realen Welt mit Interaktionen oder
multimedialen Angeboten zu versehen.
3.3 Natürliche Interaktion (Natural expression of
action)
[25]Im Rahmen dieser Studie wurden ausschließlich Projekte mit einer hohen
Zugänglichkeit ausgewählt, was u. a. bedeutet, dass für deren Nutzung keine
speziellen VR-Ein- und Ausgabegeräte benötigt werden. Entsprechend erfahren die
Nutzer*innen der Anwendungen auch kein haptisches Feedback und können die
Anwendung nicht mit natürlichen Körperbewegungen wie Gehen oder Greifen
bedienen, weshalb die Relevanz dieser Heuristik in den Hintergrund rückt.
Sutcliffe und Gault nehmen die Einschränkungen durch die verfügbaren Ein- und
Ausgabegeräte zur Kenntnis, beschreiben aber auch, wie durch eben diese
Einschränkungen der natürliche Ausdruck leidet.[43] Diese Problematik scheint in der
Museumsdomäne aber wenig relevant, da hier, wie oben bereits erläutert, nicht
der Anspruch besteht, eine reale Museumserfahrung nachzuahmen.
[26]Die natürliche Darstellung des Selbst kann jedoch auch ohne haptisches Feedback
in Desktop-VR-Anwendungen angedeutet werden. LaViola et al. schlagen etwa vor,
bei einer Einschränkung der zur Verfügung stehenden Geräte das haptische
Feedback durch auditives und visuelles Feedback zu substituieren.[44] Beispielsweise
wird den Nutzer*innen in Projekt 4 mit
Gehgeräuschen ihre Bewegung verdeutlicht, was den natürlichen Ausdruck im VE
fundiert. Auch bei Projekt 1 wird die
Selbstwahrnehmung im VE durch auditives Feedback unterstützt. Obgleich die
Nutzer*innen dieser Anwendung sich lediglich in einer 360°-Ansicht im Raum
umsehen können, verändert sich beispielsweise die Lautstärke des Fernsehers im
Szenario 1968 – Schöner Wohnen, wenn sich die Nutzer*innen von diesem wegdrehen. Auditives Feedback
unterstützt jedoch nicht nur die Selbstwahrnehmung, sondern kann auch
förderlich für die Orientierung im VE sein. Dieser Aspekt wird in der
Betrachtung von Heuristik 7: Navigation and orientation support näher beleuchtet. Auch
die freie Bewegung im Raum, wie sie in Projekt
5 umgesetzt ist und unter Heuristik
1: Natural engagement bereits erörtert wurde,
trägt zum natürlichen Ausdruck und einer besseren Selbstwahrnehmung im VE bei.
[27]Zusammenfassung: Insgesamt lässt sich festhalten, dass der
natürliche Ausdruck eine*r Nutzer*in zwar durch die Ein- und Ausgabegeräte
limitiert ist, sich haptisches Feedback aber durch auditives Feedback
substituieren lässt und auch die freie Bewegung im Raum zu einer verbesserten
Selbstwahrnehmung und Natürlichkeit beiträgt.
3.4 Schnelle Reaktionszeiten (Close coordination of action
and representation)
[28]Eine schnelle Reaktionszeit zwischen Aktionen der Nutzer*innen und der Anzeige
dieser Aktionen soll vermeiden, dass Nutzer*innen unter Cybersickness leiden.
Studien zeigen, dass Desktop-VR-Anwendungen jedoch deutlich seltener
Cybersickness hervorrufen als VR-Headsets.[45] Dennoch verliert die Heuristik
dadurch nicht an Relevanz, da eine schnelle Reaktionszeit insgesamt zur
Usability der Anwendung beiträgt.[46] Reaktionszeiten hängen von unterschiedlichen Faktoren,
wie beispielsweise der Serverleistung, ab und werden nicht vom Design eines VE,
sondern von dessen Implementierung beeinflusst.[47] Demnach bezieht sich diese Heuristik weniger auf die
Gestaltung als auf die Entwicklung von VEs und soll für die weitere Bearbeitung
nicht berücksichtigt werden.
[29]Zusammenfassung: Diese Heuristik ist für
Desktop-VR-Anwendungen, wie sie in dieser Studie untersucht werden, nicht
relevant.
3.5 Realistisches Feedback (Realistic feedback)
[30]Objekte im VE sollten in ihrem Verhalten physikalischen Gesetzen folgen und
darauf bezogen den Erwartungen der Nutzer*innen gerecht werden. Der Fokus liegt
hier auf Realismus, und weniger auf den Erwartungen der Nutzer*innen an die
Nutzung der Objekte zur Durchführung von Interaktionen, wie es bei Heuristik 2: Compatibility with the user’s task and domain der Fall ist. Die
Anforderungen an realistisches Verhalten von Objekten sind in der vorliegenden
Domäne eher nebensächlich. Beispielsweise lassen sich in keinem der
ausgewählten Projekte Beispiele für Objekte finden, die ergriffen und
anschließend fallen gelassen werden können.
[31]Bestimmte Faktoren werden dennoch den Anforderungen an eine realistische
Darstellung gerecht. Beispielsweise spiegelt das auditive Feedback bei Projekt 1, das unter Heuristik 3: Natural expression of
action bereits beschrieben wurde, realistisches Verhalten von Objekten
bzw. die Interaktion mit diesen wider. Weiterhin fällt bei Projekt 5 auf, dass hier Schatteneffekte genutzt wurden,
die die realistische Darstellung des Raumes und der Objekte unterstützen.
