Everything is Illuminated. Zur Numerischen Analyse von Farbigkeit in Filmen

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Johannes Pause Autoreninformationen
Niels-Oliver Walkowski Autoreninformationen

DOI: 10.17175/2018_003

Nachweis im OPAC der Herzog August Bibliothek: 1024436837

Erstveröffentlichung: 24.09.2018

Lizenz: Sofern nicht anders angegeben Creative Commons Lizenzvertrag

Medienlizenzen: Medienrechte liegen bei den Autoren

Letzte Überprüfung aller Verweise: 20.09.2018

GND-Verschlagwortung: Filmwissenschaft | Farbmetrik | Zombie |

Empfohlene Zitierweise: Johannes Pause, Niels-Oliver Walkowski: Everything is Illuminated. Zur Numerischen Analyse von Farbigkeit in Filmen. In: Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften. Wolfenbüttel 2018. text/html Format. DOI: 10.17175/2018_003


Abstract

Der vorliegende Beitrag untersucht mittels einer computergestützten Herangehensweise die farbliche Gestaltung der Mise-en-scène in den drei Zombiefilmen REC, 28 Days Later und World War Z. Ausgehend von einer Evaluation methodischer Probleme gängiger Clusteranalyse-Verfahren zur Farbquantifizierung im Kontext filmwissenschaftlicher Analysen wird ein eigenes Verfahren vorgestellt, das auf der Farbkontrasttheorie Johannes Ittens aufbaut. In einer einfachen statistischen Erhebung zweier Kontrastverhältnisse wird am Beispiel der genannten Filme gezeigt, dass dieses Verfahren in der Lage ist, unterschiedliche stilistische Merkmale der filmischen Farbgestaltung aufzuzeigen. Die Analyse der drei Werke macht zudem deutlich, dass Akzentuierungen innerhalb farblicher Kontrastverhältnisse hier jeweils andere Funktionen erfüllen: Sie können die narrative Struktur des Films markieren, bestimmte Motive hervorheben oder die ästhetische Dimension des Films gerade als autonome Sphäre kenntlich werden lassen.


The article analyses the composition of colour in the mise-en-scène of the zombie-movies REC, 28 Days Later and World War Z via a computer based approach. It first evaluates some of the methodological problems of common colour-quantisation by using clustering-algorithms in the context of film studies, then a new developed process is presented which builds on the theory of colour contrasts by Johannes Itten. A simple statistical analysis of two contrast ratios for each of the movies demonstrates that this approach is capable of providing detailed insights into the composition of colour in movies in general. Furthermore, the analysis of the three movies reveals that the accentuation of colour contrast relations serves different functions: colours can support the narrative structure of the movie, emphasize repeating motifs or establish an autonomous aesthetic space.



1. Einleitung und Forschungsstand

Die Farben des Films, so schrieb die Romanistin Wendy Everett 2007 im Vorwort zu einem der wenigen diesem Thema gewidmeten Sammelbände, seien innerhalb der Filmtheorie so etwas wie »the last great wilderness, the one remaining area yet to be explored, mapped, and charted.«[1] Diese Einschätzung hat bis heute Gültigkeit, auch wenn inzwischen einige neue filmwissenschaftliche Ansätze vorliegen, die sich den unterschiedlichen Aspekten von Farbigkeit unter anderem mit Hilfe numerischer Verfahren nähern. Wie im Folgenden erläutert wird, sieht sich jede Berechnung von Farbigkeit dabei einer Reihe von Problemen gegenüber, die aus der Komplexität des Gegenstands selbst resultieren: Im Kontrast zu ihrer selbstverständlichen Gegebenheit im Alltag werden Farben denjenigen schnell zum philosophischen Rätsel, die sich wissenschaftlich mit ihnen beschäftigen. Zudem sind die Einsatzmöglichkeiten und Funktionen von Farben in der Kunst und vor allem im Spielfilm so facettenreich wie schwer zu systematisieren.

In Abschnitt 1-3 dieses Aufsatzes werden einige dieser Probleme erörtert; zudem wird ein Zugriff vorgeschlagen, der numerische und hermeneutische Verfahren miteinander verbindet. Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes in Richtung einer Untersuchung großer Korpora ist angelegt, wird aber nicht als notwendig begriffen: Auch im Rahmen einer Interpretation einzelner Werke und mithin der Filmanalyse, die neben der Filmgeschichte und der Filmtheorie als eine der drei Säulen filmwissenschaftlicher Arbeit gilt, können computergestützte Analyseverfahren - so die hier vertretene These - einen Mehrwert darstellen, machen sie doch ästhetische Elemente eines filmischen Werkes sichtbar, die ansonsten unbemerkt bleiben würden. Um diesen Mehrwert kenntlich zu machen, werden in Abschnitt 4 des Aufsatzes drei Filme vergleichend untersucht, in denen Farbe auf ersten Blick als ein ästhetisches Gestaltungsmittel unter vielen erscheint. Die Interpretationen zielen dabei selbst nicht in erster Linie auf eine Deutung der Farben; vielmehr werden mögliche politische Lesarten der Filme angedeutet, die jedoch, wie gezeigt wird, durch die computergestützte Analyse der ästhetischen Programme der Filme jeweils untermauert werden können. Das entwickelte Verfahren bietet daher nicht nur einen Ansatz für eine numerische Untersuchung von Farbigkeit im Film an, sondern zeigt auch exemplarisch auf, wie Verfahren der digitalen Filmwissenschaft als Instrumente filmanalytischer Arbeit eingesetzt werden können.

1.1 Farben in der Filmtheorie

In der Filmwissenschaft ist Farben über lange Zeit mit Skepsis begegnet worden. Die Auseinandersetzung der frühen Filmtheorie mit den ästhetischen Möglichkeiten des Farbfilms war zunächst von einem grundsätzlichen Misstrauen in dessen Kunstfähigkeit, wenn nicht gar von einer regelrechten »Chromophobie«[2] gekennzeichnet. Zentral war für Denker wie Kracauer, Balasz oder Arnheim dabei die Frage nach dem Realitätseindruck des Films, der je nach Argumentation durch den Einsatz von Farben entweder – wie bei Arnheim – als zu stark betont oder – wie bei Kracauer – als zu stark gefährdet angesehen wurde.[3] Auch in der Filmwissenschaft der Gegenwart gelten die Farben des Films weiterhin als Desiderat. Verhältnismäßig umfangreich ist inzwischen die filmhistorische Forschung zu unterschiedlichen Farbfilmsystemen[4] sowie zur Komplexität der vielfältigen produktionsbedingten Aspekte, die – vom Filmmaterial über die Farbigkeit der Gegenstände bis hin zum Licht und zur digitalen Postproduktion – auf das Erscheinungsbild der Farben Einfluss nehmen.[5] Doch nicht nur die Produktion, auch die Wahrnehmung von Farben stellt ein theoretisch kaum fassbares Feld dar,[6] spielen in ihr doch Aufführungsbedingungen, Trägermedium, physiologische Gegebenheiten und kulturell-historische Prägungen zusammen.[7]

Wird in der Filmwissenschaft den sowohl auf Produktions- wie auch auf Rezeptionsseite verorteten theoretischen Hürden[8] zum Trotz gleichwohl eine Analyse von Farbigkeit vorgenommen, ist zumeist von Filmen die Rede, die durch besonders auffällige Farbsemantiken hervorstechen. Etwa von den farbdramaturgisch geradezu überbewussten Werken Hitchcocks wie Vertigo oder Marnie, in dem die titelgebende Protagonistin an einer traumatisch bedingten Abneigung gegen die Farbe Rot leidet.[9] Susanne Marschall beginnt ihre grundlegende Abhandlung zur Farbe im Kino mit in dieser Hinsicht paradigmatischen Beispielen aus dem zeitgenössischen asiatischen Film, in denen bestimmte Farben jeweils so massiv in den Vordergrund treten, dass die Handlung geradezu bedeutungslos wird.[10] Eine derartige Autonomie von Farben gilt vielen Interpreten als Anzeichen der Modernität eines Films, hatte doch auch die Malerei der klassischen Moderne die Farbe aus ihrer Bindung an Gegenstände und realistische Darstellungskonventionen befreit.[11] Besonders Edward Branigans Untersuchung zu Godards Farbsystem ist in dieser Hinsicht wegweisend, da sie nicht nur das Zusammenspiel verschiedener Farben, sondern auch das Zusammenwirken unterschiedlicher Aspekte von Farbigkeit – Farbwert, Helligkeit und Sättigung – erläutert, um Godards modernistische Verfremdung als realistisch geltender Einsatzformen von Farbe so genau wie möglich fassen zu können.[12] Farbe kann das Narrativ eines Films ferner regelrecht konterkarieren und so zu einer »alternative vision of history« beitragen.[13]

Stellen die genannten Analysen besonders kalkulierte Einsatzformen von Farbe in den Fokus, sollen im Rahmen der hier vorgeschlagenen numerischen Analyse von Farbigkeit genau solche Farbdramaturgien der interpretativen Arbeit zugeführt werden, welche einer klassischen filmanalytischen Perspektive mutmaßlich entgehen würden: Farbe wird – mit Hans Jürgen Wulff – nicht allein als Mittel eindeutiger ›Signifikation‹ oder als Medium modernistischer Kunstautonomie verstanden, sondern als grundlegender, da ›nicht substituierbarer‹ Aspekt der ästhetischen Gestaltung jedes Farbfilms. Dieser ist notwendigenfalls auch dort Teil ästhetischer Kalküle sowie filmischer Bedeutungsproduktion, wo er nicht augenfällig in den Vordergrund tritt: »Farbigkeit« ist »eine elementare Gegebenheit des filmischen Abbildens«, »weil die Farbigkeit der Dinge essentielles Merkmal der Wahrnehmungswelt ist.«[14] Wie zu zeigen sein wird, setzen filmische Werke Farben dabei sehr unterschiedlich ein: So können etwa motivische oder dramaturgische Funktionen in den Vordergrund treten, die sich jeweils mit umfassenderen ästhetischen Programmatiken in Verbindung bringen lassen. Diese werden im Folgenden durch eine Bezugnahme auf die pragmatische Farbtheorie Johannes Ittens um eine zusätzliche Differenzierung ergänzt, die eine prozessualisierbare sowie mit semantischen Traditionen verbundene Differenzierung der unterschiedlichen Aspekte von Farbigkeit zulässt.[15]

1.2 Farben in der digitalen Filmwissenschaft

Im Vergleich zu anderen Disziplinen sind computergestützte Analysemethoden in den Filmwissenschaften bisher eher wenig verbreitet. Erste Versuche einer Bestandsaufnahme finden sich bei Christian-Gosvig Olesen[16] und Patrick Vonderau [17]. Viele jener Projekte, die Farbstrukturen, -muster und -dynamiken von Filmen auf numerische Art und Weise zu untersuchen versuchen, entstammen dabei anderen Forschungsfeldern als den Filmwissenschaften. Zu nennen sind hier unter anderem Brodbecks Cinemetrics,[18] Bakers Spectrum[19] sowie die Projekte MovieBarcodes[20], Movieanalyzer[21] und das Informationssystem für die Analyse von Farbverteilungen in MovieBarcodes[22], die in den Bereichen Grafikdesign und Medieninformatik operieren. Den ersten Beiträgen ist ihre generelle Herangehensweise gemein, sowohl bzgl. der Methodik der Analyse als auch der Repräsentation der Ergebnisse. Alle teilen den zu untersuchenden Film zunächst in eine Serie von Einzelframes auf, wobei die Frequenz, in der diese Frames aus dem Film extrahiert werden, jeweils variiert. Es folgt eine Vereinfachung der Farbkomplexität jedes Frames. Diese Vereinfachung kann mittels einer linearen Sortierung aller im Frame vorhandenen Pixel nach Farbwerten (MovieBarcodes), durch die Berechnung eines farblichen Mittelwerts pro Frame (Baker) oder durch die Generierung einer reduzierten Farbpalette eines Frames (Brodback und Burghardt) erfolgen. Die Ergebnisse dieser Vereinfachung werden zumeist als Aneinanderreihung von Balken visualisiert (Abbildung 1), in der jeder Balken einen verarbeiteten Frame darstellt, wobei die Zeitachse von links nach rechts verläuft.

