Vorwort
[1]Die Labor-Metapher ist in den Digital Humanities (DH) weit verbreitet[1] und wird aktuell verstärkt im Kontext der wissenschaftssoziologischen laboratory studies in der Tradition von Karin Knorr Cetina[2] auf vielfältige Weise diskutiert.[3] Häufig betonen DH-Labore dabei den Aspekt des wissenschaftlichen Austauschs und der Kollaboration (im Sinne eines collaboratory),[4] der in den interdisziplinären Konstellationen der DH geradezu genre-prägend ist. Darüber hinaus ist das Labor traditionell eng verknüpft mit der Funktion als Experimentierstätte.
[2]In DH-Labs werden dementsprechend geistes- und kulturwissenschaftliche Daten in Experimentalsettings aufbereitet, transformiert, kodiert und mithilfe von speziellen Instrumenten und Verfahren[5] – also digitalen Tools und Methoden – analysiert. Die regelmäßige Reflexion des wechselseitigen Einflusses von digitalen Methoden und bestehenden Theorien sowie auch Epistemen eröffnet im DH-Lab zusätzlich die Möglichkeit erkenntnistheoretischer Versuche. Dabei fungieren DH-Labs auch als dynamische Werkstätten des Wissens. Grundlegende Praktiken der Geisteswissenschaften entfalten im Ideen- und Schreiblabor ihre kreative Kraft: Die Dokumentation wie die Kommunikation von Forschungsprozessen und -ergebnissen können dank neuer Publikationsformate an sich schon zum Experiment und zur interdisziplinären Ideenschmiede werden.
[3]Unter dem Titel Fabrikation von Erkenntnis: Experimente in den Digital Humanities greifen wir in diesem Sonderband die eingangs genannten Aspekte auf und präsentieren Beiträge, die jeweils auf unterschiedliche Weise das experimentelle Potenzial der DH ergründen. Der Band nimmt mit dem Thema »Experimente« auch das Rahmenthema der vDHd2021 auf, das Alternativformat für die verschobene Jahrestagung des DHd-Verbands. Zwar ist der Band losgelöst von den Beiträgen der vDHd2021, dennoch greift er den Anspruch der DHd-Jahrestagungen auf, zur Sichtbarkeit aktueller DH-Aktivitäten im deutschsprachigen Raum beizutragen, wobei er selbst einen experimentellen Ansatz verfolgt. Der Band erscheint als Open-Access-Publikation und im Rahmen eines Co-Publishing Modells bei Melusina Press (Universität Luxemburg) und bei der Zeitschrift für digitalen Geisteswissenschaften (ZfdG) (Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel). Zudem setzt sich der Gesamtband aus drei, teils selbst noch experimentellen Beitragsformaten zusammen:
- Fachartikel zu experimentellen Methoden und Verfahren der DH
- Daten-Experimente zur Publikation von Datensätzen
- Code-Experimente zur Publikation von ausführbaren Notebooks
[4]Während die Fachartikel in beiden Publikationsorganen erscheinen, werden die Daten-Experimente bei der ZfdG und die Code-Experimente bei Melusina Press veröffentlicht. Dieses Modell des Co-Publishings ermöglicht überhaupt erst die experimentellen Formate und das Begutachtungsverfahren (s. u.), die diesem Band zugrunde liegen. Durch gemeinsame Publikationsrichtlinien, durch die eindeutige Referenzierung des Gesamtbandes mittels einer DOI:[6] und durch den Nachweis aller Beiträge auf beiden Publikationsplattformen ist trotz des Co-Publishing-Konzepts stets die Struktur des Gesamtbandes erkenn- und auffindbar.
[5]Der experimentelle Charakter des Bandes findet zudem im Begutachtungsverfahren seinen Ausdruck. Neben dem bekannten geschlossenen Peer Review-Verfahren für die Beiträge aus den Bereichen Daten- und Code-Experimente sowie einzelne Fachartikel, steht den Autor*innen der Fachartikel darüber hinaus mit einem Open-Peer-Review-Verfahren (OPR) eine derzeit im Open-Science-Kontext viel diskutierte Alternative zur Verfügung. Während im erstgenannten Verfahren die Begutachtung der Publikation vorgelagert ist (pre publication), findet im OPR-Verfahren die Begutachtung des Beitrags öffentlich anhand einer Preprint-Version statt (post publication). Die Community und zwei vom Herausgeber*innen-Team eingeladene Expert*innen können dabei wortgenaue Hinweise und Kommentare zur Preprint-Version abgeben. Auch werden die Expert*innen eine zusammenfassende Einschätzung des von ihnen zu begutachtenden Beitrages verfassen. Die Autor*innen können jederzeit auf die Kommentare und Monita eingehen, der Prozess wird vom Herausgeber*innen-Team moderiert. Ziel des Verfahrens ist eine konstruktive Kommunikation zwischen Autor*innen sowie Gutachtenden unter Einbeziehung der Community. Nach Abschluss der vierwöchigen Begutachtungsphase können die Autor*innen bei einem positiven Ergebnis eine überarbeitete Version ihres Beitrages verfassen, die dann Eingang in den Band findet. Die begutachtete Version bleibt unabhängig von der Annahme oder Ablehnung als Preprint inklusive der Gutachten öffentlich zugänglich. Falls sowohl Autor*innen wie auch die Expert*innen einverstanden sind, werden auch die Namen der Gutachtenden veröffentlicht.
[6]Die Herausgeber*innen sehen in dieser Ausdifferenzierung von Begutachtungsverfahren großes Potential für einen fairen, konstruktiven und auf die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Autor*innen zugeschnittenen Review-Prozess.[7]
[7]Den Autor*innen, den Gutachtenden sowie der DH-Community danken wir an dieser Stelle für die Offenheit für das neue, für viele noch unbekannte Review-Verfahren. Den Leser*innen wünschen wir erkenntnisreiche Lektüren und viel Vergnügen beim Entdecken aktueller Experimentierstätten der Digital Humanities.
Fußnoten
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[1]
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[2]
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[3]Vgl. Pawlicka-Deger 2020.
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[4]Vgl. Siemens / Siemens 2012.
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[5]Vgl. Hannaway 1986, S. 585.
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[6]DOI: 10.26298/vra6-mn32.
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[7]Nach der Publikation aller Beiträge wird an dieser Stelle noch auf die Erfahrungen genauer eingegangen werden, die im Rahmen des Begutachtungsprozesses gesammelt worden sind.