Unterschiedliche Lichtquellen lassen die 3D-modellierten Objekte im virtuellen
Museum unterschiedliche Schatten werfen. Die Lichtquellen selbst spiegeln sich
teilweise im Boden. Diese Tiefenhinweise bieten den Nutzer*innen eine
verbesserte Wahrnehmung des dreidimensionalen Raumes insgesamt und ergänzen die
Vorstellung der Positionen der Objekte im Raum.[48] In der gleichen Anwendung wird der
Realismus dadurch verstärkt, dass Gegenstände, Wände und Möbel innerhalb der
3D-modellierten Museumsräume Hindernisse darstellen. Das bedeutet, das
Nutzer*innen nicht durch diese Objekte hindurchlaufen können. So wird die Nähe
zur realen Welt gewährleistet. Nutzer*innen werden Raum für Raum durch die
Ausstellung geleitet und können sich besser orientieren, da ihr
Orientierungssinn nicht durch physisch unmögliche Handlungen wie das
Durchfliegen von Wänden gestört wird. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit,
die Reihenfolge der Räume und Exponate so zu gestalten, dass diese zum
Verständnis des Themenkomplexes beiträgt, ohne dass Nutzer*innen diese
Reihenfolge missachten können.
[32]Zusammenfassung: Objekte, die Interaktion durch Bewegung
zulassen, sollten grundlegenden physikalischen Gesetzen folgen. Realismus kann
in Desktop-VR-Anwendungen durch auditives Feedback sowie Schatteneffekte
verbessert werden, wodurch auch die dreidimensionale Wahrnehmung der
Nutzer*innen unterstützt wird. Wird die freie Bewegung dadurch limitiert, dass
Objekte und Wände Hindernisse darstellen, so verbessert dies die Orientierung
in der Anwendung: Indem die Wahlmöglichkeiten der Nutzer*innen eingeschränkt
sind und sie weniger Entscheidungen treffen müssen, wird der Umgang mit dem
System vereinfacht.[49]
3.6 Zuverlässige Blickpunkte (Faithful
viewpoints)
[33]Diese Heuristik behandelt Perspektivwechsel innerhalb des VE. Diese sollen ohne
Verzögerung entsprechend den Kopfbewegungen der Nutzer*innen wiedergegeben
werden. Hier wird deutlich, dass diese Heuristik nur bedingt auf
Desktop-VR-Anwendungen angewendet werden kann, da kein VR-Headset zur Verfügung
steht, um den Blickpunkt mit Kopfbewegungen zu wechseln. Jedoch lassen sich
auch in Desktop-VR-Anwendungen die Blickpunkte mit Maus und Tastatur als
Eingabegeräte verändern.
[34]Projekt 2 ermöglicht es den Nutzer*innen,
sich in alle Richtungen ohne Einschränkungen umzusehen. Dazu halten die
Nutzer*innen die linke Maustaste gedrückt und ändern den Blickpunkt, indem sie
das Bild mit der Maus umherschieben, wobei der Bildschirmrand eine Limitation
darstellt: Ist dieser mit dem Cursor erreicht, muss der Cursor erst wieder in
eine neue Position gebracht werden, damit der Blickwinkel weiter verändert
werden kann. Durch die Betätigung des Mausrades oder das Zusammen- bzw.
Auseinanderziehen der Finger auf dem Touchpad kann zusätzlich heran- und
weggezoomt werden. Die Möglichkeit zur Änderung des Blickpunktes bietet sich
vor allem in Anwendungen an, in denen historische Orte präsentiert werden. Ein
Beispiel aus Projekt 2 ist ein virtueller
Rundgang durch Schloss Versailles, bei dem es viele Kunstwerke zu entdecken
gilt, die sich nicht auf Kopfhöhe der Nutzer*innen befinden, sondern
beispielsweise die Decke zieren. Durch die Zoom-Funktion lassen sich in den
Gebäuden und Kunstwerken Details ausmachen, die sonst nicht zu erkennen wären.
Auch Projekt 5 bietet Nutzer*innen die
Möglichkeit, sich frei im Raum umzuschauen. Die Steuerung unterscheidet sich
minimal von Projekt 2: Die Veränderung
des Blickwinkels wird durch Gedrückthalten einer beliebigen Maustaste
gesteuert. Dabei wendet sich der Blick in die Richtung, in die der Cursor
bewegt wird. In Projekt 2 ist es
umgekehrt. Hier bewegt sich der Blickwinkel immer in die entgegengesetzte
Richtung des Cursors. Es ist unklar, welche der beiden Varianten der
Blickpunktänderung hier stärker konventionalisiert ist, da beide
Interaktionsvarianten jeweils auch in zahlreichen anderen Anwendungen
vorzufinden sind.
[35]Zusammenfassung: Grundsätzlich sollten bei der Gestaltung
von virtuellen Museumsangeboten freie Wechsel des Blinkwinkels ermöglicht
werden. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn die Ausstellung von Exponaten
nicht auf eine durchschnittliche Kopfhöhe limitiert ist, sondern überall im
Raum zu finden sind. Durch das Heranzoomen mit Mausrad oder Touchpad können
zusätzlich Details exploriert werden.
3.7 Unterstützung bei Navigation und Orientierung (Navigation and orientation support)
[36]Die Orientierung im VE sollte insofern durch eine intuitive Navigation
unterstützt werden, dass Nutzer*innen ihre Position stets ausmachen und
gegebenenfalls zu bekannten Positionen steuern können. Dabei sollten sich
unnatürliche Aktionen wie das Durchfliegen von Räumen mit dem Anspruch des VE
nach Natürlichkeit die Waage halten. In Projekt
5 wird etwa die Orientierung in der Ausstellung durch eine Anzeige am
rechten unteren Bildschirmrand unterstützt, welche die Nutzer*innen darüber
informiert, in welchem Raum sie sich befinden. Die Räume sind mit einer Nummer
und einem Titel versehen. Nutzer*innen werden in einen anderen Raum
teleportiert, wenn sie einen der Pfeile links und rechts der Anzeige anklicken.