Abb 1: Farbprofil eines Films,
                           berechnet durch Movieanalyzer von Manuel
                           Burghardt. Screenshot aus The Lion King (USA 1994,
                           R.: Roger Allers, Rob Minkoff).
Abb 1: Farbprofil eines Films, berechnet durch Movieanalyzer von Manuel Burghardt. Screenshot aus The Lion King (USA 1994, R.: Roger Allers, Rob Minkoff).

Eine Verwendung dieser Ergebnisse im Rahmen filmwissenschaftlicher Fragestellungen ist bisher nicht erfolgt. Vielmehr stehen die Veröffentlichung und Vermarktung der generierten Visualisierungen bzw. das Ausprobieren von Möglichkeiten der Ergebnispräsentation im Vordergrund.

Dieser Gruppe von Aktivitäten gegenüber steht das Projekt ImagePlot aus dem Umfeld des Medienwissenschaftlers Lev Manovich[23]. Das auf dem wissenschaftlichen Bildverarbeitungsprogramm ImageJ[24] aufbauende Tool ermöglicht es unter anderem, Frames eines Films anhand spezifischer Farbeigenschaften in einem Koordinatensystem darstellen zu lassen. Ein von Manovich häufig hervorgehobener Unterschied zu den oben genannten Ansätzen ist die Beibehaltung des Filmbildes in der Visualisierung. Zudem ist für ImagePlot auch eine filmwissenschaftliche Verwendung dokumentierbar: Zum einen wird es von Manovich selbst in angegliederten Forschungsaktivitäten wie Visualizing Vertov[25] eingesetzt. Zum anderen wurde es aber auch von nicht mit ImagePlot assoziierten Projekten wie Mapping Desmet[26] adaptiert.

Ein weiteres Projekt, welches sich intensiver mit der numerischen Analyse von Farblichkeit in Filmen beschäftigt hat, ist das ACTION Projekt[27], welches zwischen 2011 und 2013 durchgeführt wurde. Das ACTION Toolkit[28], eine auf Python basierende Bibliothek zur Analyse unterschiedlicher filmischer Modalitäten wie Schnitt, Ton und Farbe, unterteilt Frames in acht Bildbereiche und berechnet für jeden Bereich ein Histogramm für Hell-Dunkel-Kontraste und Spektralfarbwerte. Mittels Distanzberechnungen zwischen den Frames eines Films, aber auch zwischen ganzen Filmen werden die farblichen Ähnlichkeiten ermittelt und auf Heatmaps veranschaulicht (Abbildung 2). Das Tool wird in zwei Anwendungsfällen für die Distanzmatrix mittlerer Distanzen von Farbhistogrammen der Filme Alfred Hitchcocks sowie für die automatische Zuordnung von Filmen und Regisseuren verwendet. Es kommt damit dem, was in anderen Disziplinen mit dem Begriff Stylometrie bezeichnet wird, am nächsten.

Abb 2: Distanzmatrix mittlerer
                           Distanzen von Farbhistogrammen der Filme Alfred Hitchcocks im ACTION Toolkit
Abb 2: Distanzmatrix mittlerer Distanzen von Farbhistogrammen der Filme Alfred Hitchcocks im ACTION Toolkit

Neben der bereits erwähnten Arbeit von Burghardt sowie den in diesem Aufsatz vorgestellten Ergebnissen stellt das ebenfalls schon genannte Projekt von Barbara Flückiger eine der ansonsten eher überschaubaren Aktivitäten numerischer Analyse von Farbe in einem filmwissenschaftlichen Kontext aus dem deutschsprachigen Raum dar. Eines der Ziele des Projektes besteht in der Entwicklung von computergestützten Verfahren der Filmanalyse, doch befassen sich die bislang veröffentlichten Ergebnisse vornehmlich mit Fragen der Filmgeschichte. Hinsichtlich der konkreten Analyse einzelner Werke lassen sie noch keine Rückschlüsse auf die zugrundeliegende numerisch-methodische Herangehensweise zu. Andere Ansätze für computergestützte Analysemethoden in den Filmwissenschaften wurden in Einzelbeiträgen der beiden Jahrestagungen 2016[29] und 2017[30] des deutschsprachigen Verbandes der Digital Humanities (DHd) vorgeschlagen. Frühere Untersuchungen im Kontext eines österreichischen Forschungsprojekts zum russischen Formalismus beschäftigten sich mit der numerischen Analyse von Kamerabewegungen.[31] Im April 2017 formierte sich eine eigenständige Arbeitsgruppe Film und Video innerhalb der DHd[32]. Umgekehrt wurde das Thema ›digitale Methoden‹ als ein eigenständiger von drei Blöcken auf dem zweiten Workshop der Arbeitsgruppe Filmwissenschaft der Gesellschaft für Medienwissenschaften positioniert[33].

2. Eine qualitative Begutachtung der Brauchbarkeit verschiedener Clusteringverfahren in der filmwissenschaftlichen Farbanalyse

Viele der genannten Ansätze ähneln sich darin, dass sie mit der Methode sogenannter Clusteranalysen arbeiten – in den meisten Fällen dem K-Means Algorithmus. Clusteranalysen sind im Bereich der numerischen Bildverarbeitung generell[34] sowie in der filmwissenschaftlichen Bildverarbeitung jenseits der Analyse von Farben weit verbreitet.[35] Die zentrale Bedeutung von Clusteranalysen bei der Untersuchung von Farbmustern in Filmen wird auch in der systematischen Evaluation des Feldes durch Stutz[36] betont.

Die Aufgabe von Clusteranalysen ist es, sich ähnelnde Daten innerhalb von Datensätzen automatisiert in Gruppen zu unterteilen. Auf diese Weise entsteht ein Datensatz mit Farbwertbestimmungen, der einen Frame eines Films oder eine Sequenz von Frames in Mengen sich ähnelnder Farbwerte gruppiert, die Cluster genannt werden. Ein konkretes Verfahren der Herstellung dieser Cluster ist ein Clusteringalgorithmus. Aufgrund der zentralen Stellung von Clusteranalysen bei der Untersuchung von Farbmustern begann die vorliegende Analyse mit dem Versuch, Clusteringalgorithmen für die filmwissenschaftliche Farbanalyse einzusetzen. Die Adaption des in diesem Kontext am häufigsten benutzten K-Means-Algorithmus verdeutlichte jedoch früh eine Reihe von Schwierigkeiten, die zunächst zu einem Austesten anderer Clusteringalgorithmen führten und schlussendlich einen neuen Ansatz entstehen ließen, der von einer Clusteranalyse generell Abstand nimmt. Die Probleme des Clusterings, die aufgrund der weiten Verbreitung dieser Methode im Folgenden kurz resümiert werden sollen, verweisen auf die unterschiedlichen Möglichkeiten, Farbe zu definieren und im Rahmen einer numerischen Analyse zu erfassen. Die Ordnungsdispositive verschiedener Clusteranalysen sind dabei bereits im Bereich des maschinellen Lernens, zu dem sie gehören, sowie auf viele Probleme im Kontext computergestützter Bildverarbeitung angewendet worden.[37] Eine Illustration dessen, was diese Dispositive aus der Perspektive der Filmwissenschaften bedeuten, steht hingegen noch aus.

2.1 K-Means

K-Means ist ein sogenannter Vektorquantifizierungsalgorithmus, der auch für die Clusteranalyse eingesetzt wird. Gründe für seine große Beliebtheit sind vorwiegend eine gute Performanz und seine einfache Anwendbarkeit.[38] Er ist außerdem in vielen Bibliotheken des maschinellen Lernens und der computergestützten Bildverarbeitung wie OpenCV[39] implementiert. Die abstrakte Funktionsweise des Algorithmus sieht eine anfänglich zufällige Setzung von zunächst fiktiven, sogenannten Clustermittelpunkten vor, deren Anzahl vor dem Start der Analyse manuell festgelegt werden muss und die der Anzahl der gewünschten Ergebniscluster entspricht. Diese Zahl wird mit k bezeichnet und gibt dem Verfahren seinen Namen. Danach werden unter Verwendung eines Distanzmaßes (euklidische Distanz) alle Datenpunkte dem ihnen am nächsten liegenden Clustermittelpunkt zugeordnet. Im Falle der Farbanalyse handelt es sich bei diesen Datenpunkten um die Bildpixel, die als Farbwerte repräsentiert werden. Die Zuordnung erlaubt es nun, den Clustermittelpunkt innerhalb der ihm zugeordneten Datenpunkte neu zu berechnen, also den durchschnittlichen Farbwert innerhalb einer Gruppierung zu bestimmen. Nach der Neuberechnung der Clustermittelpunkte werden nun wieder die Distanzen der Datenpunkte zu allen Clustermittelpunkten berechnet. Datenpunkte, die nach der Neuberechnung des Mittelpunktes einem anderen Clustermittelpunkt näher liegen als jenem, zu dem sie bei der ersten Berechnung gehörten, wechseln die Clusterzugehörigkeit. Der Prozess iteriert so lange, bis alle Datenpunkte dem Cluster zugeordnet sind, dessen Mittelpunkt ihnen am nächsten liegt, sodass eine Neuberechnung nichts mehr an der Zuordnung ändert.

Einige der Schwierigkeiten von K-Means im filmwissenschaftlichen Kontext leiten sich aus der Beschreibung seiner Funktionsweise ab, andere hingegen scheinen nicht unmittelbar evident. Zunächst bedeutet die Tatsache, dass die Anzahl der Ergebniscluster im Vorfeld festgelegt werden muss, dass der Wechsel zwischen hoher oder geringer farblicher Komplexität in der Analyse nicht ausreichend berücksichtigt werden kann. In farblich weniger komplexen Sequenzen können etwa mehrere Ergebniscluster optisch ähnliche Farben enthalten, während in farblich komplexeren Sequenzen unterschiedliche Farben in einem Cluster ›vermischt› werden. Der Effekt einer solchen Farbvermischung lässt sich in Abbildung 3 gut nachvollziehen, in der das Rot des Dachs sich mit dem Braun der Polizeiuniform verbindet und das Grün des Baums kaum zutage tritt.

Ein anderes Problem resultiert aus der zufälligen Setzung der Clustermittelpunkte. Diese führt zu leicht variierenden Endergebnissen, wenn K-Means mehrfach auf dasselbe Bild angewendet wird. Auch wenn die Abweichungen mathematisch gesehen gering sind, erweisen sich diese Differenzen im Farbeindruck in einzelnen Fällen als signifikant. Die Varianz im Bereich zwischen drei und sieben Ergebnisclustern erwies sich in den Experimenten dabei als besonders groß. Da bisherige Anwendungen von K-Means im filmwissenschaftlichen Kontext in der Regel mit höchstens sieben Ergebnisclustern operieren, erweisen sich die Ergebnisse in vielen Fällen als ungenau.

Abb 3: Clusteranalysen eines
                           Frames aus The Walking Dead (USA 2010-). Zitiert
                           nach DVD The Walking Dead. Die komplette erste
                              Staffel. (WVG Medien GmbH, 31. Mai 2013).
Abb 3: Clusteranalysen eines Frames aus The Walking Dead (USA 2010-). Zitiert nach DVD The Walking Dead. Die komplette erste Staffel. (WVG Medien GmbH, 31. Mai 2013).

