Digitale Gattungsgeschichten. Minnesang zwischen generischer Konstanz und Wende

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Gabriel Viehhauser Autoreninformationen

DOI: 10.17175/2017_003

Nachweis im OPAC der Herzog August Bibliothek: 896641570

Erstveröffentlichung: 19.12.2017

Lizenz: Sofern nicht anders angegeben Creative Commons Lizenzvertrag

Medienlizenzen: Medienrechte liegen bei den Autoren

Letzte Überprüfung aller Verweise: 18.12.2017

GND-Verschlagwortung: Literaturwissenschaft | Minnesang | Textanalyse | Literaturgattung |

Empfohlene Zitierweise: Gabriel Viehhauser: Digitale Gattungsgeschichten. Minnesang zwischen generischer Konstanz und Wende. In: Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften. 2017. text/html Format. DOI: 10.17175/2017_003


Abstract

Digitale Analysen literarischer Gattungen gehen häufig davon aus, dass sich Gattungen anhand konstant bleibender Features identifizieren lassen. Gattungen können jedoch immer auch als geschichtliche Verlaufsformen mit historisch veränderlichen Features rekonstruiert werden. Der Beitrag möchte exemplarisch anhand eines prominenten Beispiels aus der mittelhochdeutschen Literatur, nämlich des Minnesangs, aufzeigen, wie und dass sich gattungsgeschichtliche Entwicklungen mit digitalen Methoden nachzeichnen lassen. Mit Hilfe von Frequenzanalysen und Topic Modeling soll der in der Forschung viel diskutierten Frage nachgegangen werden, ob es im Verlauf des Minnesangs zu einer gattungsgeschichtlichen Wende kam, die die Lyrik der Spätzeit vom ›klassischen‹ Sang unterscheidet.


Digital analyses of literary genres are often based on the assumption that genres can be identified through constant and unvarying features. However, genres always reveal themselves as historically-based constructs with features that change and evolve over time. This paper illustrates how such historical developments in genres can be retraced with digital methods by means of a prominent example from Middle High German literature, Minnesang. With the help of frequency analysis and topic modeling, a research question which has been much debated will be discussed: whether there was an historical shift in genre during the development of Minnesang that differentiates the lyric poetry of the later period from ›classical‹ Sang.



1. Einleitung

Neben ihrem klassischen Anwendungsfeld im Bereich der Autorschaftserkennung hat sich die stilometrische Forschung der letzten Jahre vermehrt mit der Klassifizierung von Texten nach Textsorten und Gattungen beschäftigt. Dies hat nicht zuletzt methodische Gründe, da sich die Gattungszugehörigkeit als erheblicher Störfaktor bei der Autorschaftsbestimmung erwiesen hat.[1] Zudem erscheint die Beschäftigung mit überindividuellen Stilfaktoren mitunter anschlussfähiger an die Fragestellungen der traditionellen Literaturwissenschaft, in deren Kontext die Klärung von ›Echtheitsfragen‹ – auch nach der Zurückweisung allzu überzogener Einwände poststrukturalistischer Theorien gegen die Kategorie des Autors – Gefahr läuft, als forschungsgeschichtlich rückwärtsgewandt wahrgenommen zu werden.[2]

Doch zeigen die entsprechenden Versuche zur stilistischen Genre-Klassifizierung, dass die Kategorie der Gattung aus stilometrischer Sicht kaum leichter in den Griff zu bekommen ist als jene des Autors. Im Gegenteil, während als Indikator für das Autorsignal hochfrequente Funktionswörter eine vergleichsweise solide Grundlage bieten, herrscht über das, was den Stil einer Gattung ausmacht, noch größere Unklarheit.[3] Diese Unklarheit dürfte letztlich darauf zurückzuführen sein, dass der literaturwissenschaftliche Begriff der Gattung – anders als ein eher linguistisch verstandener Texttypen-Begriff[4] – nicht ausschließlich systematisch oder gar sprachlich-stilistisch bestimmt ist, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen Faktoren zur Klassifizierung von Texten mit sich bringt. Wie die umfangreiche gattungstheoretische Diskussion in den traditionellen Literaturwissenschaften herausgearbeitet hat, sind literarische Genres kaum als einheitliche klassifikatorische Größen zu verstehen,[5] sondern in erster Linie in die Diskussion eingeführte quasi-institutionalisierte Diskursvorgaben, die den Erwartungshorizont von Textproduzenten und -rezipienten prägen.[6] Dabei bewegen sich literaturwissenschaftliche Gattungsbegriffe zum Teil auf höchst unterschiedlichen systematischen Ebenen[7] und sind nicht nur durch sprachlich-formale Kriterien, sondern etwa auch durch Motivik, Sprechhaltung und Figurenkonstellationen determiniert.[8]

Als ein Grundproblem gilt der traditionellen Gattungstheorie dabei das Spannungsverhältnis zwischen der überzeitlichen Verbindlichkeit von Gattungen und der historischen Kontingenz der Produktion:[9] Textproduzenten können nicht nur auf einen bestimmten Erwartungshorizont Bezug nehmen, sondern diesen auch – willentlich oder unwillentlich – verschieben und so die Grenzen der Gattungen erweitern bzw. überschreiten. Gattungen entwickeln sich und haben eine Geschichte, in deren Verlauf in der Regel nur einige wenige konstitutive Merkmale, so genannte Gattungsdominanten, über längere Zeit konstant bleiben, die dann den prototypischen Kern der jeweiligen Gattungskategorie bilden, an deren Rändern es zu vielfältigen Überschneidungen und Gattungsmischungen kommen kann.

Dass literarische Genres demnach keine unveränderlichen Größen darstellen, sondern historisch wandelbare Konzepte, ist in der stilometrischen Forschung, die sich vor allem methodisch mit der Freilegung von Gattungskonstanten beschäftigt hat, erst in Ansätzen berücksichtigt worden. Ich möchte im Folgenden anhand eines Beispiels aus der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters, nämlich der mittelhochdeutschen Lyrik, aufzeigen, wie sich entwicklungsgeschichtliche Verschiebungen im Gattungsgefüge mit digitalen Methoden nachzeichnen und in Hinblick auf die Diskussion literaturgeschichtlicher Fragestellungen aufbereiten lassen. Dabei soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, wie sich die Kennzeichen einer Gattung im Verlauf ihrer Geschichte verschieben und einzelne der oben beschriebenen Faktoren (z.B. sprachlicher Stil, Themen, Sprechhaltung) als Gattungssignal an Bedeutung gewinnen, aber auch wieder verlieren und sich daher untereinander ablösen können.

2. Das Ich als Gattungsindikator des Minnesangs

Nicht nur Gattungen haben ihre Geschichte, sondern auch die Kategorie der Gattung selbst ist historisch unterschiedlichen Bedingungen unterworfen. Dies lässt sich insbesondere mit dem Blick auf vormoderne volksprachige Literaturen wie jene des Mittelalters zeigen, die allein schon aufgrund ihrer unterschiedlichen Produktionsvoraussetzungen in ihrer geschichtlichen Eigenart zu betrachten sind. Im Mittelalter bildet Literatur noch kein ausdifferenziertes gesellschaftliches Teilsystem und befindet sich erst auf dem Weg zur Institutionalisierung.[10] Das heißt, Literatur ist noch weniger festen Regeln unterworfen, wie sie etwa der moderne Buchmarkt und Literaturbetrieb vorgibt. Literarische Konventionen, wie sie Gattungen darstellen, sind daher auch nicht durch systematische Strukturierungsentwürfe determiniert, sondern durch die Einbindung der Texte in vielfältige Gebrauchssituationen, die sich zumindest in den Anfängen der volkssprachigen Literatur vor allem aus dem mündlichen Vortrag ergeben und weniger stark von der Text-fixierenden Schriftlichkeit geprägt sind.[11] Für die mittelhochdeutsche Literatur gibt es dementsprechend auch keine ausformulierten Gattungspoetiken und damit nur wenig Anzeichen für ein reflektiertes Gattungsbewusstsein, weshalb von vornherein mit unfesteren Gattungsgrenzen zu rechnen ist.[12]

