Das schlechte Bilderbuch. Negative und uneindeutig-reflexive Wertungspraktiken auf einer verkaufsorientierten Online-Plattform

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Tanja Freudenau Autor*inneninformationen
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Christian Volkmann Autor*inneninformationen

DOI: 10.17175/sb006_003

Nachweis im OPAC der Herzog August Bibliothek: 194157744X

Erstveröffentlichung: 20.11.2025

Lizenz: CC BY-SA 4.0, sofern nicht anders angegeben. Creative Commons Deed

Letzte Überprüfung aller Verweise: 20.11.2025

GND-Verschlagwortung: Der Regenbogenfisch | Rezension | Kinderliteratur | Annotation | Datenanalyse | Literaturwissenschaft

Empfohlene Zitierweise: Tanja Freudenau / Jan-Niklas Meier / Ulrike Preußer / Sandra Siewert / Marlene Antonia Illies / Christian Volkmann: Das schlechte Bilderbuch. Negative und uneindeutig-reflexive Wertungspraktiken auf einer verkaufsorientierten Online-Plattform. In: Berenike Herrmann / Maria Kraxenberger (Hg.): Weder Fail noch Lobgesang. Nichteindeutige Wertung von Literatur im digitalen Raum (= Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften / Sonderbände, 6). Wolfenbüttel 2025. 20.11.2025. HTML / XML / PDF. DOI: 10.17175/sb006_003


Abstract

Auf verschiedenen Rezensionsplattformen erscheinen regelmäßig Bewertungen zu Bilderbüchern. In diesen Bewertungen der multimodal erzählenden Texte orientieren sich Rezensent*innen oft an pädagogisch-didaktischen Kriterien und tendieren dazu, den Primärtext wiederzugeben; am Ende steht dabei meist ein positives Urteil. Von besonderem Interesse sind daher insbesondere jene selteneren Rezensionen, die negative Wertungen enthalten und somit eine ausführlichere Begründung erfordern. In diesem Zusammenhang präsentiert der Beitrag Ergebnisse der computergestützten Analyse eines Korpus von insgesamt 108 negativen Textrezensionen zu Marcus Pfisters Best- und Longseller Der Regenbogenfisch (1992). Herausgestellt werden die den negativen und uneindeutigen Bewertungen zugrundeliegenden Wertungspraktiken. Damit gibt der Beitrag u. a. Einblick in ein Projekt im Arbeitsbereich Literaturdidaktik an der Universität Bielefeld.


Ratings of picture books appear regularly on various review platforms. In those evaluations of these multimodal narrative texts, reviewers often focus on pedagogical-didactic criteria and tend to reproduce the narrative of the primary text; in the end, there is usually a positive rating. Of particular interest, therefore, are those rarer reviews that contain negative ratings and thus require a more detailed justification. In this context, this article presents the results of a computer-assisted analysis of a corpus of negative reviews of Marcus Pfister’s best- and longseller Der Regenbogenfisch [The Rainbow Fish] (1992). The evaluation practices underlying the negative and ambiguous ratings are highlighted. This article provides insights into a project conducted at the working group literature didactics at Bielefeld University.


1. Zielsetzung des Beitrags

[1]In der Praxis der Kinder- und Jugendliteraturkritik und auch der Literaturtheorie liegt der Fokus vermehrt auf der Betrachtung ›wertvoller‹ Literatur (siehe Kapitel 4). Die Kinder- und Jugendliteraturkritik neigt oft dazu, den Wert von Kinder- und Jugendbüchern im erzieherischen oder pädagogischen Kontext zu betrachten, vermutlich aufgrund der Überzeugung, dass mit pädagogisch wertvollen Kinder- und Jugendbüchern etwas für das Leben gelernt werden könne. Diese Ausrichtung, die hauptsächlich auf den inhaltlichen Aspekten liegt, berührt die Frage nach der literarischen Qualität nur am Rande. Zudem erfüllt eine große Anzahl der veröffentlichten Kinder- und Jugendliteratur (KJL) zwar eine didaktische Prämisse, ist jedoch in Bezug auf die literarische Qualität sehr ambivalent gestaltet.

[2]Die Fähigkeit, literarische Texte sowohl nach didaktischen als auch literarisch-ästhetischen Kriterien zu bewerten, ist eine zentrale Kompetenz, die im Rahmen der Lehrer*innenausbildung erworben werden soll. Wenngleich die Forschung implizit Ansätze zur Beantwortung der Frage bietet, was einen guten oder wertvollen Text der KJL auszeichnet, indem sie sich mit diesen vornehmlich beschäftigt‍[1], zeigt sich in der Bewertungspraxis, dass solche Kriterien häufig weder explizit benannt werden, noch mit dem Anspruch auf Übertragbarkeit formuliert sind. Lehramtsstudierende verwenden ihrerseits häufig das Kriterium der Kindgemäßheit‍[2], das im Rahmen der KJL-Forschung auch von Hans-Heino Ewers diskutiert worden ist. Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt stets fragwürdig, und das nicht nur angesichts des Umstands, dass sich Kindheitsbilder in einem steten Wandel befinden, sondern auch mit Blick darauf, dass der damit intendierte Eignungsbegriff die Frage aufwirft, was damit bezeichnet werden soll (das Sicherstellen von Textverständnis oder eher die Zumutbarkeit vom Stoff und seiner Realisierung). Das Projekt Das schlechte Bilderbuch des Arbeitsbereichs Sprachliche Grundbildung – Literaturdidaktik (Universität Bielefeld) hat das Ziel, insbesondere negative Wertungspraktiken zu analysieren, um so Kategorien und Kriterien für die negative Bewertung von Bilderbüchern zu identifizieren. Im Fokus stehen vorrangig konkrete Praktiken der negativen Bewertung, beispielsweise von Lehrkräften, Fachleiter*innen aus den Zentren für schulpraktische Lehrer*innenausbildung (ZfsL), Bilderbuchautor*innen, Verlags- und Buchhändler*innen sowie Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen.

[3]In diesem Beitrag werden die Rezensionen auf der Amazon-Produktseite des Bilderbuchs Der Regenbogenfisch von Marcus Pfister (1992) untersucht. Dieses Bilderbuch gilt als ein populärer und zeitgenössischer Klassiker im Bereich der Kinderliteratur, der auf Amazon bereits mehr als 2.800 Mal (Stand: Mai 2023) rezensiert wurde und somit ein breites Spektrum positiver und negativer Bewertungen bietet. Es soll zum einen der Frage nachgegangen werden, mit welchen Begründungen bzw. nach welchen Wertmaßstäben negative Bewertungen formuliert werden. Zum anderen ist es auch interessant, uneindeutige Wertungstendenzen in den Rezensionen zu identifizieren, da davon ausgegangen wird, dass nicht alle negativen Online-Rezensionen ihre Bewertungskriterien eindeutig offenlegen. Ein zentrales Merkmal von Online-Rezensionen (auf Amazon) ist ihre Kürze,‍[3] weswegen angenommen werden kann, dass die Bewertungstendenzen nicht immer in einem Abwägungsprozess ästhetischer und inhaltlicher Kriterien transparent aufgeführt werden.

[4]Zunächst wird ein knapper theoretischer Überblick über das Text-Bild-Medium Bilderbuch gegeben, worauf eine Auseinandersetzung mit dem Bilderbuch Der Regenbogenfisch folgt. Ein Einblick in die KJL-Kritik gibt Aufschluss über deren Historie, ihre unterschiedlichen Ausrichtungen und über die Kritik an der KJL-Kritik. Eine Zusammenführung dieser Darstellung im Hinblick auf das Bilderbuch Der Regenbogenfisch schließt sich an. Das methodologische Vorgehen der Analyse und die Ergebnisse der Untersuchung werden nachfolgend erläutert. Die Ergebnisse werden in einem abschließenden Fazit komprimiert zusammengefasst und Schlüsse aus der zuvor dargestellten Analyse gezogen.

