Abstract
Altertumswissenschaftliche Textquellenanalyse in den Digital Humanities muss die spezifischen Editionstechniken und -modelle berücksichtigen, die mit der Überlieferung antiker Texte verbunden sind. Der Beitrag schlägt methodische Grundsätze vor, die in der automatischen Extraktion alle Arten von Referenzen (Editionen, Fragmentsammlungen, Zitate, Paraphrasen) zeigen. Dies wird exemplarisch in der Anwendung einer Kookkurrenzsuche (politische Auseinandersetzung in Athen im 5. Jh.v.Chr., Nomaden in griechischen Geschichtsschreibung) und der Netzwerkvisualisierung mit Gephi (Konstruktion von Überlieferung vs. Visualisierung von Quellennetzwerken am Beispiel des Quellennetzwerkes bei Plutarch) erläutert.
In the Digital Humanities, source analysis for classical studies must take into account the specific editing techniques and models associated with the transmission of ancient texts. The paper proposes methodological principles that show all kinds of references (editions, fragment collections, quotations, paraphrases) in the automatic extraction. This is exemplified in the application of a co-occurrence search (political debate in Athens in the 5th century B.C., nomads in Greek historiography) and network visualization with Gephi (construction of tradition vs. visualization of source networks using the example of the source network in Plutarch’ s oeuvre).
- 1. Einleitung
- 2. Fragmente und Kookkurrenzen: Die Konstruktion von Autoren und Werkzusammenhängen
- 3. Perikles und die Verschärfung der politischen Auseinandersetzung in Athen im 5. Jh.v.Chr.
- 4. Nomaden in Athen: Die Atthidographen als Historiker Athens
- 5. Konstruktion von Überlieferung vs. Visualisierung von Quellennetzwerken
- 6. Ein Quellennetzwerk bei Plutarch
- 7. Fazit
- Bibliographische Angaben
- Webseiten
- Abbildungsnachweise und –legende
1. Einleitung
Die mit Texten arbeitenden Altertumswissenschaften (Alte Geschichte, Klassische Philologie, Epigraphik, Papyrologie) greifen heute alle auf digitalisierte Textkorpora zurück, die in unterschiedlichsten Formen (digitalisierte Bibliotheken im Internet, Datenbanken auf CD ROM) und Formaten (Beta-Code in den unterschiedlichsten Varianten, UTF-8, ASCII) vorliegen. Aber mit dem exponentiellen Anwachsen digitaler Daten von Texten und Objekten, von Inschriften, Editionen antiker Texte, aus archäologischen Grabungen, Museen und privaten Sammlungen stehen die Altertumswissenschaften noch stärker als andere Geisteswissenschaften an einem Punkt, an dem sich grundlegende Fragen zu den Erkenntnis- und Innovationspotentialen durch neue digitale Verfahren in der Forschung ergeben.
Methodisch gesehen gehört dies in den Kontext des sog. »Data-driven turn«,[1] in dem nicht mehr von definierten und theoretisch begründeten Hypothesen ausgegangen wird, die anhand von Daten überprüft werden, sondern eine induktive Analyseperspektive eingenommen wird: Die Algorithmisierung der Daten soll auf Zusammenhänge hinweisen, die vorher unbekannt waren. Dies kann – so der Anspruch – zu neuen Hypothesen führen.[2] Die Anwendung von Verfahren v.a aus dem Information Retrieval, die Repräsentation in Visualisierungen ist bei weitem noch kein Standard, wird jedoch vor allem in Projekten und Forschungsprogrammen praktiziert, die sich im Rahmen von institutionellen Strukturförderungen bewegen.[3] Die Altertumswissenschaften sind, wie andere Geisteswissenschaften auch, an einem Punkt, an dem sich grundlegende Fragen zu den Erkenntnis- und Innovationspotentialen durch neue digitale Verfahren in der Forschung ergeben. So entstehen in den strukturierten digitalen Informationen neue Aggregationsformen, insbesondere Texte in Datenbanken, die automatisch extrahiert werden können.
In der Praxis wird viel experimentiert, aber für das Grundsätzliche wird immer wieder ein Theoriedefizit der Digital Humanities konstatiert.[4] Es steht derzeit zur Diskussion, ob die epistemischen Prozesse, die sich in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu stabilen Praktiken verdichtet haben, im Zeitalter der Digitalität unverändert weiterbestehen können, d.h. inwiefern die algorithmenbasierten Analyseverfahren überhaupt mit genuin hermeneutischer Interpretation zusammengebracht werden können.
Da mit unterschiedlichen Analyseverfahren eine ordnungstheoretische Strukturierung von Wissen einhergeht, die formalisiert und strukturiert werden muss, steht hier eine Anforderung im Raum, die noch zu erfüllen ist. Für das Feld der altertumswissenschaftlichen Textquellenanalyse lassen sich dazu klare Rahmenbedingungen für die methodische Systematisierung der Analyseverfahren aus den Digital Humanities definieren: Die zugrundeliegenden Daten müssen in einer gesicherten, nachprüfbaren Qualität vorliegen, die Auswertungswege müssen nachvollziehbar sein und die Ergebnisse übertragbar. Besonders wichtig für Akzeptanz durch die Fachcommunities außerhalb der Informatik und der Digital Humanities ist es, dass die Ergebnisse mit mindestens einer anderen Methode nachvollzogen werden können, in den Textwissenschaften vorzugsweise derjenigen der Quellenanalyse aus dem historisch-philologischen Bereich.
Für die Altertumswissenschaften mit ihrer 2500 Jahre alten Textgeschichte und -tradition ist dies allerdings für viele Bereiche sehr anspruchsvoll, da spezifische Editionstechniken und -modelle entwickelt worden sind, die nicht nur außerordentlich voraussetzungsreich sind, sondern immer in den Analyseverfahren mitberücksichtigt werden müssen.
Im Folgenden soll dies anhand einiger Beispiele althistorisch-philologischer Fragestellungen mit den in den Digital Humanities geläufigen Methoden der Kookkurrenzsuche und Netzwerkvisualisierung durchgespielt werden. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf der Frage nach den Möglichkeiten, Grenzen und vor allem dem Ertrag für genuin fachliche Fragestellungen. Ganz konkret ist dies als die Frage zu formulieren, ob die Anwendung dieser Methoden zu anderen und validierbaren Ergebnissen führt, die einer fachwissenschaftlichen Überprüfung standhalten?