Durch die mehrmalige Anwendung von K-Means auf dasselbe Bild und den Silhouettenkoeffizienten lässt sich dieser Problematik entgegenwirken. Der Silhouettenkoeffizient ist ein Algorithmus, der die Qualität eines oder mehrerer Cluster automatisch bewertbar machen soll.[40] Auf diese Weise können zum Beispiel Clusteranalysen mit variierender Ergebnisclusteranzahl miteinander verglichen werden (Abbildung 3), um so die für ein Bild passende Anzahl maschinell zu bestimmen. Im abgebildeten Beispiel führt eine solche Bewertung jedoch zu dem Ergebnis, dass zwei Cluster das beste Ergebnis liefern, was sich nicht mit dem optischen Eindruck deckt.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass K-Means eine Tendenz zur Bildung möglichst gleich großer Cluster besitzt und die Setzung des Clustermittelpunktes stark auf sogenannte Ausreißer reagiert, also Datenpunkte, die deutlich von der Mehrheit der berücksichtigten Datenpunkte abweichen. Für die Farbanalyse heißt dies, dass K-Means dominante Farben, also Farben mit hohem Bildanteil, gegenüber Farbunterschieden übergewichtet. Hierdurch gehen schnell filmwissenschaftlich signifikante Farbaspekte verloren, wie sich in den vier Farbclustern zu Schindler’s List (Abbildung 4) eindrücklich zeigt.

Abb 4: Ergebnisse einer Clusteranalyse eines
                           Frames aus Schindler’s List (USA 1993, R.: Steven
                           Spielberg). Zitiert nach DVD Schindlers Liste
                           (Universal Pictures Germany, 21. Oktober 2004).
Abb 4: Ergebnisse einer Clusteranalyse eines Frames aus Schindler’s List (USA 1993, R.: Steven Spielberg). Zitiert nach DVD Schindlers Liste (Universal Pictures Germany, 21. Oktober 2004).

2.2 DBSCAN

DBSCAN, der zweite Algorithmus, der in dieser Studie getestet worden ist, gehört der Gruppe sogenannter dichtebasierter Clusteringalgorithmen an. Diese Gruppe arbeitet auf der Grundlage der Annahme, dass sich Cluster innerhalb eines Datenraums mit einer bestimmten Menge an Datenpunkten dadurch auszeichnen, dass in ihnen der Abstand zwischen Datenpunkten geringer ist, als dies außerhalb von Clustern der Fall ist. Ein signifikanter Unterschied zu K-Means besteht mithin in der Zielsetzung des Verfahrens: DBSCAN geht es darum, innerhalb einer Datenmenge Cluster zu identifizieren und zu isolieren. Das bedeutet, dass nicht alle Datenpunkte am Ende Teil eines Clusters sind. Ebenso muss die Anzahl der Ergebniscluster im Vorfeld nicht festgelegt werden.

DBSCAN wird durch zwei wesentliche Parameter gesteuert: epsilon und MinPts. Epsilon bestimmt den Radius, innerhalb dessen die Dichte um einen Datenpunkt berechnet wird, während MinPts die Anzahl von Datenpunkten innerhalb des Radius epsilon definiert. Abbildung 5 zeigt durch ungünstig gesetzte Werte für epsilon und MinPts, welche Nachteile diese Strategie im Kontext filmwissenschaftlicher Farbanalyse aufweist. Das größte Cluster (Spalte zwei von links) ist nicht wirklich ein Cluster, sondern enthält die nicht berücksichtigten Ausreißer. Diese verändern zwar nicht mehr – wie noch bei K-Means – die Clusterergebnisse in ungewünschter Weise, machen aber in Abgrenzung zu den Clustern zwei bis elf deutlich, dass das Ergebnis nicht die angestrebte reduzierte Farbpalette der Kernfarben des Frames ist. Cluster sind hier entsprechend der gewählten Strategie farbliche Bildbereiche mit geringer farblicher Varianz. Auch konnte im Rahmen der Untersuchung keine Parametrisierung gefunden werden, welche die Auswirkungen dieser Tendenzen für eine Analyse von Farbigkeit begrenzen konnte.

Abb 5: Clusteranalyse des in Abbildung
                              3 gezeigten Frames mit DBSCAN.
Abb 5: Clusteranalyse des in Abbildung 3 gezeigten Frames mit DBSCAN.

2.3 Agglomeratives Clustering

Im letzten Versuch, die Farbstruktur eines Frames innerhalb einer Clusteranalyse zu repräsentieren, wurde auf das Verfahren des agglomerativen oder hierarchischen Clusterings zurückgegriffen. In der hierarchisch-agglomerativen Clusteranalyse wird zunächst jeder einzelne Bildpunkt als eigenständiges Cluster behandelt. Es gibt demnach anfangs genauso viele Bildpunkte wie Cluster. Der Algorithmus vergleicht nun anhand eines Distanzmaßes, welche zwei Cluster — am Anfang zwei Bildpunkte — von allen Clustern am dichtesten zusammenliegen. Diese beiden Cluster werden dann in einem neuen Cluster zusammengefasst. Im zweiten Schritt wird erneut berechnet, welches die zwei Cluster mit der geringsten Distanz zueinander sind. Besteht ein Cluster aus mehr als einem Bildpunkt, was im zweiten Schritt unweigerlich der Fall ist, bedarf es eines sogenannten Fusionierungsalgorithmus’, der die Bildpunkte der Cluster jeweils zusammenfasst und miteinander ins Verhältnis setzt.

Jeder Schritt reduziert in einem agglomerativen Prozess mithin die Anzahl der Cluster. Der Prozess endet, sobald alle Cluster zu einem einzigen zusammengefasst sind. Das Ergebnis ist eine Baumstruktur, die den Prozess des Zusammenfassens modelliert und als Dendogramm visualisierbar macht (Abbildung 6). Jede vertikale Linie stellt dabei ein Cluster dar, welches aus den ihm linksseitig verbundenen Clustern zusammengefasst wurde. Die Länge der Vertikalen repräsentiert die numerische Distanz der Cluster, die sich wie zuvor aus dem verwendeten Fusionierungsalgorithmus errechnet. Die horizontale Achse indexiert die Anzahl der Ausgangscluster — hier Bildpunkte —, die in einem Cluster vereinigt sind.

Abb 6: Dendogramm für eine agglomerative
                           Clusteranalyse des in Abbildung 3
                           verwendeten Frames.
Abb 6: Dendogramm für eine agglomerative Clusteranalyse des in Abbildung 3 verwendeten Frames.

Die Flexibilität der hierarchischen Clusteranalyse besteht darin, dass sich das Ergebnis auf eine gewünschte Clusteranzahl oder einen maximalen Distanzwert hin, den es nicht zu überschreiten gilt, spezifizieren lässt. Eine Abfrage kann also alle Cluster ausgeben, die am nächsten an einem spezifischen Distanzwert liegen, ohne ihn überschritten zu haben. Damit kann die Separiertheit zum alleinigen Kriterium einer Clusteranalyse werden. Für eine filmwissenschaftliche Analyse von Farben erscheint die agglomerative Clusteranalyse – ähnlich wie DBSCAN – deshalb sinnvoll, weil sie eine stärkere Einflussnahme darauf und eine bessere Reproduzierbarkeit davon verspricht, was als dominante Farbe zu verstehen ist. Insbesondere die Möglichkeit, allein die Distanz der Ergebniscluster – ohne Berücksichtigung ihrer Größe – zur Grundlage der Berechnung einer dominanten Farbe zu machen, ist vor dem Hintergrund der Farbvermengungen in den beiden anderen Clusteranalyseverfahren ein entscheidender Vorteil. Ihr Nachteil für die filmwissenschaftliche Untersuchung von Farbstrukturen wird jedoch bereits an der Beschriftung der vertikalen Achse deutlich. Im Gegensatz zu K-Means und DBSCAN ist agglomeratives Clustering sehr rechenintensiv, da die Distanz zwischen allen Clustern bestimmt werden muss. Die Berechnung eines Frames mit einer Anzahl von 41472 Bildpunkten benötigte auf dem verwendeten Referenzrechner sieben Minuten und 15 Sekunden. Im Vergleich dazu konnte K-Means die Clusteranalyse nach 21 Sekunden beenden.

Tatsächlich wird eine agglomerative Clusteranalyse im Kontext computergestützter geisteswissenschaftlicher Forschungsprozesse eher für Projekte mit einer geringeren Zahl an Ausgangsclustern verwendet. So gibt Baxter ein Beispiel für das agglomerative Clustern von Filmen anhand von Schnittlängen im Kontext des Cinemetrics-Projekts.[41] Duntze verwendet die agglomerative Clusteranalyse, um die Genealogie von Drucktypen in der Inkunabelforschung zu reproduzieren.[42] Im vorliegenden Anwendungsfall erweist sich die immense Zahl an Ausgangsclustern jedoch nicht nur als Effizienzproblem. Sie verhindert auch eine genauere Berechnung von Clustern entlang eines spezifischen Distanzwertes, da sie mit einem Bug in der verwendeten Implementierung von SciPy inferierte, dessen Auftreten mit einer hohen Ausgangsclusterzahl wahrscheinlicher wird.[43] Zweifelsohne wäre es möglich gewesen, auf eine andere Implementierung eines agglomerativen Clusteringalgorithmus zurückzugreifen. Jedoch hätte dies nichts an dem signifikanten Performanzproblem geändert, welches im Falle der Analyse mehrerer Filme auch bei herunterskalierter Bildauflösung kaum zu bewältigen gewesen wäre.[44] Eine andere Alternative wäre die Reduktion der zu clusternden Datenpunkte vor Beginn der Clusteranalyse gewesen. Hierzu hätten, ähnlich wie im ACTION-Projekt, die Frames gerastert oder mittels sogenannter Superpixel innerhalb größerer Segmente ermittelt werden können. In Abschnitt 3 wird erläutert, warum dieser Weg nicht weiter verfolgt wurde und weshalb die zuvor geschilderten Probleme letztlich dazu führten, dass im Rahmen dieses Projektes auf den Einsatz von Clusteringverfahren verzichtet wurde.

2.4 Farbquantifizierung und Farbmodelle

Numerisch wird Farbe als Koordinate in der Regel in einem dreidimensionalen Raum dargestellt. Die Dimensionen dieses Raums beziehen sich auf verschiedene Eigenschaften von Farbe, zum Beispiel deren Rot-, Grün- und Blauanteil. Welche Eigenschaften für die numerische Repräsentation genutzt werden, hängt vom verwendeten Farbmodell ab. Die Anzahl dieser Farbmodelle ist schon deshalb unüberschaubar, weil Farbe laut Fairchild kein Objekt ist, sondern ein Prozess »that exists in the environment and the mind of the observer.«[45] Nicht ›was Farbe ist›, sondern ›warum Farbe ist›, sei nach Fairchild daher die Frage.

Dieses ›Warum› lenkt die Aufmerksamkeit auf die vielfältigen Rezeptionskontexte, in denen von Farbe gesprochen wird und die auch die Existenz der unterschiedlichen Farbmodelle begründen. So korrespondiert eine Reihe dieser Modelle mit spezifischen Produktionstechnologien für die Herstellung von Farbeindrücken. Der genannte Farbraum mit den Dimensionen Rot, Grün und Blau (RGB) geht zum Beispiel auf erste Versuche einer standardisierten Farbindexierung durch die Commission internationale de l’éclairage (CIE) in den 1920er-Jahren zurück. Diese verwendete in ihrem Versuchsaufbau drei Lampen in den genannten Farben, deren Farbintensität jeweils regulierbar war. Im sogenannten additiven Verfahren sollten so alle vom Menschen wahrnehmbaren Farben herstellbar werden.[46] Nicht zuletzt ist die Geschichte der Entwicklung tragfähiger Farbfilmverfahren selbst, angefangen Ende des 19. Jahrhunderts mit William Friese-Greene bis hin zu Technicolor Nr. 3 (1929), einer der eindrücklichsten Kontexte für dieses Verhältnis von Farbkonzeptualisierung und technischer Apparatur.[47] Andere Modelle sind Transformationen von Farbmodellen zum Beispiel mit dem Ziel, die Farbindexierung verständlicher zu halten. So ist der HSV-Farbraum lediglich eine Transformation des RGB-Farbraums.