Insofern ist es einigermaßen überraschend, dass gerade in der mittelhochdeutschen Literatur eine prominente Textgruppe ausfindig zu machen ist, die auf den ersten Blick durch ein hervorstechendes sprachliches Merkmal geprägt erscheint: Die Rede ist vom Minnesang, der mittelhochdeutschen Liebes- bzw. minne-Lyrik, der sich offensichtlich durch einen außergewöhnlich häufigen Gebrauch des Personalpronomens Ich auszeichnet. Wie schon ein erster Blick auf eine einfache Wordcloud zeigt (Abbildung 1), die auf einer Auszählung der Worthäufigkeiten in einem Korpus von Minneliedern aus der kanonischen Anthologie Minnesangs Frühling (in der Folge abgekürzt als MF) beruht, steht das Wort Ich an der Spitze der Liste der Most Frequent Words des Korpus, auch die abgeleiteten Kasus mich und mir sowie die zugleich als Possessivpronomen erscheinende Genitivform mîn begegnen in der Rangliste weit oben.[13]

Abb. 1: Wordcloud der häufigsten Wörter im
                        Minnesang (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 1: Wordcloud der häufigsten Wörter im Minnesang (eigene Darstellung, 2017)

Dass dieser Befund nicht etwa für alle mittelhochdeutschen Texte zutrifft und in Hinblick auf den Minnesang trennscharf ist, kann zudem von einer Gegenüberstellung einiger Werke der höfischen Epik mit dem Minnesang bestätigt werden, bei der eine Hauptkomponentenanalyse (PCA) der 200 Most Frequent Words ein ähnlich deutliches Bild bietet (Abbildung 2).[14]

Abb. 2: PCA mittelhochdeutscher höfischer
                        Literatur (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 2: PCA mittelhochdeutscher höfischer Literatur (eigene Darstellung, 2017)

In Bezug auf die erste Hauptkomponente, die 55,1% der Gesamtvarianz des Datenmaterials abdeckt, verhält sich das Korpus aus Minnesangs Frühling[15] (ebenso wie ein Korpus der Minnelieder Walthers von der Vogelweide) erkennbar anders als die epischen Texte, die sich auf der x-Achse rechts des Zentrums sortieren.[16] Ausschlaggebend dafür sind vor allem die Wortform ich sowie, in geringerem Maße, die abgeleiteten Formen mir, mich und mîn.

Dass dieser Befund so deutlich ausfällt, dürfte bis zu einem gewissen Grad auch mit dem Umstand zusammenhängen, dass mittelhochdeutsche Erzähltexte fast ausschließlich Er-Erzählungen sind, da das Hervortreten eines Erzähler-Ich, das wohl immer auch an ein ausgeprägtes Fiktionalitätsbewusstsein gebunden ist, eine literaturgeschichtlich spätere Entwicklung darstellt.[17] Doch zeigt ein Vergleich mit einem Korpus aus der so genannten Sangspruchdichtung, die neben dem Minnesang die zweite große Spielart der mittelhochdeutschen Lyrik darstellt, dass die starke Ich-Haftigkeit des Minnesangs sogar innerhalb der Lyrik selbst zu differenzieren vermag, da der Sangspruch sich in Bezug auf die erste Hauptkomponente kaum von den epischen Texten unterscheidet und in Hinblick auf die x-Achse eine relativ neutrale Position einnimmt.[18] Zweifellos zeigt der Unterschied zwischen Ich-haltigem Minnesang und den restlichen Texten eine Differenz in der Sprechhaltung an, die sich nicht mit den konventionellen Grenzen der beiden Großgattungen Lyrik und Epik verrechnen lässt.[19]

Der hohe Anteil an Ich-Formen könnte also den Schluss herausfordern, dass der Minnesang als Gattung durch ein starkes sprachlich-stilistisches Signal gekennzeichnet ist, das in erster Linie mit dem Personalpronomen in der ersten Person Singular verbunden ist. Ob ein solcher sprachlicher Befund, der noch dazu nur an einer Wortform hängt, ausreicht, um eine Gattung in ihrer Gesamtheit zu definieren, erscheint angesichts des oben Ausgeführten über die multifaktorielle Beschaffenheit von Gattungen freilich fraglich. Dessen ungeachtet dürfte dem auffälligen sprachlichen Signal des Minnesangs allerdings Indikatorfunktion zukommen, und zwar eine Indikatorfunktion für ein Wesensmerkmal der Gattung, das sich aus der für diese Form der Lyrik typischen performativen Grundkonstellation ergibt. Diese Grundkonstellation besteht darin, dass sich ein adeliger Sänger im Rahmen der höfischen Frauendienst-Liebeskonzeption exemplarisch als vorbildlicher Liebender präsentiert, der sein ebenso beständiges wie leidvolles Liebeswerben um eine adelige Dame reflektiert. Das Werben kann im Rahmen des Modells notwendigerweise nie (oder nur in die gesellschaftliche Konvention überschreitenden Einzelfällen) erhört werden, da dieses Liebesverhältnis grundsätzlich illegitim ist. Der Minnesang selbst ist dabei als Teil des Dienstes an der Dame zu verstehen; die Beständigkeit, mit der der Liebende sein Leid erträgt, wird zum Ausweis seiner moralischen Überlegenheit, die in der höfischen Ideologie dem adeligen Selbstverständnis entspricht.[20]

Diese Reflexion vollzieht sich grundsätzlich im Modus der Ich-Aussage. Der stilistische Befund der starken Ich-Haftigkeit deckt sich daher durchaus mit den Ergebnissen der konventionellen Minnesang-Forschung, die sich intensiv an dem Umstand abgearbeitet hat, dass der Minnesang in besonderem Maße mit der Konstruktion einer Ich-Rolle verbunden ist, bei der sich der Sänger zwischen den beiden Polen ich singe und ich minne als Liebender und Kunst-Ausübender positioniert.[21]

Die Bevorzugung des Ich ergibt sich mithin schon aus der thematischen Grundkonstellation des Minnesangs. Wenn also im Folgenden die Häufigkeit des Personalpronomens Ich als Kriterium für den Minnesangs herangezogen wird, soll damit nicht behauptet werden, dass sich die Essenz einer Gattung allein durch die Auszählung von Worthäufigkeiten bestimmen lässt bzw. sogar nur durch die Auszählung eines einzigen Wortes. Dem Ich kommt im Fall des Minnesangs jedoch offensichtlich Hinweisfunktion zu, da das Pronomen als sprachlicher Indikator für den zentralen Stellenwert der Ausgestaltung der Sprecherrolle einstehen kann.[22]

3. Minnesangs Wende?

Doch verhält sich die Gattung in Hinblick auf diese Dominanz der Ich-Rolle im Verlauf ihrer Geschichte keineswegs konstant. In der konventionellen Minnesang-Forschung ist seit langem erkannt worden, dass die Ausgestaltung der Sprecherposition immer wieder auch Änderungen unterworfen war, die sich anhand der Ausprägung der Ich-Rede nachzeichnen lassen.[23]

Für die Forschungsgeschichte prägend war hier insbesondere Hugo Kuhn, der in seiner einflussreichen Studie Minnesangs Wende die These vertreten hat, dass der Minnesang des 13. Jahrhunderts, also die Spätphase der Gattung, durch eine Tendenz zur Objektivierung der Aussage geprägt ist, die eine Zurückdrängung des Subjektiven und damit auch des Ich mit sich bringt.[24] Diese Entwicklung zur Objektivierung wird von Kuhn letztlich damit begründet, dass das in der Anfangszeit der Gattungsgeschichte noch in Diskussion befindliche Konzept der höfischen Liebe, an dem sich insbesondere die Dichter der klassischen Zeit abgearbeitet hätten, in der Spätphase zu einem festgefügten, nicht mehr in seiner Substanz diskutierten Motiv werde, dem die späteren Minnesänger nur noch als Gegenstand, mithin ›objektiv‹ gegenübergetreten seien.[25] An die Stelle der subjektiven ›Erringung‹ der Inhalte tritt nach Kuhn damit in der Spätphase das im Schematismus erstarrte Formspiel mit objektivierten Inhalten, sozusagen eine manieristische Ästhetisierung und Veräußerlichung des Sangs.