2. Fragmente und Kookkurrenzen: Die Konstruktion von Autoren und
Werkzusammenhängen
In den Altertumswissenschaften hat sich ein Fokus auf sog. Autorentexte herausgebildet und daher wird auch dort, wo kein Autor vorhanden ist, die Rekonstruktion eines Autors oder sogar auch eines Werkes angestrebt. Hinzu kommt die Vorstellung, dass der Text des Autors oder des Werkes als eine Konstante betrachtet werden kann,[5] und auch dies hat dazu geführt, dass die Traditionsbildung hierarchisch strukturiert und in der Folge auch so repräsentiert wurde.
Dies sei hier am Beispiel einer besonderen Textgattung ausgeführt: dem Fragment. Es handelt sich dabei um die Zusammenstellung von Fragmentsammlungen, die einerseits als spezielle Form der Zitatensammlung angesehen werden können, andererseits aber – zumindest seit dem ausgehenden 18.Jahrhundert - mit dem sehr weitgehenden Anspruch versehen wurden und werden, dass ein vollständig verlorener Werkzusammenhang aus der Retrospektive durch die Zusammenstellung von Zitaten aus den verlorenen Werken wieder hergestellt werden kann. Die Bedeutung dieser Fragmentsammlungen lässt sich anhand von Zahlen demonstrieren: Für die Zeit zwischen dem 8. Jh.v.Chr. und dem 3. Jh. n.Chr. sind 59% der bekannten Autoren fragmentarisch erhalten, 12% nur aus ihren erhaltenen Werken und Fragmenten bekannt und nur 29% aus vollständig erhaltenen Texten.[6]
Wenn für einen Text der Werkzusammenhang fehlt (das gilt erst recht, wenn auch der Name des Autors fehlt) und auch nicht wiederherzustellen ist, wenn es sich also um die vollständige Abwesenheit des ursprünglichen Kontextes handelt, dann wird der Kontext im Rahmen einer Sammlung, sei es eine Zitaten- oder sei es eine Fragmentsammlung, durch einen konstruierten Kontext ersetzt, der je nach Interesse chronologisch, personal oder thematisch gestaltet wird.[7] Die Textpassagen, die zu fragmentarischen Werken einzelner Autoren in den diversen Fragmentsammlungen zusammengeführt werden, stammen aus ganz unterschiedlichen Kontexten, die meist nach folgendem, stark vereinfachten Schema aufgebaut sind:
(Autor A): wie bei Autor B steht, ereignete sich das Folgende bei XY:
…
oder:
(Autor A): wie bei den Autoren B, C und D steht, ereignete sich das
Folgende bei XY: …
oder:
(Autor X): Aber viele berichten, dass sich das Folgende bei XY
ereignete: …
Aufgrund der vielen verlorengegangenen Werke antiker Autoren ist man seit dem 19. Jahrhundert mit großer Intensität dazu übergegangen, Fragmentsammlungen der verlorenen Autoren zusammenzustellen: Dabei werden Zitate, Paraphrasen, Kommentierungen und z.T. auch Textpassagen ohne Namensnennungen in reinen Rekonstruktionseditionen (d.h. Textpassagen aus Autor A werden zu Fragmenten der Autoren B,C,D ...) versammelt.
So entsteht ein hochkomplexer Quellenzusammenhang, der sich, ebenfalls stark vereinfacht schematisiert, folgendermaßen darstellt:
- Autor A benutzt Quellenwerke Autor A zitiert Quellen a,b, ...
(Autoren NN)
Autor A paraphrasiert, kommentiert a,b, ... - Spätere Autoren (B,C, ...) benutzen Autor A
Spätere Autoren (B, C, ...) zitieren Autor A mit a,b, ...
Spätere Autoren (B, C, ...) paraphrasieren Autor A mit a,b, ...
Spätere Autoren (D, E, ...) kommentieren Autor A mit a,b, ... (Kommentare, Scholien) - Fragmentsammlungen/Editionen
Edition von Autor A (unter Berücksichtigung der handschr. Überl.)
Edition von Autoren B, C, ...
Edition der Kommentare Autoren D,E
Rekonstruktionseditionen: Fragmente der Autoren NN als Autoren F,G aus
Autor A, B, C, D, E ... mit a, b, ...
Die Editionen der Fragmentsammlungen repräsentieren eine eigene, dritte Ebene, indem durch Zuweisung von Textpassagen ganz unterschiedlichster Provenienz ganze Werkkontexte und Autoren konstruiert werden. In diesen Fragmenteditionen liegt ein fast unermessliches Verdienst im Hinblick auf die Sichtbarmachung und Rekonstruktion von Verlorenem – allerdings liegt darin auch im Hinblick auf die Analyse von Traditionswegen in der antiken Überlieferung die Gefahr der mangelnden Transparenz. Der autoritative Charakter der Textedition, der sich bei einer Fragmentedition besonders stark auswirkt, verdeckt die komplexe Schichtung der Texte. Dass diese unterschiedlichen Schichten der Überlieferung in Editionen, Kommentaren, insb. im Apparatus fontium selten vollständig dargestellt sind, hat ganz unterschiedliche Gründe, die auch in dem Verständnis von Autorschaft und Konventionen der Editionsarbeit begründet sind, wodurch allerdings die Analyse der Beziehungen zwischen den Textpassagen und Autoren erschwert wird.
Diese Konstruktion von Autoren und Werkzusammenhängen hat zwar einerseits Einsichten in die vielen nicht erhaltenen Werke ermöglicht, andererseits sind dadurch aber auch narrative Zusammenhänge verloren gegangen, weil durch die Herauslösung von Textpassagen als Fragmente diese Textpassagen mehr oder weniger dekontextualisiert worden sind.
Im Folgenden soll anhand einer Kookkurrenzsuche gezeigt werden, welche Möglichkeiten existieren, um diese Dekontextualisierung zu überwinden.