Abb 7: Räumliche Verteilung der Farbwerte des
                           Frames aus Abbildung 3 im RGB- und im HSV-Farbmodell.
Abb 7: Räumliche Verteilung der Farbwerte des Frames aus Abbildung 3 im RGB- und im HSV-Farbmodell.

Die Bedeutung unterschiedlicher Farbmodelle im Kontext einer clusterbasierten Farbanalyse liegt auf der Hand. Je nach verwendetem Farbmodell besitzt ein Farbwert, beziehungsweise Bildpunkt, eine andere Koordinate im zugehörigen Farbraum. Da es sich bei der Clusteranalyse um ein Verfahren handelt, welches Farbwerte anhand von Nähe und Entfernung innerhalb des jeweiligen Farbraums gruppiert, fällt diese Gruppierung und damit auch der Farbwert eines Clusters in jedem Farbraum unterschiedlich aus. Abbildung 7 verdeutlicht diese Unterschiede, indem sie alle Bildpunkte eines Frames aus The Walking Dead im RGB-Farbraum einer Abbildung im HSV-Farbraum gegenüberstellt. Da die Abstandsunterschiede vor dem Hintergrund unterschiedlicher Farbmodelle selbst systematisch sind, lässt sich abschließend festhalten, dass jedes Farbmodell im Zusammenhang mit einer Clusteranalyse bestimmte Farbphänomene herausstellt oder in den Hintergrund treten lässt.

2.5 Farbwahrnehmung

Die Komplexität der Bestimmung dominanter Farben zum Zweck der filmwissenschaftlichen Analyse ist jedoch nicht nur eine Folge unterschiedlicher Farbrepräsentationen und Berechnungsverfahren. Sie ist genauso durch eine Reihe von Faktoren der Farbwahrnehmung geprägt. Der bekannteste ist die sogenannte chromatische Adaption: Die Wahrnehmung von Farben verändert sich in Abhängigkeit zur Wellenstruktur des hellsten Lichtimpulses innerhalb der wahrgenommenen Umgebung. Die Liste entsprechender Phänomene ist offen; eine Auswahl in Fairchilds ›Color Appearance Models› umfasst bereits zwölf Beispiele.[48]

An dieser Stelle soll jedoch nicht explizit auf bestimmte Farbwahrnehmungsphänomene eingegangen werden. Vielmehr sollen anhand eines Frames aus dem spanischen Zombiefilm REC die Schwierigkeiten, die sich aus der Problematik für eine numerische Farbanalyse ergeben, illustriert werden.[49] Der Frame (Abbildung 8) zeigt die Protagonistin bei der Anmoderation einer Reportage über eine Feuerwache, die den Rahmen für die Filmhandlung bildet. Farblich sticht sofort der Komplementärkontrast zwischen Rot und Grün ins Auge, der zwischen den Feuerwehrautos, der Jacke der Protagonistin sowie dem Mikrofon entsteht. Der symbolische Einsatz der Komplementärkontraste Rot und Grün sowie Blau und Gelb ist eines der auffälligsten Merkmale der ästhetischen Gestaltung des Films und fordert zu einer numerischen Analyse geradezu heraus. Während anfangs Rot deutlich dominiert, ist in den letzten Sequenzen das gesamte Bild durch einen Filter in Grün getaucht. Die letzten Spuren von Rot sind Blutflecken unbekannter Herkunft auf dem symbolträchtig weißen Shirt der Protagonistin.

Abb. 8: Frame aus dem Film REC (E 2007, R.: Jaume Balagueró Paco Plaza). Zitiert nach DVD
                           (3L Vertriebs GmbH & Co. KG, 22. Oktober 2009).
Abb. 8: Frame aus dem Film REC (E 2007, R.: Jaume Balagueró Paco Plaza). Zitiert nach DVD (3L Vertriebs GmbH & Co. KG, 22. Oktober 2009).

Die Schwierigkeit, diese Verwendung von Rot- und Grünwerten in ihren Verläufen über den Film hinweg zu berechnen, zeigt sich jedoch augenblicklich bei einem Versuch, dies über das Auszählen von Filmbildanteilen innerhalb des grünen Spektralwertbereichs zu erreichen. Die Farbwerte des Mikrofons etwa befinden sich nicht innerhalb des Bereichs grüner Spektralfarben. Die Frage, warum das Mikrofon trotzdem grün erscheint, kann auf unterschiedliche Weise beantwortet werden.[50] Eine Erklärung betrifft die Veränderung der menschlichen Farbwahrnehmung vor dem Hintergrund der Umgebung, in der eine Farbe wahrgenommen wird. Abbildung 9 zeigt das Mikrofon isoliert vor einem blauen und vor einem roten Hintergrund. In roter Umgebung hinterlässt es einen ›grüneren› Eindruck, wenn zuvor ein paar Sekunden das Mikrofon mit blauem Hintergrund betrachtet worden ist. Der Grund hierfür besteht darin, dass der menschliche Wahrnehmungsapparat stets nach der Komplementärfarbe sucht und diese imaginativ ergänzt.

Abb. 9: Das Mikrofon aus Abbildung 8, isoliert
                           in einer blauen und in einer roten Umgebung.
Abb. 9: Das Mikrofon aus Abbildung 8, isoliert in einer blauen und in einer roten Umgebung.

2.6 Farbmodelle und Farbwahrnehmungsmodell

Diesem Problembereich wird in der Regel mit sogenannten Farbwahrnehmungsmodellen begegnet, die, anders als die oben genannten Farbmodelle, nicht in Beziehung zu Technologien der Farbherstellung stehen, sondern das menschliche Sehen selbst zu reproduzieren versuchen. Das bedeutet konkret, dass sie eine sogenannte Gleichabständigkeit in der Distanz zwischen zwei Farben im Koordinatensystem und dem von einem angenommenen Durchschnittsbetrachter wahrgenommenen Farbunterschied herstellen.[51] Zu diesem Zweck werden bestimmte Farbwahrnehmungsphänomene in die Berechnung des Farbraums einbezogen. Die Idee der Gleichabständigkeit liefert somit die Grundlage für eine wahrnehmungsorientiertere Berechnung von Farben.

Das am häufigsten verwendete Farbwahrnehmungsmodell ist der ebenfalls von der CIE eingeführte L*a*b* Farbraum. Die drei Buchstaben L, a und b stehen für drei Achsen: Lightness, also den Unterschied zwischen hellen und dunklen Farben, die Komplementärfarben Rot und Grün sowie die Komplementärfarben Blau und Gelb. Ein Nullwert auf der Rot/Grün Achse bedeutet ein ausgeglichenes Rot/Grün-Verhältnis. Durch einen negativen oder positiven Wert gewinnt ein Farbton grüne oder rote Farbanteile hinzu.

Wenn die Problematik der Farbwahrnehmung in Projekten digitaler filmwissenschaftlicher Farbanalyse Berücksichtigung findet, so zumeist durch die Verwendung des L*a*b* Farbraums. Dies erscheint vor dem Hintergrund als sinnvoll, dass das Modell mit dem Ziel entwickelt wurde, einen an der menschlichen Farbwahrnehmung orientierten, industriell nutzbaren Farbstandard zu etablieren. Es ist jedoch auch dem Umstand geschuldet, dass vielbenutzte Programmbibliotheken aus dem Bereich ›Computer Vision› wie OpenCV oder scikit-image[52] einfache Implementierungen anbieten. Zu den Ansätzen, die auf L*a*b* zurückgreifen, gehören unter anderem die eingangs genannten Projekte von Burghardt und Flückiger.

Die große Beliebtheit des L*a*b* Modells macht es jedoch erforderlich, auch hier auf signifikante Schwächen einzugehen. So schreibt Fairchild: »Those historically trained in traditional colorimetry usually have a negative reaction when they hear CIELAB described as a color appearance model.«[53] Ein Problem, das Fairchild beschreibt, besteht darin, dass Spektralfarbwerte bei geringer Saturation zunehmend falsch zugeordnet werden.[54] Ein weiteres Problem von CIELAB verdeutlicht Fairchild durch einen Vergleich mit dem ebenfalls häufig als Referenzmodell für Farbwahrnehmung eingesetzten Farbmodell von Munsell[55]. Auf der Hell-Dunkel Achse weist CIELAB zwar nur geringe Unterschiede zu Munsell auf, diese sind jedoch vor allem in den häufig anzutreffenden mittleren Helligkeitswerten vertreten. Schwerer ins Gewicht fällt hingegen der Umstand, dass die wahrgenommenen Kernfarben Rot, Grün und Blau nicht wirklich mit den jeweiligen Enden der Achsen a und b zusammenfallen. Dies ist zwar nicht unbedingt ein Problem des Farbmodells, es führt im Kontext einiger Anwendungen jedoch manchmal zu Ungenauigkeiten. Desweiteren weist Fairchild auf eine als problematisch eingestufte Methode (von Kries Transformation) hin, die die Grundlage des XYZ-Farbraums bildet und daher auch den L*a*b* Farbraum betrifft.[56] Aufgrund der genannten und weiterer Probleme bezeichnet er L*a*b* als »a simple model of a color appearance model.«[57] Es muss daher auch für die numerische filmwissenschaftliche Farbanalyse unterstrichen werden, dass die bloße Verwendung des L*a*b* Farbmodells die Probleme der Farbwahrnehmung nicht restlos beseitigt. Inwiefern diesen Problemen in numerischen Analysen jedoch überhaupt Rechnung getragen werden muss, ist eine Frage, die allein vor dem Hintergrund konkreter Forschungskontexte beantwortet werden kann.

2.7 Zwischenfazit

Die Evaluation der häufig im Kontext numerisch-filmwissenschaftlicher Farbanalysen verwendeten Strategien zeigt eine Reihe von Schwierigkeiten auf, die in diesem speziellen Kontext bisher nur unzureichend diskutiert worden sind. Eine kontextgebundene Evaluation scheint jedoch vor dem Hintergrund der Perspektiven der Filmwissenschaften auf den Forschungsgegenstand Farbe nicht ohne Bedeutung. So können, wie gezeigt, völlig unterschiedliche Konzepte dominanter Farben zugrunde liegen. Dass die Dominanzkonzepte gängiger numerischer Verfahren sich dabei nicht zwingend mit filmwissenschaftlichen Interessensschwerpunkten in Einklang bringen lassen, wurde am Beispiel unterschiedlicher Clusteringverfahren ebenfalls diskutiert. Was als dominant zu verstehen ist, ist von konkreten Forschungsinteressen abhängig. Eine Herangehensweise, die unter diesen Umständen nach einer generellen best-practice-Lösung à la K-Means sucht, erscheint daher als unangemessen. Vielmehr stellt eine systematische Evaluation verschiedener Clusteringalgorithmen und unterschiedlicher Distanzmaße im filmwissenschaftlichen Kontext ein dringendes Desiderat dar.