So können sie, ohne selbst in die entsprechenden Räume zu navigieren, einfach
in andere Räume innerhalb der Ausstellung springen. Eine ähnliche Umsetzung der
Unterstützung wird den Nutzer*innen in Projekt
3 geboten. Hier sind am unteren Bildschirmrand nebeneinander alle
Orte, an die sich die Nutzer*innen begeben können, mit Namen und einem Bild
gelistet. Damit deutlich ist, an welchem Ort sich die Nutzer*innen befinden,
sind die inaktiven Orte grau unterlegt. So wird der aktive Ort hervorgehoben.
Die gelisteten Orte fungieren einerseits als Information über den aktuellen
Aufenthaltsort der Nutzer*innen im VE, andererseits kann nur durch Anklicken
der Orte die Position gewechselt werden.
[37]Bei Projekt 6 wurde bei der
Navigationshilfe auf eine klassische Karte gesetzt (vgl. Abbildung 2). Durch
das Klicken auf ein entsprechendes Symbol am rechten unteren Bildschirmrand
öffnet sich eine Karte, welche die Ausstellungsräume zeigt. Zusätzlich werden
auf der Karte alle Punkte angezeigt, die ›angeflogen‹ werden können. Auch der
aktuelle Standort der Nutzer*innen wird auf der Karte rot markiert und mit dem
Winkel der Blickrichtung dargestellt. Standortänderungen können durch das
Anklicken der verfügbaren Punkte erfolgen. Diese Hilfestellung bietet sich hier
besonders an, da die Bewegung in der Anwendung auf das Anklicken einzelner
Punkte, von denen aus sich die Nutzer*innen umsehen können, beschränkt ist.
Auch auditive Stimuli können die Nutzer*innen bei der Orientierung im VE
unterstützen, indem Geräusche und ihre Lautstärke einen Ort oder die Distanz zu
einem Ort signalisieren.[50] Stehen den Nutzer*innen Kopfhörer zur Verfügung, profitieren sie
in Projekt 1 von Raumklang. So können sie
ausmachen, aus welcher Richtung Geräusche kommen, beispielsweise Gespräche von
Personen oder der Klang eines Fernsehers oder Plattenspielers.
[38]Zusammenfassung: Nutzer*innen sollten bei der Navigation
und Orientierung im VE unterstützt werden. Je nach Anwendung bieten dafür
unterschiedliche Möglichkeiten an, wie z. B. die Einbindung einer Karte oder
die Auflistung der Räume der Ausstellung. Durch auditives Feedback kann die
Orientierung zusätzlich verbessert werden, indem Orte oder Distanzen zu diesen
so signalisiert werden.
3.8 Eindeutige Ein- und Ausstiegspunkte (Clear entry and
exit points)
[39]Die Ein- und Ausstiegspunkte der VEs sollen eindeutig sein, sodass Nutzer*innen
wissen, wie sie ein VE betreten und auch wieder verlassen können. Die Relevanz
dieser Heuristik für Desktop-VR-Anwendungen wurde von den Autoren betont.[51] Die Einbindung
eindeutiger Ein- und Ausstiegspunkte wurde in den Projekten unterschiedlich
umgesetzt.
[40]In Projekt 1 ist der Einstieg für
Nutzer*innen in das VE in ein Storytelling eingebaut. Um in die Anwendung
selbst zu gelangen, betätigen die Nutzer*innen einen ›Starten‹-Button.
Daraufhin kann zwischen einer normalen oder einer hohen Auflösung gewählt
werden. Nun befinden sich die Nutzer*innen bereits im VE, müssen sich aber noch
entscheiden, in welche virtuelle Welt sie reisen möchten (1960 – Willkommen an Bord oder 1968 – Schöner
Wohnen). Dazu werden ihnen von einem ›Dealer‹ unterschiedliche
Zeitreise-Kapseln angeboten, von denen sie eine einnehmen sollen. So ist der
Einstieg in das VE interaktiv gestaltet und in das Storytelling der Anwendung
eingebunden. Die virtuellen Welten können gewechselt werden, indem über das
Menü, das am rechten oberen Bildschirmrand aufgerufen werden kann, eine andere
Zeitkapsel geschluckt bzw. die Episode gewechselt wird. Das Aufrufen des Menüs
ist jederzeit möglich, wodurch Nutzer*innen die Möglichkeit haben, das
anfängliche Storytelling zu überspringen und sofort in eine andere virtuelle
Welt einzutauchen.
[41]Weniger interaktiv, dafür aber leichter verständlich, wird der Ein- und
Ausstieg in und aus dem VE in Projekt 5
gestaltet. Auf der Startseite der Digitalen Kunsthalle sind alle aktuell
zugänglichen Ausstellungen gelistet. Mit einem Klick auf den Button
›Ausstellung besuchen‹ gelangen die Nutzer*innen, nachdem die virtuelle
Ausstellung geladen wurde, in das gewünschte VE. Die Möglichkeiten zum
Verlassen einer Ausstellung bzw. zum Wechseln zu einer anderen sind ebenfalls
klar gekennzeichnet. Einerseits befindet sich im ersten und letzten Raum jeder
Ausstellung an der 3D-modellierten Wand ein ›Alle Ausstellungen‹-Button,
welcher die Nutzer*innen zurück auf die Startseite führt. Andererseits ist
dieser Button auch über das Menü am oberen Bildschirmrand zugänglich.
[42]Im Sinne des Natural engagement beginnt die virtuelle
Museumstour von Projekt 6 im Foyer des
Museums. Mit dem Anklicken des sich am Boden des Museums befindlichen Buttons
›Zum 360°-Rundgang‹, der sich an der Stelle befindet, wo in der realen Welt
auch der Eingang zu der Ausstellung wäre, gelangen die Nutzer*innen in das
virtuelle Museum.