Für einfache oder kombinierte Wortsuchen stehen heute in den Altertumswissenschaften natürlich etablierte Programme zur Verfügung.[8] Die Suchfunktionen der Textmining-Verfahren gehen jedoch darüber hinaus. Als ein gut eingeführtes Verfahren zur Identifizierung von exakten Übereinstimmungen werden heute String-Matching-Algorithmen zur Abfrage in relationalen Datenbanken eingesetzt: Z.B. gibt die Levenshtein-Distanz als Maß zur Berechnung von Ähnlichkeit an, wie viele Operationen benötigt werden, so dass ein String aus einem anderen abgeleitet werden kann. Die N-Gramm-Suche berechnet die Wahrscheinlichkeit, nach der eine Buchstaben- oder Zeichenkettenkombination auf eine andere folgt. Beide Verfahren können eingesetzt werden, solange ein textueller Bezug gegeben ist und eine – zumindest geringe - Ähnlichkeit in der Wortreihenfolge noch gegeben ist. Die Kookkurrenzanalyse sucht nach dem gemeinsamen Auftreten zweier lexikalischer Einheiten innerhalb eines übergeordneten Segmentes (Satz, Korpus). Treten beispielsweise zwei Terme häufig gemeinsam in einem Satz auf, besteht eine berechtigte Annahme eines Abhängigkeitsverhältnisses, ob semantischer oder auch grammatikalischer Natur. Über statistische Berechnungen werden Maße für die vermutete Abhängigkeit ermittelt.[9]
Hier stellt sich nun die eingangs formulierte Frage, ob durch diese Kookkurrenzsuche ein Kontext ermittelt und ein Hinweis auf semantische Zusammenhänge angezeigt wird, der weder offensichtlich und geläufig ist noch durch andere, herkömmliche oder anderweitig etablierte Suchstrategien bzw. –methoden erreicht werden kann, die sich aus der Verwendung von Lexika, Nachschlagewerken, Konkordanzen, Indizes, Suchprogrammen entwickelt haben und die für alle in den Altertumswissenschaften etablierten Volltextdatenbanken anwendbar sind.[10]
3. Perikles und die Verschärfung der politischen Auseinandersetzung in
Athen im 5. Jh.v.Chr.
Perikles als einer der prominentesten Politiker des 5. Jahrhunderts v. Chr. und auch der attischen Geschichte generell wird so oft in der antiken Literatur erwähnt und in der modernen Forschung behandelt, dass das Auffinden von spezifischen bzw. auch neuen Kontexten für ihn über die Durchführung von einfachen oder kombinierten Wortsuchen aufgrund der Häufigkeit seiner Erwähnungen eher unwahrscheinlich ist.[11]
Da durch die Kookkurrenzsuche demgegenüber nicht nur das gemeinsame Auftreten von häufigen, sondern auch von häufigen und seltenen Worten angezeigt wird, ist die Chance gegeben, so auf neue oder ungewöhnliche Kontexte zu stoßen.[12] In dem folgenden Graphen einer Kookkurrenzsuche für das Suchwort Περικλεῖ (Dativ von Perikles) wird die selten auftretende – nur dreimal im gesamten Korpus der griechischen Literatur – Kookkurrenz mit ἀντιπολιτευσάμενος (Partizip Aorist von ἀντιπολιτεύομαι, jemandes politischer Gegner sein) angezeigt:
Vor Jahren ist von Eberhard Ruschenbusch die These aufgestellt worden,[13] dass dieser Ausdruck ἀντιπολιτεύεσθαι als ‚Neuschöpfung‘ eine spezifische Prägung des Theopomp v. Chios (Rhetor und Historiograph des 4. Jh.v.Chr.) gewesen sei. Theopomp hat das Verb gern verwendet, jedoch war er darin keineswegs der erste. Die Durchsicht der Belegstellen zeigt, dass der Bezug auf Theopomp aus einer prominenten Erwähnung durch den Grammatiker Ammonius (wahrscheinlich 4.Jh.n.Chr.) stammt, die im Kommentar eines byzantinischen Scholiasten zur Komödie ‚Die Wespen’ des Aristophanes (aufgeführt 422 v.Chr.) zitiert wurde.[14] Dieser Scholiast bezieht sich auf eine Auseinandersetzung zwischen Perikles und seinem schärfsten Gegner Thukydides Melesiou. Diese Auseinandersetzung ist dann durch einen Ostrakismos (Scherbengericht) entschieden worden und danach war Perikles für 15 Jahre ununterbrochen Stratege (höchste militärisch-zivile Funktion im demokratischen Athen). Die Kookkurrenzanalyse verweist hier auf einen Kontext in der Politik des Perikles, der sich aus der Sichtung des Fragmentes in den üblichen Fragmentsammlungen (wie z.B. den Fragmenten der griechischen Historiker von Felix Jacoby) nicht ergibt, da der Scholiast in seinen Belegen lediglich Namen nennt. Ordnet man jedoch die von dem Scholiasten genannten Hinweise mit den dazugehörigen Texten (Abbildung 2) als die ältesten Belege in den Kontext einer längeren historisch-politischen Entwicklung ein, werden konkurrierende Konzepte im politischen Diskurs des 5. Jahrhunderts deutlich, die zeigen, dass ἀντιπολιτεύεσθαι eine prägende Entwicklung der politischen Auseinandersetzung in ihrer allerschärfsten und bis dahin nie gekannten Form beschreibt. Das Wort selbst ist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erst im 4. Jahrhundert v.Chr. geprägt worden, sondern zeitgenössisch zu der Auseinandersetzung zwischen Perikles und seinem Gegner.
