Abstract
Im Oktober 2002 startete das DFG-Projekt Virtualisierung von Skulptur. Rekonstruktion, Präsentation, Installation im Rahmen des DFG-Forschungskollegs 615 Medienumbrüche an der Universität Siegen und lief bis 2009. In diesem Projekt kooperierten Kunstgeschichte, Medienwissenschaft und Informatik, um die komplexen Skulpturengruppen Gianlorenzo Berninis in der Villa Borghese (Rom) zu ›virtualisieren‹. Anhand der gescannten Skulpturen in der virtuell rekonstruierten Villa Borghese sollten kunsthistorische, aber auch bildtheoretische Fragen experimentell geklärt werden. Obwohl der Begriff in dem Projekt nie verwendet wurde, war es ein frühes Beispiel für jenes Feld, das man heute Digital Humanities nennt – insofern digitale Technologien als Mittel der wissenschaftlichen Arbeit nicht nur verwendet, sondern auch entwickelt werden sollten.
In October 2002 the project Virtualization of Sculpture. Reconstruction, Presentation, Installation started in the context of the DFG-funded Special Research Area Media Upheavals at the University of Siegen. It ended in 2009. In this project, art history, media studies, and computer science cooperated in order to ‘virtualize’ the complex sculptural ensembles of Gianlorenzo Bernini at the Villa Borghese in Rome. With the help of the scanned sculptures, reconstructed in a virtual model of the Villa Borghese, research questions in art history as well as regarding the theory of images were to be answered experimentally. Although the term was never used in the project itself, it is an early example for the field that is now called Digital Humanities – in the sense that digital technologies were not only used for the scientific work, but were also developed in the course of the project.
Version 1.1 (03.12.2018)
Fehlerbeseitigung bei der Anzeige der Bilder: Bild 2 war nicht korrekt eingebunden, Bild 5 und 6 wurden nicht korrekt dargestellt.
Für Gundolf Winter
Virtualisierung von Skulptur
Ab Oktober 2002 startete das DFG-Projekt Virtualisierung von Skulptur. Rekonstruktion, Präsentation, Installation im Rahmen des DFG-Forschungskollegs 615 Medienumbrüche an der Universität Siegen und lief bis 2009.
Das Projekt war maßgeblich initiiert von Prof. Dr. Gundolf Winter, der von 1984–2008 den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Siegen innehatte.[1] Das Projekt war eine Kooperation mit dem Fraunhofer IAIS in St. Augustin – Dr. Manfred Bogen vom IAIS war neben Gundolf Winter Projektleiter.[2] Ich war seit November 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts, konnte im Rahmen des Projekts meine Habilitationsschrift entwickeln. Andere MitarbeiterInnen waren u.a. Christian Spies (Kunstgeschichte),[3] Petra Lange-Berndt (Kunstgeschichte),[4] Benjamin Beil (Medienwissenschaft),[5] Joanna Barck (Kunst- und Medienwissenschaft) und Roland Kuck (Informatik). Am Erstantrag wirkte Yvonne Spielmann mit. Beratend stand dem Projekt die damalige wissenschaftliche Mitarbeiterin von Gundolf Winter, Martina Dobbe, zur Seite.[6] Das folgende Video zeigt einen Vortrag von mir und Petra Lange-Berndt 2006 auf der Hyperkult XV, in dem wir anhand von viel Bildmaterial das Projekt vorstellen.
Obwohl der Begriff in dem Projekt nie verwendet wurde, war es ein frühes Beispiel für jenes Feld, das man heute Digital Humanities nennt – insofern digitale Technologien als Mittel der wissenschaftlichen Arbeit nicht nur verwendet, sondern auch entwickelt werden sollten. Dass Selbstverständnis des Projekts[7] war zunächst, dass mit dem Aufkommen der technischen Massenmedien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, paradigmatisch vertreten durch den Film – und dem technologischen Einschnitt zu Beginn des 21. Jahrhunderts – markiert durch den Computer – die medialen Voraussetzungen von Wahrnehmung grundlegend geändert hätten. Überdies seien auch die Kategorien ihrer Beschreibung, die Anschauungsformen von Raum und Zeit, in ein neues Verhältnis getreten, dass im Phänomen der Virtualisierung exemplarisch zum Ausdruck komme. Mit dieser Umakzentuierung werde zugleich das System der Kunstformen neu gegliedert, was die theoretische Ausrichtung von Beschreibungsmodellen dieses Medienumbruchs am Beginn des 21. Jahrhunderts zu berücksichtigen habe.