2. Das Bilderbuch

[5]Beim Bilderbuch handelt es sich um ein (zumeist)‍[4] Bild- und Schrifttext kombinierendes Medium, in dem die beiden eingesetzten Zeichensysteme in einem variierenden Wechselverhältnis zueinander stehen. Ein Bilderbuch wird insofern nicht linear rezipiert, sondern macht es erforderlich, den Blick zwischen Bild- und Schrifttext hin- und herwandern zu lassen: Sein kompositorisches Grundprinzip kann immer wieder neue Herausforderungen an die Lesenden stellen, die vornehmlich die Reihenfolge der zu rezipierenden Elemente und ihre Bedeutungserschließung in der Zusammenschau betreffen.‍[5] Auch wenn die zuhörenden Rezipient*innen beim Vorlesen eines Bilderbuchs den Schrifttext nicht längere Zeit vor Augen haben und den Text (noch) nicht selbst erlesen können, sollten sie die Gelegenheit erhalten, die Bilder für ein rezeptionsvertiefendes Verständnis zu betrachten und sich darüber auszutauschen. So wird in einer gelungenen Vorlesesituation eine integrative Verarbeitung von Text und Bild gefördert.‍[6]

[6]Das Bilderbuch als multimodaler Text ist daher auch als intermedial zu bezeichnen, insofern es zum einen zeigt und zum anderen erzählt und damit eine erkennbare Nähe zu Bildender Kunst und schriftliterarischer Narration aufweist. Darüber hinaus können auch Aspekte theatralen, comicspezifischen und filmischen Erzählens in dieses Medium Eingang finden.‍[7]

[7]Entsprechend des oben skizzierten Definitionsansatzes sind die Realisierungsmöglichkeiten einzelner Bilderbücher enorm vielfältig: Sie speisen sich aus Themen, Stoffen, Motiven, Gattungen und Komplexitätsgraden sprachlicher wie auch visueller Gestaltungsmodi, die auch aus anderen Kunstformen bekannt sind. Dennoch herrscht in der öffentlichen (nicht fachwissenschaftlichen) Diskussion trotz weiterhin zunehmender Auffächerung der Themen, Adressierungen und Gestaltungsformen die Ansicht vor, dass sich Bilderbücher vornehmlich an Kleinkinder und Leseanfänger*innen richten.‍[8]

3. Der moderne Bilderbuchklassiker ›Der Regenbogenfisch‹

[8]Ein Text, auf den diese Einschätzung zutrifft, soll im vorliegenden Beitrag betrachtet werden. Bei Marcus Pfisters Der Regenbogenfisch (1992) handelt es sich um einen modernen Klassiker auf dem Gebiet der Bilderbücher‍[9], die sich an noch sehr junge Kinder richten.‍[10] Mit über 30 Millionen verkauften Exemplaren kann man von einem wahren Publikumsliebling, einem Best- und Longseller,‍[11] sprechen, der mittlerweile in 50 verschiedene Sprachen übersetzt worden ist.‍[12] Ein umfassender Medienverbund mit zwischenzeitlich acht Folgebänden, unterschiedlichen Buchformaten und medialen Adaptionen wie Hörbüchern und einem Trickfilm ist Teil dieses kommerziellen Erfolgs. Bemerkenswert umfangreich gestaltet sich auch das Merchandise, das seit der Erstveröffentlichung stetig erweitert wird. Auf der verlagseigenen Homepage bietet der NordSüd Verlag zudem pädagogische Begleit- und Lehrmaterialien zum kostenfreien und kostenpflichtigen Download sowie in gedruckter Form an.‍[13]

[9]Erzählt wird die Geschichte eines prachtvollen, aber hochmütigen Fisches mit einem schillernden Schuppenkleid in den Farben des Regenbogens. Der Regenbogenfisch schwimmt stumm durchs Meer und ignoriert die anderen Fische, die ihn zum Spielen auffordern wollen. Schließlich bittet ihn ein kleiner Fisch um eine Schuppe, was der Regenbogenfisch aber unwillig verneint. Die barsche Abfuhr spricht sich im Ozean herum und fortan meiden die anderen Fische den schönen Regenbogenfisch. Der plötzliche Verlust der Bewunderung durch andere lässt den Regenbogenfisch den Tintenfisch aufsuchen, der ihm rät, allen Fischen eine seiner Glitzerschuppen zu schenken, wonach er zwar nicht mehr der Schönste, aber der Glücklichste sein werde. Nach kurzem Hadern setzt der Regenbogenfisch diesen Rat in die Tat um, hat zum Schluss – wie alle anderen Fische – noch genau eine Glitzerschuppe und wird tatsächlich überglücklich, weil die anderen Fische ihn zum Spielen auffordern.

[10]Das DIN A4-formatige Bilderbuch besitzt einen hohen Bildtextanteil. Alle Illustrationen zeigen den Regenbogenfisch, häufig zusammen mit den Meeresbewohner*innen, mit denen er interagiert. Der aquarellartige Zeichenstil wird von aquatischen Blau- und Grüntönen dominiert. Eine optische und haptische Besonderheit ist die Realisierung der Glitzerschuppen des Regenbogenfisches, die aus paillettenartig geprägter Silberfolie (sogenannter Diffraktionsfolie) bestehen. Ihre Materialität ist auffällig und lenkt den Blick nicht nur auf den Regenbogenfisch als handelnde Figur, sondern im Verlauf der Narration auch auf den Prozess des Besitzer*innenwechsels der einzelnen Schuppen.

[11]Die Gesamtgestaltung des bimodalen Bilderbuchs ist mit Blick auf das Bild-Schrifttextverhältnis als sehr einfach zu beschreiben und lässt sich (in Teilen) als symmetrisch, also weitgehend deckungsgleiche Informationen vermittelnd, bezeichnen, sofern man zwei differenten Zeichensystemen eine solche Leistung tatsächlich zugestehen möchte. Da immer nur Teile der schriftsprachlichen Informationsvergabe illustriert werden können und der Schrifttext generell auch für sich allein genommen eine vollständige Geschichte vermittelt, können die Illustrationen auch als begleitend bezeichnet werden. Dieses Bild-Schrifttextverhältnis in Verbindung mit der Kürze und Einfachheit der Geschichte untermauert den Eindruck, dass sich das Buch an sehr junge Kinder und Leseanfänger*innen richtet.‍[14]

[12]Die nur vorsichtig deutende Zusammenfassung des Bilderbuchinhalts legt bereits nahe, dass die Geschichte als Allegorie zu lesen ist. Der Regenbogenfisch besitzt schöne Schuppen, die ihn aus der Masse hervorstechen und ihn stolz und hochmütig werden lassen. Erst die Bereitschaft zum Schenken und die Akzeptanz, dadurch gewöhnlich zu werden, lassen ihn zum Teil einer Gemeinschaft und damit glücklich werden. Auf welche Verhaltensweisen diese auf Übertragung drängenden Zusammenhänge jedoch genau zielen, bleibt eine offene Frage, was bereits an dem Bild des Teile seines Körpers verschenkenden Regenbogenfisches nachzuvollziehen ist: Auch wenn der Umstand an sich nicht effekthaschend umgesetzt ist, bleibt auf Bild- und Schrifttextebene das Faktum eines Fisches bestehen, der sich mit seinen Glitzerschuppen von einem ebenso essentiellen wie charakteristischen Bestandteil seiner Physis trennen muss, um sie an andere weiterzugeben. Befremdlich wirkt vor diesem Hintergrund auch der Umstand, dass die fremden Fische den Regenbogenfisch explizit um seine Schuppen bitten, als handele es sich um ein Kleidungsstück und nicht um ein Körperteil.‍[15] Doch selbst wenn wir davon ausgingen, dass die Schuppen nur ein Kleidungsstück des Fisches darstellen sollten, stellt sich immer noch die berechtigte Frage, warum er davon abgeben muss, um wirklich gemocht (und nicht nur bewundert) zu werden. Als Antwort keimt der beunruhigende Gedanke auf, dass die Vergesellschaftung des Regenbogenfisches letztlich nicht mehr ist als ein Tauschhandel, wenn er Schuppen gibt und dafür Zugehörigkeit bekommt.