4. Nomaden in Athen: Die Atthidographen als Historiker Athens
Ein weiteres, ebenso interessantes Beispiel für die Möglichkeit, über die Kookkurrenzanalyse aus dem gemeinsamen Auftreten von häufigen mit seltenen Worten neue Kontexte zu erschließen, ist die Kookkurrenz von νομάδας (nomadas [Akk.]: = Nomaden) und Ἀτθίδος (Atthidos [Gen.]: = Werk eines Autors über Athen): Diese Kookkurrenz verweist auf zwei überhaupt nicht miteinander in inhaltlicher Verbindung stehende Dinge, die in einem Kontext stehen - Nomaden und die Geschichte der Stadt Athen. Die Erwähnung beider zusammen findet sich ein einziges Mal in der antiken Literatur - bei dem im 3./2. Jahrhundert in Athen schreibenden Atthidographen (Historiker Athens) Philochoros (3./2.Jh.v.Chr.) - und diese Erwähnung (Nomaden und Athen) ist später lediglich zweimal von anderen Autoren zitiert worden:[15]
Der Text des Philochoros wird in dem byzantinischen Werk des Stephanus zitiert:
FGrHist 328, F.2a (= Stephanus, Ethnica p.292 Billerbeck):
ἄστυ· ἡ κοινῶς πόλις. διαφέρει δέ, ὅτι τὸ μὲν κτίσμα δηλοῖ ἡ δὲ πόλις καὶ τοὺς πολίτας. „ἐκλήθη δὲ ἄστυ” ὡς Φιλόχορος ἐν ᾱ Ἀτθίδος (FGrHist 328 F 2a) „διὰ τὸ πρότερον νομάδας καὶ σποράδην ζῶντας τότε συνελθεῖν καὶ στῆναι ἐκ τῆς πλάνης εἰς τὰς κοινὰς οἰκήσεις, ὅθεν οὐ μετανεστήκασιν. Ἀθηναῖοι δὲ πρῶτοι τῶν ἄλλων ἄστη καὶ πόλεις ᾤκησαν“.
Aufgrund dieses seltenen Vorkommens und des auf den ersten Blick so unwahrscheinlichen inhaltlichen Kontextes – denn was haben Nomaden in Athen zu suchen, in einer Stadt, die sich als hochkultureller Mittelpunkt der griechischen Welt sah? – ist die Textpassage von dem Herausgeber der Fragmente der griechischen Historiker, Felix Jacoby, sogar dem hier zitierten Autor Philochoros entzogen (athetiert) worden, also als vermeintlich falsch ‚gelöscht’ worden.
Die Übersicht der Kookkurrenzen und die graphische Visualisierung der Kookkurrenzergebnisse verweist jedoch auf einen semantischen Kontext, der eine nomadische Phase in der Entwicklung der Athener angenommen hat, die antike Autoren in einen größeren Zusammenhang der attischen Geschichte eingebunden haben. [16] Im Ergebnis hat sich aus der detaillierten Analyse gezeigt, dass sich dieser Gedanke nicht nur hier, sondern bei einer ganzen Gruppe von antiken Historikern, den sogenannten Atthidographen, in ein ganz anderes als bisher angenommenes Geschichtsbild integriert hat.
Der Vergleich mit anderen, früheren Texten – wie z.B. dem berühmten Mythos des Protagoras, der diese Argumente in dem vielleicht geschlossensten Kontext präsentiert, [17] - erlaubt es, die bei Philochoros erwähnte nomadische Lebensform als eigene Phase innerhalb der attischen Überlieferung genauer einzuordnen. Denn νομάδας tritt hier auch in der Kookkurrenz zu σποράδην (verstreut/verstreut lebend, ein typisches Attribut des nomadischen Lebens) auf und verweist auf Androtion, einen im 4. Jahrhundert über Athen schreibenden Autor. Androtion beschreibt Kadmos und seine Schar mit ganz ähnlichen Formulierungen wie Philochoros die Athener (νομάδας καὶ σποράδην ζῶντας - Ὅθεν διὰ τὸ συμμιγὲς καὶ σποράδην εἶναι).[18]
Philochoros nun wiederum, ebenso also auch vor ihm schon Androtion, verbindet diese unterschiedlichen Elemente zu einem kohärenten Ganzen. Beide haben sowohl den nomadischen Urzustand aller Griechen (s.o. Frg. 2b) wie ihn auch die sophistischen Kulturentstehungslehren bereits formuliert hatten, als auch die Besonderheit der Athener als der ersten Polisgründer, stehen also hierin einer längeren, gemeinsamen Traditionslinie. Darüberhinaus haben sie offenbar auch ein explizites Kulturfolgenmodell vertreten, das die gesellschaftlich-politische Entwicklung in Athen von einem nomadischen Urzustand hin zur Polis konstruierte.
Wie aus den Kookkurrenzen deutlich wird, ist sowohl die Athetierung durch Felix Jacoby falsch als auch die bisherige Ansicht, die in den Atthidographen eine für die griechische Historiographie bedeutungslose und wenig elaboriert schreibende Gruppe von Autoren sahen.
Hier zeigt sich, dass die Kookkurrenzanalyse sowohl in der graphischen Visualisierung als auch in den signifikanten Kookkurrenzen wie in den Nachbarschaftskookkurrenzen auf einen aussagekräftigen, semantischen Zusammenhang hinweist, der über herkömmliche Suchmethoden (Wortsuche, kombinierte Wortsuche) nicht direkt erschließbar ist und auch über die klassische Methode der Quellenerschließung hinausweist.
5. Konstruktion von Überlieferung vs. Visualisierung von
Quellennetzwerken
Das traditionelle Ordnungssystem von Autor und Werk führt zu Klassifikationen, die die Verhältnisse zwischen Texten in einer historischen Linearität sehen, d.h. Vorgänger, Nachfolger und daraus sich ergebende Abhängigkeiten entsprechend strukturieren. Exemplarisch lässt sich dies anhand der Abhängigkeitsmodelle für Handschriften in Form von Stemmata darstellen:
Aber auch inhaltliche Beziehungen werden nach diesem Schema modelliert, wie sich aus der Darstellung zur Entwicklung der antiken Doxographie in Form eines Stemmas zeigt:
Hier definieren die Bezüge zwischen dem einen Text, seinen Vorgängern, Nachbarn und Nachfolgern eine unterordnende und hierarchisierende Beziehung.
Dies ist gegenüber den vielfältigen Möglichkeiten, in denen Texte zueinander in Beziehung stehen können, eine gewisse Vereinfachung und kann ebenfalls zu der bereits beschriebenen Dekontextualisierung führen.
Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob eine digital operierende Textanalyse hierfür einen anderen, eventuell für die Fragen nach Repräsentationen der komplexeren Beziehungen von Texten besser geeigneten Weg aufzeigen kann. [19] Die Frage ist also, ob und wie im Unterschied zu herkömmlichen Quellenvergleichen, die ›linear‹ mehrere Editionen nebeneinander betrachten, die Beschränkung durch eine Auswahl solcherart aufgehoben werden und auch die Verbindung zu den vorangegangenen und nachfolgenden Texten vollständig angezeigt werden kann.