Dies gilt umso mehr für die Frage nach der Verwendung von Farbmodellen. Der Einsatz von Farbwahrnehmungsmodellen wie CIE L*a*b* ermöglicht es zwar, die Farben eines Films in Cluster einzuteilen, welche sehr dicht an der Wahrnehmung des Betrachters liegen. Jenseits der verbleibenden Schwierigkeiten stellt sich jedoch die Frage, ob dies bei jeder Analyse wünschenswert ist. Da unterschiedliche Farbmodelle unterschiedliche Tendenzen bei der Clusteranalyse aufzeigen, ist anstelle eines Rückzugs auf ein Farbwahrnehmungsmodell auch eine systematische Evaluation dieser Tendenzen denkbar. Unterschiedliche Farbmodelle könnten sich dabei nicht nur für die Produktion von Farbe als unterschiedlich gut geeignet erweisen, sondern – wie zu zeigen sein wird – auch Potenziale für die Analyse unterschiedlicher Farbphänomene aufweisen.

Zusammenfassend sind also zwei unterschiedliche Reaktionen auf die dargestellten Probleme möglich. Die erste könnte nach einem Farbwahrnehmungsmodell mit möglichst genauer Gleichabständigkeit und der bestgeeigneten Clusteranalyse suchen. Die zweite könnte vor dem Hintergrund spezifischer filmwissenschaftlicher Anliegen sinnvolle Anwendungsszenarien unterschiedlicher algorithmischer Dominanzkonzepte und Farbmodelle eruieren. Die letztgenannte Perspektive erweist sich allerdings insofern als schwierig, als dass eine Auseinandersetzung mit der Interpretationsbedürftigkeit dessen, was als farblich dominant verstanden werden kann, in den existierenden Projekten nur unzureichend zu erkennen ist. Da Brodbeck und Burghardt methodisch lediglich dem impliziten Dominanzkonzept von K-Means folgen, wäre eine solche Auseinandersetzung nur aus der noch ausstehenden Weiterverwendung ihrer Ergebnisse ableitbar. Die stylometrische Analyse von Casey und Williams[58] unterscheidet sich von den zuvor genannten Positionen dadurch, dass sie mit ihrer am Bildaufbau orientierten Berechnung von Mittelwerten tatsächlich ein Dominanzkonzept entwickelt und dieses auch in eine Beispielanalyse einbringt. Allerdings basiert dieses Konzept eben nicht mehr auf einer Clusteranalyse.

Aufgrund der beschriebenen Probleme wurde für die beispielhafte Analyse dreier Filme, die im Folgenden vorgestellt wird, ein anderer Ansatz gewählt. Eine Clusteranalyse ist dort vielversprechend, wo die Bedeutung der Eigenschaften der zu clusternden Objekte sowie ihr Zusammenspiel klar definiert wurden. Wie deutlich geworden ist, ist dies im Falle der Farben des Films jedoch nur bedingt der Fall. Darüber hinaus muss ebenfalls hinterfragt werden, inwiefern die Evaluation von Methoden der Clusteranalyse im Bereich der Farbquantifizierung generell filmwissenschaftlich anschlussfähige Einblicke ermöglicht, da diese sich zumeist mit substanziell unterschiedlichen Fragestellungen auseinandersetzen. So liegt ein Ursprung der Farbquantifizierung zum Beispiel in der Bewältigung des Problems der Erzeugung ähnlicher optischer Eindrücke auf verschiedenen Geräten mit technisch unterschiedlichen Möglichkeiten.

Hinzu kommt, dass eine Clusteranalyse immer auf der Grundlage auf eine Berechnung absoluter Farbwerte zielt. Aufgrund der angedeuteten Komplexität des Phänomens Farbe erscheint jedoch ein Ansatz, der absolute Farbwerte zu neuen absoluten Farbwerten zusammenfasst, nicht als aussagekräftig, da er auf der einen Seite zu viele Informationen zu kommunizieren droht, auf der anderen Seite forschungsrelevante Informationen oftmals nicht deutlich genug hervorbringt. Ein alternativer Ansatz soll daher versuchen, spezifische Aspekte von Farbe zu fokussieren. Die Isolation dieser Aspekte innerhalb des Erfahrungsraums Farbe erfolgt dabei vor dem Hintergrund der Formulierung gezielter Forschungsinteressen.

3. Farblichkeit, Spannung und ihre numerische Analyse

Im Folgenden wird ein farbanalytischer Zugriff etabliert, der erstens unterschiedliche Aspekte von Farbigkeit in den Vordergrund rückt, die im Rahmen der Filmanalyse als aussagekräftig erscheinen, und der diese Aspekte zweitens jeweils nur relational bestimmt. Farbigkeit wird dort bedeutungskonstitutiv, wo sie im Kontrast zu anderen Farben oder zum vorherrschenden Farbschema steht. Wie unterschiedlich solche Kontraste in Erscheinung treten können, hat vor allem der deutsche Kunstpädagoge und Bauhaus-Lehrer Johannes Itten in seiner auf unmittelbare künstlerische Anwendbarkeit ausgerichteten Theorie der sieben Farbkontraste[59] gezeigt, die für die hier vorgestellte Vorgehensweise zentrale Stichworte geliefert hat. Sie ermöglicht eine Konzeptualisierung des Zusammenspiels von Farben sowie die situative Hervorhebung unterschiedlicher Facetten von Farbigkeit, wobei wahrnehmungstheoretische Aspekte in einem gewissen Grad einberechnet werden: Dass das Mikrofon grün erscheint, wenn es von Rot umgeben ist, wäre nach Itten etwa ein Beispiel für den sogenannten »Simultankontrast«.[60] Auf diese Weise kann freilich nicht allen Unwägbarkeiten der Farbwahrnehmung Rechnung getragen werden; die Schwierigkeiten werden aber zumindest theoretisch aufgefangen.

Hinzu kommt, dass sich Kontrastwirkungen stabiler berechnen lassen als absolute Farben.[61] Der Ansatz ermöglicht es daher auch, Aussagen über Filme in einem gewissen Maß unabhängig vom Trägermaterial zu treffen: Auch wenn sich die Farbigkeit eines Films stark verändern kann, wenn er etwa von Zelluloid auf DVD übertragen wird und seine Wahrnehmung von der jeweiligen Aufführungssituation abhängt, bleiben Kontrastwirkungen dieser Varianz zum Trotz oftmals erhalten. Ein besonders heller Moment innerhalb eines Filmes etwa wird auch dann noch als hell auffallen, wenn der gesamte Film nachgedunkelt ist oder aufgrund der Aufführungsbedingungen zum Beispiel als besonders kontrastarm erscheint.

Nach Ittens Theorie ist diese Kontextabhängigkeit aller Farbwirkungen von besonderer Bedeutung: Eine Farbe wird in der Regel nicht von sich aus etwa als warm oder kalt erfahren, sondern in starker Abhängigkeit von den sie umgebenden Farben. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht daher stets ein relationales Gefüge von Farbigkeit, das sich ohne äußeren Referenzpunktallein mit Bezug auf das Farbsystem des Filmes selbst bestimmen lässt.[62] Ittens Farbtheorie nimmt in dieser Hinsicht die »parametrische« Farbtheorie Theo van Leeuwens vorweg, die nicht nur das Verhältnis einzelner Farben zueinander, sondern vor allem das Verhältnis der unterschiedlichen ›key parameters› in den Fokus rückt, in die sich jede Farbe analytisch zerlegen lässt.[63]

Die nachstehende Analyse konzentriert sich auf zwei der von Itten bestimmten Kontrasttypen, die auch nach van Leeuwen wesentliche Parameter darstellen: den Hell-Dunkel-Kontrast[64] und den Saturations- oder Qualitätskontrast.[65] Die Bedeutung des ersten ist für die Geschichte des populären Films immer wieder belegt worden, der hier nachweislich Traditionen aus der Malerei – etwa das Chiaroscuro – aufgreift. Für den Film Noir etwa ist dieser Kontrasttyp so stil- wie namensgebend; hier organisiert er eine gefahrvolle, brüchige Welt und scheint mit Gegensätzen von Sicherheit und Unsicherheit, Wissen und Nichtwissen, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit verbunden. Die generelle Bildwirkung des Sättigungs- oder Qualitätskontrastes besteht dagegen eher in einer orientierenden Funktion: Sind matte Farben in der Malerei tendenziell mit Entfernung assoziiert, markieren leuchtstarke Farben für gewöhnlich den Bild-Vordergrund. Inwiefern bekannte historische Einsatzformen von Farbparametern auch im hier untersuchten Material nachzuweisen sind, soll die folgende Analyse zeigen.

Abb 10: Konzeptdiagramm eines kontrast- und
                        aspektbasierten Ansatzes für die filmwissenschaftliche Farbanalyse.
Abb 10: Konzeptdiagramm eines kontrast- und aspektbasierten Ansatzes für die filmwissenschaftliche Farbanalyse.

Abbildung 10 zeigt in einem Diagramm eine Reihe von Konzepten und deren Beziehungen zueinander, die den auf der Grundlage von Itten und der kritischen Auseinandersetzung mit Farbmodellen und Clusteringverfahren entwickelten Ansatz modellhaft repräsentiert. Gleichzeitig stellt sie auf vereinfachte Weise das Klassenmodell einer Pythonbibliothek dar, in der dieser Ansatz beispielhaft umgesetzt wurde, um für die Analyse verwendet werden zu können.

Das Modell behält die weiter oben beschriebene Verfahrensweise bei und repräsentiert einen Film zu Analysezwecken als eine zeitlich geordnete Sammlung von Frames. Mit dem Begriff View werden unterschiedliche Verfahrensweisen bezeichnet, mit denen sich ein Kontrastverhältnis ausdrücken lässt. Eine Kontrastspanne kann zum Beispiel auf einen Mittel- oder Durchschnittswert reduziert werden. Anschaulicher – im Sinne des Kontrastgedankens – erscheinen jedoch Varianten einer bipolaren beziehungsweise verteilungsorientierten Darstellungsweise. In einer bipolaren Darstellungsweise werden zum Beispiel durch Identifikation des Minimal- und Maximalwerts oder durch die Berechnung einer niedrigen und einer hohen Perzentile obere und untere Grenzwerte eines Kontrastverhältnisses berechnet. In einer verteilungsorientierten Darstellungsweise wird die Kontrastspanne anhand der Anteile bestimmt, die die Farbwerte innerhalb bestimmter Bereiche dieser Kontrastspanne besitzen. In der hier verwendeten Bibliothek wurde eine solche Darstellungsweise durch die frameweise Berechnung von Histogrammen für einen bestimmten Kontrast realisiert.

Ein View kann nun auf einen der zuvor vorgestellten Kontraste (Contrast) angewendet werden, wobei eine reflektierte Entscheidung darüber zu treffen ist, mittels welcher Methode (Method) der Kontrast festgestellt werden soll. In einigen Fällen ist die Wahl der Methode gleichbedeutend mit der Auswahl eines spezifischen Kanals innerhalb eines Farbmodells, wie zum Beispiel des C-Kanals für Colourfulness aus dem CIE-LCh-Farbraum oder des S-Kanals für Saturation aus dem HSV-Farbraum. Bei anderen Kontrasten, wie z.B. dem Warm-Kalt-Kontrast, geht die Wahl der Methode über die Wahl eines Farbmodells hinaus, da kein Farbmodell einen solchen Kontrast als eigenständigen Kanal zur Verfügung stellt. Vielmehr muss er in einem zweiten Schritt aus einem gegebenen Farbraum auf der Basis theoretischer Grundüberlegungen prozessiert werden. Für jeden View sind mithin unterschiedliche Visualisierungen vorstellbar.

Abb 11: Beispiel einer Visualisierung in einer
                        nach dem Konzept in Abbildung 10
                        implementierten Python-Bibliothek.
Abb 11: Beispiel einer Visualisierung in einer nach dem Konzept in Abbildung 10 implementierten Python-Bibliothek.