[13]Es ist dieses schlichte didaktische Primat, das den Text – zumindest von einem gegenwärtigen Standpunkt aus betrachtet – in die Nähe der sogenannten Sittenlehrbücher und Moralischen Geschichten rückt, wie sie die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts kannte. Während eine weitergehende Übereinstimmung mit diesen historisch gewordenen Genres dabei allein schon wegen deren Anspruch auf Umsetzung in der Realität versagt bleiben muss, greift eine allzu märchenhafte Lesart ebenfalls zu kurz. Denn anders als im Märchen, das zumeist auf die Wiederherstellung eines Gerechtigkeitszustands zielt, bleibt auch die Entdeckung der Freude am Schenken letztlich schal. Am Ende hat der Regenbogenfisch tatsächlich nichts mehr, was er verschenken könnte, sodass sich die Frage stellt, ob die soziale An- bzw. Aufnahme die Konsequenz ist, die erst aus der individuellen Bankrotterklärung erfolgen kann.

[14]Was diese grob umrissenen Kritikpunkte bereits nahelegen, ist, dass der moralische Kern der Geschichte einerseits sehr konsequent herausgestellt wird (wer hochmütig und stolz ist, muss den Grund dieser negativen Eigenschaften ablegen und selbst etwas von sich geben, um Teil einer Gemeinschaft und damit glücklich zu werden), andererseits eine gelingende Übertragung auf zwischenmenschliche Zusammenhänge jedoch zumindest fragwürdig bleibt.‍[16] Insbesondere die Moral der Geschichte ist es, die zwar viele Leser*innen des Bilderbuchs begeistert, einige andere aber auch durchaus skeptisch werden lässt, was sich an verschiedenen Leser*innenmeinungen, u. a. auf verkaufsorientierten Online-Plattformen, nachvollziehen lässt.

4. KJL-Kritik

[15]Ob allgemeiner für die KJL oder spezieller für das Bilderbuch Der Regenbogenfisch, so ist zunächst anzumerken, dass ein maßgeblicher Unterschied der KJL-Kritik gegenüber der allgemeinen Literaturkritik in der Regel darin besteht, dass weder die Rezensierenden noch die Rezipierenden der Kritiken mit der intendierten Leser*innenschaft der Werke übereinstimmen. Die Rezensionen werden von Erwachsenen geschrieben und vorwiegend an Erwachsene adressiert, Kinder und Jugendliche tauchen erst in den letzten Jahren und meist jenseits institutionalisierter Literaturkritik als Rezensent*innen auf.‍[17] Erwachsene nehmen in der kinder- und jugendliterarischen Öffentlichkeit noch immer die Rolle der Vermittler*innen‍[18] und häufig Gatekeeper*innen‍[19] ein, sie entscheiden – insbesondere für die Jüngsten – welche Literatur (ihre) Kinder rezipieren. Diese Voraussetzung führt zu charakteristischen Merkmalen, welche die KJL-Kritik von der allgemeinliterarischen Kritik unterscheiden: Rezensionen von KJL sind häufig von ausführlichen Inhaltswiedergaben geprägt, nicht selten wird dabei der Ausgang der Geschichte verraten.‍[20] Neben der Bestimmung der Zielgruppe durch Altersangaben werden weitere Handlungsempfehlungen für Pädagog*innen und Eltern zum Umgang mit den besprochenen Werken gegeben. Außerdem werden – offensiver und deutlicher als im Gros der Rezensionen von ›Erwachsenenliteratur‹ – klare Empfehlungen oder (deutlich seltener) Lesewarnungen ausgesprochen.‍[21]

[16]Grob lassen sich zwei Typen der KJL-Kritik unterscheiden: die pädagogisch-didaktisch und die literarisch-ästhetisch argumentierende Ausrichtung. Die pädagogisch-didaktische Position wünscht KJL

[17]»kommunikationstheoretisch gesprochen als Vermittlungsinstanz, deren Wert daran gemessen wird, inwieweit sie die Rolle der Schlüsselfunktion erfüllt, eine spätere Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen (literarischen) Leben zu eröffnen.«‍[22]

[18]Diese ›Gebrauchswert-Kritik‹ wird schon lange von Seiten der KJL-Forschung beklagt. So beanstandet beispielsweise Klaus Doderer bereits 1981:

[19]»Sie [die KJL] ist fast ausschließlich als instrumentelle Literatur im Bewußtsein der Erwachsenen und der Öffentlichkeit. Ihr wird nur pädagogische Bedeutung, ein einseitiger didaktischer, moralischer, bildender Wert zugesprochen […] Rezensionen enthalten – im Gegensatz zu den sonstigen literarischen Kritiken – fast ausschließlich Inhaltsbeschreibungen mit anschließender Bemerkung über Nutzen und Effekt des Werkes.«‍[23]

[20]Die literarisch-ästhetische Kritik hingegen nimmt prinzipiell das literarische Werk in seiner Form, seinem Stil, seiner Ästhetik ernst, sie bespricht KJL als Literatur. Wenngleich diese Tendenz zugenommen hat, konstatiert Judith Witzel in einer Untersuchung von 2005, dass die Rezensent*innen sich zwar an analytischen Termini und Kategorien orientieren, dabei jedoch häufig auf allgemein gehaltene, floskelhafte Wertungen mit fraglicher Aussagekraft kommen. So werden beispielsweise »erzählerisches Können [in] Höchstform« oder »sprachliche Kunstfertigkeit« attestiert, aber es wird nicht erläutert, wie sich diese Kunstfertigkeit ausdrückt, wie sie im Text deutlich wird.‍[24] Darin bestätigt sich ein Mangel, den Hans-Heino Ewers schon 1988 an der KJL-Kritik monierte: »Sobald sie über die Inhaltsangabe hinausgehen, geraten sie ins Schwimmen. Künstlerische bzw. literarische Qualitäten präzise zu benennen, gelingt in den seltensten Fällen; Werturteile werden kaum nachvollziehbar gemacht.«‍[25]

[21]Zur Kritik an der KJL-Kritik gehört auch deren marginalisierte Stellung im Rahmen der Presse: Statt im allgemeinen Feuilleton wird KJL zumeist auf speziellen Kinderseiten besprochen (womit die Frage nach den Adressat*innen erneut aufgeworfen wird); der Umzug der Kinderliteraturkritik vom Feuilleton der ZEIT auf die Seiten der KinderZEIT hat 2010 für eine exemplarische Diskussion dieser Platzierung gesorgt.‍[26]

[22]Auffällig häufig handelt es sich bei KJL-Kritik im Rahmen der institutionalisierten Literaturkritik um positive Besprechungen, um Empfehlungen; Negativbesprechungen tauchen ungleich seltener auf. Anders gestaltet sich dieses Verhältnis bei Rezensionen im Internet, wie sie besonders zahlreich und zentral auf den Homepages der großen E-Commerce-Händler zu finden sind. Wichtig zu erwähnen, und darauf wird noch zurückzukommen sein, ist dabei der Status der Rezensionen zwischen professioneller und Laienkritik: Ein Überwiegen der Laienkritik ist anzunehmen, doch muss ausdrücklich betont werden, dass beide Formen vorkommen können; durch die weitgehende Anonymität der Texte ist eine Zuordnung nicht auf den ersten Blick möglich. Das trifft auch auf jene Äußerungen zu, die sich für das Beispiel von Der Regenbogenfisch finden lassen und die in diesem Beitrag genauer untersucht werden sollen.