Wenn dies gelingen soll, dann müssen die Texte, die in einem bestimmten Werk benutzt werden, identifizierbar sein und bleiben: Aufgrund der von der Editionspraxis vorgegebenen Autorenzuordnung werden sie zwar nach wie vor einem Autor zugewiesen, dies darf jedoch nicht so erfolgen, dass Rezeption und Nachwirkung nicht mehr vollständig dargestellt werden. Daraus folgt weiterhin, dass die Quellensammlungen, die Fragmente oder andere Quellen zu Werkkontexten oder Autorenwerken rekonstruieren, sichtbar bleiben müssen.
Eine Möglichkeit, diese unterschiedlichen Beziehungen zu repräsentieren, und zwar ohne eine präjudizierende Auswahl, auch ohne dass eine die spätere Interpretation vorwegnehmende Hierarchie impliziert und ohne dass eine ebenfalls schon als Interpretation zu betrachtende Setzung von Markierungen verwendet wird, ist die Vorstellung von einem Netzwerk, in dem die unterschiedlichen Relationstypen nicht hierarchisch angeordnet sind, so dass die verschiedenen Relationstypen als Kanten und die Texte der verschiedenen Epochen als Knoten dargestellt werden:
In Anlehnung an Genette, der von einer »coprésence entre deux ou plusieurs textes« ausgeht, die sich als »présence effective d’un texte dans un autre« äußert, muss zu dieser Netzwerkkonzeption jedoch noch eine weitere Ebene kommen, die nicht nur die Beziehung der Texte unter- und zueinander beschreibt, sondern auch die Ähnlichkeits- und Differenzbeziehungen selbst in den Blick nimmt.[20]
In einer Netzwerkvisualisierung ist es möglich, die Texte der Autoren darzustellen – z.B. in den oben beschriebenen Beziehungsebenen der Autoren A – G, so dass die unterschiedlichen Beziehungen und Abhängigkeiten abgebildet werden können. Dies reduziert nicht die Komplexität der hier abstrakt beschriebenen Beziehungen, bietet aber eine Form der Übersicht, die sonst nicht zu erreichen ist. Eine solche Netzwerkvisualisierung kann demnach ein Quellennetzwerk mit folgenden Ebenen darstellen:
- der Text von A wird in seiner Beziehung zu B, C, ... dargestellt, d.h. die in einem Text vom Autor selbst verwendeten Quellentexte werden als Relation abgebildet (erste Ebene)
- der Text von A wird außerdem in seinem Verhältnis zu D, E, F ... dargestellt, d.h. im Verhältnis zu den Texten späterer Zeit, in denen Passagen aus dem Text des Autors A erhalten sind (zweite Ebene)
- der Text von F, G, ..., d.h. die modernen Fragmentsammlungen mit ihren rekonstruierten Werkkontexten werden ebenfalls abgebildet (dritte Ebene).
Hierfür müssen die Datensätze flexibler als in einer herkömmlichen, relationalen Datenbank modelliert werden. Es bietet sich an, Graphentechnologien zu verwenden, d.h. mit einem graph-basierten Datenmodell zu arbeiten, das einerseits die verschiedenen Schichten als Ebenen darstellen kann und beliebig viele Eigenschaften in der Vernetzung ermöglicht und sich für eine Netzwerkvisualisierung eignet.
6. Ein Quellennetzwerk bei Plutarch
Dies soll hier am Beispiel der Werke Plutarchs mit Hilfe des Netzwerkvisualisierungsprogramms Gephi[21] durch ungerichtete, attributierte Graphen mit Labeln demonstriert werden.[22]
Für Plutarchs erhaltenes Gesamtwerk (ca.128 Werke, die er bis zu seinem Tod 125 n.Chr. verfasst hat)[23] zeigt sich ein solches Quellennetzwerk in einer sehr komplexen Darstellung. In der Abbildung 10 ist eine Einstellung mit zeitlicher Eingrenzung gewählt, d.h. alle Texte und Autoren werden angezeigt, die vor Plutarch geschrieben haben. Plutarch hat also viel aus Euripides, Homer und Aristoteles zitiert, ein wenig erstaunlicher Befund, da es sich hierbei um die am häufigsten in der Antike zitierten Autoren handelt.
In Abbildung 11 ist ein Filter gewählt worden,[24] so dass von den Autoren, die entweder von Plutarch verwendet wurden, oder aus Plutarch zitieren oder dieselben Quellen wie er benutzt haben, nur diejenigen mit den häufigsten Nennungen dargestellt sind: Stobaios, die Suda, Eustathius, die Scholien und die Anthologia Graeca; gleichermaßen verweisen die Bezüge wieder auf Parallelen in den Zitaten aus Euripides, Homer und Aristoteles hin, wiederum ein wenig erstaunlicher Befund.
Eine auffällige Konzentration ist hier für das Werk ›Placita Philosophorum‹ zu erkennen. Diese ›Placita Philosophorum‹, eine Zusammenstellung der Meinungen der antiken Philosophen und deren Schulen zu Themen der Natur, der Kosmologie, der Ethik – also eine Art antiker Philosophiegeschichte –, gelten seit Hermann Diels nur als Epitome aus einem größeren Werk, das Diels einem gewissen »Aëtius« zugeschrieben hat und daher wurden die ›Placita Philosophorum‹ von ihm Plutarch ab- und einem Pseudo-Plutarch zugesprochen.[25] Diese ebenso geniale wie spekulative Konstruktion von »Aëtius« durch Hermann Diels beherrscht seither alle Überlegungen zu den ›Placita Philosophorum‹: Der Autor wird als Pseudo-Plutarch bezeichnet, obwohl die Schrift Bestandteil des Konvoluts an Schriften der ›Moralia‹ Plutarchs gewesen ist.[26] Die Visualisierung zeigt hier die Parallelen zwischen der Anthologie des Johannes Stobaios und den ›Placita Philosophorum‹.[27] Dies ist an sich nicht überraschend und war bekanntlich einer der Gründe, der zu den Untersuchungen mit dem beschriebenen Ergebnis bei Diels geführt hat.