Der Forschungsansatz des Teilprojekts beruhte dabei auf der Annahme, dass sich die Phänomene der Virtualisierung nicht länger mit den am Gegenstandsbereich des Flächenbildes (Malerei, Fotografie und Film) erprobten Modellen erfassen lassen, die in der Regel Projektionsverfahren des Dreidimensionalen aufs Zweidimensionale sind und vorzugsweise die zentralperspektivische Projektion zugrunde legen. Paradigmatische und komparatistisch ertragreiche Konzepte, die zur Modellbildung für die Analyse von virtueller Figuration und Räumlichkeit herangezogen werden könnten, seien dagegen jene Verfahren der dreidimensionalen Konstruktion von Figur und Raum, wie sie insbesondere in Gesamtkunstwerkkonzepten, z.B. in barocken Skulpturengärten zum Ausdruck kommen.
Ziel der Forschung war, am Paradigma der ›Virtualisierung von Skulptur‹ das Verhältnis von Figuration und Räumlichkeit im mehrdimensionalen und multidirektionalen Raum-Bild zu analysieren. Die barocke Skulptur sollte dabei den Ausgangspunkt darstellen, erstens für die medienästhetische Untersuchung von Raummodellen der Simulation dreidimensionaler Objekte (in der Virtualisierung) und zweitens für die Klärung kunstwissenschaftlicher Fragen der Rekonstruktion, Präsentation und Installation skulpturaler Figurationen und ihrer Interaktion. Als Grundlage für dieses Forschungsprojekt wurden die barocken Skulpturengruppen Gianlorenzo Berninis (Villa Borghese, Rom) ausgewählt. Die (über-)lebensgroßen Figuren sollten mit den Werkzeugen der Computergrafik dreidimensional rekonstruiert, modelliert und in der Cyber-Stage in Echtzeit simuliert werden, so dass alle Figuren in virtuellen Interaktionen bzw. variablen Ansichten verfügbar sind.[8] Dem Projekt lag also zunächst die Idee zugrunde, die komplexen Skulpturengruppen in der Villa Borghese zu ›virtualisieren‹.
Zur Rekonstruktion der geometrischen Struktur der Skulpturen wurde ein 3D-Scanner, die SHAPECAM von EYETRONICS, eingesetzt. Im Unterschied zu Laserscannern erlaubte die SHAPECAM aufgrund ihrer Mobilität Aufnahmen aus sehr vielen verschiedenen Richtungen, wodurch die Probleme von Verschattungen und Überschneidungen bei der Aufnahme komplexer plastischer Objekte deutlich reduziert werden konnten.
Die SHAPECAM arbeitet während der Aufnahme mit der Projektion von Gittermustern auf einen jeweils ausgewählten Ausschnitt der Skulptur (so genanntes Structured Light-Verfahren). In der Villa Borghese wurden mehrere tausend solcher Bilder digital aufgezeichnet, aus denen mit der SHAPESNATCHER SUITE die Skulpturen anhand des Gitters Schritt für Schritt dreidimensional rekonstruiert und zu einem Gesamtmodell zusammengesetzt werden sollte. Dieses System schien nach den Tests im Vorfeld die besten Möglichkeiten für die gestellte Aufgabe zu bieten. Da jedoch für die Rekonstruktion der Skulpturen eine sehr hohe Auflösung benötigt wurde, wirkten sich die bei gewöhnlicher Benutzung der SHAPECAM unproblematischen Verzerrungen der Kameraoptik störend auf das Gitter und somit auf die geometrische Rekonstruktion aus. Durch die Entwicklung eines eigens auf die Aufgabe abgestimmten Algorithmus wurde das Problem gelöst und eine korrekte Rekonstruktion sichergestellt.