5. ›Der Regenbogenfisch‹ als schlechtes Bilderbuch

[23]Aus literaturanalytisch-kritischer Perspektive stellt sich zunächst die Frage, ob es sich bei Der Regenbogenfisch um ein tendenziell eher gutes oder ein schlechtes Bilderbuch handelt und welche Gründe für die eine oder andere Einschätzung angeführt werden. Ein positives Urteil abzugeben, scheint nicht nur generell einfacher zu sein, sondern auch in gewisser Weise Tradition zu haben, wenn man sich die oben aufgeführten Befunde zur KJL-Kritik vergegenwärtigt. Wenn aber negative Bewertungen zum einen seltener abgegeben werden und zum anderen die berechtigte Vermutung besteht, dass sie einen höheren Begründungsaufwand erforderlich machen könnten, lohnt sich ihre Betrachtung in besonderem Maße. Insofern wollen wir unser Augenmerk im Folgenden auf die schlechten und mittelmäßigen Bewertungen des ausgewählten Bilderbuchs legen, um zum einen eine bislang weitgehend vernachlässigte (negative) Bewertungspraxis zu fokussieren und zum anderen die Begründungen bzw. Wertmaßstäbe, die in diesem Zusammenhang herangezogen werden, genauer untersuchen zu können. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, ob vielleicht die in Kapitel 3 angerissenen kritischen Überlegungen zu einer fragwürdigen moralischen Ausrichtung des Bilderbuchs in diesen Begründungen (in welcher Form auch immer) auftauchen.

5.1 Korpusanalyse

[24]In den nächsten, sich anschließenden beiden Schritten stellen sich folgende Fragen: Welche Anlaufstellen bieten im digitalen Raum ein möglichst breites und intensiv genutztes Forum für derartige Wertungen von Literatur – in diesem Fall von Bilderbüchern –, und wie können diese für das vorliegende Erkenntnisinteresse erfasst und ausgewertet werden? Durch seine de facto weltweite Vormachtstellung fällt der Blick dabei fast schon zwangsläufig auf den Online-Versandhandel Amazon, der im Jahr 1995 originär als rein digitale Buchhandelsplattform konzipiert wurde. Seit 1998 können über die Website amazon.de auch in Deutschland Waren bestellt werden. Seit diesem Zeitpunkt ist es zudem möglich, Produkte, inklusive Bücher, über die Plattform zu rezensieren und zu bewerten.‍[27]

[25]Unsere Entscheidung für Amazon war motiviert durch – auch und gerade im Vergleich mit der Konkurrenz – ein nicht nur aussagekräftiges, sondern als Voraussetzung dafür auch vergleichsweise umfangreiches Korpus. Dies und das Interesse, strukturelle Erkenntnisse über die Inhalte der Bewertungen und Rezensionen treffen zu können, rückten frühzeitig die Möglichkeiten und die Werkzeuge der Digital Humanities in den Fokus.

[26]Zum Verfassen einer Amazon-Rezension ist ein Benutzer*innenaccount auf der Website sowie ein bestätigter Kauf notwendig, der jedoch nicht zwangsläufig der zu rezensierende Gegenstand sein muss. Eine Funktion, die auf der Website seit ihrer Einführung in Deutschland implementiert ist, ist die Bewertung von Waren mithilfe eines Ratingsystems (ein bis fünf Sterne), das genutzt werden muss, um eine Rezension zu veröffentlichen. Vier bis fünf Sterne bedeuten, dass der*die Kund*in den Gegenstand positiv bewertet hat, ein bis drei Sterne umfassen die eher kritisch bis negativ bewertenden Rezensionen. Das Ratingsystem besitzt vor allem eine Orientierungsfunktion für andere Kund*innen, indem einerseits gezielt selektiert werden kann, ob eher positive oder negative Bewertungen angezeigt werden sollen, andererseits jedem Produkt eine Gesamtbewertung zugeordnet wird, die aus den vergebenen Sternebewertungen der veröffentlichten Kund*innenrezensionen resultiert. Aufgrund der stetig steigenden Zahl an Rezensionen ist es Benutzer*innen zudem seit einigen Jahren möglich, besonders hilfreiche Rezensionen zu markieren, die auf der Produktseite bevorzugt angezeigt werden.

[27]Zur Klientel der Rezensierenden auf Amazon lassen sich an dieser Stelle zwei Anmerkungen machen: Zum einen lässt sich konstatieren, dass Online-Rezensionen nicht mit der Gattung der Laienrezensionen gleichzusetzen sind, da auf der Website keine Auskunft über die Expertise bzw. den Hintergrund der Rezensierenden geliefert wird,‍[28] und letztlich jede*r, der*die ein Kund*innenkonto besitzt, anonym eine Rezension verfassen kann.‍[29] Zum anderen lassen sich aufgrund dieser Anonymität Motivationen einzelner Rezensierender verschleiern, denen es womöglich nicht primär daran gelegen ist, die Qualität eines angebotenen Buchs zu bewerten, sondern die Bewertungen eher aus ökonomischem Interesse zu verfassen. Zu erwähnen ist insbesondere die (teils strafbare) Marketingpraktik der gekauften Bewertung, die von herausgebenden oder herstellenden Instanzen des angebotenen Produkts in Auftrag gegeben wird, um eine größere Zahl an positiven Bewertungen zu generieren. Wenngleich Amazon gegen derartige Praktiken vorgeht und beispielsweise mithilfe von Machine-Learning-Modellen KI-generierte Rezensionen aufzuspüren versucht,‍[30] erscheint es schwierig, menschlich verfasste, gekaufte Bewertungen aufzudecken; ein gekaufter Rezensierender kann den Artikel erwerben und möglicherweise auch nutzen / rezipieren, aber dennoch ungeachtet jeglicher negativer Kritikpunkte die geforderte positive Rezension veröffentlichen. Doch auch Amazon selbst fördert das Verfassen von Rezensionen durch externe Anreize, indem spezielle Programme für die »aufschlussreichsten Rezensenten« (Amazon Vine – Club der Produkttester) geschaffen werden, in denen Produkttester*innen kostenlose Exemplare im Voraus erhalten – und diese häufig sehr positiv bewerten.‍[31]

[28]Für die folgende Analyse bilden die Rezensionen auf der Amazon-Produktseite des Bilderbuchs Der Regenbogenfisch das zugrundeliegende Korpus. Das Buch wurde 2.878 Mal (Stand: Mai 2023) bewertet, die Gesamtbewertung wird mit 4,7 Sternen angegeben. Um die negativen Wertungspraktiken herauszuarbeiten, haben wir entschieden, die Rezensionen zu extrahieren, die im niedrigen Sternebereich verortet sind. Es handelt sich um insgesamt 108 Textrezensionen (3,75 % der Gesamtbewertungen), darunter 54 Rezensionen (50 %, 1,87 % der Gesamtbewertungen) mit einem Stern, 18 (16,7 %, 0,6 % der Gesamtbewertungen) mit zwei Sternen und 36 (33,3 %, 1,25 % der Gesamtbewertungen) mit drei Sternen. Die Rezensionen stammen aus den Jahren 2002 bis 2023 und beziehen sich auf unterschiedliche Ausgaben des Bilderbuchs, die Mehrheit der Rezensionen stammt aus den Jahren 2018 bis 2022.

[29]Methodologisch wurde sich für eine Tagset-geleitete Annotation mittels CATMA[32] entschieden. Die Texte wurden hierbei von allen sechs Mitgliedern der Arbeitsgruppe annotiert. Neben der Nutzung der Analysefunktion des Programmes haben wir zudem einzelne annotierte Passagen mittels der Document-Terms-Funktion[33] der Applikation Voyant Tools untersucht, wobei für die Analyse die programmeigene deutsche Stoppwort-Liste genutzt wurde.

[30]Vor der Textanalyse wurde ein Tagset entwickelt, das sich aus den Kategorien der Typologie axiologischer Werte zur Beurteilung literarischer Texte nach Renate von Heydebrand und Simone Winko‍[34] speist und an dem folgende Ergänzungen vorgenommen wurden:

[31]Erstens müssen medienspezifische Faktoren des Bilderbuchs berücksichtigt werden: Aufgrund seiner multimodalen Eigenschaften müssen insbesondere die formalen axiologischen Werte modifiziert werden, die in der Praxis auf die verschiedenen Zeichensysteme zielen. So wurde die Kategorie ›Schönheit‹, die nach Heydebrand und Winko unter anderem auf die »ästhetische / rhetorische Gestaltung der Sprache«‍[35] ausgerichtet ist, um die Unterkategorie »ästhetische / rhetorische Gestaltung des Bildes« erweitert.