Noch deutlicher wird diese Beziehung, wenn man für den Vergleich, wie in Abbildung 12 gezeigt, weitere statistische Berechnungen durchführt (Modularity, Closeness Centrality).[28]
Im Detail zeigen sich dann sehr aufschlussreiche Parallelen, d.h. eine Beziehung zwischen den ›Placita Philosophorum‹, Empedokles und dem Werk ›Adversus Colotem‹ des Plutarch:
Bei Plutarch findet sich in dem Werk ›Adversus Colotem‹ eine zentrale Passage aus dem Fragment Empedokles B8. Dieses Fragment wird in der gesamten griechischen Literatur nur in diesem Werk Plutarchs und in den Placita Philosophorum (885 d6-9) mit allen 4 Versen in dieser Länge zitiert (hier nach Adv.Col.1111f.):
ἄλλο δέ τοι ἐρέω· φύσις οὐδενὸς ἔστιν ἑκάστου
θνητῶν, οὐδέ τις οὐλομένη θανάτοιο γενέθλη·
ἀλλὰ μόνον μῖξίς τε διάλλαξίς τε μιγέντων
ἔστι, φύσις δ' ἐπὶ τοῖς ὀνομάζεται ἀνθρώποισι.
Insofern verweist die Visualisierung für diesen Fall auf eine enge Verbindung zwischen den ›Placita Philosophorum‹ und Plutarch unabhängig von Stobaios. Einerseits bestätigt dies die vielfach schon geäußerte Meinung, dass der Autor der ›Placita Philosophorum‹ (sei es nun Plutarch oder ein anderer Autor) und Stobaios auf z.T. unterschiedliche Vorlagen zurückgegriffen haben müssen.[29] Andererseits gibt die visualisierte Form der Beziehung dieser Textpassagen, nicht basierend auf einer editorischen Zuordnung, einen sehr sichtbaren und schnell zu erkennenden Hinweis auf einen textuellen Zusammenhang, der sich in der wissenschaftlichen Diskussion und der editorischen Kontextualisierung aufgrund der oben beschriebenen editorischen Praxis zu einer dermaßen komplexen Situation entwickelt hat, dass er nur schwer zu erkennen ist und vor allem in seiner weitreichenden Verflechtung der Texte so nicht bekannt ist.[30]
7. Fazit
Die hier gewählte Vorgehensweise impliziert eine ordnungstheoretische Strukturierung von Wissen, die den Text so weit essentialisiert, dass Autor und Kontext vollständig in den Hintergrund treten. Angewandt auf das Erkennen von Beziehungen zwischen Texten bedeutet dies, dass Beziehungen unabhängig von der Kontextualisierung durch Interpreten, Herausgeber und Editoren dargestellt werden. So entsteht durch diese automatische Extraktion eine Art Referenz, die es erlaubt, die je nach Herausgeber und Interpret völlig verschiedenen Ergebnisse zu den Klassifizierungen von Relationen auf einen – nicht aus der individuellen Interpretation hervorgegangen - Maßstab zu beziehen. Dies zeigt, dass das bekannte Problem, das W. Burkert treffend so formuliert hat: „Es gibt von einem bestimmten Punkt an nur noch persönliche Lösungen, doch auch über jenen Punkt ist kaum Einigung zu erzielen“,[31] heute – im Zeitalter der Digitalisierung – durchaus neu angegangen werden kann.
Fußnoten
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[1]Scharloth et al. 2013, S. 345–380.
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[2]Bubenhofer / Scharloth 2015, S.1–26.
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[3]
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[4]Scheuermann 2016, passim.
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[5]Kramer 2011, S. 371ff.
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[6]Romanello et al. 2009, S. 158.
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[7]Vgl. Schepens 1997, S. 166, der die Situationen unterscheidet, in denen kein Kontext oder ein reduzierter bzw. ein ganz anderer Kontext vorliegt.
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[8]Z.B. Diogenes, vgl. Heslin 2017 oder die Suchfunktionen in TLG-online, vgl. Thesaurus Linguae Graecae (TLG) 2014 oder in Perseus, vgl. Crane 2018.
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[9]Ausführlich beschrieben von J. Wittig in der eAQUA-Dokumentation / Wissensdatenbank, vgl. Wittig 2018. Die folgenden Beispiele sind mit der Methode der in eAQUA implementierten Kookkurrenzanalysen durchgeführt worden, vgl. Schubert 2010a, passim.
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[10]Die digitalisierten Werke der antiken griechischen und lateinischen sowie der byzantinischen Literatur stehen im Thesaurus Linguae Graecae (TLG), der Bibliotheca Teubenriana Latina Online (BTL), der Patrologia Latina (Open Greek and Latin und Corpus Corporum), der Library of Latin Texts, der Perseus Digital Library, der Latin Library zur Verfügung.
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[11]Z.B.: TLG-online: περικλέους: 614 [TLG-E: 572], περικλέα: 396 [TLG-E: 373]; περικλεῖ: 176 [TLG-E:169]. Die folgenden Analysen sind, wenn nicht anders erwähnt, auf der Grundlage der Texte und Editionen aus dem TLG-E (vgl. Anm. 10) und mit den Tools des Portals eAQUA durchgeführt worden.
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[12]Mehrfaches Auftreten von ἀντιπολιτεύεσθαι in versch. Formen; insg. im Korpus eine seltene Kookkurrenz: 16 x, daher hier Visualisierung nach dem Maß Loglikelihood.
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[13]Ruschenbusch 1980, passim; ausführlich zu der Bedeutung von ἀντιπολιτεύεσθαι Schubert 2008, S. 129–152; Gauger / Gauger 2010 zu Theopomp F91.
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[14]Schol. Ar. Vesp. 947a-c = Androtion FGrHist 324 F43; Theopomp FGrHist 115 F91; Philochoros FGrHist 338 F120. Ammonius Gramm. 143,1 Nickau = Theopomp F261.
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[15]Ausführlich dazu Schubert 2010b, S. 259–275.