Abbildung 2 zeigt den Aufbau der Shapecam, einen Fotoapparat und eine Vorrichtung zum Aufprojizieren eines Gittermusters. Abbildung 3 ein bei den derartigen Aufnahmen entstandenes Fotos, das einen Teil des Hinterkopfes von Berninis David zeigt, auf den das Gittermuster projiziert ist. Durch die, in diesem Bild gut sichtbaren, Verformungen des standardisierten Gittermusters kann die entsprechende räumliche Struktur für jedes Foto errechnet werden. Tausende solcher Teilstücke wurden mit der Software zusammengefügt. Abbildungen 4–6 zeigen verschiedene Zustände der Rekonstruktion des David:
Allerdings konnten die Probleme mit »Verschattungen und Überschneidungen« nicht vollständig gelöst werden bzw. es kam beim Aneinanderfügen der Teilstücke immer wieder zu Problemen, sodass die rekonstruierten Statuen oft Löcher und verzerrte Stellen aufwiesen. Weitere informatische Aufgaben bestanden in der Erzeugung einer virtuellen Marmor-Textur für die Modelle der Statuen, der Einrichtung und dem Test verschiedener Displays und Interfaces für den Umgang mit den virtualisierten Skulpturen und nicht zuletzt in der Rekonstruktion der Villa Borghese selbst, in der die virtualisierten Skulpturen installiert werden sollten. Es ging also um die Herstellung eines möglichst ›realistischen‹, interaktiven Modells von Berninis Skulpturengruppen in der Villa Borghese. In welcher Weise sollte dieses nun für die kunst- und medienwissenschaftliche Arbeit genutzt werden?
Einerseits ging es darum, historisch offene Fragen nach dem Bildprogramm Berninis, also der Weise, wie die Skulpturengruppen in der Villa arrangiert und damit die BetrachterInnen geführt worden waren, experimentell-ästhetisch zu prüfen. Die Idee war, verschiedene Aufstellungen der Skulpturengruppen zu erproben und beim ›Durchgang‹ durch die virtuelle Villa mögliche Betrachtungssequenzen nachzuvollziehen. So gesehen ging es um den Einsatz von Simulation als epistemisches und methodisches Werkzeug der Kunstgeschichte.
Andererseits war die augenfällige phänomenologische Differenz zwischen der tatsächlichen Erfahrung, zwischen Skulpturengruppen umherzugehen, und ihrer letztlich, trotz des Einsatzes großformatiger, stereoskopischer Displays, immer noch bildlichen und eben nicht-räumlichen Reproduktion Anlass im Ausgang von der Ästhetik der Skulptur über eine Medienästhetik interaktiver, virtueller Bilder nachzudenken. Die Selbstverortung der kunst- und medienwissenschaftlichen Seite des Projekts stellte sich wie folgt dar:
- Virtualisierungsprojekte Das Projekt musste sich zunächst von anderen Virtualisierungsprojekten abgrenzen, so etwa von der Virtualisierung von Michelangelos Pietà bzw. anderer Skulpturen und Skulpturengruppen Michelangelos.[9] Diese jedoch untersuchten entweder allein Fragestellungen der Visualisierungstechniken, erprobetn also Möglichkeiten und Grenzen dreidimensionaler Rekonstruktion, oder allein kunsthistorische Fragestellungen, die dank der besseren Verfügbarkeit von virtuellen Modellen (im Vergleich zu den Originalen) gelöst werden sollen. Daneben suchten weitere Projekte die Virtualisierung von Skulptur für die Möglichkeiten einer dreidimensionalen Archivierung von historischen und künstlerischen Gegenständen und ihrer Präsentation in der Form virtueller Museen oder zum Zwecke der Restaurierung beschädigter Artefakte zu nutzen. Die Besonderheit des Projekts gegenüber der rein technisch-instrumentellen Ausrichtung der genannten Projekte sollte darin bestehen, die Virtualisierung von Skulptur im Dreischritt von Rekonstruktion, Präsentation und Installation zur Grundlage allgemeiner medienästhetischer Überlegungen zum dreidimensionalen Raumbild zu machen. Unter Berücksichtigung und Erprobung der neu entwickelten und weiter zu entwickelnden informatischen Verfahren (Interfaces s.u.) sollten neue Erkenntnisse sowohl im Hinblick auf die skulpturalen Raumbilder (Bernini) als auch im Hinblick auf die virtuellen Raumbilder des zweiten Medienumbruchs gewonnen werden.