[32]Zweitens gehen wir davon aus, dass Der Regenbogenfisch vor allem an kindliche Rezipient*innen adressiert ist, diese jedoch nicht die Hauptgruppe der Rezensierenden auf amazon.de bilden. Hier sind es vielmehr Erwachsene, die in der Rolle als Gatekeeper*innen oder Vermittler*innen auftreten und dementsprechend urteilen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit sie die literarische Wertung auf ihr eigenes Rezeptionsverhalten beziehen (Selbstreferenz) oder die Eindrücke und Perspektiven kindlicher Rezipient*innen (Fremdreferenz) darlegen.

[33]Drittens muss vor dem Hintergrund unterschiedlicher Rezensionskompetenzen‍[36] und individueller Motive der Rezensierenden festgehalten werden, dass Online-Rezensionen und Sternvergabe nicht immer auf die Qualität des Textes zielen, sondern auch andere Wertungsdimensionen betreffen.‍[37] Vorstellbar sind Wertungen über die jeweilige Textausgabe, den Zustand des Buchs sowie logistische Faktoren des Versandprozesses (Verpackung/Lieferung), die in das Tagset integriert wurden.

[34]Viertens umfasst nach Stephan Stein (Online-)Rezensieren nicht nur die Wertung, sondern auch eine mehr oder weniger umfangreiche Inhaltsangabe des rezensierten Textes: »Wie man sieht, wird Rezensieren verstanden als (mehr oder weniger ausführliche) Wiedergabe des Buchinhalts und 2. des subjektiven Rezeptionserlebens als Grundlage für eine Leseempfehlung oder eine Lesewarnung.«‍[38]

[35]Wenngleich Amazon-Rezensionen nicht immer zwingend eine Inhaltsangabe aufweisen, da diese Informationen häufig im redaktionell angelegten Teil der Buchpräsentation angelegt sind,‍[39] ist eine Betrachtung erzählerischer Passagen gerade in Anbetracht der Differenzierung von negativen, uneindeutigen und positiven Wertungen relevant. So arbeitet Peter Boot‍[40] in der Analyse von Online-Rezensionen auf den Websites Amazon und Goodreads heraus, dass Inhaltsangaben vornehmlich mit positiven Wertungen einhergehen. Negative Rezensionen hingegen bringen größeren Argumentationsaufwand dafür auf, die eigene Bewertung zu begründen, setzen jedoch weniger auf Inhaltsangaben. Vor dem Hintergrund einer genaueren Ausdifferenzierung negativer Wertungen ist es deshalb interessant, diese Beobachtung in die eigene Analyse zu integrieren, um sie im Hinblick auf das ausgewählte Textkorpus zu diskutieren.

5.1.1 Was ist so schlecht am ›Regenbogenfisch‹?

[36]Neben der Frage, inwieweit in den Rezensionen negative Wertungspraktiken zu eruieren sind, ist von Interesse, wie Wertungen begründet werden und welche Rolle Rezensierende (z. B. als Gatekeeper*innen) einnehmen.

Pfad des Annotations-Tags Häufigkeit
/Moralität 348
/Referenz/Fremdreferenz 182
/Schönheit/Bild 138
/Referenz/Selbstreferenz 136
/Nacherzählung 88
/Keine Begründung (ohne anderen Tagbezug) 81
/Bewertung der Fassung (Inhalt / Neuauflage) 80
/Wirkungsbezogen/Handlungsorientierung 73
/Zustand/Logistik 71
Tags: 29 / Annotations: 1575
Tab. 1: Liste der 9 am häufigsten vergebenen Annotations-Tags im annotierten Korpus.

[37]In der Analyse der häufigsten Annotations-Tags (Tabelle 1) zeigt sich, dass ›Moralität‹ mit deutlichem Abstand die Liste anführt. In 191 Fällen wurde der Tag in Rezensionen mit einem Stern gesetzt, in 69 Fällen in Rezensionen mit 2 Sternen sowie in 87 Fällen in Rezensionen mit drei Sternen. Moralität lässt sich nach Heydebrand und Winko als inhaltlich axiologischer Wert beschreiben und stellt den »höchsten, d.h. abstraktesten inhaltlichen Wert im ethischen Bereich«‍[41] dar. Moralität zielt hier auf verschiedene »weltanschauliche[n] Annahmen oder philosophische[n] Theorien«‍[42], die auf gänzlich unterschiedliche ethische Themenbereiche zielen können. Tabelle 2 verdeutlicht, dass der Tag ›Moralität‹ zugleich der am häufigsten gesetzte Tag mit der Eigenschaft ›Negativ‹ ist, was bedeutet, dass viele Rezensent*innen das Bilderbuch aufgrund moralisch-ethischer Faktoren schlecht bewerten.

Pfad des Annotations-Tags Häufigkeit
/Moralität 286
/Bewertung der Fassung (Inhalt / Neuauflage) 68
/Zustand/Logistik 61
/Wirkungsbezogen/Handlungsorientierung 52
/Schönheit/Sprache 38
/Schönheit/Bild 34
/Materialität 32
/Ökonomischer Wert 29
/Affektiv/Wut 23
Tags: 22 / Property Values: 718
Tab. 2: Liste der 9 am häufigsten annotierten Tags mit der Eigenschaft ›Negativ‹ im annotierten Korpus.

[38]Als inhaltlich axiologischer Wert bezieht sich eine moralisch-ethische Wertung auf den Inhalt eines Textes,‍[43] was nahelegt, dass in Rezensionen, in denen der Text aufgrund moralischer Diskrepanzen als schlecht bewertet wird, inhaltlich nacherzählende Passagen vorliegen. Wenn im folgenden Beispiel die Geschichte als »sehr schlecht« bewertet wird, findet sich durch die Selektion spezifischer Handlungselemente eine Referenz auf die moralische Dimension der Erzählung, die anschließend im Sinne einer Handlungsorientierung funktionalisiert wird:

[39]»Vor allem aber finde ich die Geschichte sehr schlecht. Der Fisch wird um seine Glitzerschuppen beneidet. Weil er sie nicht abgeben will, spielt niemand mit ihm. Erst als er dazu bereit ist und dann alle gleich sind, gibt sich jemand mit ihm ab. Diese Geschichte werde ich meinen Kindern sicher nicht erzählen!«

(1St RbF Amazon 2018 2)

[40]Nacherzählung meint in dieser Einbettung nicht, dass die Geschichte in ihrer chronologischen Ereignisfolge wiedergegeben wird, sondern dass vielmehr selektiv Aspekte des Figurenhandelns mit dem Ende der Geschichte in Beziehung gesetzt werden. Das Nacherzählen ist somit eher ein deutendes Erzählen als ein auf Vollständigkeit bedachtes Wiedererzählen.

[41]Die Verbindung von moralischen Wertungen und Elementen des Nacherzählens lässt sich auch in Bezug auf die neun am häufigsten verwendeten Wörter in den mit ›Moralität‹ annotierten Passagen belegen:

Begriff Anzahl Trend‍[44]
buch 50 0,0076
geschichte 40 0,0061
regenbogenfisch 37 0,0056
freunde 35 0,0053
schuppen 35 0,0053
fisch 33 0,0050
moral 33 0,0050
botschaft 32 0,0048
kind 20 0,0030
Tab. 3: Liste der 9 am häufigsten verwendeten Wörter in mit dem Tag ›Moralität‹ annotierten Passagen, absolute und relative Häufigkeit.

[42]Während die Begriffe ›moral‹ und ›botschaft‹ eindeutig der moralischen Wertung zugeordnet werden können, verweisen Begriffe wie ›geschichte‹, ›freunde‹, ›schuppen‹ und ›fisch‹ (mit Abstrichen auch der Begriff ›regenbogenfisch‹, der aber auch im Titel des Buchs vorkommt) auf den Erzählinhalt des Buchs. Die Beziehung zwischen ›Moralität‹ und ›Nacherzählung‹ (zugleich der fünfthäufigste Tag) wird ebenfalls in einer kontextuellen Betrachtung deutlich: In 59,8 % der Rezensionstexte finden sich beide Tags – oftmals in unmittelbarer Nähe zueinander.