Abbildung 11 zeigt das Beispiel zweier Visualisierungen für einen verteilten und einen reduzierten View. Beide Views stellen den Hell-Dunkel-Kontrast eines fiktiven Films dar, der nach der Brightness-Methode berechnet wurde. Die X-Achse repräsentiert die Zeitachse des Films, während die Y-Achse das mögliche Spektrum eines Kontrasts darstellt.

4. Die Farben der Zombies

Die vorangegangenen Überlegungen sollen im letzten Abschnitt dieser Untersuchung anhand einer computergestützten Analyse von drei neueren Filmen des Zombie-Genres zur Anwendung gebracht werden. Die Untersuchung zielt dabei auf ein Angebot politischer Lesarten: Bereits hinsichtlich der genrebildenden Werke von George A. Romero – allen voran Night of the Living Dead (USA 1968) und Dawn of the Dead (USA/I 1978) – liegt es nahe, die Untoten »als Allegorien kapitalistischer Repressionsdynamiken oder als Karikaturen entfesselter (Geld-)Gier« zu deuten.[66] Heute erscheint das Genre eher als Unterkategorie des Katastrophenfilms, in dem Ausnahmezustand, biopolitische und allokationsethische Erwägungen sowie Fragen der politischen Ordnung im Mittelpunkt stehen.[67] Da die folgende Analyse sich nicht damit begnügen möchte, ein bloßes Sammelsurium ästhetischer Stilmittel und farbdramaturgischer Verlaufskurven zu präsentieren, sondern gerade die Potenziale aufzeigen möchte, die eine computergestützte Filmanalyse für die Entwicklung von Deutungsangeboten bietet, erscheint der von unterschiedlichen Ästhetiken des Politischen durchzogene Zombiefilm als besonders geeignetes Material. Die ausgewählten Werke treffen sich dabei darin, dass sie die Zombies als Infizierte darstellen[68] und sich dabei einer »Ikonologie der Ansteckung« bedienen – Schutzanzüge, Spritzen, militärische Sperrzonen –, die das Geschehen im Rahmen eines angstbesetzten »biomedizinischen Imaginären«[69] verorten.

Beim Zombiefilm liegt dabei stets die Vermutung nahe, dass es sich um ein eher monochromes Genre handeln könnte, was hinsichtlich einer Analyse von Farbigkeit diffuse Ergebnisse befürchten lässt. Gerade aus diesem Grund aber erscheint eine computergestützte Analyse der Farbigkeit hier als besonders vielversprechend, kann sie doch an einem Ort auf farbdramaturgische Mittel aufmerksam machen, an dem das menschliche Auge tendenziell nicht nach diesen suchen würde. »Farben wirken«, so die Annahme, »in der filmischen Bildfolge subtil und zugleich stark, wenn ihre Kompositionsprinzipien nicht allzu offen sichtbar werden.«[70] Die Ästhetik des Zombiefilms schwankt dabei zwischen Realitätseffekt und phantastischer Entgrenzung: Ihr kommt – um die Farbdebatten der frühen Filmtheorie aufzunehmen – die Aufgabe zu, ganz nach Situation den Realitätseindruck des Kinos entweder hervorzuheben oder zu schwächen.

4.1 World War Z

Die computergestützte Analyse des Hell-Dunkel-Kontrastes im Hollywood-Blockbuster World War Z (USA 2013, R.: Marc Forster) lässt zunächst einen strukturellen Einsatz und mithin eine narrative Funktionalität von Farben erkennen.[71] Das wird durch die Verteilung heller und dunkler Bildpunkte im Liniendiagramm deutlich (Abbildung 12), wobei Einstellungen des Films, die besonders helle Elemente enthalten, durch grüne Markierungen hervorgehoben sind. Der rote Graph stellt die durchschnittliche Helligkeit des Bildes, der blaue die durchschnittliche Abweichung einzelner Bildpunkte von diesem Durchschnittswert dar. Gelb markiert sind in diesem Fall Abschnitte des Films, in denen beides auf übereinstimmendem Niveau für längere Zeit stabil bleibt, die mithin also mutmaßlich durch eine gewisse ästhetische Einförmigkeit oder Ruhe gekennzeichnet sind.

Ein Vergleich farbdramaturgisch besonders auffälliger Elemente mit der Handlungsstruktur von World War Z macht nun deutlich, dass zwischen ästhetischer und dramaturgischer Dimension des Filmes eine klare Symmetrie besteht: Das Ende jeder Sequenz, also jeder Sinneinheit des Films – im Diagramm durch violette Balken hervorgehoben – fällt grundsätzlich mit den hohen Mittelwerten im Hell-Dunkel-Kontrast zusammen. Innerhalb der Sequenzen bleiben die aristotelischen Einheiten von Zeit, Raum und Handlung weitgehend gewahrt: Eine Sequenz spielt zum Beispiel entweder am helllichten Tag oder mitten in der Nacht und daher bei relativ stabilen Beleuchtungsverhältnissen. Alle Sequenzen weisen daher in der Regel eigene Farbschemata auf, die sich auf den Diagrammen deutlich zu erkennen geben. Als besonders auffällig erweist sich hier die zentrale Israel-Episode (ca. 49:30 – 61:30), die mit einem besonders hellen Farbschema zugleich den Höhepunkt der Handlung darstellt. Es existieren demnach klare ästhetische Markierungen der dramaturgischen Sinnabschnitte und der Kippmomente des Films.

Abb 12: Visualisierung des Verlaufs des
                           Hell-Dunkel-Kontrasts von World War Z (USA 2013, R.: Marc
                           Forster). Zitiert nach DVD (Paramount, 7. November 2013).
Abb 12: Visualisierung des Verlaufs des Hell-Dunkel-Kontrasts von World War Z (USA 2013, R.: Marc Forster). Zitiert nach DVD (Paramount, 7. November 2013).

Dies betrifft vor allem die Plot Points des Blockbusters, d.h. die mythischen Momente des Aufbruchs und der Rückkehr, die den Gesetzen der Hollywood-Dramaturgie folgend am Ende des ersten und des zweiten Aktes stehen. Zumindest aus der Sichtweise der Drehbuch-Theoretiker Hollywoods[72] folgt so gut wie jeder Erzählfilm dem Konzept der Heldenreise, die in den 1940er-Jahren von dem Mythenforscher Joseph Campbell popularisiert wurde. In Verbindung mit klassischen, der Dramentheorie entlehnten Drei- oder Fünfaktschemata stellt es die konzeptionelle Grundlage des Storytellings auch im postklassischen populären Erzählkino dar.[73] In World War Z, so zeigt die Analyse, sind die beiden Plot Points ebenso wie der Midpoint, der Höhepunkt der Reise, klar markiert: Der Protagonist Gerry Lane hat sich und seine Familie im Angesicht der Zombie-Epidemie auf einem Flugzeugträger in Sicherheit gebracht, der als neues Hauptquartier der UN fungiert, für die Lane früher gearbeitet hat. Sein ehemaliger Vorgesetzter gibt ihm den Auftrag, nach dem Ursprung der Seuche zu suchen, weshalb er das sichere Schiff wieder verlassen und seine Familie ebendort zurücklassen muss. Mit dem Start des Flugzeugs beginnen seine eigentliche Heldenreise und der zweite Akt des Films; und genau dieses Flugzeug ist es auch, das, aus Untersicht gegen den Himmel gefilmt, einen der markantesten Helligkeitspunkte des Films erzeugt (Abbildung 12, 31:20).

Die Reise führt Lane durch verschiedene Länder. Während eines Aufenthalts in Israel, in dem Zombies das eigentlich gut geschützte Jerusalem überrennen, entdeckt er, dass kranke Menschen von den Zombies ignoriert werden. Diese Beobachtung wird ihn später auf die rettende Idee bringen: Nur wer selbst infiziert ist, kann den gewalttätigen Horden entgehen. Um in einer unmenschlichen Welt zu überleben, so macht der Film deutlich, bedarf es der Infektion mit dem Unmenschlichen, der intravenösen Injektion des Risikos selbst.[74] Bevor sich diese Erkenntnis nutzen lässt, steigert sich die Bedrohungslage für den Protagonisten jedoch noch einmal bis zum Äußersten: Als die Zombieepidemie an Bord einer vollbesetzten Passagiermaschine ausbricht, die Lane zu einer WHO-Basis in Wales bringen soll, zündet er in höchster Not eine Handgranate, die das Flugzeug zum Absturz bringt. Bevor er in den offiziellen Raum westlicher Institutionen zurückkehren kann, durchlebt der schwer verletzte Protagonist daraufhin eine Nahtoderfahrung; zugleich wird seine Familie gezwungen, den sicheren Flugzeugträger zu verlassen. Der zweite Plot Point, der hier den Moment äußerster Gefahr darstellt, wird dieses Mal durch die Untersicht auf den startenden Hubschrauber markiert, der Lanes Frau Karen an Land transportiert (vgl. Abbildung 12, 75:21).

Innerhalb der unterschiedlichen Sequenzen von World War Z fallen einige Abschnitte mit konstant geringen Hell-Dunkel-Mittelwerten und ähnlich geringen Abweichungen ins Auge, die auf einen weiteren semantischen Einsatz von Farbigkeit und Licht verweisen. In fast allen Fällen handelt es sich hier um Momente der Erkenntnis, die auf die Binnendramaturgie der einzelnen Akte und Sequenzen des Films hinweisen: Diese folgen einer Bewegung vom Nichtwissen ins Wissen, das jeweils nur gewonnen werden kann, indem sich der Protagonist einer Reihe von Gefahren aussetzt. Inmitten dieser von starker Bewegung gekennzeichneten Szenen kommt es, einer immergleichen Symmetrie folgend, zu vorübergehenden ruhigen Momenten, in denen entscheidende Informationen gesammelt werden. Hier erfährt der Protagonist etwa, wie er die Zombie-Epidemie bekämpfen kann, es wird also epistemisch wie ästhetisch Ordnung in die Unordnung gebracht. Form und Inhalt, so lässt sich auch anhand dieses Beispiels resümieren, spielen im Blockbuster perfekt zusammen.

4.2 REC

Während in World War Z die Zombies am Ende besiegt werden, zeichnet der Zombie-Horrorfilm REC (E 2007, R.: Jaume Balagueró Paco Plaza) ein düstereres Bild: Die Protagonistin, Fernsehmoderatorin Ángela Vidal, ist hier das letzte einer langen Reihe von Opfern. Mit ihrem Tod endet der Film, ohne dass die Zombies besiegt worden sind. Wie in World War Z geht es in der Handlung vor allem darum, die Gründe für den Ausbruch der Epidemie zu begreifen; die Ausschlagpunkte im Hell-Dunkel-Kontrast funktionieren dabei allerdings in vollkommen anderer Weise, sind diese hier doch nicht mehr auf struktureller, sondern auf motivischer Ebene aussagekräftig. Bei den auffälligsten dieser Momente handelt es sich um kurze Szenen der Überbelichtung, in denen die Kamera in eine helle Lichtquelle filmt. Da REC als Mockumentary durchgehend mit Steady Cam gefilmt wurde und diese Überbelichtungen zumeist in besonders turbulenten Szenen geschehen, fallen sie bei oberflächlicher Sichtung des Films kaum auf. Erst das Diagramm macht deutlich, dass es sich um ein wiederkehrendes Motiv handelt. In allen Fällen geschehen die Überbelichtungen in Momenten des Kontrollverlustes, so etwa als ein Kind zu einem Zombie mutiert und die Gruppe in Gefahr bringt (Abbildung 13, ca. 48:30), oder als der Arzt, der die in einem Stadthaus mit den Zombies eingeschlossenen Menschen eigentlich retten soll, selbst als Zombie zurückkehrt (Abbildung 13, ca. 53:30).

Abb 13: Verlauf des Hell-Dunkel Kontrasts von
                           REC (vgl. Abbildung 8).
Abb 13: Verlauf des Hell-Dunkel Kontrasts von REC (vgl. Abbildung 8).