Wie insbesondere Gerd Hübner herausgearbeitet hat, ist Kuhns Arbeit dabei aber noch stark von der in der älteren Forschung etablierten Aufteilung der Gattungsgeschichte in eine klassische Periode, die etwa in der Dichtung Walthers ihren Höhepunkt findet, und eine nachklassische Epoche geprägt, die von der Forschung als Epigonenzeit abqualifiziert wurde, in der die in der klassischen Zeit errungenen Ausnahmeleistungen lediglich repetiert, aber ohne echte innere Anteilnahme weitergetragen werden konnten.[26] Zwar ist es gerade das Verdienst Kuhns, dass er diese Abwertung des nachklassischen Minnesang in seiner Studie zurückgestellt und den Versuch unternommen hat, den spezifischen ästhetischen Eigenwert des späten Minnesangs herauszuarbeiten, doch bleibt die Rede von ›Minnesangs Wende‹ letztlich einem Geschichtsmodell verhaftet, das Gattungsgeschichte gemäß den Narrativen der großen geistesgeschichtlichen Meistererzählungen konzipiert.[27]

Dementsprechend hat Hübner in jüngerer Zeit Einwände gegen die Konstruktion eines Verlaufsnarrativ in der Geschichte des Minnesangs erhoben. Hübner spricht sich dafür aus, Gattungsgeschichte ohne die Unterstellung einer Entwicklung zu beschreiben. Dass man überhaupt darauf kommen konnte, die Geschichte des Minnesangs als eine Entwicklungsgeschichte anzusehen, liegt laut Hübner – neben der dem Entwurf von Gattungsgeschichten inhärenten Logik narrativer Erklärungsmuster – insbesondere an einer falschen Fokussierung auf die Untersuchungsobjekte. Die Forschung habe sich nämlich vorwiegend mit den auffälligen Spitzenprodukten des Minnesangs beschäftigt. Würde man sich stattdessen auf die literarische Durchschnittsproduktion konzentrieren, dann könnte man erkennen, dass der Minnesang in Wirklichkeit eine höchst konventionelle Gattung ist, die sich in ihrem Verlauf kaum ändert, was sich letztlich aus der klaren situativen Einbettung in die oben beschriebene performative Grundkonstellation des Minnesangs ergibt.[28]

Diese Gegenüberstellung von Ausnahmewerken und Durchschnittsproduktion ist nun aus Digital-Humanities-Sicht besonders interessant, da sie an die wirkmächtige Argumentation erinnert, die Franco Moretti für sein Konzept des Distant Reading zum Ausgangspunkt genommen hat:[29] Auch Moretti sieht in der Fokussierung auf die literarische Spitzen-Produktion, der gegenüber die breite Masse der Durchschnittswerke vernachlässigt werde, das Grundübel bei der Fehleinschätzung der literaturgeschichtlichen Verhältnisse bzw. der Verhältnisse in der Weltliteratur: Die genaue Lektüre des Close Readings, gegen die Moretti polemisiert, ist nur dann möglich, wenn man sich angesichts der großen Gesamtmenge an Büchern auf einen kleinen Bruchteil, den Kanon, beschränkt und vor den restlichen Texten die Augen verschließt. Wollte man sich hingegen ein Bild von der tatsächlich vorhandenen literarischen Produktion verschaffen, muss man, so Moretti in seiner berühmt gewordenen Argumentation, mit dem Lesen aufhören und zu Distant Reading-Methoden greifen.

So gesehen bietet sich die Gattungsgeschichte des Minnesangs geradezu an für eine Überprüfung mit den Methoden der quantifizierenden Makroanalyse. Dies umso mehr, als jüngst Rüdiger Schnell einen Beitrag in die Diskussion über die Objektivierungstendenzen des späten Minnesangs eingebracht hat, der durchaus mit sprachlich-stilistischen Beobachtungen argumentiert.[30] Schnell geht nämlich davon aus, dass die Verlaufsgeschichte des Minnesangs durch eine zunehmende Eliminierung der Ich-Form geprägt ist, die den Minnesang im 13. Jahrhundert immer mehr an den Sangspruch annähert, so dass die Grenzen zwischen den beiden Spielarten der mittelhochdeutschen Lyrik im Verlauf der Gattungsgeschichte letztendlich verschwinden.[31]

4. Frequenzanalyse

Diese Annahme, die Schnell bereits selbst empirisch mit Auszählungen gestützt hat, lässt sich relativ einfach mit Hilfe computerunterstützter Methoden anhand eines umfangreichen Korpus überprüfen und visualisieren. Um dieses Korpus zusammenzustellen, habe ich für den späten Minnesang bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts die beiden großen Sammlungen Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts von Carl von Kraus und Schweizer Minnesänger von Max Schiendorfer herangezogen. Diese bilden neben Minnesangs Frühling für den frühen und hohen Sang mein Kernkorpus, das mit Hilfe des oben beschriebenen Abgleichs der Normalisierungen einigermaßen in der Schreibung konstant gehalten werden kann. Einige der Autoren in den drei Sammlungen haben sowohl Minnelieder als auch Sangsprüche verfasst. Deren Sangsprüche habe ich aus dem Minnesang-Korpus ausgesondert und meinem Kern-Sangspruchkorpus zugeschlagen. Bei der mitunter schwierigen und umstrittenen Entscheidung, welche der Texte eines Autors als Sangspruch zu gelten haben, habe ich mich an den im Verfasserlexikon dokumentierten Forschungsstand gehalten und bin den dort verzeichneten Abgrenzungen gefolgt.

Für die Auszählung der Ich-Formen, bei der die unterschiedliche Normalisierung der Ausgaben keinen Störfaktor darstellt, habe ich dieses Grundkorpus erweitert, und zwar zum einem durch den Einbezug der Minnelieder und Sangsprüche Walthers von der Vogelweide, zum anderen in Hinblick auf die bei Hübner in seiner Einführung zum Minnesang des 13. Jahrhunderts verzeichneten Autorenliste.[32] Diese Erweiterung stellt nur in einem prominenten Fall ein größeres Problem dar, nämlich bei Neidhart, dessen Texte aufgrund der unübersichtlichen Überlieferungslage nicht als einzelnes Autorkorpus zu isolieren sind. Hier habe ich nur die edierten Neidhart-Lieder aus der Handschrift C aufgenommen. Bei einigen kleineren Fällen von gänzlich unsicheren Autorzuschreibungen habe ich mich gegen eine Aufnahme entschieden.[33] Aus Hübners Liste fehlen damit nur einige eher marginale Autorkorpora, so dass mein Korpus einen überwiegenden Teil der heute noch greifbaren Minnesangproduktion bis zum beginnenden 14. Jahrhundert abbildet.[34] Das Sangspruchkorpus schließlich habe ich unter pragmatischen Gesichtspunkten mit einigen prominenten Autoren ergänzt, die in greifbaren Ausgaben vorliegen. Eine detaillierte Auflistung der berücksichtigten Autoren findet sich im Anhang.[35]

Zur Untersuchung der Verlaufsgeschichte der Ich-Form im Minnesang habe ich dieses Korpus in sieben Abschnitte geteilt und zwar nach zeitlichen Gesichtspunkten in den frühen (FM), den hohen (HM) und den späten Minnesang (SM). Die umfangreiche Gruppe des späten Minnesangs ist weiter untergliedert in vier Untergruppierungen, die folgende Zeiträume betreffen: SM 1: Anfang 13. Jahrhundert, SM 2: Mitte 13. Jahrhundert, SM 3. Ende 13. Jahrhundert, SM 4: Ende 13./Anfang 14. Jahrhundert.[36] Als siebente Gruppe kommt der Sangspruch hinzu, der nicht näher zeitlich abgestuft ist, sondern lediglich als Vergleichsgröße dient.