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[16]Asty, im allgemeinen <identisch mit> πόλις. Ein Unterschied liegt jedoch darin, dass asty die Gründung, πόλις aber auch die Bürger bezeichnet. »Städtische Siedlung (asty) sagte man,« wie Philochoros im ersten Buch der Atthis (FGrHist 328 F 2a) <erklärt>, »deshalb, weil die Menschen, die früher als Nomaden und vereinzelt lebten, sich damals zusammenschlossen und vom Umherziehen zum Verbleib in gemeinsamen Siedlungen übergingen, aus welchen sie nicht mehr auszogen. Die Athener aber haben früher als alle anderen Städte sowie Stadtstaaten gegründet und besiedelt«.
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[17]Plat., Prot. 320 c8-322 d5 = DK 80 C1.
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[18]Zu Kadmos im 4. Jahrhundert in Athen vgl. Kühr 2010, S. 86.
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[19]
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[20]Vgl. Genette 1982, S. 7ff.
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[21]Gephi ist hier als Visualisierungsmethode gewählt worden, da das Programm eine der gängigsten Anwendungen ist, um Beziehungen zwischen Entitäten zu visualisieren. Graphische Layouts auf der Grundlage von force based Algorithmen (wie etwa Circular Layout und Force Atlas 2 Layout in dem Netzwerkvisualisierungsprogramm Gephi) zeigen die Autoren und Texte selbst als Knoten, wobei die Größe der Knoten die Häufigkeit einer Nennung repräsentiert und die Nähe der Knoten sowie die Dicke der Kanten die Stärke der Beziehung anzeigen. Die Quellentexte (in den Editionen des TLG-E) sind hier auf der Grundlage von String-Matching-Algorithmen in Textpassagen zerlegt worden, so dass alle Parallelpassagen innerhalb der zu vergleichenden Texte identifiziert werden können. Auf dieser Grundlage werden den Textpassagen die Autorennamen, Werknamen, Datierungen und Genreklassifizierungen als Metadaten zugeordnet. Diese werden in Form von CSV-Tabellen extrahiert und können so als Edges und Nodes mit Labels modelliert und in Gephi als Netzwerk visualisiert werden, vgl. ausführlich Schubert 2016, passim.
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[22]Ausführlich dazu Schubert 2016, passim; vgl. für einen ähnlichen, auf die graph-basierte Datenmodellierung für mittelalterliche Textquellen bezogenen Ansatz jetzt neuerdings Kuczera 2017, passim.
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[23]Ein antiker Katalog, dessen Verfasser als Lamprias überliefert ist, nennt 227 Titel, von denen mehr als 120 erhalten sind, vgl. Treu 1873.
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[24]Gewählt wurden zuerst Modularity (Modularität), weil sie die Teile des Netzwerks hervorhebt, und Closeness Centrality (Nahzentralität), da sie die Stellung eines Knotens im Verhältnis zum gesamten Netzwerk zeigt. Filter: Topology / Giant Component / Degree Range 19–91, um die weniger relevanten Knoten auszublenden, die für die ausgewählten Beziehungen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Titel der Werke sind hier nur gekürzt verwendet, um die Übersichtlichkeit und Lesbarkeit der Abbildung zu ermöglichen. Hier für die Datenaufbereitung verwendete Ausgabe der ›Placita Philosophorum‹, vgl. Mau 1971 und für Stobaios die Ausgabe von Wachsmuth / Hense 1958.
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[25]Zu der heutigen Diskussion um die namentliche Identifizierung des Namens, der nur aus Theodorets Curatio (Curatio II, 95; IV, 31; V, 16, vgl. Canivet 1958) erhalten ist: Lebedev 1988 / 2013; Bremmer 1998, S. 154–160; Bottler 2014, S. 15ff.
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[26]Die neuere Diskussion bei: Mansfeld / Runia 1997, passim; Mansfeld / Runia 2009, passim und Mansfeld / Runia 2010, passim.
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[27]Diels 1879, passim.
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[28]Zu den Berechnungsverfahren: Gewählt wurden insb. Modularity (Modularität), weil sie die Teile des Netzwerks hervorhebt, und Closeness Centrality (Nahzentralität), da sie die Stellung eines Knotens im Verhältnis zum gesamten Netzwerk zeigt. Anschließend sind die gleichen Filter angewendet worden wie für die Visualisierung in Abbildung 11.
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[29]Die Differenzen zwischen dem Zitat in ›Adversus Colotem‹ und in den ›Placita‹ lassen sich demgegenüber leicht darauf zurückführen, dass Plutarch in ›Adversus Colotem‹ aus dem Gedächtnis zitiert haben kann, während die Placita offenbar auf Exzerpierarbeit beruhen, vgl. ausführlich Schubert 2017, S. 43–57.
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[30]Vgl. Mansfeld / Runia 1997, passim; Mansfeld / Runia 2009, passim und Mansfeld / Runia 2010, passim.
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[31]Burkert 1998, S. 315.