[43]Zusammenfassung: Ein- und Ausstiegspunkte sollten klar
gekennzeichnet sein und idealerweise an mehreren Stellen zur Verfügung stehen.
Beispielsweise können im VE selbst Buttons zum Verlassen oder Ändern der
virtuellen Welt eingebunden werden, die gleichzeitig auch über das Menü
zugänglich sind. Abhängig von der Art und Zielgruppe der Anwendung bietet sich
eine Einbindung der Ein- und Ausstiegspunkte ins Storytelling an.
3.9 Konsistenz bei Designkompromissen (Consistent
departures)
[44]Immer dann, wenn im virtuellen Raum etwas anders umgesetzt wird als in der
realen Welt, sollte dies eindeutig gekennzeichnet und vor allem konsistent
umgesetzt werden. Typische Beispiele sind hier etwa die Substitution von
Modalitäten, beispielsweise das Ersetzen von realem ›Tasten / Fühlen‹ durch
›Hören / Sehen‹ im virtuellen Raum, oder die Verwendung von effektiven
Navigationsmechanismen, etwa das Fliegen durch den virtuellen Raum oder die
Nutzung von Teleportation. In den evaluierten Projekten finden sich vor allem
Beispiele aus dem letztgenannten Bereich der Navigation, allerdings nicht im
Sinne erweiterter Navigationsmöglichkeiten, sondern eher im Sinne von
Einschränkungen der Bewegung im virtuellen Raum.
[45]In Projekt 2 etwa ist eine freie Bewegung
im Raum nur bedingt möglich. Die Nutzer*innen können mit der Maus anzeigen, in
welche Richtung sie sich bewegen möchten. Der Cursor stellt in der Anwendung
einen Pfeil dar, der in die Richtung zeigt, in die sich die Nutzer*innen beim
Mausklick bewegen werden. Bei der Bewegung zu einem ausgewählten Punkt zeigt
eine kurzzeitige Unschärfe des Bildes den Nutzer*innen an, dass diese zu einem
Punkt navigieren. So wird deutlich, dass es sich bei der Fortbewegung nicht um
ein flüssiges Laufen im VE, sondern um ein schrittweises Weiterkommen zu einem
ausgewählten Punkt handelt. Im Sinne dieser Heuristik wird die Anzeige dieser
eingeschränkten Navigation allerdings in der gesamten Anwendung konsistent
umgesetzt. Bei Projekt 6 ist die
Fortbewegung vergleichbar eingeschränkt, da sich die Nutzer*innen hier nur zu
bestimmten, eindeutig gekennzeichneten Punkten bewegen können. Hierbei handelt
es sich um grüne Punkte, die mit einem weißen Kreis umrandet sind. Befindet
sich der Cursor auf einem der Punkte, so wird den Nutzer*innen in einer
Vorschau gezeigt, welchen Blickpunkt sie einnehmen, wenn sie den Punkt
anklicken. Wurde ein Punkt bereits angeklickt, verändert sich die Farbe von
grün zu grau. So wird den Nutzer*innen signalisiert, dass sie sich an diesem
Punkt bereits umgesehen haben. Auch in diesem Beispiel wird die farbkodierte
Information konsistent innerhalb der gesamten Anwendung umgesetzt.
[46]Zusammenfassung: Besonders in Anwendungen, in denen die
Bewegung im virtuellen Raum nicht so frei wie in der realen Welt gegeben ist,
ist es wichtig, den Nutzer*innen eindeutig und konsistent zu signalisieren, an
welche Punkte sie sich bewegen können. Dies kann etwa durch eine Darstellung
des Cursors als Pfeil und durch die Unschärfe des Bildes, während die
Nutzer*innen an einen bestimmten Punkt ›reisen‹, gewährleistet werden.
3.10 Unterstützung beim Lernen (Support for
learning)
[47]Diese Heuristik fordert, dass die Nutzer*innen beim Erlernen der Funktionen des
VE durch entsprechende Erklärungen und Hilfestellungen unterstützt werden. In
Projekt 1 wird dies umgesetzt, indem
die Interaktionsmöglichkeiten innerhalb des VE unterschiedlich gekennzeichnet
werden. Unterschieden wird dabei zwischen erklärenden Audiosequenzen, die in
das Storytelling der Anwendung eingebunden sind, dem Heranzoomen an Objekte wie
dem Fernseher, Bücherregal oder Radio und anderen Interaktionsmöglichkeiten wie
beispielsweise der Entstehung eines Gespräches zwischen zwei Personen oder dem
Klingeln des Telefons. Für alle Elemente gibt es Symbole, welche die
Möglichkeiten der Interaktion andeuten und gleichzeitig als Buttons fungieren.
Die Buttons verändern beim Näherkommen des Cursors ihre Größe und werden so
deutlicher erkennbar. Entsprechend werden die Nutzer*innen subtil auf die
Interaktionsmöglichkeiten hingewiesen. Zusätzlich ist über das Menü, das über
einen Button in der rechten oberen Ecke geöffnet wird, eine Hilfeseite
zugänglich, welche die Funktionen des VE kurz erörtert.
[48]Beim Starten von Projekt 3 öffnet sich
ein kurzes Tutorial, das die Hauptfunktionen der Anwendung erklärt. Erst, wenn
die Nutzer*innen auf ›Weiter‹ klicken, gelangen sie in die eigentliche
Anwendung (vgl. Abbildung 3). So werden die Nutzer*innen bereits vor der
Nutzung mit der Anwendung vertraut gemacht. Auch in diesem Beispiel
signalisieren unauffällige, aber pulsierende Punkte, dass weitere Informationen
oder Interaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Ein kurzes Tutorial zu den
Bedienelementen der Anwendung beim Start bietet auch Projekt 4. Dieses Tutorial kann mit einem Klick auf ein
Fragezeichen-Symbol am rechten unteren Bildschirmrand stets wieder aufgerufen
werden.