Steht das Licht in Kunst und Film traditionell für Wissen und Kontrolle, markiert es hier also das genaue Gegenteil: Die Überbelichtung verweist auf Kontrollverlust. Zwar kündigen sich verschiedene Vertreter staatlicher Ordnung, die in das verseuchte Haus entsandt werden, durch Lichtquellen an (Abbildung 13); die Überbelichtungen jedoch stellen die vermeintlichen Autoritäten als machtlos aus. Der Film beschreibt dabei auch insgesamt eine Reise in die Dunkelheit, die gleichzeitig eine Reise zum Wissen darstellt: Die zentralen Informationen über die Zombie-Plage sind im obersten Stockwerk des Hauses positioniert, doch dort herrscht absolute Dunkelheit. REC arbeitet mithin mit einer ganzen Reihe semantischer und topologischer Umkehrungen: Das Licht repräsentiert das Nichtwissen; der Keller, in dem die Leichen versteckt sind, befindet sich direkt unter dem Dach. Die eigenwillige Lichtdramaturgie besitzt auch eine autoreflexive Dimension, ist es doch gerade das optische, also lichtabhängige Medium Kamera, das immer wieder geblendet wird. Das Fernsehteam, das aus der Moderatorin und einem Kameramann besteht, fungiert dabei selbst als eine jener Institutionen, die stetig Ordnung in das Chaos zu bringen versuchen. Die White Spots auf dem Helligkeits-Diagramm markieren somit Momente der Störung auch dieser filmischen Epistemologie: Eben jene ästhetische Kontrolle des Ausnahmezustands, die in World War Z voraussetzungslos gegeben ist, wird in REC punktuell außer Kraft gesetzt – und dabei zugleich selbst zum Thema des Films.

Die lineare Hell-Dunkel-Dramaturgie von REC wird durch den bereits erwähnten – und ebenfalls numerisch nachgewiesenen – Komplementärkontrast noch verstärkt: Während am Anfang, vor Ausbruch der Epidemie, ironischerweise die Signalfarbe Rot dominiert, spielt sich das finstere Ende der Geschichte im fahlen Grün eines Nachtsichtgerätes ab. Der Film beschreibt also eine Entwicklung von Rot zu Grün, die unterbrochen wird, sobald die staatliche Ordnung in die Handlung eingreift: In dieser Episode dominiert der Komplementärkontrast von Blau und Gelb. Als zentrales Thema des Neo-Zombiegenres, so wird aus den Analysen der beiden Werke bereits an dieser Stelle deutlich, erscheint der Zusammenbruch staatlicher Kontrollorgane und somit ein postsouveräner Ausnahmezustand, in dem neue Formen spontaner politischer Organisation notwendig werden – oder sich als unmöglich erweisen. In diesem Kontext wird auch ein narrativer Einsatz von Farbigkeit in REC erkennbar: Farbdramaturgisch ist der Auftritt der alten Ordnung durch den Blau-Gelb-Kontrast gekennzeichnet, der allerdings nur für eine Sequenz des Films bestimmend bleibt und sich mithin gegenüber der den gesamten Film strukturierenden Entwicklungslinie von Rot nach Grün nicht durchzusetzen vermag.

Abb. 14: Verlauf des Saturationskontrastes von
                           REC (vgl. Abbildung 8).
Abb. 14: Verlauf des Saturationskontrastes von REC (vgl. Abbildung 8).

Die insgesamt gleichwohl überwiegend motivische Verwendung von Farbkontrasten lässt sich auch am Einsatz der Sättigung nachvollziehen: Die meisten Szenen, die sich durch eine konstant hohe Sättigung bei gleichbleibend geringer Abweichung auszeichnen (Abbildung 14), kennzeichnen sich dadurch, dass sie die Aufmerksamkeit auf den filmischen Raum lenken. Ganz den traditionellen Einsatzformen folgend, erfüllt die Sättigung mithin eine orientierende Funktion. Dies zeigt sich bereits an der Eingangssequenz, in der die Protagonistin von der Feuerwehr berichtet und die Zuschauenden sowohl sie selbst als auch den Hintergrund betrachten sollen. Vielfach finden sich zudem Einstellungen, die sich als Suchbilder benennen ließen und in denen die Zuschauenden den Einbruch einer Gefahr erwarten, ohne zu wissen, von wo diese kommen wird. In einer Szene etwa blickt Ángela durch einen Schlitz in einen anderen Raum, kann aber nur bruchstückhaft erkennen, was dort passiert (Abbildung 14: 20:20-22:30). Eine große Streuung von Saturationswerten dient dementsprechend der Verteilung von Aufmerksamkeit auf verschiedene Bildelemente. Situationen, in denen das Bekannte auf diese Weise fremd wird, bilden zentrale Momente des Zombiefilms, in denen sich nach Rautzenberg eine frühkindliche »Urfurcht vor der Doppelgesichtigkeit der Menschen und Dinge«[75] aktualisiert.

Auch dem Einsatz der Sättigung kann hier ein autoreflexives Kalkül zugeschrieben werden, erzeugt sie doch eine Art Umgebungsbild, das die Aufmerksamkeit auf die räumliche Bedingtheit der Handlung ebenso wie auf die Grenzen des Frames lenkt. Der autoreflexive Gestus des Films wird hier also durch die Ästhetik unterstützt, die Kontraste benutzt, um auf die technischen Bedingungen von Sichtbarkeit und Lenkung des Blicks hinzuweisen. Eine weitere Funktion der Sättigung – und ein weiteres Beispiel für ihren motivischen Einsatz – ist die Markierung von Auf- und Untersichten durch einen Sättigungskontrast, in dem Durchschnitts- und Abweichungswert beide konstant auf niedriger Höhe bleiben. Sie betonen erneut die vertikale Raumordnung des Filmes, der seine unterschiedlichen Handlungsabschnitte jeweils auf unterschiedlichen Stockwerken spielen lässt. Diese Motivik ist auch deshalb interessant, weil sie Entsprechungen in den beiden anderen Zombie-Filmen in dieser Untersuchung findet: Sowohl in World War Z als auch in 28 Days Later stehen Blicke in den Himmel mit entscheidenden Umschlagpunkten in der Handlung in Verbindung und verweisen zugleich auf alte oder neue staatliche Ordnungen.

4.3 28 Days later

Ein drittes Beispiel für einen Zombie-Epidemie-Film ist die britische Produktion 28 Days Later[76]. Beide Einsatzformen von Farbigkeit, die in den vorangegangenen Analysen nachgewiesen wurden, finden sich auch hier: Auffällige Ausschläge der Graphen, die Hell-Dunkel- ebenso wie Sättigungs-Kontraste darstellen, verweisen sowohl auf Handlungsstrukturen als auch auf bestimmte Motive. Beide Einsatzformen werden jedoch zugleich weniger konsequent durchgehalten: So wird etwa der erste Plot Point des Films, der Aufbruch der Londoner Patchwork-Familie aus Überlebenden zur vermeintlich sicheren Militärbasis im Norden Englands (ca. 41:00), ästhetisch nicht markiert. Der Midpoint des Films hingegen, der Tod der Mentor- und Vater-Figur Frank, wird durch einen Einbruch des Sonnenlichts (Abbildung 15, 62:32) sowie eine durch ihre ungewöhnlichen Quantitäts- wie Saturationswerte auffällige Einstellung hervorgehoben, die Frank durch jenen Bluttropfen hindurch zeigt, welcher ihn infizieren wird. Das Licht taucht auch hier wieder als zentrales Motiv auf (Abbildung 15, ca. 32:30). Der zweite Plot Point wird durch einen Blick in den Himmel eingeleitet, an dem der Protagonist Jim ein Flugzeug entdeckt (Abbildung 15, 83:46) – eine Beobachtung, die ihn im Folgenden in die Lage versetzt, eigenständig zu handeln und Zombies und Soldaten, die jeweils zur Gefahr für ihn und seine Begleiterinnen geworden sind, gegeneinander auszuspielen. Der Moment sticht durch seine schwache Helligkeit allerdings nur ein wenig hervor, was die Varianz der Farbeinsatzformen in Boyles Film noch einmal untermauert. Der Film beschreibt dabei eine Initiationsgeschichte, in der Jim lernen muss, den Zusammenbruch elterlicher wie die Perversion staatlicher Autorität zu kompensieren und selbst Verantwortung zu übernehmen. Unterschiedliche ›Vaterordnungen› werden dabei jeweils ästhetisch hervorgehoben: Filmaufnahmen der verstorbenen Eltern des Protagonisten etwa erscheinen im Kontrast zu anderen Szenen als besonders hell (Abbildung 15, ca. 27:10), während der Ersatzvater Frank nicht zufällig in der höchsten Etage eines als phallisch in Szene gesetzten Hochhauses lebt, das wiederum durch eine Untersicht eingeführt wird (Abbildung 15, ca. 30:12) – auch wenn diese farblich nicht weiter auffällt.

Abb. 15: Verlauf des Hell-Dunkel Kontrasts von
                              28 Days Later (GB 2002, R.: Danny Boyle).
                           Zitiert nach DVD (Twentieth Century Fox, 31. März 2006).
Abb. 15: Verlauf des Hell-Dunkel Kontrasts von 28 Days Later (GB 2002, R.: Danny Boyle). Zitiert nach DVD (Twentieth Century Fox, 31. März 2006).

Neben den leitmotivischen und handlungsstrukturellen Markierungen existieren in Boyles Film jedoch auch solche Szenen hervorstechender Farbigkeit, die weder inhaltlich noch dramaturgisch von besonderer Relevanz sind. Hier scheint vielmehr eine ästhetische Eigendynamik vorzuliegen, die mit der britischen Tradition einer tendenziell realistischen Filmästhetik in Verbindung gebracht werden könnte. Anders als etwa in World War Z erlangt der filmische Raum gegenüber der Handlung eine gewisse Eigenständigkeit: Neben gelegentlich stark symbolischen oder strukturellen Einsatzformen von Farbe hebt Boyle immer wieder Details und Situationen hervor, die keine Funktion innerhalb der Handlung erfüllen und die, der Realismus-Definition Roland Barthes’ folgend, gerade aufgrund dieser Eigenständigkeit »Wirklichkeitseffekte«[77] erzeugen. Farb- und Handlungsdramaturgie verlaufen demnach in den untersuchten Filmen nicht grundsätzlich parallel, sondern können einander auch konterkarieren: Eine explodierende Tankstelle etwa, die sowohl auf der Helligkeits- als auch auf der Sättigungsachse einen der prägnantesten Höhepunkt darstellt (Abbildung 15, ca. 16:20), hat innerhalb der Handlung letztlich keine entscheidende Funktion. Mit Kristin Thompson ließe sich auch von einem ästhetischen Exzess sprechen; einem situativen Ausbrechen aus der narrativen Logik des Films, das den ästhetischen Eigenwert einer Szene hervortreten lässt.[78] Eine solche Hervorhebung der Eigenständigkeit von Details der Filmwelt würde dabei zu den Interpretationen passen, die 28 Days Later als Auseinandersetzung mit dem Posthumanismus lesen: Die menschlichen Akteure sind nicht nur aus ihrem einstigen Zentrum, dem auf spektakuläre Weise entleerten London, verbannt,[79] sie sind auch im Film selbst strukturell nicht mehr (farb-)tonangebend.