- Bildkonzeption Berninis: In der deutlich historisch und ikonographisch/ikonologisch dominierten Bernini-Literatur wurden vor allem Fragen zur Datierung, zu Vorbildern und Auftraggebern untersucht. Nur wenige Ansätze finden sich dagegen zur Bildlichkeit dreidimensionaler bzw. skulpturaler Raumbildlichkeit, und diese weisen große Divergenzen in Fragen der Ansichtigkeit, der Höhe der Sockel und der intendierten Zugangsweisen auf. Da über die originalen Aufstellungsgegebenheiten gerade der Borghese-Figuren Unsicherheit besteht, werden die Vorschläge zur Positionierung der entsprechenden Gruppen in der Villa entweder epochenstilistisch abgeleitet oder aber weiterhin historisch-quellenmäßig eruiert. Wenn somit der Forschungsstand mit Bezug auf die Borghese-Figuren nach wie vor unbefriedigend scheint, so zeichnen sich gleichwohl in der neueren Auseinandersetzung mit der Barockarchitektur und -malerei Ansätze ab, die gerade im Zusammenhang mit der Frage nach der Spezifik der jeweiligen Medien für das Projekt aufschlussreich zu sein schienen. Festzuhalten ist aber, dass die intermediale Verschränkung von Plastik, Malerei und Architektur im Vordergrund stand, während das Projekt gerade die spezifische Raumbildlichkeit des Dreidimensionalen untersucht. In diesem Zusammenhang zielte das Projekt mit der Virtualisierung der Bernini-Skulpturen zwar auf eine experimentelle Klärung der historischen Positionierung der Figuren in den Räumlichkeiten der Villa Borghese, dies jedoch im Rahmen der umfassenderen Frage nach einer Medienästhetik dreidimensionaler Bilder.
- Medienästhetik: Die in der ersten Projektphase anschaulich erarbeiteten Konzepte der ›Koordination‹ und ›Dissoziation‹ beziehen sich auf die Relation von Betrachter(körper), Raum und Bild(körper). Zwar wurde in den letzten Jahren unter Rekurs auf anthropologische Annahmen dem Bezug des Bildes auf den Körper verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet, jedoch beziehen sich diese Studien selten auf virtuelle Raumbilder, sondern vornehmlich auf Malerei, Fotografie oder Videokunst. Werden die Phänomene des zweiten Medienumbruchs beachtet, dann eher hinsichtlich der Konsequenzen für das Konzept personaler Identität – etwa in bezug auf die Spaltung in Leib- und Datenkörper im Rahmen der Netzkommunikation. Die spezifischen Wahrnehmungsphänomene, die bei virtuellen Raumbildern entstehen, wurden bislang kaum thematisiert. Wenn überhaupt, dann waren sie auf einen ebenso heterogenen wie kontingenten Korpus der kommerziell verfügbaren Formen virtueller Raumbilder beschränkt. In dem Projekt sollten jedoch in Kooperation mit der Informatik die virtuellen Raumbilder in jedem einzelnen Parameter gezielt verändert werden. Durch die Variation von Freiheitsgrad und Geschwindigkeit des mobilen Blicks, Begrenzung der Projektionsfläche, Lichtführung, Texturen, Spiegelungen, geometrischen Transformationen und die Nutzung der verschiedenen, am Fraunhofer Institut in St. Augustin verfügbaren, virtuellen Umgebungen (STEREOWALL, CAVE und ICONE) sollten spezifische Eigenheiten verschiedener Formen dreidimensionaler Bildlichkeit und die sich verschiebenden, ›koordinativen‹ und ›dissoziativen‹ Konstellationen von Körper, Blick, Raum und Bild systematisch beschrieben werden. Eine derartige experimentelle und exemplarische Medienästhetik stellt ein Desiderat für die Erforschung der Bildphänomene im zweiten Medienumbruch dar – und tut dies bis heute.
Man sieht also, dass die medienästhetischen Fragen nach der ›Raumbildlichkeit‹ deutlich im Vordergrund standen. Die informatische Rekonstruktion der Skulpturen in der Villa Borghese sollte also nicht nur, und nicht einmal vorrangig, zur Lösung älterer Fragen nach der installativen Anordnung der Skulpturen in der Villa genutzt werden. Vielmehr war die Idee reflexiv diese Rekonstruktion zu beobachten, ja ›experimentell‹ zu variieren, um mehr über die medienästhetischen Besonderheiten dieser Visualisierungsverfahren zu erfahren, wobei Begriffe wie ›koordinative‹ und ›dissoziative‹ Raumbildlichkeit vorgeschlagen wurden.