In der Tat zeigt nun eine nach diesen Zeiträumen aufgegliederte Verlaufskurve der Wortfrequenz von Ich einen deutlichen Abfall in der Gattungsgeschichte (Abbildung 3). [37]

Abb. 3: Verlaufskurve der Ich-Frequenz im
                        Minnesang (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 3: Verlaufskurve der Ich-Frequenz im Minnesang (eigene Darstellung, 2017)

Nach einem leichten Anstieg der Wortfrequenz von der Frühphase (relative Frequenz 5,02%) zur Hochphase (5,46%) des Minnesangs nimmt die relative Anzahl der Ich-Formen in der Spätphase deutlich ab, und zwar zunächst auf 4,02 Prozentpunkte (SM 1), dann auf 3,49 (SM 2) und 3,35 (SM 3). Gegen Ende der Gattungsgeschichte lässt sich dann sogar wieder ein leichter Anstieg der Ich-Formen beobachten (SM 4, 3,79%), wobei dieser Befund aufgrund der beschriebenen unsicheren Zuordnung der einzelnen Autoren zu den zeitlichen Abschnitte jedoch nicht überinterpretiert zu werden braucht: Insgesamt zeigt sich im SM eine erkennbare Tendenz zur Reduktion der Ich-Formen, die jedoch im Verlauf des 13. Jahrhunderts offensichtlich nicht wesentlich ausgebaut wird. Zudem bleibt der Minnesang in jeder Phase ganz deutlich vom Sangspruch (1,27%) unterschieden.[38]

Offenkundig zeigt die Gattungsgeschichte des Minnesangs also einen Verlust seiner charakteristischen Ich-Haftigkeit, der eine tendenzielle Angleichung an den Sangspruch mit sich bringt. Jedoch bleibt das Ich als Gattungs-Indikator auch in der Spätphase des Minnesangs noch immer trennscharf, wenngleich auch weniger deutlich, als dies zuvor der Fall ist. An der einzelnen Wortform des Ich lässt sich also, freilich nur im Spezialfall des Minnesangs, auf quantitativem Weg eine langfristige gattungsgeschichtliche Bewegung ablesen. Möchte man diese Bewegung als ›Entwicklung‹ fassen, so ist immerhin zu konstatieren, dass diese Entwicklung im Verlauf der Spätphase ins Stocken zu geraten scheint.

Sowohl Hübner als auch Schnell haben in ihren sehr differenzierten Ansätzen zur Gattungsgeschichte des Minnesangs selbstverständlich eingeräumt, dass es im Einzelnen Gegenbewegungen zu den von ihnen fokussierten Verlaufsmustern (›Konstanz‹ versus ›Angleichungsbewegung‹) geben kann. Diese Ausreißer aus dem übergeordneten Bild geraten dann besser in den Blick, wenn man die hier vorgestellte Makroperspektive zumindest durch eine Annäherung an die Mikroperspektive ergänzt. Ganz im Sinne des Scalable Readings, also des in die Diskussion um Morettis Konzept des Distant Reading eingebrachten Kompromissvorschlags, der einen ständigen Wechsel bzw. ein Hin-und-Her-Zoomen zwischen Makro- und Mikroperspektive propagiert,[39] ließe sich die Gattungsgeschichte des Minnesangs nämlich auch aus einer etwas näheren Perspektive darstellen (Abbildung 4).

Abb. 4: Verlaufskurve der Ich-Frequenz im
                        Minnesang, gegliedert nach Autoren (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 4: Verlaufskurve der Ich-Frequenz im Minnesang, gegliedert nach Autoren (eigene Darstellung, 2017)

Die Darstellung zeigt die Verlaufskurve der Frequenz des Pronomens Ich, nun aber aufgeschlüsselt nach einzelnen Autoren und ohne Sangspruch-Gruppe. Jeder Punkt repräsentiert das Œuvre eines Autors, das gemäß des zeitlichen Verlaufs seiner Schaffenszeit auf der x-Achse angeordnet ist. Die Grenzen der einzelnen Großphasen FM bis SM 4 sind durch rote Linien angedeutet.

Bei dieser differenzierteren Darstellung zeigt sich nun, dass es auch in der Spätphase immer wieder Autoren gibt, deren Häufigkeit des Ich-Gebrauchs sich in dem für den klassischen Minnesang typischen Rahmen bewegt. Trotz des gattungsgeschichtlichen Megatrends dürfte es also auch noch im späteren 13. Jahrhundert möglich sein, Minnesang in der gewohnten Form zu betreiben, oder präziser gesagt, auch in der in der ›klassischen‹ Zeit üblichen Form: Betrachtet man nämlich die Größe der einzelnen Korpora-Abschnitte und ihr Verhältnis zueinander, so könnte man zunächst vermuten, dass die für den Gesamtverlauf des Minnesangs ›übliche‹ Ich-Frequenz jene ist, die die vier Teilkorpora des späten Sangs aufweisen und der Befund in der nur kurz andauernden klassischen Zeit durch die dort gehäuft auftretenden Spitzen-Produkte verfälscht wird. In der Tat zeigt etwa Reinmar (Teilkorpus 19), für den die Selbstreflexivität als charakteristische Besonderheit gilt, mit 6,62% Ich-Formen den fünfthöchsten Wert aller Minnesänger. Die Plätze eins, drei und vier werden jedoch mit Engelhart von Adelnburg (Korpus 8, 7,4%), dem Burggrafen von Rietenburg (Korpus 2, 7,02%) und Bernger von Horheim (Korpus 14, 6,76%) von vergleichsweise ›unauffälligen‹ Sängern belegt, die als wenig originell gelten.[40] Jedoch mag hier der Befund auch der Kürze der einzelnen Korpora geschuldet sein.[41] Deutlich unterhalb von 4% Ich-Anteil bleibt in den ersten beiden Gruppen jedenfalls nur Wolfram von Eschenbach, was sich sehr einfach durch die Vorliebe des auch als Epikers bekannten Wolfram für die Untergattung des Tagelieds erklären lässt.[42] Insgesamt scheint der erhöhte Ich-Anteil also in der ganzen klassischen Periode der Normalfall zu sein und sich nicht bloß auf einige wenige herausragende Spitzenwerke zu beschränken.

In den Abschnitten des SM tritt insbesondere Wilhelm von Heinzenburg hervor, der mit 7,07% den zweithöchsten Wert an Ich-Formen aufweist. Da Wilhelm als besonders unspektakulär und nicht gerade als herausragender Minnesänger gilt,[43] bleibt dieser Befund (zumindest auf den ersten Blick) jedoch ebenso wenig interpretatorisch auswertbar wie beim Schenk von Limburg (der in der Forschung als Adept Gottfrieds von Neifen eingeschätzt wird, Ich-Anteil 6,14%).[44]

Um außergewöhnliche Spitzenprodukte handelt es sich bei den besonders Ich-haltigen Autor-Œuvres also nicht. Zur Beurteilung der Frage, inwieweit es sich bei den Texten um die bislang übersehene konventionelle Durchschnittsproduktion handeln könnte, von der Hübner spricht, wäre es nun ganz im Sinne des Scalable Reading nötig, völlig auf die Mikroebene der Einzeltexte zurückzukehren, um eine genaue Einschätzung vorzunehmen.

Während die besonders Ich-haltigen Texte also einer genaueren Analyse bedürften, sind die Ausreißer nach unten relativ gut erklärbar: Der junge Meißner (0,25%), der Kanzler (0,4%), Konrad von Würzburg, (0,51%), Walther von Breisach (0,82%), Rumelant von Sachsen (1,35%), der Marner (1,53%) und der Schulmeister von Esslingen (1,55%), die vergleichsweise wenige Ich-Formen in ihre Texte einbringen, sind allesamt Dichter, die auch als Verfasser von Sangspruchdichtung in Erscheinung getreten sind.[45] Offenkundig haben diese Dichter den rhetorischen Kunstanspruch und die lehrhafte Ausrichtung der Sangsprüche auch in ihre Minnesangproduktion mit einfließen lassen. Dass für diese eher als ›professionell‹ anzusehenden Dichter andere Maßstäbe gelten, hat auch Hübner konzediert, der letztlich nur für diese Fälle die Kuhn’sche Objektivierungsthese in Ansätzen gelten lassen möchte.[46]

5. Topic Modeling

Wenn nun das stilistische Gattungssignal des Personalpronomens Ich in der Geschichte des Minnesangs an Bedeutung verliert, ist es von besonderem Interesse, ob es vielleicht auch andere mit digitalen Methoden auffindbare Kennzeichen der Gattung gibt, die eine ähnliche oder vielleicht sogar abweichende Verlaufsgeschichte wie die Ich-Form aufweisen. Dazu wechsle ich im Sinne des eingangs dargestellten multifaktiorellen Modells von Gattungen die Kategorie und werfe zum Abschluss einen Blick auf die thematisch-topische Struktur des Minnesangs. Zur Detektion dieser Strukturen wurden in der digitalen Gattungsforschung jüngst insbesondere Verfahren des Topic Modeling ins Spiel gebracht.[47] Topic Modeling dient dazu, die in einem größeren Textkorpus behandelten Themen oder Motive automatisch zu extrahieren. Dazu wird das Gesamtkorpus in kleinere Abschnitte unterteilt und – verkürzt gesagt – von Wortdistributionen bzw. dem gemeinsamen Auftreten von Wörtern in diesen Abschnitten auf zugrundeliegende Thematiken rückgeschlossen, die in den jeweiligen Textportionen behandelt werden. Jeder Abschnitt kann und wird dabei mehrere dieser Topics beinhalten, deren Anteil sich prozentual angeben lässt. Zudem lässt sich eruieren, welche Wörter in welchem Ausmaß innerhalb eines Topics vorkommen. Im günstigsten Fall lassen sich diese Wörter unter einem Oberbegriff subsumieren, der das Topic beschreibt (z.B. Liebe, Krieg). Diese Labels müssen jedoch vom menschlichen Nutzer selbst vergeben werden. Wie viele Topics in einem Textkorpus insgesamt auftreten (sollen), kann ebenfalls nicht vom Computer selbständig erkannt werden, sondern wird bei der Analyse im vorhinein festgelegt. Das Verfahren ist also auf menschliche Überwachung angewiesen, mit deren Hilfe interpretatorisch eine für das jeweilige Korpus plausible Anzahl an Topics ermittelt werden muss. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die ermittelten Topics gerade im Fall literarischer Texte nicht immer ›reine‹ Themen angeben, sondern auch verschiedene Motive, Settings oder sogar Wortgruppen von in den Text eingestreuten fremdsprachigen Passagen beinhalten können.[48]