[49]Zusammenfassung: Eine Hilfeseite, die den Nutzer*innen die
Bedienung und Hauptfunktionen der Anwendung verständlich und kurz erläutert,
ist obligatorisch für VEs der Domäne Museum, da so auch die Zugänglichkeit
erleichtert wird. Diese Hilfestellung sollte schnell zu finden sein,
beispielsweise über das Menü oder über einen Button, der direkt zur Hilfeseite
führt. Mithilfe unterschiedlich gestalteter Buttons kann signalisiert werden,
dass unterschiedliche Interaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Durch ein
unauffälliges Design stören sie die Nutzer*innen nicht in der Exploration des
VE, machen aber durch ihre Dynamik, beispielsweise der Veränderung ihrer Größe,
auf sich aufmerksam. Weiterhin wird den Nutzer*innen auf diese Weise
verdeutlicht, dass nur bestimmte Objekte die Möglichkeit einer Interaktion
bieten.
3.11 Eindeutiges turn-taking (Clear
turn-taking)
[50]Laut Sutcliffe und Gault ist diese Heuristik nur für kollaborative VEs
relevant,[52]
also VEs, in denen sich mehrere Nutzer*innen gleichzeitig befinden und
miteinander interagieren. Da eine solche Mehrbenutzer*innen-Funktion in keinem
der ausgewählten Projekte implementiert ist, wird Heuristik 11 aus der vorliegenden Evaluation
ausgeschlossen.
[51]Zusammenfassung: Diese Heuristik betrifft ausschließlich
kollaborative VEs und ist damit für diese Studie nicht relevant.
3.12 Gefühl von Präsenz (Sense of presence)
[52]Diese Heuristik fordert, dass die Wahrnehmung des Aufenthalts im VE und das
damit verbundene Gefühl von Präsenz so natürlich und nah wie möglich an der
realen Welt sein sollte. Ob oder inwieweit dieser Anspruch auf die Domäne
zutrifft, wurde bereits unter Abschnitt
3.1 Natural engagement diskutiert. Jedoch lässt sich in Projekt 1 ein Element ausmachen, welches
die Wahrnehmung der Natürlichkeit verstärkt: die Interaktion mit Personen. In
die genannte Anwendung ist ein interaktives Storytelling eingebunden, wobei
reale Personen mit den Nutzer*innen interagieren und auf deren Aktionen
reagieren. Bereits beim Einstieg in das VE interagieren die Nutzer*innen mit
einem ›Dealer‹, der Zeitkapseln verkauft, die virtuelle Zeitreisen ermöglichen
sollen (vgl. Abschnitt 3.8 Clear entry and exit points). Der ›Dealer‹ bewegt sich
zum Standpunkt der Nutzer*innen und spricht diese direkt an. Im Storytelling
wird suggeriert, dass die Nutzer*innen innerhalb der Szenarien nicht von den
sich darin befindenden Personen gesehen werden können. Trotzdem schaut
beispielsweise beim Einstieg in das Szenario 1968 – Schöner Wohnen das Ehepaar, das sich in ihrem Wohnzimmer im Jahr 1968 befindet, in
Richtung der Nutzer*innen und scheint deren Präsenz zu bemerken. Spielerisch
werden die Nutzer*innen dazu aufgefordert, Zeitfehler in den Szenarien zu
entdecken. Zum Beispiel steht in eben diesem Szenario das Buch Fifty Shades of Grey aus dem Jahr 2011 im Bücherregal des Ehepaares. Entdecken die
Nutzer*innen diesen Zeitfehler, erscheint der ›Dealer‹ als Hologramm,
entschuldigt sich bei den Nutzer*innen für den Fehler und tauscht das Buch
durch ein anderes aus.
[53]Zusammenfassung: Vor allem interaktive Elemente steigern
das Gefühl der Immersion bei den Nutzer*innen. Sie dienen weiterhin der
Unterhaltung und sollen die Nutzer*innen aktivieren und dazu motivieren, das VE
weiter zu explorieren.
4. Diskussion
[54]Bei der Beschäftigung mit den Heuristiken stellte sich heraus, dass die
Interpretation und damit zusammenhängend die Abgrenzung einiger Heuristiken
Probleme für die Bearbeitung darstellen. Davon betroffen sind vor allem jene
Heuristiken, die sich weitestgehend auf die Natürlichkeit der Anwendung und die
Nähe zur realen Welt beziehen (Heuristiken 1–6 und 12). Bei diesen Heuristiken sind die Unterschiede graduell
und beziehen sich auf das, was Gegenstand der Natürlichkeit ist, also
beispielsweise das Verhalten von Objekten, die Wahrnehmung des Selbst oder die
Durchführung von Aufgaben. Diese Schwierigkeit wurde von den Autoren in der
Evaluation ihrer Heuristiken bereits erkannt und thematisiert: Hier gaben viele
der Begutachter*innen an, Probleme bei der Interpretation der Heuristiken zu
haben.[53] Die
Problematik konnte jedoch als Interpretationsspielraum verstanden und genutzt
werden, um die Heuristiken der Domäne entsprechend auszulegen. Dennoch stellt sich
die Frage, welcher Anspruch an Natürlichkeit und Nähe zur realen Welt an
Desktop-VR-Anwendungen im musealen Bereich gestellt werden sollte. Anstatt eine
reale Museumserfahrung zu imitieren, können die Potenziale dieser
Präsentationsform genutzt werden, um Exponate anders auszustellen, zu vermitteln
und die Nutzer*innen über Themenkomplexe zu informieren. Dabei werden an vielen
Stellen Kompromisse mit der Natürlichkeit der Anwendung eingegangen.