[43]In Bezug auf das von Boot‍[45] aufgeworfene Verhältnis von Nacherzählung und negativer Wertung lässt sich folglich präzisieren, dass das Auftreten von Nacherzählungen weniger mit der Wertung an sich zu tun hat, sondern vielmehr mit der Art der Wertung selbst: Handelt es sich um axiologisch-inhaltliche Formen der Wertung und ist eine Bewertung negativ, also womöglich begründungsbedürftiger,‍[46] wird auch verstärkt auf nacherzählende Passagen zurückgegriffen.

[44]Bei Betrachtung der Wortliste fällt zudem der Begriff ›kind‹ ins Auge, der keinen Bezug zum Erzählinhalt selbst besitzt, sondern zu potenziellen Rezipierenden des Bilderbuchs. ›Referenz / Fremdreferenz‹ ist der am zweithäufigsten annotierte Tag und taucht häufig im Zusammenhang mit dem Tag ›Moralität‹ auf (in 56,1 % der Rezensionstexte finden sich beide Tags). Hier bestätigt sich die angenommene adressat*innenbezogene Doppelgesichtigkeit‍[47] der Rezensionen: Die Frage, inwieweit das Buch (nicht) zu empfehlen ist, wird häufig mit Blick auf (eigene) Kinder beantwortet. Erwachsene Rezensent*innen nehmen die Position von Gatekeeper*innen ein, um einen nach ihrer Meinung kindgerechten Text zu selektieren. Dabei wird in den untersuchten Rezensionen deutlich, dass davon ausgegangen wird, ein literarischer Text könne den Rezipierenden ethisch-moralische Grundsätze vermitteln (in diesen Rezensionen werden vor allem die Themen ›teilen (müssen)‹ und ›sich anpassen‹ angeführt, wobei die negativen Rezensionen diese Tätigkeiten ethisch-moralisch verurteilen). Damit folgen sie der Diskurs- und Wertungspraxis von Kinderbüchern, die auf den pädagogisch-didaktischen Wert des literarischen Textes zielt.‍[48]

[45]In Onlinerezensionen, die sich auf Texte der KJL beziehen, geht es also im Vergleich zu Onlinerezensionen anderer literarischer Gattungen nicht vornehmlich um den subjektiven Lesegenuss, also den wirkungspsychologischen Blick auf Verständlichkeit und Förderung von »Flow Erlebniss[en] bei der Lektüre«, der - anders als die professionelle Literaturkritik - Kriterien der Innovation und Originalität wenig betrachtet. Wenngleich der rezensierende Blick auf die KJL ebenfalls wirkungspsychologische Faktoren einbezieht, so zielen diese Faktoren weniger auf das persönliche Erleben, sondern eher auf die funktionalen Handlungszusammenhänge, in die der Text eingebettet werden kann. Dies verdeutlicht auch der am achthäufigsten annotierte Tag ›Wirkungsbezogen / Handlungsorientiert‹, der nach Heydebrand und Winko zwar als individueller axiologischer Wert, zugleich aber auch als praktischer wirkungsbezogener Wertmaßstab klassifiziert wird und dem literarischen Text Handlungsanleitung oder -beeinflussung zugesteht.‍[49]

5.1.2 Ästhetische Qualität als uneindeutig-reflexives Wertungskriterium

[46]An dritter Stelle der am häufigsten annotierten Tags (Tabelle 1) findet sich der Tag ›Schönheit / Bild‹, der zugleich der am häufigsten annotierte Tag mit der Eigenschaft ›Positiv‹ ist.

Pfad des Annotations-Tags Häufigkeit
/Schönheit/Bild 96
/Materialität 29
/Moralität 17
/Hedonismus/Unterhaltung 15
/Prestigewert 12
/Wirkungsbezogen/Handlungsorientierung 12
/Zustand/Logistik 10
/Schönheit/Paratext 9
/Verständlichkeit 7
Tags: 16 / Property Values: 236
Tab. 4: Liste der 9 am häufigsten annotierten Tags mit der Eigenschaft ›Positiv‹ im annotierten Korpus.

[47]Als formaler axiologischer Wert, der auf formal-ästhetische Kriterien zielt, umfasst die Kategorie ›Schönheit‹ verschiedene Teildimensionen wie Stimmigkeit, Polyvalenz, Komplexität und Einfachheit, Ganzheit (also den Gesamtbezug der Einzelteile aufeinander) sowie die ästhetische Gestaltung‍[50] der jeweiligen Zeichenmodalität. Analysiert man die annotierten Textteile der Kategorie ›Schönheit / Bild‹ in Bezug auf die am häufigsten genutzten Begriffe, ergeben sich folgende absolute und relative Häufigkeiten:

Begriff Anzahl Trend
buch 22 0,0352
schön 17 0,0272
bilder 12 0,0192
glitzer 7 0,0112
gestaltet 6 0,0096
schönen 6 0,0096
gelungen 5 0,008
hübsch 5 0,008
hingucker 5 0,008
Tab. 5: Liste der 9 am häufigsten verwendeten Wörter in mit dem Tag ›Schönheit / Bild‹ annotierten Passagen, absolute und relative Häufigkeit.

[48]Es fällt auf, dass lediglich der Begriff ›glitzer‹ eine konkrete formale Qualität des Bilderbuchs beschreibt, nämlich die auffällig reflektierend gestalteten Schuppen des Regenbogenfisches auf den einzelnen Buchseiten und dem Cover. Adjektive wie ›schön‹, ›schönen‹, ›gelungen‹ und ›hübsch‹ sowie das Substantiv ›hingucker‹ lassen sich sehr klar der Kategorie ›Schönheit‹ mit der Eigenschaft ›Positiv‹ zuordnen, besitzen jedoch für sich stehend keinen inhaltlichen Gehalt, der auf bestimmte formal-ästhetische Eigenschaften des Bilderbuchs verweist. Betrachtet man diese Begriffe im Kontext, stellt sich heraus, dass das konkrete Wertungskriterium uneindeutig bleibt: In Sätzen wie »die Bilder sind wirklich schön« (1St RbF Amazon 2020 4), »Das Buch ist schön gemalt und der Glitzer ist auch schön« (1St RbF Amazon 2018 2), »Ja die Bilder sehen hübsch aus, […]« (1St RbF Amazon 2023 1) oder »Die Zeichnungen sind sehr gelungen« (2St RbF Amazon 2019 1) findet folglich eine Bewertung statt, die jedoch zur reinen Meinungsäußerung wird, da die textsortenspezifischen Kriterien des Bewertens nicht reflektiert werden.

[49]Ein hoher Grad an Undifferenziertheit und Subjektivität steht im Zentrum der vielfach hervorgebrachten Kritik professioneller literaturkritischer Institutionen an Laienrezensionen.‍[51] Stein verweist darauf, dass diese Undifferenziertheit und Verlagerung auf die Ebene des subjektiven Leseerlebnisses jedoch nicht unbedingt als störend angesehen werden muss, da es den Verfasser*innen derartiger Rezensionen weniger um kritisch reflektierte Qualitätsurteile, sondern eher um eine allgemeine Orientierung geht.‍[52] Diese Orientierung bezieht sich dabei auf den Erfahrungsaustausch eigener wirkungspsychologischer Einschätzungen, womöglich aber auch – und dies ließe sich insbesondere in Bezug auf didaktisch-pädagogische Wertungspraktiken in der KJL konstatieren – auf die Reflexion eigener erzieherischer Grundsätze in Bezug auf ethisch-moralische Positionen.