Meiner Analyse liegt der verbreitete Latent Dirichlet Allocation-Algorithmus (LDA) zugrunde,[49] der mit dem Java-Tool MALLET prozessiert wurde.[50] Zur Datenaufbereitung und zur Erstellung des Modells habe ich auf das bei Matthew Jockers dokumentierte Verfahren und den von ihm erstellten R-Code zurückgegriffen, welchen ich an meine Fragestellung angepasst habe.[51] Dementsprechend habe ich das Textkorpus in einzelne Abschnitte gleicher Größe gegliedert, wobei ich aufgrund der Kürze des Korpus Abschnittslängen von 500 Wörtern definiert habe.[52] Da mir aufgrund der erst in den Anfängen befindlichen maschinellen Verarbeitungsmöglichkeiten von mittelhochdeutschen Texten kein nach Wortarten ausgezeichnetes Korpus zur Verfügung stand, habe ich der Analyse den gesamten Volltext zugrunde gelegt und keine Extraktion inhaltlich gehaltvollerer Wortarten wie Nomen, Verben und Adjektive vorgenommen. Für die Analyse irrelevante Funktionswörter wurden jedoch mit Hilfe einer Stoppwortliste aus dem Korpus entfernt. Um die Effekte der unterschiedlichen Herausgebernormalisierung abzufangen, die nun beim Topic Modeling anders als bei der Frequenzauszählung schlagend werden, musste ich mich auf das oben beschriebene Kernkorpus beschränken.

Für das vorliegende Korpus hat sich ein Anzahl von 15 Topics als brauchbarer Wert erwiesen, mit dem eine ausgewogene Verteilung erreicht werden kann. Wie von Schöch beschrieben, zeigen die Topics auch in meiner Analyse die typische Verteilung von einigen sehr generischen Wortbündeln mit hohem Allgemeinheitsgrad, die in allen Texten einen hohen Anteil haben, sowie von einigen sehr spezifischen Topics, die nur in wenigen Texten aufzufinden sind.[53] Ein gutes und aus literaturwissenschaftlicher Sicht nachvollziehbares Beispiel für den letzten Typus bietet ein Topic, das sich eindeutig als Setting des Tageliedes identifizieren lässt:

Abb. 5: Topic ‚Tagelied‘ (Wordcloud der häufigsten
                        Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 5: Topic ‚Tagelied‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)

In der Wordcloud[54] werden die für die Konstitution des Topics relevantesten Wörter entsprechend ihrer Größe dargestellt. Der rîter (Ritter) gehört ebenso zum Inventar des Tageliedes wie die vrouwe (Frau) und der wahter (Wächter), der die beiden Liebenden am morgen zum Aufbruch (scheiden) drängt.

Abb. 6: Topic ‚Tagelied‘ (Verlauf über Korpus)
Abb. 6: Topic ‚Tagelied‘ (Verlauf über Korpus)

Die Verteilung des Topics auf die einzelnen Autorenkorpora, in Abbildung 6 wieder zeitlich geordnet und entlang der den gattungsgeschichtlichen Verlauf abbildenden x-Achse dargestellt,[55] entspricht insofern den Erwartungen, als bekannte Tagelieddichter wie etwa der Burggraf von Lienz (Teilkorpus 48, 42.84%), Günther von dem Forste (Teilkorpus 53: 41,9%), der von Wissenlo (Teilkorpus 52, 38,6%) und Otto von Botenlauben (Teilkorpus 24, 27,78%) besonders hohe Werte zeigen. Auch der ›Klassiker‹ des Tagelieds, Wolfram von Eschenbach (Teilkorpus 21), schlägt mit 24,35% zu Buche. Interessanterweise haben jedoch auch andere Autoren einen erhöhten Anteil, etwa auffällig viele Dichter aus dem Bereich des frühen Minnesangs, was möglicherweise mit deren mehr narrativer, weniger vom romanischen Modell der Minnekanzone geprägten Ausrichtung zu tun haben könnte.

Wenigstens ein Topic lässt sich sowohl von seiner Verteilung als auch seinem Inhalt her eindeutig dem Sangspruch zuordnen, im Zentrum steht eine Mischung aus Religion (got, himel) und Herrscherlob (hêrren, guot), für das der Sänger Lohn fordert (milte) (Abbildung 7).

Abb. 7: Topic ‚Sangspruch‘ (Wordcloud der
                        häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 7: Topic ‚Sangspruch‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)

Dieses Topic kommt insbesondere bei den ans Ende der x-Achse sortierten Sangspruchkorpora zum Tragen, hier zeigt sich also eine klare thematische Gattungsunterscheidung (Abbildung 8).

Abb. 8: Topic ‚Sangspruch‘ (Verlauf über Korpus)
                        (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 8: Topic ‚Sangspruch‘ (Verlauf über Korpus) (eigene Darstellung, 2017)

In unserem Zusammenhang besonders relevant sind jene Topics, die einen deutlichen An- oder Abstieg im Verlauf des Minnesangs zeigen. Dies trifft auf zwei der besonders allgemeinen bzw. verbreiteten Topics und auf ein Topic mittlerer Häufigkeit zu. Evident lässt sich insbesondere das letzte Topic erklären: es handelt sich hierbei offenkundig um ein zum gängigen Motiv des Natureingangs gehöriges Wortfeld (Abbildung 9).

Abb. 9: Topic ‚Natureingang‘ (Wordcloud der
                        häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 9: Topic ‚Natureingang‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)

Mit dem Natureingang entwirft der Dichter eine Naturszene, die zeitlich an eine Jahreszeit gebunden wird (Winter, Sommer, Frühling, insbesondere meie). Der Dichter setzt dann sein Liebesleid bzw. Liebesglück kontrastiv oder konform mit der Jahreszeit in Szene, z.B. ist das unglücklich liebende Ich das einzige, das sich über den Frühling nicht freuen kann oder aber das Leid des Ich wird durch den einbrechenden Winter gespiegelt usw.

Abb. 10: Topic ‚Natureingang‘ (Verlauf über
                        Korpus) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 10: Topic ‚Natureingang‘ (Verlauf über Korpus) (eigene Darstellung, 2017)

Es ist in der traditionellen Forschung schon lange bemerkt worden, dass der Natureingang besonders typisch für die späte Minnesangproduktion ist, so dass Schnell sogar erwogen hat, den Natureingang als neu aufkommendes Gattungssignal anzusehen, dass nach der oben beschriebenen stilistischen Angleichung des Minnesangs an den Sangspruch nötig wurde.[56] Nimmt man den oben beschriebenen Befund des zumindest partiellen Ich-Verlusts und den in Abbildung 10 deutlich ersichtlichen Anstieg des Natureingang-Motivs, der nur im späten Minnesang zu einer trennscharfen Abgrenzung vom Sangspruch führt, zusammen, so ließe sich hier in der Tat die (zumindest teilweise vollzogene) Ablösung zweier auf unterschiedlichen Ebenen liegenden Gattungssignale beobachten, die jedes in seiner Art (und seiner Zeit) als Indikator für Minnesang-Texte gelten kann.