Wie Brian Price anmerkt, sind Farben eines der Elemente, die ästhetische Exzesse im Sinne Thompsons generieren können.[80] In 28 Days Later stehen diese Exzesse jedoch nicht im Dienste einer Abstraktion der Ästhetik von der Handlungsebene. Sie ermöglichen vielmehr eine Betonung der relativen Eigenständigkeit der filmischen Welt, die sich der Handlung nicht mehr unterordnet. Der Exzess ist insofern wiederum auf die Semantik des Films rückbeziehbar, als dass die Zombie-Epidemie hier genauso gelesen wird: als Folge des gezüchteten RAGE-Virus und somit als Exzess, welcher der existierenden Ordnung selbst entstammt. Die Zombie-Epidemie fungiert zugleich als Metapher für jene destruktiven Kräfte, die dieser ›Ordnung des Chaos› »immanent« sind.[81] Diese kann im Finale des Films nur dadurch besiegt werden, dass sie gegen sich selbst gewendet wird: Der Protagonist setzt die Zombies als Waffe ein, bis sich seine Feinde gegenseitig zerfleischt haben. Die Befreiung geschieht damit durch eine Eskalation der Ordnung selbst, die mit der Selbstermächtigung Jims einhergeht. Nicht zufällig spielt die Szene in einem nächtlichen Gewitter, in dem stetig Blitze zucken – ein weiterer ästhetischer Exzess, der in diesem Fall jenen auf der Inhaltsebene parallelisiert (Abbildung 15, ca. 94:00-96:20). Das Gewitter untermalt dabei jedoch nicht das Geschehen, es ist dessen äußere Bedingung: Die Handlung passt sich der unberechenbaren Logik der Blitze an. Diese anarchische Dynamik ist es, die Boyle auch auf ästhetischer Ebene – als immer wieder auftretende Spannung zwischen filmischer Welt und Plotstruktur – in Szene setzt.

5. Fazit und Ausblick

Die in den vorherigen Abschnitten dargelegten Analysen sind das Ergebnis eines doppelten Experiments. Das erste Experiment bestand darin, eine numerische Analyse von Farbigkeit in eine Filminterpretation einzuschreiben. Mit den drei Filmanalysen konnten dabei sehr unterschiedliche Verhältnisse zwischen Farbdramaturgie und Semantik von Filmen abgesteckt werden. Der Hollywood-Blockbuster World War Z, in dem die Zombie-Epidemie als globales Problem geschildert wird, stellt zunächst seine Konventionalität unter Beweis, indem er Farbkontraste zur klaren Markierung der unterschiedlichen Kapitel seiner »Heldenreise« einsetzt. Die Farbgebung ist hier Bestandteil einer Ästhetik, welche die filmische Welt nach bestimmten Mustern kontrolliert und so verständlich hält. Im nationalen Autorenfilm 28 Days Later, in dem auch die Zombies ein nationales Problem bleiben, fallen Farb- und Handlungsstruktur hingegen punktuell deutlich auseinander. Diese Kluft zwischen Form und Inhalt ist einerseits durch die realistische Ästhetik, andererseits durch die anarchische Logik des Exzesses bedingt, die auch auf ästhetischer Ebene eine regelrechte Lust am Kontrollverlust markiert – so wird gejubelt, als die Tankstelle explodiert. In der Independent-Produktion REC wird die Zombie-Epidemie im Mikrokosmos eines einzigen Stadthauses verhandelt, wobei die Farbgestaltung auf bestimmte Leitmotive verweist, die als besonders autoreflexiv erscheinen. Hier geht es um die Kamera als Kontrollinstrument, deren ordnende Funktion immer wieder gestört und außer Kraft gesetzt wird, und um traditionelle binäre Topologien von Licht und Dunkel oder Oben und Unten, deren Semantiken sich im Verlauf der Handlung ins Gegenteil verkehren.

Einerseits sind auf diese Weise drei unterschiedliche Einsatzformen von Farbe und damit zugleich drei unterschiedliche Analyseebenen etabliert: Farbigkeit kann sowohl strukturelle als auch ästhetische und motivische Funktionen erfüllen. Die vorliegende Analyse hat in erster Linie den Zweck, die Nachweisbarkeit dieser Einsatzformen durch computerisierte Verfahren deutlich zu machen und exemplarisch zu zeigen, dass sie die Interpretation einzelner filmischer Werke bereichern können, indem sie Spannungsverhältnisse zwischen Inhalt und Form sichtbar machen. Die Eignung des mit den hier vorgestellten Mitteln erzeugten Materials für bedeutungsvolle Einblicke in einzelne Werke lässt sich dabei etwa an den politischen Implikationen veranschaulichen, die die Zombie-Filme durch ihr jeweiliges Verhältnis von Form und Inhalt entwickeln. World War Z zeigt den Ausnahmezustand der Zombie-Apokalypse demzufolge als ästhetisch bereits eingehegten Normalfall einer neuen, postsouveränen Ordnung vermeintlich unausweichlich zerfallender Staatlichkeit. In dieser müssen die Menschen einen neuen »Gefahrensinn«[82] entwickeln, um überleben zu können: ›Sei auf alles vorbereitet› lautet der finale Aufruf, den der Protagonist direkt an die Zuschauenden richtet. REC zeigt die gleiche Extremsituation als prinzipiell unkontrollierbare »Überlastungsstörung«[83] politischer wie epistemischer Ordnungen. Für solche Störungen gibt es hier keine Vorbereitung, und es lässt sich auch keine neue Normalität etablieren: Staatliche wie epistemische Instanzen scheitern ebenso an den Zombies wie die Protagonistin des Films, die ihre Heldenreise zu keinem erfolgreichen Abschluss zu bringen vermag. In 28 Days Later ist der Ausnahmezustand als Exzess der gegenwärtigen Ordnung gefasst, der zugleich die Möglichkeit ihrer Überwindung bereitstellt und somit ein deutlich kathartisches Potenzial besitzt. Die Zombies fungieren dabei als Repräsentanten einer neuen Weltordnung des Risikos, die von den Protagonisten anerkannt und verinnerlicht werden soll. Zugleich ermöglichen sie einen anarchischen Exzess, der die alten, pervertierten Machtsysteme zu zerstören erlaubt.

Das zweite Experiment bestand hingegen darin, numerische Prozessierungsstrategien insgesamt als produktive Stimuli für einen interpretatorischen Zugriff auf Filme zu testen. Ziel war es, interpretatorische Zugänge und quantitative Zugänge in Dialog zu bringen, anstatt sie einander gegenüber zu stellen, und so den von Unsworth beschriebenen Effekt zu kreieren:

»[…]methods, which seemed so promising as a way of performing what Moretti calls distant reading or what Martin Mueller calls, perhaps even more provocatively, not-reading, […] require us to trade in a close reading of the original text for something that looks like a close reading of experimental results.«[84]

Anschließend an gängige Praktiken des Bereichs maschineller Bildverarbeitung und an erste Versuche numerischer filmwissenschaftlicher Farbanalyse wurde zunächst versucht, dieses Ziel mittels einer Clusteranalyse zu erreichen. Dieser Versuch erwies sich als unbrauchbar, da er vor dem Hintergrund der eingangs aufgezeigten Problemstellungen entweder selbstevidente oder in hohem Maße kontingente Ergebnisse hervorbrachte.

Zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Probleme akkumulierten, wurde bewusst davon Abstand genommen, den Prozess weiter zu verfolgen, da in ihm vielmehr deutlich wurde, welch unterschiedliche Perspektiven eine Analyse von Farbe tragen kann. Im Sinne der gewünschten Forschungssituation wurde deshalb auf die Mittel einfacher explorativer Statistik zurückgegriffen, eine Entscheidung, deren Produktivität sich in der anschließenden Forschungssituation als erfolgreich bewiesen hat.

Unabhängig von dieser Entscheidung bleibt ein Großteil der aufgelisteten Probleme auch bei einer systematischeren Herangehensweise an den Ansatz der Clusteranalyse bestehen, da sie konzeptueller Natur sind. Aus diesem Grund werden diese Probleme auch in Zukunft eher auf der Ebene der zu clusternden Datengrundlage zu lösen sein, als auf der Ebene der Anwendung von Clusteringalgorithmen. Das bedeutet konkret die Evaluation von Farbmerkmalen und Repräsentationsvarianten, die vor dem Hintergrund bestimmter Fragestellung unproblematisch und aussagekräftig sind. Eine Verwendung von Clusteranalysen und anderen Methoden maschinellen Lernens könnten so sinnvoll in eine Analyse der Farbigkeit von Filmen eingebunden werden.

Die Filmwissenschaften können im Gegensatz zur numerischen Textanalyse nicht auf eine langjährige Forschungspraxis zurückblicken, in der die Tragfähigkeit von Merkmalsets wie dem bag-of-words für stilometrische Analysen intensiv evaluiert worden wäre.[85] So erfolgt der Einsatz einer Clusteranalyse zum Clustering von Filmen nach Schnittmustern bei Baxter ebenfalls nur auf der Grundlage einer intensiven Analyse der automatischen Identifikation von Filmschnitten und der Repräsentation von Schnittmustern.[86] In Anlehnung an Wellings Gegenüberstellung von statistischen Ansätzen und Ansätzen maschinellen Lernens sind statistische Ansätze dort zu bevorzugen, wo das ›Warum› des untersuchten Phänomens von Bedeutung ist.[87] Die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchung bestätigen dies. Mit ihr verbindet sich daher der Wunsch nach einer pragmatischeren, methodischeren und effizienteren Umgangsform mit numerischen Analysen. In diesem Sinne wird das mit diesem Artikel begründete Forschungsprojekt in seinen nächsten Schritten nicht nur neue Kontrasttypen wie den Quantitätskontrast oder den Warm-Kalt-Kontrast implementieren, sondern auch eine weiterführende stylometrische Analyse auf der Basis der evaluierten Merkmale umzusetzen versuchen.


Fußnoten


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Abbildungslegenden und -nachweise

  • Abb. 1: Farbprofil eines Films, berechnet durch Movieanalyzer von Manuel Burghardt. Screenshot aus The Lion King (USA 1994, R.: Roger Allers, Rob Minkoff).
  • Abb. 2: Distanzmatrix mittlerer Distanzen von Farbhistogrammen der Filme Alfred Hitchcocks im ACTION Toolkit
  • Abb. 3: Clusteranalysen eines Frames aus The Walking Dead (USA 2010-). Zitiert nach DVD The Walking Dead. Die komplette erste Staffel. (WVG Medien GmbH, 31. Mai 2013).
  • Abb. 4: Ergebnisse einer Clusteranalyse eines Frames aus Schindler’s List (USA 1993, R.: Steven Spielberg). Zitiert nach DVD Schindlers Liste (Universal Pictures Germany, 21. Oktober 2004).
  • Abb. 6: Dendogramm für eine agglomerative Clusteranalyse des in Abbildung 3 verwendeten Frames.
  • Abb. 7: Räumliche Verteilung der Farbwerte des Frames aus Abbildung 3 im RGB- und im HSV-Farbmodell.
  • Abb. 8: Frame aus dem Film REC (E 2007, R.: Jaume Balagueró Paco Plaza). Zitiert nach DVD (3L Vertriebs GmbH & Co. KG, 22. Oktober 2009).
  • Abb. 9: Das Mikrofon aus Abbildung 8, isoliert in einer blauen und in einer roten Umgebung.
  • Abb. 10: Konzeptdiagramm eines kontrast- und aspektbasierten Ansatzes für die filmwissenschaftliche Farbanalyse.
  • Abb. 11: Beispiel einer Visualisierung in einer nach dem Konzept in Abbildung 10 implementierten Python-Bibliothek.
  • Abb. 12: Visualisierung des Verlaufs des Hell-Dunkel-Kontrasts von World War Z (USA 2013, R.: Marc Forster). Zitiert nach DVD (Paramount, 7. November 2013).
  • Abb. 15: Verlauf des Hell-Dunkel Kontrasts von 28 Days Later (GB 2002, R.: Danny Boyle). Zitiert nach DVD (Twentieth Century Fox, 31. März 2006).