[50]Uneindeutigkeit in Gestalt von kritisch-unreflektierter Meinungsäußerung findet sich auch in Teilen der analysierten Online-Rezensionen, die keiner axiologischen Wertungskategorie zugeordnet werden können und im Korpus unter dem Tag ›Keine Begründung (ohne anderen Tag-Bezug)‹ zugeordnet wurden (auf Platz 6 der am meisten annotierten Tags). Aussagen wie »Das Buch ist der letzte Abfall und ich habe noch nie so einen harten piss gelesen« (1St RbF Amazon 2020 13) oder »Ein schönes Kinderbuch« (3St RbF Amazon 2021) sind Meinungsäußerungen, die sich jeglicher Bewertungstransparenz entziehen, da sie keinerlei Bezug zu den Maßstäben der Bewertung herstellen. Dass derartige Online-Rezensionen verstärkt auf Geschmacksäußerungen setzen und mitunter ihre Wertung jenseits der orientierungsfunktionalen Disposition gut / schlecht nicht weiter transparent machen, führt Stein auf eine fehlende Rezensionskompetenz der Nutzer*innen zurück:

[51]»Zentral ist, dass Rezensionen Bewertungen aussprechen und Beurteilungen vornehmen, die sich an bestimmten Werten oder Maßstäben orientieren, und dass sie die Rezipient*innen zur Bildung eines eigenen Urteils befähigen sollen. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Rezensionskompetenz der Verfasser*innen. Mit anderen Worten: Mit der Textsortenbezeichnung ›Rezension‹ verbindet sich ein spezifischer Anspruch an die Bewertungspraxis und die Bewertungstransparenz.«‍[53]

[52]Mit Blick auf die Analyse des vorliegenden Textkorpus lässt sich diese Feststellung weiter präzisieren: Sofern Wertungen begründet werden, zielen sie vornehmlich auf wirkungsbezogene axiologische Wertungskategorien, die im Falle negativer Wertungen zu inhaltlich axiologischen Kategorien in Bezug gesetzt werden. Uneindeutig bleiben diese Wirkungsbezüge vor allem dann, wenn sich auf ein formales Gestaltungselement des Textes (hier: Bildgestaltung) berufen wird. Führt man die Überlegung Steins bezüglich fehlender Rezensionskompetenzen weiter, lässt sich spekulieren, dass neben einem Textsortenwissen möglicherweise auch literarisch-ästhetische Kompetenzen fehlen,‍[54] die vor allem das Erkennen und Beschreiben formal-literarischer Gestaltungen betreffen, was ein Grund sein könnte, sich auf uneindeutige Wertungen zurückzuziehen. Auffällig wird dies insbesondere, wenn man diese These mit den Wertungskompetenzen von Lehrkräften kontrastiert. In der Interview-Studie von Barbara Zelger und Simone Stefan (2020) wird zum Beispiel deutlich, dass Pädagog*innen Bilderbücher durchaus nach den Kriterien ›Bild‹ und ›Text‹ bewerten und dabei sowohl Inhalt als auch Gestaltung betrachten.

[53]Auf Basis der vorangegangenen Argumentation schlagen wir vor, den Begriff der Uneindeutigkeit weiter zu differenzieren, wobei sich im Fall der Online-Rezension zwei Kategorien aufdrängen: Uneindeutigkeit kann hier zum einen die globale Gestalt einer Rezension betreffen, die argumentativ erörternd zu keinem eindeutigen Gesamturteil des zu rezensierenden literarischen Textes kommt. Lokal – also auf Ebene der individuellen Bewertungsäußerung – stellt sich Uneindeutigkeit zum anderen jedoch insbesondere bei Online-Rezensionen aufgrund einer »Erosion der Textsortenkonventionen und zu einer Extension der Textsortenbezeichnung«‍[55] ein, da Werte und Maßstäbe eines Urteils nicht immer reflektiert werden und somit im Bereich einer Geschmacks- und Gefallenskundgabe verbleiben.

6. Fazit

[54]Bewertungen, auch und gerade auf verkaufsorientierten Online-Plattformen, bilden durch ihre schiere Anzahl und ihre Reichweite ein ubiquitäres Phänomen des digitalen Raumes. Die Literatur bleibt davon, wie andere Konsumgüter auch, nicht ausgespart. Im direkten Vergleich weisen Wertungsäußerungen über Literatur jedoch einige Spezifika auf, die in dem Begriff der Rezension und der an sie gerichteten Rezeptionserwartungen prägnant manifest werden.

[55]Eine Besonderheit stellt das Bilderbuch durch seine zwei zentralen Eigenschaften dar, einerseits von Multimodalität und andererseits (als Teil der KJL) von Doppeladressiertheit‍[56] geprägt zu sein. Mit seinen schrift- und bildspezifischen Codes, deren Kombination bedeutungserweiternd wirkt, in Verbindung mit der Notwendigkeit, zunächst die erwachsene Vermittlungsinstanz überzeugen zu müssen, bevor der Weg zum rezipierenden Kind frei wird, verfügt es nur vermeintlich über einen geringen Herausforderungsreichtum und wenig Ambivalenz. Weil es tatsächlich als ein die Analyse herausforderndes Medium verstanden werden muss, drängt sich die Frage auf, inwiefern die charakteristischen Besonderheiten und Unterschiede gegenüber unimodaler, nicht dezidiert doppeladressierter Literatur dann auch eine spezifische Wertungspraxis zur Folge haben.

[56]Das Interesse dieses Beitrags galt der Frage nach dem Wesen dieser Wertungspraxis, wobei die analytische Fokussierung auf negativen, tendenziell begründungsintensiveren Rezensionen lag. Diese wurden hier am Beispiel des zwar überaus populären, die Leserschaft jedoch zugleich polarisierenden Bilderbuchs Der Regenbogenfisch von Marcus Pfister mittels einer Tagset-geleiteten Annotation untersucht. Die Grundlage bildeten dabei Rezensionen auf der Amazon-Produktseite als einem bedeutenden Forum für die Wertung von Bilderbüchern im digitalen Raum.

[57]Die Ergebnisse dieser Analyse bestätigen zunächst die angenommene adressat*innenbezogene Doppelgesichtigkeit der Rezensionen: Ablehnungen werden ebenso wie Empfehlungen häufig mit Blick auf die (eigenen) Kinder ausgesprochen, wobei im Falle des Bilderbuchs Der Regenbogenfisch die Annahme deutlich wird, dass ein literarischer Text den Rezipierenden ethisch-moralische Grundsätze vermitteln könne.

[58]Es lässt sich folglich annehmen, dass Online-Rezensionen, die sich auf Texte der KJL beziehen, nicht selten der Diskurs- und Wertungspraxis von Kinderbüchern folgen, die auf den pädagogisch-didaktischen Wert des literarischen Textes zielt und dabei andere Wertungsdimensionen, wie den subjektiven Lesegenuss, tendenziell unterordnen. Damit wird zugleich deutlich, dass und inwiefern erwachsene Rezensent*innen die Position von Gatekeeper*innen einnehmen, um einen nach ihrer Meinung kindgerechten Text zu selektieren.

[59]Demgegenüber kommt im Korpus der Kategorie ›Schönheit‹ hinsichtlich formal axiologischer Werte, die auf formal-ästhetische Kriterien zielen, besondere Bedeutung zu: Zwar lassen sich ihr zahlreiche Adjektive klar und mit eindeutig positiver Konnotation zuordnen, ein Verweis auf bestimmte formal-ästhetische Eigenschaften des Bilderbuchs findet jedoch nicht statt. Im Gegensatz zur moralisch-ethischen Wertung, die im Korpus nicht selten in Verbindung mit einer deutenden Nacherzählung auftritt, bleibt hier eine begründete Reflexion des Urteils aus, sodass das konkrete Wertungskriterium im Kontext uneindeutig bleibt. Diese Beobachtung lässt sich nicht nur im Fall positiver Wertungen konstatieren, sondern auch für begründungsbedürftigere‍[57] negative Aussagen. Dadurch gerät der einzelne Wertungszusammenhang oberflächlich und undifferenziert, womit die von professioneller Seite wiederholt an Laienrezensionen aufgezeigten Kritikpunkte hier eine Bestätigung finden. Online-Rezensionen folgen in diesem Fall somit nicht dem »Erwartungshorizont«‍[58] der Textsorte Rezension und bleiben – womöglich aufgrund fehlender Textsortenkompetenz oder fehlenden literarisch-ästhetischen Bewusstseins – reflexiv-kritisch uneindeutig. Eine solche Auslegung begreift den Begriff der Uneindeutigkeit weniger als Eigenschaft globaler Kohärenz einer Wertungspraktik, sondern verlagert die Perspektive auf die lokale Kohärenz wertender Aussagen. Im Fokus steht dabei die Frage der Bewertungstransparenz, die von einer an bestimmten Maßstäben orientierten und damit intersubjektiv nachvollziehbaren Bewertung und Beurteilung abhängt.