[55]Nicht alle Heuristiken haben sich als geeignet für die Ausarbeitung von Best
Practices erwiesen. Heuristik 4 (Close coordination of action and representation) wurde in
der Bearbeitung nicht berücksichtigt, da sie weniger mit der Gestaltung als der
Implementierung einer Desktop-VR-Anwendung in Zusammenhang steht. Auch Heuristik 11 (Clear turn-taking) wurde für die Generierung von Best Practices als nicht
relevant eingestuft, da sie sich lediglich für kollaborative VEs eignet. Im
Gegensatz dazu erwiesen sich die anderen Heuristiken als äußerst produktiv und gut
anwendbar. Aus ihnen konnten Best Practices für die Gestaltung von virtuellen
Museumsräumen abgeleitet werden, die nachfolgend nochmals zusammengefasst werden.
4.1 Zusammenfassung von Best Practices auf Basis der Heuristiken
[56]Nachfolgend findet sich eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse aus
der Evaluation ausgewählter VEs in Form von verallgemeinerbaren Best
Practices:
- Freie Bewegung unterstützen: Durch eine freie Bewegung
im Raum und handgesteuerte Navigation können Nutzer*innen das VE erforschen
und sich Exponate aus unterschiedlichen Blickwinkeln anschauen, wobei die
Kollision mit Objekten oder Wänden vermieden werden sollte. Kommen in VEs
unrealistische Navigationselemente zum Einsatz – sei es durch
Einschränkungen oder erweiterte Möglichkeiten – muss dies eindeutig
gekennzeichnet und vor allem konsistent umgesetzt werden. Außerdem sollen
den Nutzer*innen zum Betreten oder Verlassen des VE eindeutige Ein- und
Ausstiegspunkte an mehreren Stellen zur Verfügung stehen.
- Navigationshilfen anbieten: Bei der Orientierung
sollten grundsätzlich Navigationshilfen wie Karten die Nutzer*innen
unterstützen. Auch auditives Feedback kann hier eine Hilfestellung sein, da
Geräusche einen bestimmten Ort (beispielsweise den Standort eines Radios)
bzw. die Distanz zu diesem signalisieren können.
- Interaktion unterstützen und kenntlich machen:
Detailansichten mit hochauflösenden Fotografien der Exponate sowie die
Möglichkeit des Heranzoomens an Objekte erleichtern deren genaue
Betrachtung. Stehen den Nutzer*innen Interaktionsmöglichkeiten mit Objekten
oder virtuellen Personen zur Verfügung, sollte dies stets deutlich gemacht
werden. Dies kann beispielsweise durch Buttons angezeigt werden, wobei
unterschiedliche Buttons auf verschiedene Arten der Interaktion hinweisen
können. Eine Hilfeseite oder ein Tutorial sollten die wichtigsten Funktionen
und Bedienelemente in verständlicher und leicht zugänglicher Form
präsentieren.
[57]Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aus vielen der generischen Heuristiken
für VEs auch Best Practices auf den Museumsbereich übertragen werden konnten.
Gleichzeitig fiel bei der heuristischen Evaluation der sechs ausgewählten
Projekte auf, dass die bestehenden Heuristiken nicht alle Aspekte, die für den
musealen Bereich relevant sind, vollständig abdecken. Nachfolgend ergänzen wir
deshalb zwei weitere Heuristiken, die induktiv aus der Evaluation der
Projektbeispiele abgeleitet wurden. Diese ergänzenden Heuristiken decken im
Wesentlichen die Aspekte Multimedialität und Interaktivität ab und sollen nachfolgend näher erläutert
werden.
4.2 Zusätzliche Heuristik: Multimediale Vermittlungselemente
[58]Im Rahmen der Betrachtung von Heuristik 2
(Compatibility with the user’s task and domain)
wurden einige multimediale Elemente innerhalb der Projekte bereits beschrieben.
Allerdings beschränkten sich die Beispiele, die als Best Practices angeführt
wurden, auf multimediale Bestandteile der Projekte, welche Elemente einer
realen Ausstellung imitieren. In den Projekten finden sich jedoch
beispielsweise Audiosequenzen oder Videos, die in anderer Weise, wie es im
realen Museum so nicht möglich wäre, präsentiert werden. Deggim et al. sehen
die »große Stärke [von virtuellen Museen] in der ergänzenden Präsentation […],
die mit klassischen Ausstellungsmethoden nicht möglich [ist]«.[54] Ansätze dazu finden sich
auch in den betrachteten Projekten. In Projekt
1 haben die Nutzer*innen im Szenario 1968 – Schöner Wohnen die Möglichkeit, ein Bücherregal im Wohnzimmer, in dem sie sich
befinden, genauer zu untersuchen. Fahren sie mit der Maus über das Regal,
werden ausgewählte Bücher ein Stück weit aus dem Regal hinausgezogen und ein
kurzer Auszug aus dem Buch vorgelesen. Bei den Büchern handelt es sich um
Werke, die um die entsprechende Zeit veröffentlicht wurden, beispielsweise das
Buch Deutschstunde von Siegfried Lenz aus dem Jahr 1968 (vgl. Abbildung 4).
[59]In Projekt 5 in der Ausstellung Felix Nussbaum – Leben und Werke entpuppt sich ein Bild, das sich im ersten Raum an der Wand befindet,
als kurzer Dokumentarfilm. Mit einem Klick auf das Bild wird das Video
automatisch an der virtuellen Ausstellungswand abgespielt. Zwar steht dies im
Kontrast zur oben genannten Heuristik, da laut dieser das Verhalten von
virtuellen Objekten so nah wie möglich an Objekte der realen Welt angelehnt
sein soll, jedoch werden so die Vorteile von virtuellen Museen gegenüber realen
Ausstellungen ausgenutzt. Im gleichen Projekt in der Ausstellung BEETHOVEN – Welt.Bürger.Musik können Nutzer*innen an Hörstationen auditive Eindrücke von Beethovens
Kompositionen erhalten. Dies unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von
Hörstationen im realen Museum. Im VE können die Nutzer*innen die Musik aber
weiter hören, während sie sich in der kompletten Ausstellung umsehen, die
Hörerfahrung ist also nicht an einen bestimmten Punkt in der Ausstellung
gekoppelt bzw. darauf beschränkt. Durch ein Fenster, welches sich mit dem
Anklicken einer Hörstation öffnet, können die Nutzer*innen die Musik jederzeit
pausieren, vor- oder zurückspulen und beenden.