Abb. 11: Topic ‚Minne und Freude‘ (Wordcloud der
                        häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 11: Topic ‚Minne und Freude‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 12: Topic ‚Minne und Leid‘ (Wordcloud der
                        häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 12: Topic ‚Minne und Leid‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)

Es bleibt schließlich noch, die beiden erwähnten allgemeinen Topics zu diskutieren. In beiden Fällen geht es im weitesten Sinne um minne und Herzensangelegenheiten, also die Kernthematik des Sangs, wobei bei dem Topic von Abbildung 11 aber die vröude überwiegt, während bei dem Topic in Abbildung 12 leit und klage dominiert. Das Topic von Abbildung 12 scheint im klassischen Minnesang verbreiteter, das Topic von Abbildung 11 in der Spätphase.

Abb. 13: Topic ‚Minne und Freude‘ (Verlauf über
                        Korpus) (eigene Darstellung, 2017) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 13: Topic ‚Minne und Freude‘ (Verlauf über Korpus) (eigene Darstellung, 2017) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 14: Topic ‚Minne und Leid‘ (Verlauf über
                        Korpus) (eigene Darstellung, 2017) (eigene Darstellung, 2017)
Abb. 14: Topic ‚Minne und Leid‘ (Verlauf über Korpus) (eigene Darstellung, 2017) (eigene Darstellung, 2017)

Auch hier lässt sich die Verteilung mit traditionellen literaturgeschichtlichen Erwartungen in Bezug setzen: Während im klassischen Sang insbesondere die Selbstreflexion und das Klagen über die Unmöglichkeit der Liebe den Minnediskurs bestimmt, wird im späteren Minnesang die minne tendenziell entproblematisiert, und es gewinnt zumindest bei manchen Dichtern ein reines Freude-Modell Oberhand.[57]

Die hier in Auswahl vorgeführten Topics lassen sich wie gezeigt sinnvoll zu bekannten literaturwissenschaftlichen Annahmen über den Minnesang in Beziehung setzen. Trotz des vergleichsweise kleinen Textumfangs des behandelten Korpus zeichnet sich mithin schon ab, dass sich Topic Modeling-Verfahren für das Aufspüren von gattungstypischen Motiven und Themen als vielversprechend erweisen könnten. Durch die Möglichkeit, die Verteilung der einzelnen Topics innerhalb der Autorenkorpora zu bestimmen, lassen sich zudem gattungsgeschichtliche Verläufe und Konjunkturen von Topics nachzeichnen.[58] Um zu weiterführenden Einsichten in die Geschichte der mittelhochdeutschen Textgattungen zu gelangen, wäre demnach eine Ausweitung der Materialbasis wünschenswert. Eine solche Ausweitung wird aber erst dann möglich sein, wenn genügend mittelhochdeutsche Texte in lemmatisierter oder zumindest normalisierter Form zur Verfügung stehen. Wie ich hoffe, gezeigt zu haben, dürfte sich der Aufwand zur Erstellung solcher Korpora, die dann zur Grundlage umfassender digitaler Analysen gemacht werden können, jedenfalls lohnen.

6. Fazit

Ich möchte zum Abschluss meine Ergebnisse unter methodischer und inhaltlicher Perspektive zusammenfassen:

Wie der hier exemplarisch aufgegriffene Fall des Minnesangs zeigt, kann bei manchen Gattungen ein einzelnes stilistisches Feature, hier etwa die Frequenz des Personalpronomens Ich, Hinweise auf die Besonderheiten eines literarischen Genres bieten. Dieser Befund lässt sich jedoch nicht generalisieren, sondern dürfte nur für einige wenige Gattungen zutreffend sein. Da literarische Gattungen von einer ganzen Reihe unterschiedlicher Faktoren bestimmt sein können, erscheint es wenig aussichtsreich, nach dem einem, auf alle Texte anwendbaren Gattungsmarker zu suchen. Anders als etwa beim Autorstil, dem sich vor allem anhand der Most Frequent Words nachgehen lässt, ist bei Gattungen daher ein differenzierteres Instrumentarium zur digitalen Auswertung nötig.

Wenn sich das Ich im Fall des Minnesangs als Gattungssignal erweist, dann ist dies darauf zurückzuführen, dass das Personalpronomen Indikator für die dem Minnesang zugrunde liegende performative Grundkonstellation ist, die ein hohes Maß an Ich-Reflexion des Sängers mit sich bringt, der sich in der Pose des höfisch Liebenden präsentiert. Gerade dadurch, dass diese Grundkonstellation besonders festgefügt und geradezu ritualhaft anmutet, dürfte sich auch die sehr kompakte stilistische Faktur des Sangs ergeben.

Ein solcher Gattungsindikator, wie ihn das Ich des Minnesangs darstellt, kann sich jedoch im Lauf der Gattungsgeschichte verändern. Unter Umständen wäre es sogar denkbar, dass ein Gattungsindikator seine unterscheidende Funktion im System der Gattungen gänzlich verliert und damit auch seine hinweisende Funktion auf die Substanz der Gattung einbüßt. Eine digitale Analyse, die sich bloß auf diesen einen Faktor stützt, würde in diesem Fall in die Irre führen.

Am Beispiel des Minnesangs konnte im Verlauf der Gattungsgeschichte eine abnehmende Ausprägung der Ich-Haftigkeit beobachtet werden, die auf Veränderungen im Gattungsgefüge hinweist. In der Spätphase nimmt das Distinktionspotential des Personalpronomens mithin deutlich ab; dennoch bleibt es etwa gegenüber dem Sangspruch trennscharf und behält damit seine gattungsanzeigende Funktion. Demgegenüber hat eine Topic-Analyse der Gattungsgeschichte gezeigt, dass es manche Motive gibt, die in der Spätphase eine stärkere Ausprägung erfahren, etwa das Motiv des Natureingangs, der im 13. Jahrhundert typisch für Texte der Gattung wird und damit ebenfalls als Indikator herangezogen werden könnte.[59] Fast scheint es also, als würde dieses neue Gattungssignal den Verlust der Trennschärfe des alten kompensieren, doch bleibt der Bezug des Natureingangs zur thematisch-performativen Grundkonstellation des Sangs deutlich vager als beim auf die Redehaltung verweisenden Personalpronomen.

Um den Kern der Gattung lagern sich also immer wieder neue Signale an, die nun in der digitalen Analyse gerade dazu ausgenutzt werden können, um die geschichtlichen Verwerfungen im Gattungsgefüge nachzuzeichnen. Im Fall des Minnesangs etwa kann anhand der Beobachtung des Ich-Indikators der in der Forschung viel diskutierten Frage nachgegangen werden, inwiefern die Verlaufsgeschichte des Minnesangs einen Bruch bzw. eine Wende aufweist oder gar eine Entwicklung darstellt, die sich vorrangig an der Redehaltung des Sangs ablesen lässt. Es zeigt sich, dass es in der Spätphase des Minnesangs tatsächlich zu einer deutlichen Abnahme der Ich-Formen kommt, wobei jedoch offenbleibt, ob diese Tendenz als teleologische Entwicklung beschrieben werden kann oder muss. Verschiebt man nämlich im Sinne eines Scalable-Reading-Ansatzes die Perspektive von der Makroebene der Gesamtproduktion näher auf die Mikroperspektive des Einzelwerks, dann wird ersichtlich, dass auch in der Spätzeit immer wieder Autor-Œuvres einen hohen Ich-Anteil aufweisen. Damit könnte sich in der Debatte um ›Minnesangs Wende‹ eine Kompromisslösung andeuten: Zwar gibt es in der Spätzeit eine deutliche Tendenz der Gattung zum Verlust der Ich-Haftigkeit, doch besteht daneben immer auch die Möglichkeit, weiter Minnesang in seiner konventionellen Form zu gestalten. Hier zeigt sich, dass gerade die Visualisierung großer Zusammenhänge auf der Makroebene dabei helfen kann, auffällige Sonderfälle ebenso wie möglicherweise vernachlässigte Texte aufzuspüren und auf diese Weise eine genauere Vorstellung von der Gattungsgeschichte zu entwerfen. Gerade mit dem oftmals als nivellierend gescholtenen quantifizierenden Blick kann also der Zugang zu einer differenzierteren Beurteilung der Einzeltexte geschaffen werden.