Bibliographische Angaben
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- Noah Bubenhofer / Joachim Scharloth / David Eugster: Rhizome digital: Datengeleitete Methoden für alte und neue Fragestellungen in der Diskursanalyse. Siehe auch Preprint PDF: [online] In: Diskurs - Interpretation - Hermeneutik. Hg. von Reiner Keller / Werner Schneider / Willy Viehöver. Weinheim 2015, S. 144–172. (= Beiheft der Zeitschrift für Diskursforschung, 1) [Nachweis im GVK]
- Noah Bubenhofer / Joachim Scharloth: Maschinelle Textanalyse im Zeichen von Big Data und Data-driven Turn – Überblick und Desiderate. Siehe auch E-print PDF: [online] In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 43 (2015), H. 1, S. 1–26. [Nachweis im GVK]
- Walter Burkert: Pythagoreische Retraktationen: Von den Grenzen einer möglichen Edition. In: Fragmentsammlungen philosophischer Texte der Antike. Hg. von Walter Burkert. Göttingen 1998, S. 303–319. [Nachweis im GVK]
- Pierre Canivet: Thérapeutique des maladies helléniques. Théodoret de Cyr. 2 Bde. Paris 1958. (= Sources chrétiennes, 57) [Nachweis im GVK]
- Hermann Diels: Doxographi Graeci. Berlin 1879. [Nachweis im GVK]
- Fragmente der Historiker. 2. Bde. Stuttgart 2010. Bd. 1: Theopomp von Chios. Hg., übers., eingel. und kommentiert von Barbara Gauger / Jörg-Dieter Gauger. [Nachweis im GVK]
- Gerard Genette: Palimpsestes. La littérature au second degré. Paris 1982. [Nachweis im GVK]
- Angela Kühr: Als Kadmos nach Boiotien kam. Polis und Ethnos im Spiegel thebanischer Gründungsmythen. Stuttgart 2010. [Nachweis im GVK]
- Johannes Kramer: Von der Papyrologie zur Romanistik. Berlin u.a. 2011. [Nachweis im GVK]
- Andreas Kuczera: Graphentechnologien in den digitalen Geisteswissesncachaften. In: ABI Technik 37 (2017), H. 3, S. 179–196. [Nachweis im GVK]
- Alexander V. Lebedev: Aëtius, Arius Didymus and the Transmission of Doxography. Siehe revidierte Fassung mit Postscript von 2013. PDF: [online] In: Philosophie et culture. Actes du XVII. Congrès Mondial de Philosophie. Hg. von Venant Cauchy. (Congrès Mondial de Philosophie: 17, Montreal, 21.-27.8.1983) 5 Bde. Montreal 1988. Bd. 3: 1988, S. 813–817. [Nachweis im GVK]
- Paul Maas: Textkritik. 4. Auflage. Leipzig 1960. [Nachweis im GVK]
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- Jaap Mansfeld / David T. Runia: Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer. 3 Bde. Leiden u.a. 2009. Bd. 2,1 und 2,2: The Compendium. [Nachweis im GVK] [Nachweis im GVK]
- Jaap Mansfeld / David T. Runia: Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer. 3 Bde. Leiden u.a. 2010. Bd. 3: Studies in the Doxographical Traditions of Ancient Philosophy. [Nachweis im GVK]
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- Charlotte Schubert: Die Visualisierung von Quellennetzwerken am Beispiel Plutarchs. DOI: 10.11588/dco.2016.1.23825 In: Digital Classics Online 2 (2016), H. 1, S. 68–87. [online]
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- Max Treu: Der sogenannte Lampriascatalog der Plutarchschriften. Waldenburg/Schlesien 1873. [Nachweis im GVK]
- Ioannis Stobaei Anthologium. Hg. von Curt Wachsmuth / Otto Hense. 5 Bde. Neudruck der Ausgabe 1884-1912. Berlin 1958. [Nachweis im GVK]
- Martin Litchfield West: Textual Criticism and Editorial Technique, applicable to Greek and Latin texts. Stuttgart 1973. [Nachweis im GVK]
- Jens Wittig: eAQUA Wissensdatenbank. Neue Methoden in den Geistenwissenschaften. Hg. von der Universität Leipzig, Historisches Seminar, Lehrstuhl für Alte Geschichte. Leipzig 2018. [online]
Webseiten
- Corpus Corporum. Repositorium operum Latinorum apud universitatem Turicensem. Hg. von der Universität Zürich. CC BY-SA. Zürich 01.03.2018. [online]
- Die digitale Transformation weiter gestalten – der Beitrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu einer innovativen Informationsinfrastruktur für die Forschung. Hg. von der Deutschen Forschungs Gemeinschaft. Pressemitteilung Nr. 29. Bonn 03.07.2012. [online]
- Diogenes. Hg. von Peter J. Heslin. Version 3.0.7. 2007. [online]
- Gephi. The Open Graph Viz Platform. Hg. von Gephi Consortium. Version 0.9.2. 2017. [online]
- Latin Library. Hg. von William L. Carey. George Mason University. Public Domian. Fairfax, VA. 2018. [online]
- Library of Latin Texts (LLT). Hg. von Brepols. Turnhout 2014. [online]
- Patrologia Latina. Open Greek and Latin Project. Hg. von der Universität Leipzig, Institut für Informatik. CC BY-SA. Leipzig 2018. [online]
- Perseus Digital Library. Hg. von Gregory R. Crane, Tufts University. Version 4.0. Medford, MA. 2018. [online]
- Thesaurus Linguae Graecae (TLG). A Digital Library of Greek Literature. Hg. von der University of California. Irvine, CA. 2014. [online]
Abbildungsnachweise und –legende
- Abb. 1: Kookkurrenzgraph für das Suchwort Περικλεῖ.
- Abb. 2: Quellenbelege für die Kookkurrenz Περικλεῖ und ἀντιπολιτευσάμενος, Kookkurrenzsuche des Suchworts Περικλεῖ und Wortbaum.
- Abb. 3: Kookkurrenzgraph für das Suchwort Ἀτθίδος mit der Kookkurrenz zu νομάδας.
- Abb. 4: Quellenbelege für die Kookkurrenz Ἀτθίδος und νομάδας aus der Kookkurrenzsuche des Suchworts Ἀτθίδος, Wortbaum zu νομάδας.
- Abb. 5: Kookkurrenz von νομάδας und σποράδην mit der Kante zu Androtion.
- Abb. 6: Quellenbelege für die Kookkurrenz νομάδας und σποράδην.
- Abb. 7: Stemma aus West 1973, S. 13.
- Abb. 8: Stemma aus Maas 1960, S. 7.
- Abb. 9: Hermann Diels’ Modell der antiken Doxographie. Nach Mansfeld / Runia 1997, S. 4.
- Abb. 10: Quellennetzwerk Plutarchs mit zeitlicher Eingrenzung auf die Zeit bis zu Plutarchs Lebenszeit (125 n.Chr.)
- Abb. 11: Visualisierung der von Plutarch in seinem gesamten Werk häufig verwendeten Textpassagen sowie deren Auftreten in den Werken späterer Autoren.
- Abb. 12: Visualisierung der von Plutarch in seinem gesamten Werk häufig verwendeten Textpassagen sowie deren Auftreten in den Werken späterer Autoren.
- Abb. 13: Vergrößerte Detailansicht aus Abbildung 9 mit der Beziehung zwischen den ›Placita Philosophorum‹, Empedokles und der Schrift Plutarchs ›Adversus Colotem‹ (Moralia 1107d-1127e).