[60]Die Beispiele veranschaulichen unterschiedliche multimediale
Präsentationsformen, die die Potenziale des Online-Mediums nutzen und sich so
von Ausstellungsformen realer Museen absetzen. Daraus ergibt sich folgende
Beschreibung für die neu entwickelte Heuristik Einbindung
multimedialer Vermittlungselemente:
- Im Virtual Environment sollen multimediale Elemente so eingebunden
werden, dass sie helfen, den Nutzer*innen Inhalte zu vermitteln. Dabei kann
die Nähe des Verhaltens von Objekten zur Realität dann umgangen werden, wenn
das Vermittlungsangebot und der Zugang zu diesem profitieren.
[61]Diese Heuristik ist nicht auf die genannten Beispiele beschränkt; vielmehr sind
die Gestalter*innen virtueller Museumsräume und vergleichbarer VEs dazu
aufgerufen, die Potenziale des Mediums auszuschöpfen und neue Formen der
Präsentation in Desktop-VR-Anwendungen zu entwickeln.
4.3 Zusätzliche Heuristik: Interaktive Wissensvermittlung
[62]Interaktive Medienstationen sind längst Teil moderner Ausstellungskonzeption.
Durch Spiele oder digitales Storytelling unterstützen sie bei der Vermittlung
von Ausstellungsinhalten und aktivieren die Besucher*innen. Durch ihre
Attraktivität müssen Besucher*innen allerdings häufig warten, bis sie eine
Medienstation nutzen können.[55] Mit
diesem Problem sind Nutzer*innen virtueller Museen nicht konfrontiert. Auch
erfordert die Einbindung interaktiver Medien keine Station, stattdessen können
sie direkt mit Exponaten gekoppelt und beispielsweise beim Klick auf ein
Exponat geöffnet werden.
[63]Die Ausstellung Berechenbar – Unberechenbar aus Projekt 5 zeigt eine
künstlerische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Berechenbarkeit und
Computern. Bei einem der Kunstwerke handelt es sich um den
›CellularAutomataExplorer‹ – eine Simulation, die nach einfachen Regeln die
Populationsentwicklung von Lebewesen nachahmt. Nutzer*innen haben hier die
Möglichkeit, in dem Raster des Automaten festzulegen, welche Zellen lebendig
sind, woraufhin der Automat generationsweise nach den festgelegten Regeln
ermittelt, welche Zellen überleben, neu geboren werden oder sterben. Die
Nutzer*innen verfolgen den Algorithmus dann sowohl visuell als auch auditiv.
Ein weiteres Kunstwerk, Hypercam, setzt sich künstlerisch mit der Praxis der Videokonferenzen
auseinander und will auf die Künstlichkeit von derartigen digitalen Treffen
aufmerksam machen. Mithilfe von Hypercam können
Nutzer*innen ihre Videobilder verzerren und mit Schiebereglern in verschiedenen
Dimensionen manipulieren. So werden sie interaktiv direkt in das Kunstwerk
eingebunden und können es selbst explorieren.
[64]Bei der Entwicklung eines virtuellen Museums für ein historisches Gebäude
legten Deggim et al. den Fokus auf eine interaktive Visualisierung der
Baugeschichte des Alt-Segeberger Bürgerhauses.[56] Diese Visualisierung ist für die Nutzer*innen des
virtuellen Museums als ein Modell im 3D-modellierten Modell des Bürgerhauses
zugänglich. Für die Betrachtung stehen sieben unterschiedliche Bauphasen zur
Verfügung, wobei die Nutzer*innen im Menü auswählen, welche Bauphase sie
betrachten möchten. Um die Veränderungen zwischen Bauphasen besser
nachzuvollziehen, wird der Übergang von einer Bauphase in eine andere durch
eine Animation dargestellt. Zusätzlich können das Dach des Modells entfernt und
die einzelnen Räume angeklickt werden, um mehr über die Nutzung der Räume zu
erfahren. Die Autoren betonen, dass die Einbindung des Bürgerhaus-Modells in
den virtuellen Rundgang ein Beispiel für ein Vermittlungsmedium ist, das in
dieser Form nur in einem virtuellen Museum eingebunden werden kann und so die
Vorteile des Mediums illustriert.
[65]Auch die Interaktion mit Personen, wie sie bereits unter der Heuristik 12 Sense of presence dargestellt wurde, ist für diese
Heuristik relevant. Ein wie in Projekt 5
umgesetztes digitales Storytelling kann unterhaltende und den Lernprozess
fördernde Elemente kombinieren und greift so das Konzept des »Edutainment«
auf.[57] Das
Konzept bezeichnet die Verschmelzung von lehrenden und unterhaltenden Aspekten
und ist besonders im musealen Kontext relevant, da ein Museum einerseits eine
Lernumgebung ist, die andererseits (normalerweise) freiwillig besucht wird und
entsprechend auch unterhaltend sein soll. Eine Anwendung dieses Konzeptes,
beispielsweise in Form von digitalem Storytelling oder der Einbindung von
(Lern-)Spielen und Simulatoren, kann helfen, dass Nutzer*innen aktiviert
werden, dass sie sich besser an Inhalte erinnern und sich diese stärker
einprägen und dass sie überhaupt ein ausgeprägteres Interesse für Exponate oder
Themenkomplexe aufbauen.