ANHANG A

Verzeichnis der erfassten Autorenkorpora

Name

(K)ernbestand Ausgabe Nummer bei Topic-Model
Früher Minnesang (FM)
1 Der von Kürenberg x MF 1
2 Burggraf von Rietenburg x MF 2
3 Burggraf von Regensburg x MF 3
4 Meinloh von Sevelingen x MF 4
5 Kaiser Heinrich x MF 5
6 Dietmar von Eist x MF 6
Hoher Minnesang (HM)
7 Walther von der Vogelweide WL
8 Engelhart von Adelnburg x MF 7
9 Friedrich von Hausen x MF 8
10 Ulrich von Gutenburg x MF 9
11 Rudolf von Fenis x MF 10
12 Albrecht von Johansdorf x MF 11
13 Heinrich von Rugge x MF 12
14 Bernger von Horheim x MF 13
15 Hartwig von Rute x MF 14
16 Bligger von Steinach x MF 15
17 Heinrich von Morungen x MF 16
18 Heinrich von Veldeke x MF 17
19 Reinmar x MF 18
20 Hartmann von Aue x MF 19
21 Gottfried von Straßburg x MF 20
22 Wolfram von Eschenbach x MF 21
Später Minnesang Anfang 13. Jh. (SM 1)
23 Heinrich von Anhalt x KLD 22
24 Burkhard von Hohenvels x KLD 23
25 Otto von Botenlauben x KLD 24
26 Der tugendhafte Schreiber x KLD 25
27 Hiltbolt von Schwangau x KLD 26
28 Der Markgraf von Hohenburg x KLD 27
29 Wachsmuot von Künzingen x KLD 28
30 Christan von Hamle x KLD 29
31 Rudolf von Rotenburg x KLD 30
32 Friedrich von Leiningen x KLD 31
33 Ulrich von Munegiur x KLD 32
34 Walther von Mezze x KLD 33
35 Rubin x KLD 34
36 Friedrich der Knecht x KLD 35
37 Gottfried von Neifen x KLD 36
38 Ulrich von Singenberg x SM 37
39 Hesso von Rinach x SM 38
Später Minnesang Mitte 13. Jh. (SM 2)
40 Neidhart C SN
41 Herrand von Wildonie x KLD 39
42 Der Kol von Niunzen x KLD 40
43 Markgraf Heinrich von Meißen x KLD 41
44 Reinmar von Brennenberg x KLD 42
45 Hugo von Werbenwag x KLD 43
46 Der Schenk von Limburg x KLD 44
47 Ulrich von Liechtenstein x KLD 45
48 Ulrich von Winterstetten x KLD 46
49 Bruno von Hornberg x KLD 47
50 Burggraf von Lienz x KLD 48
51 Der von Sachsendorf x KLD 49
52 Der von Stadegge x KLD 50
53 Der von Suonegge x KLD 51
54 Der von Wissenlo x KLD 52
55 Günther von dem Forste x KLD 53
56 Heinrich von der Mure x KLD 54
57 König Konrad der Junge x KLD 55
58 Rudolf der Schreiber x KLD 56
59 Wachsmuot von Mühlhausen x KLD 57
60 Waltram von Gresten x KLD 58
61 Willhelm von Heinzenburg x KLD 59
62 Konrad von Würzburg KW
63 Tannhäuser TA
64 Heinrich von Sax x SM 60
65 Walther von Klingen x SM 61
Später Minnesang Ende 13. Jh. (SM 3)
66 Albrecht von Haigerloch HMS
67 Johann von Brabant HMS
68 Der wilde Alexander x KLD 62
69 Schulmeister von Esslingen x KLD 63
70 Brunwart von Augheim x KLD 64
71 Der Düring x KLD 65
72 Der Dürner x KLD 66
73 Der Kanzler x KLD 67
74 Der Püller x KLD 68
75 Der von Buchein x KLD 69
76 Der von Obernburg x KLD 70
77 Der von Scharpfenberg x KLD 71
78 Der von Stammheim x KLD 72
79 Hartmann von Starkenberg x KLD 73
80 Herzog Heinrich von Breslau x KLD 74
81 König Wenzel von Böhmen x KLD 75
82 Konrad von Kirchberg x KLD 76
83 Markgraf Otto von Brandenburg x KLD 77
84 Walther von Breisach x KLD 78
85 Rumelant von Sachsen RU
86 Konrad von Landeck x SM 79
87 Der Taler x SM 80
88 Goeli x SM 81
89 Heinrich von Frauenberg x SM 82
90 Heinrich von Stretelingen x SM 83
91 Heinrich von Tettingen x SM 84
92 Konrad von Altstetten x SM 85
93 Kraft von Toggenburg x SM 86
94 Steinmar x SM 87
95 Winli x SM 88
96 Marner WI
Später Minnesang Ende 13. Jh./Anfang 14. Jh. (SM 4)
97 Frauenlob FR
98 Christian von Lupin x KLD 89
99 Gösli von Ehenheim x KLD 90
100 Heinrich Hetzbold von Weißensee x KLD 91
101 Der junge Meißner PE
102 Johannes Hadlaub x SM 92
103 Albrecht Marschall von Raprechtswil x SM 93
104 Der von Gliers x SM 94
105 Der von Trostberg x SM 95
106 Heinrich Rost zu Sarnen x SM 96
107 Heinrich Teschler x SM 97
108 Jakob von Warte x SM 98
109 Otto zum Turm x SM 99
110 Ulrich von Baumburg x SM 100
111 Wernher von Hohenberg x SM 101
Sangspruch
112 Walther von der Vogelweide WL
113 Frauenlob FR1
114 Der wilde Alexander x KLD 102
115 Der Kanzler x KLD 103
116 Der von Buchein x KLD 104
117 Dietmar der Setzer x KLD 105
118 Geltar x KLD 106
119 Schulmeister von Esslingen x KLD 107
120 Süßkind von Trimberg x KLD 108
121 Walther von Breisach x KLD 109
122 Konrad von Würzburg KW
123 Herger x MF 110
124 Spervogel x MF 111
125 Der junge Meißner PE
126 Reinmar von Zweter RR
127 Rumelant von Sachsen RU
128 Tannhäuser TA
129 Der von Wengen x SM 112
130 Gast x SM 113
131 Johann von Ringgenberg x SM 114
132 Pfeffel x SM 115
133 Ulrich von Singenberg x SM 116
134 Wernher von Teufen x SM 117
135 Marner WI

Zugrunde liegende Ausgaben

  • FR Frauenlob (Heinrich von Meissen). Leichs, Sangsprüche, Lieder. 1. Teil: Einleitungen, Texte. Auf Grund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas. Hg. von Karl Stackmann und Karl Bertrau. Göttingen 1981.

  • FR1 Frauenlob (Heinrich von Meissen). Sangsprüche in Tönen Frauenlobs. Supplement zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe. 1. Teil: Einleitungen, Texte. Hg. von Jens Haustein und Karl Stackmann. Göttingen 2000.

  • HMS Minnesinger. Deutsche Liederdichter des zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. Hg. von Friedrich Heinrich von der Hagen. Leipzig 1838.

  • KLD Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Hg. von Carl von Kraus. Tübingen 1952.

  • KW Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg. Hg. von Edward Schröder mit einem Nachwort von Ludwig Wolff, 3. Aufl. Berlin 1924/59.

  • MF Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moriz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearbeitet von Hugo Moser und Helmut Tervooren. 36., neugestaltete und erweiterte Auflage. Stuttgart 1977.

  • PE Der Junge Meißner. Sangsprüche, Minnelieder, Meisterlieder. Hg. von Günter Pepperkorn. München 1982.

  • RR Die Gedichte Reinmars von Zweter. Hg. von Gustav Roethe. Leipzig 1887.

  • RU Rumelant von Sachsen. Edition - Übersetzung - Kommentar. Hg. von Holger Runow. Berlin / Boston, 2011.

  • SM Die Schweizer Minnesänger, nach der Ausg. von Karl Bartsch neu bearbeitet und hg. von Max Schiendorfer. Tübingen 1990.

  • SN Neidhart-Lieder. Texte und Melodien sämtlicher Handschriften und Drucke. Hg. von Ulrich Müller / Ingrid Bennewitz / Franz Viktor Spechtler, unter Mitarbeit von Annemarie Eder / Ute Evers / Elke Huber / Sirikit Podroschko / Margarete Springeth / Ruth Weichselbaumer / Eva-Maria Weinhäupl. Bd. 1. Berlin / New York 2007.

  • TA Tannhäuser. Die Gedichte der Manessischen Handschrift, Einleitung, Edition und Textkommentar von Maria Grazia Cammarota, Übersetzung von Jürgen Kühnel. Göppingen 2009.