Fußnoten

  • [1]
  • [2]
    Ewers 2012, S. 167–195.
  • [3]
    Vgl. Rehfeldt 2017a, S. 7.
  • [4]
    Eine Ausnahme bildet das textlose Bilderbuch (vgl. Krichel 2020).
  • [5]
    Vgl. Staiger 2022, S. 4–5.
  • [6]
    Vgl. z. B. Kruse 2013.
  • [7]
    Vgl. Staiger 2022, S. 4.
  • [8]
    Vgl. Staiger 2022, S. 5.
  • [9]
    Die Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit der Beschreibung und Herausstellung bilderbuchanalytischer Aspekte in Verbindung stehen, werden verwendet nach Staiger 2022.
  • [10]
    Der NordSüd-Verlag macht die Altersangabe »ab 4 Jahren«.
  • [11]
    Nach Angaben des Autors würden beispielsweise allein in Südkorea jedes Jahr noch immer 100.000 Exemplare abgesetzt, vgl. Bolzli 2017.
  • [12]
    Vgl. »Ein Fisch schwimmt um die Welt« auf NordSüd Verlag AG 2024.
  • [13]
  • [14]
    Die verlagsseitigen Altersangaben für eine solche Einschätzung sind grobe Richtwerte und sagen letztlich kaum etwas über die Komplexität der Bilderbuchgestaltung aus (vgl. Franz 1983, S. 107). Daher wird hier zusätzlich auf Grundlage von Bild-Textbeurteilungen zugeordnet.
  • [15]
    Die Schuppen des Regenbogenfisches werden u. a. als »Schuppenkleid« bezeichnet (Pfister 1992). Die Deutung der Schuppen als Zierde und insofern als körperexterner Schmuck, dessen Entfernung höchstens seelischen Schmerz verursachen kann, mag vielleicht intendiert sein, wird durch das gewählte sprachlich und visuell zugängliche Bild aber höchstens als Möglichkeit in den Raum gestellt, da, sofern Weltwissen an den literarischen Text herangetragen wird, Schuppen de facto essentieller Bestandteil eines Fischkörpers sind.
  • [16]
    Als sprechend für die enorme Popularität, aber auch für die kontroverse, polarisierende Rezeption kann die öffentlichkeitswirksame Lesung durch Michelle und Barack Obama im Weißen Haus im Jahr 2016 gelten, die das Buch nicht zuletzt wegen seiner vorgeblich den Sozialismus verherrlichenden Botschaft in den USA zum Politikum werden ließ, vgl. das Interview mit dem Autor Marcus Pfister in Bolzli 2017.
  • [17]
    Zumeist in digitalen Formaten, z. B. auf YouTube (BookTube) oder TikTok (BookTok).
  • [18]
    Vgl. Ewers 2012, S. 111.
  • [19]
  • [20]
    Ausnahmen bilden hier doppeltadressierte Werke, für die also auch Erwachsene als Leser*innen infrage kommen, und die in der Regel nicht auf den Kinderseiten von Tages- oder Wochenzeitungen, sondern im Feuilleton besprochen werden.
  • [21]
    Vgl. Witzel 2005, S. 41f.
  • [22]
    Roeder 2015, S. 277.
  • [23]
    Doderer 1981, S. 13, zitiert nach Roeder 2015, S. 278–279.
  • [24]
    Vgl. Witzel 2005, S. 70.
  • [25]
    Ewers 1988, S. 3, zitiert nach Witzel 2005, S. 58.
  • [26]
    Vgl. Roeder 2015, S. 268.
  • [27]
    Vgl. Rehfeldt 2017a, S. 2.
  • [28]
    Vgl. Stein 2015, S. 59.
  • [29]
    Dies ist die gängige Praxis vieler Rezensionsplattformen im Internet; Ausnahmen bieten jedoch Websites, die bewusste Trennungen zwischen verifizierten Kritiker*innen und Laienrezensierenden etablieren, wie zum Beispiel das Filmrezensionsportal moviepilot.de.
  • [30]
    Amazon betont in seinem Hilfecenter, dass diese Gesamtbewertung des Produktes nicht der reine Durchschnittswert aller veröffentlichten Sternebewertungen ist, sondern mithilfe von »ML-Modellen«, die »Kriterien zur Bestimmung der Echtheit des Feedbacks« nutzen, bestimmte Bewertungen möglicherweise ausgeschlossen werden (vgl. amazon.de Hilfe und Kundenservice 2024 ).
  • [31]
    Vgl. Rehfeldt 2017a, S. 3.
  • [32]
    Siehe auch Horstmann 2020.
  • [33]
    Die Document-Terms-Funktion listet die absolute und relative Häufigkeit in einem Dokument auf, im Anwendungsfall bilden die annotierten Passagen des untersuchten Korpus das jeweilige Dokument.
  • [34]
    Heydebrand / Winko 1996, S. 112–131.
  • [35]
  • [36]
    Vgl. Stein 2015, S. 61.
  • [37]
    Vgl. Bachmann-Stein 2015, S. 81.
  • [38]
    Stein 2015, S. 65.
  • [39]
    Vgl. Rehfeldt 2017a, S. 5.
  • [40]
    Vgl. Boot 2022, S. 15–16.
  • [41]
  • [42]
  • [43]
  • [44]
    ›Trend‹ bezeichnet die relative Häufigkeit (pro Million) des Begriffs im Dokument (in Voyant Tools mit Million multipliziert).
  • [45]
    Vgl. Boot 2022, S. 15–16.
  • [46]
    Vgl. Boot 2022, S. 17.
  • [47]
  • [48]
    Vgl. Roeder 2015, S. 276–277.
  • [49]
  • [50]
    Vgl. Heydebrand / Winko 1996, S. 114–119.
  • [51]
    Vgl. Schuchter 2012 sowie Stein 2015, S. 64.
  • [52]
    Vgl. Stein 2015, S. 71.
  • [53]
    Stein 2015, S. 61.
  • [54]
    Für eine ausführliche Differenzierung, die sich auch mit medienübergreifenden Formen literarischer / poetischer Kompetenzbildung beschäftigt, siehe Abraham 2008.
  • [55]
    Stein 2015, S. 71.
  • [56]
    Hoffmann 2018, S. 59–60.
  • [57]
    Vgl. Boot 2022, S.17.
  • [58]
    Stein 2015, S. 61.

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  • Judith Witzel: Kinder- und Jugendbuchkritik in überregionalen Feuilletons der Gegenwart. Marburg 2005.
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Tabellenverzeichnis

  • Tab. 1: Liste der 9 am häufigsten vergebenen Annotations-Tags im annotierten Korpus.
  • Tab. 2: Liste der 9 am häufigsten annotierten Tags mit der Eigenschaft ›Negativ‹ im annotierten Korpus.
  • Tab. 3: Liste der 9 am häufigsten verwendeten Wörter in mit dem Tag ›Moralität‹ annotierten Passagen, absolute und relative Häufigkeit.
  • Tab. 4: Liste der 9 am häufigsten annotierten Tags mit der Eigenschaft ›Positiv‹ im annotierten Korpus.
  • Tab. 5: Liste der 9 am häufigsten verwendeten Wörter in mit dem Tag ›Schönheit / Bild‹ annotierten Passagen, absolute und relative Häufigkeit.