[66]Virtuelle Museen haben das Potenzial, solche interaktiven Medien direkt an
Exponate und Kunstwerke zu koppeln oder Nutzer*innen sogar in diese
einzubinden. Die Beschreibung für diese Heuristik Interaktive
Wissensvermittlung lautet zusammengefasst wie folgt:
- Die Einbindung interaktiver Wissensvermittlung in das Virtual Environment
hilft, um Nutzer*innen zu aktivieren und bei der Erfassung von Inhalten zu
unterstützen.
5. Fazit
[67]Die vorliegende Studie untersucht die Anwendbarkeit von bestehenden Heuristiken
zur Gestaltung von VEs auf die Domäne virtueller Museumsräume. Dabei wurden die
Heuristiken im Rahmen einer heuristischen Evaluation auf sechs beispielhafte
Projekte angewandt. So sollten einerseits die Eignung der Heuristiken für den
Bereich virtueller Museen überprüft werden und andererseits – die Heuristiken als
Schablone nutzend – konkrete Umsetzungen innerhalb der Projektbeispiele als Best
Practices extrahiert werden. Von den ursprünglichen zwölf Heuristiken von
Sutcliffe und Gault sind letztlich nur zehn für den Bereich virtueller
Museumsräume geeignet. Zusätzlich wurden zwei weitere, domänen-spezifische
Heuristiken aus den Projektbeispielen abgeleitet. Im Ergebnis entstand so eine
Sammlung von Heuristiken, die es künftigen Gestalter*innen im GLAM-Bereich
ermöglichen sollen, virtuelle Museumsanwendungen mit einem hohen Maß an Usability
und einer guten User Experience zu konzipieren. Die aus den Projektbeispielen
abgeleiteten Best Practices geben dabei weitere Hinweise zur konkreten Umsetzung
der teilweise abstrakten Heuristiken.
[68]Wenngleich wir davon überzeugt sind, dass die vorliegende Diskussion und
Erweiterung von Heuristiken sowie die abgeleiteten Best Practices hilfreich für
das Design künftiger Museumsanwendungen sein werden, so gibt es gleichzeitig
einige Limitationen dieser Studie, die nachfolgend diskutiert werden. Eine
wesentliche Einschränkung stellt die Auswahl von insgesamt sechs Projekten,
stellvertretend für den gesamten Bereich musealer VR-Anwendungen, dar. Zwar wurden
die Projekte nach unterschiedlichen Diversifikationskriterien so ausgewählt, dass
eine möglichst repräsentative Auswahl entstanden ist, ein Anspruch auf
vollständige Abbildung aller Gestaltungsphänomene in diesem Bereich kann auf
dieser Basis allerdings nicht erhoben werden. Da vier der sechs Projekte aus dem
deutschsprachigen Raum kommen, und mit Walter’s Cube und
Google Arts and Culture nur zwei internationale Projekte
untersucht wurden, ist der Aspekt interkultureller Designimplikationen in dieser
Studie nicht weiter berücksichtigt.[58] Eine weitere Einschränkung der Studie liegt zudem sicherlich in
der Fokussierung auf frei zugängliche Desktop-VR-Anwendungen, die – trotz
zunehmender Verbreitung von VR-Technologie im Consumer-Bereich – in den nächsten
Jahren trotz alledem weiterhin der Standard-Anwendungsfall bleiben dürften.
[69]Insgesamt wirft die Beschäftigung mit virtuellen Museumsräumen auch die Frage auf,
welche alternativen Präsentationsformen von Kunst- und Kulturobjekten das Medium
Internet bietet. Viele Gedächtnisinstitutionen in Deutschland und auf der ganzen
Welt befinden sich längst im Prozess der Digitalisierung ihrer Sammlungen und
Exponate und vereinigen sich in Projekten wie der Deutschen Digitalen Bibliothek und Europeana,[59] um ihre Digitalisate online frei zur Verfügung zu stellen. Neben der
Möglichkeit, die Digitalisate und Informationen für Forschungsvorhaben zu nutzen,
können so auch institutionsübergreifende Online-Ausstellungen kuratiert werden,
die Sammlungen und Objekte unterschiedlichster Museen und anderer
Gedächtnisinstitutionen aus ganz Europa zeigen. Die in diesem Beitrag diskutierten
Heuristiken und die daraus abgeleiteten Best Practices für die Gestaltung
virtueller Ausstellungen wurden eingangs in Hinblick auf ein möglichst hohes Maß
an Akzeptanz bei den Besucher*innen motiviert. Jenseits bloßer Akzeptanz im Sinne
hoher Besuchszahlen haben Design-Guidelines für virtuelle Museumsräume darüber
hinaus die wichtige Funktion der Unterstützung der Wissensvermittlung für breite
Teile der nicht-akademischen Welt, wie sie etwa im Bereich der Public History gefordert wird.[60] Sieht man sich die Ursprünge der Public History-Bewegung
näher an, wird ein weiterer Aspekt deutlich, der das große Potenzial
benutzerfreundlicher, virtueller Ausstellungen verdeutlicht. So beschreibt Conard
in ihrer Herleitung der intellektuellen Wurzeln der Public History etwa Benjamin
Shambaughs Ansatz der Applied History, also eine konkrete
Anwendung von Geschichte.[61] Dabei
ging es Shambaugh vordergründig um die praktische Anwendung von Geschichtswissen,
um aktuelle politische, soziale und wirtschaftliche Probleme zu lösen. Virtuelle
Museumsräume bieten hier offenkundig vielfältige Möglichkeiten, um Kultur und
Geschichte in simulierten Umgebungen direkt erfahr- und anwendbar zu machen und
liefern damit einen wichtigen Grundstein für ein praktisches
Geschichtsverständnis, dass sich hoffentlich auch auf aktuelle politische und
soziokulturelle Herausforderungen anwenden lässt.