Die Buchpublikationen des Projekts drehen sich zentral um diese Fragen. Zunächst erschien ein Band über Skulptur. Zwischen Realität und Virtualität, dessen Cover von einer unfertigen Rekonstruktion des David geziert wird (Abbildung 6 zeigt einen alternativen Entwurf des Covers, der dann nicht verwendet wurde).[10]
Hier werden Fragen der Ästhetik der Skulptur diskutiert und in Beziehung gesetzt zur Frage nach der Ästhetik digitaler Bilder. Ein weiterer Band wurde von mir und Informatikern vom IAIS herausgegeben und fokussierte sehr viel stärker auf die informatischen Fragen nach der Entwicklung der Rekonstruktionen, ihrer Visualisierungen, möglicher Interfaces usw.[11] Ein dritter Band öffnete das thematische Feld weiter auf den Begriff des ›Raumbildes‹ und versammelte verschieden Beiträge kunst- und medienwissenschaftlicher Art.[12] Schließlich war es mir, v.a. dank der Großzügigkeit von Gundolf Winter, möglich im Rahmen des Projekts meine Habilitationsschrift 3D. Zur Geschichte, Theorie, Funktion und Ästhetik des technisch-transplanen Bildes im 19. und 20. Jahrhundert fertigzustellen.[13]
Für die dritte Phase gab es ehrgeizige Ziele: Die in der zweiten Projektphase interaktiv eingerichtete virtuelle Präsentation der Villa Borghese mit den darin platzierten virtualisierten Skulpturen Berninis sollte am Originalstandort der Skulpturen, in der Galleria Borghese in Rom, installiert werden. Dies hätte exemplarisch die medienästhetische Erforschung der Verbindung virtueller und realer Räume und der in ihnen befindlichen virtuellen und realen Objekte ermöglicht. Es war also angestrebt, eine Installation der virtuellen Rekonstruktionen in der Villa Borghese vorzunehmen, um so – wieder ›experimentell‹ – Virtuelles und Reales zu überlagern. So sollte dem, heute unter dem Namen ›Augmented Reality‹[14], viel diskutierten Phänomen der Verbindung realer und virtueller Räume und Entitäten mithilfe der digitalen Werkzeuge analytisch zu Leibe gerückt werden. Notwendig ist dazu sowohl die Entwicklung neuer interaktiver Steuerungsoptionen als auch die Evaluation robuster Interface- und Displaytechnologien im Dialog von Informatik, Kunst- und Medienwissenschaft. Ziel der dritten und abschließenden Forschungsphase war folglich die Weiterentwicklung der in der zweiten Phase entwickelten Medienästhetik des dreidimensionalen Bildes zu einer neuartigen Medienästhetik der mixed reality. Mixed reality ist dabei als Oberbegriff für verschiedene Verbindungen des Realen und des Virtuellen zu verstehen. Diese Forschung wurde jedoch nicht mehr durchgeführt.
Die Rekonstruktion der Skulpturengruppen blieb unvollendet, auch weil sich das Verfahren, die Skulpturen aus den einzelnen Fotos der SHAPECAM zusammenzusetzen, als schwierig und wenig effizient erwiesen hatte. So gesehen konnte eine Motivation hinter dem Projekt, nämlich die virtuelle Rekonstruktion der Skulpturengruppen in einer rekonstruierten Villa zur Beantwortung kunsthistorischer Fragen nach der Aufstellung und dem installativen Programm, nicht umgesetzt werden. Aber das Projekt ist nicht gescheitert: Wie man sieht, war es v.a. die ›reflexive Beobachtung‹ des Einsatzes neuer Virtualisierungsmethoden oder allgemeiner: die Epistemologie der Methoden selbst, die zu einer Reihe neuer Erkenntnisse und Begriffe im Feld der Medienästhetik und der Theorie und Geschichte dreidimensionaler Visualisierungen führten. Daraus kann man m.E. genereller ableiten: Der Einsatz digitaler Methoden für die Kulturwissenschaften ist besonders ertragreich, wenn diese Methoden nicht nur Mittel, sondern auch und zugleich Objekt der kulturwissenschaftlichen Forschung sind.
Fußnoten
-
[1]Gundolf Winter starb 2011. Dies ist ein Nachruf der Universität Siegen.
-
[2]Vgl. Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. Vor Manfred Bogen war Prof. Dr. Martin Göbel vom IAIS für eine gewisse Zeit Ko-Projektleiter.
-
[3]Heute Universität zu Köln.
-
[4]Heute Universität Hamburg.
-
[5]Heute Universität zu Köln.
-
[6]Heute UDK Berlin.
-
[7]Im Folgenden beziehen sich die Ausführungen auf die von den Projektmitgliedern gemeinsam verfassten Selbstdarstellungen, die hier paraphrasiert und ggf. spezifisch akzentuiert werden.
-
[8]
-
[9]
-
[10]Winter et al. 2006, passim.
-
[11]Bogen et al. 2009, passim.
-
[12]Winter et al. 2009, passim.
-
[13]Schröter 2009, passim und übersetzt: Schröter 2014, passim.
-
[14]Schröter 2012, passim.
Bibliographische Angaben
- Virtuelle Welten. Basistechnologie von Kunst und Kultur? Hg. von Manfred Bogen / Roland Kuck / Jens Schröter. Bielefeld 2009. [Nachweis im GVK]
- Martina Dobbe / Christian Spies: Nachruf auf Gundolf Winter. Hg. von der Universität Siegen. Universität Siegen. News. Personalia. 21. April 2011 Siegen. [online]
- Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. Hg. von Fraunhofer-Gesellschaft. 2018 München. [online]
- Marc Levoy: The Digital Michelangelo Project Archive of 3D Models. Hg. von der Stanford University. Stanford, CA. 2014. [online]
- Medienumbrüche. Teilprojekte: B7 Virtualisierung von Skulptur: Rekonstruktion, Präsentation, Installation. Hg. von der Universität Siegen. Siegen 2006. [online]
- Jens Schröter: 3D. Zur Geschichte, Theorie, Funktion und Ästhetik des technisch-transplanen Bildes im 19. und 20. Jahrhundert. München u.a. 2009. [Nachweis im GVK]
- Jens Schröter: Echtzeit und Echtraum. Zur Medialität und Ästhetik von ›Augmented Reality‹ Applikationen. In: Bilder in Echtzeit. Medialität und Ästhetik des digitalen Bewegtbildes. Hg. von Tobias Haupts / Isabell Otto. Marburg 2012, S. 104–120. [Nachweis im GVK]
- Jens Schröter: 3D. History, Theory and Aesthetics of the Technical-transplane Image. New York, London, New Delhi. Sydney 2014. [Nachweis im GVK]
- Skulptur. Zwischen Realität und Virtualität. Hg. von Gundolf Winter / Jens Schröter / Christian Spies. (Kolloquium des Teilprojekts »Virtualisierung von Skulptur. Rekonstruktion-Präsentation-Installation«, Siegen, 15.–16.10.2004) München 2006. URN: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00053871-7 [Nachweis im GVK]
- Das Raumbild. Bilder jenseits ihrer Flächen. Hg. von Gundolf Winter / Jens Schröter / Joanna Barck. München u.a. 2009. [Nachweis im GVK]
Abbildungsnachweise und -legenden
- Abb. 1: Ein Vortrag von Petra Lange-Berndt und Jens Schröter über das Projekt, gehalten am 14. Juli 2006, auf der Hyperkult XV. [online]
- Abb. 3: Teil des Hinterkopfes von David mit aufprojiziertem Gittermuster. © Grafik entstammt dem Projekt, 2017.
- Abb. 4: Verschiedene Zustände der Rekonstruktion des David. © Grafik entstammt dem Projekt, 2017.
- Abb. 5: Verschiedene Zustände der Rekonstruktion des David. © Grafik entstammt dem Projekt, 2017.
- Abb. 6: Verschiedene Zustände der Rekonstruktion des David. © Grafik entstammt dem Projekt, 2017.
- Abb. 7: Alternativer Coverentwurf: Skulptur. Zwischen Realität und Virtualität. © Grafik entstammt dem Projekt, 2017.