  • WI Der Marner. Lieder und Sangsprüche aus dem 13. Jahrhundert und ihr Weiterleben im Meistersang. Hg., eingel., erl. u. übers. von Eva Willms. Berlin / New York 2008.

  • WL Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche. 14., völlig neubearbeitete Auflage der Ausgabe von Karl Lachmann mit Beiträgen von Thomas Bein und Horst Brunner herausgegeben von Christoph Cormeau. Berlin / New York 1996.

ANHANG B

Vereinheitlichte normalisierte Wortformen und Buchstabenfolgen

-æ-/-ae-
also/alsô, alzehant/al zehant
ane/âne
bgunde(n)/begunde(n)/begonde(n)
blike/blicke
-boren/-born
cl-/kl-
cr/kr-
da/dâ
dâht/dâcht
dâbi/dâ bî
dâher/dâ her
dâhin/dâ hin
dâvon/ dâ von
dârzuo/dâr zuo
dechein(-)/dehein(-)/dekein(-)
doh/doch
dû/du
dru/durch/durh
eim/einem
f-/v-
genâde/gnâde
gib/gip
gie/gienc
grüezen/gruezen
herre/hêrre
herz/herze
ime/im
immer/iemer
ichn/ichne/ich en-
ichz/ich ez
iemen/ieman
irz/ir ez
-iuw-/-iw-
künc/künec(-)/küneg(-)/künig(-)
künegin/künegîn
lân/lâzen
(-)mag/(-)mac
magt/maget
manig(-)/maneg(-)/mang(-)/man(e)c(-)/men(e)g(-)
mêr/mê
michz/mich ez
minneclich/minnenclich/minneclîch/minnenclîch
mîm/mînem
mîs/mînes
moht/mocht
nah/nach
naht/nacht
niemen/nieman
nimmer/niemer
nu/nû
nûst/nû ist
ode/oder/odr
ofte/oft
-œ-/-oe-
ouwê/ôwê/owê
ph/pf
reht/recht
ritter/rîter
saelic/saelig
schowen/schouwen
sîd/sît
so/sô
solte(n)/solde(n)
swa/swâ
tag/tac
tanz/tanze
tet/tete
übr/über/ub(e)r
undr/under
unt/und
unfuoge/unvuoge
vlust/verlust
vogelîn/vogellîn
vreid-/vroed-/vröud-/vröid-/vreud-
vreit-/vroet-/vröut-/vröit-/vreut-
vrou(-)/vrouw(-)/vrôw(-)
wa/wâ
wêre/waere
werlt(e)/welt(e)/weld(e)
wênic/wênig
wîb/wîp
wîblich/wîplich
zuht/zucht


Fußnoten

  • [1]
    Vgl. beispielsweise die Diskussion bei Kestemont et al. 2012, S. 341f.

  • [2]
    Vgl. beispielsweise für das Gebiet der Mediävistik zusammenfassend Haustein 2011, S. 46.

  • [3]
    Ich verwende den Begriff ›Stil‹ im Folgenden in einem weiten Sinn, wie er etwa bei Herrmann et al. 2015 formuliert ist (»Style is a property of texts constituted by an ensemble of formal features which can be observed quantitatively or qualitatively«, S. 44), knüpfe ihn also nicht an Intentionalität. Mit dem Ausdruck ›sprachlich-stilistisch‹ beziehe ich mich auf Aspekte der formalen sprachlichen Gestaltung, wenngleich mir bewusst ist, dass diese nie sauber von ihrer inhaltlichen Komponente zu trennen sind.

  • [4]
    Vgl. zur Differenzierung Biber 1992, S. 332.

  • [5]
    Vgl. zur Problematik Zymner 2003, S. 102–104.

  • [6]
    Vgl. Jauß 1977, S. 330.

  • [7]
    Vgl. Hempfer 1973, S. 14–29.

  • [8]
    Vgl. Jauß 1977, S. 332f.: »Was eine literarische Gattung in ihrer eigentümlichen Struktur oder ›Familienähnlichkeit‹ konstituiert, zeigt sich zunächst in einem Ensemble von formalen wie inhaltlichen Merkmalen an; diese müssen erst auf ihre Funktion im Regelzusammenhang untersucht werden, bevor ihre systemprägende Dominante erkannt und damit die Abgrenzung zu anderen Gattungen vorgenommen werden kann.« Dass auch eine digitale Modellierung von Gattungen auf ein solches Facettenmodell zurückgreifen muss, betonen Kessler et al. 1998, S. 33, Schöch / Pielström 2014, S. 3 und Schöch 2017, S. 1.

  • [9]
    Bei Fricke 1981, S. 132–138, erscheint dieses Spannungsverhältnis aufgelöst in die begriffliche Differenzierung zwischen systematisch verstandenen ›Textsorten‹ und historisch variablen ›Genres‹.

  • [10]
    Zur Institutionalisierung vormoderner Literatur vgl. grundlegend Strohschneider 2001, passim.

  • [11]
    Vgl. Grubmüller 2005, S. 32.

  • [12]
    Vgl. Grubmüller 1999, S. 195; Jauß 1977, S. 328; Tervooren 1993, S. 17.

  • [13]
    Die letztlich auf Karl Lachmann zurückgehende Anthologie Des Minnesangs Frühling versammelt neben einigen hier nicht berücksichtigten anonym überlieferten Texten die Lieder des frühen (oder so genannten ›donauländischen‹) und des durch den Kontakt mit romanischen Vorbildern geprägten hohen Minnesangs (mit Ausnahme der Lieder Walthers von der Vogelweide), deren Zusammenstellung kanonische Geltung erlangt hat. Die Zuschreibung der Texte zu einzelnen Autoren erfolgt in MF auf der Grundlage der drei großen Sammelhandschriften vom Ende des 13. Jahrhunderts bzw. vom Anfang des 14. Jahrhunderts (Codex Manesse, Kleine Heidelberger Liederhandschrift, Weingartner Liederhandschrift), die 100–150 Jahre nach der Entstehung der Texte die Lieder nach Autorenœuvres geordnet präsentieren und damit die ersten umfangreichen schriftlichen Aufzeichnung mittelhochdeutscher Lyrik sind. Diese Zuschreibungen sind in Einzelfällen mehr oder weniger umstritten, ebenso wie die zeitliche Einordnung der Lieder, die wie die literaturgeschichtlichen Epochenzuweisungen (›früher‹, ›hoher‹ Sang) unsicher sind. Auf die umfangreiche Forschungsdiskussion zu diesen Fragen kann hier nicht eingegangen werden. Wie in der ›konventionellen‹ Forschung üblich nehme ich die eingeführten literaturgeschichtlichen Konstruktionen trotz ihrer Unsicherheit als Arbeitshypothese zum Ausgangspunkt. Der digitalisierte Text von MF wurde aus der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank bezogen. Eine genaue Auflistung der einzelnen Autornamen des Korpus und der verwendeten Auflage von MF bietet der Anhang. Die Wordcloud wurde mit dem Tool https://worditout.com/ erstellt.

  • [14]
    Als Vertreter der höfischen Epik wurden leicht in elektronischer Form verfügbare Texte ausgewählt, die zu den wichtigsten Repräsentanten der klassischen höfischen Erzählkunst gehören: Wolframs von Eschenbach Parzival, Titurel und Willehalm, Gottfrieds von Straßburg Tristan, Hartmanns von Aue Erec, Iwein, Der arme Heinrich und Gregorius sowie zusätzlich der Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven. Die Texte liegen in normalisierten, also gegenüber der handschriftlichen Schreibung vereinheitlichten Ausgaben vor, jedoch gehört es zu den Problemen der digitalen Verarbeitung mittelhochdeutscher Texte, dass selbst diese Normalisierung in den meisten Fällen nicht einheitlich erfolgt, sondern von Herausgeber zu Herausgeber variiert, was die automatische Vergleichbarkeit der Texte erschwert. Um diesen Effekt abzumildern, wurden die Texte nachbearbeitet und in der Schreibung weiter vereinheitlicht (eine Liste der vorgenommenen Änderungen findet sich im Anhang). Diese lediglich in einer Auswahl der wichtigsten Formen vollzogene Angleichung kann zwar keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, hat sich jedoch für eine Beseitigung der stärksten Effekte des Herausgebersignals als zielführend erwiesen. Wie Eder 2013, S. 610–613, gezeigt hat, sind stilometrische Methoden erstaunlich robust gegenüber noise in den Daten, so dass auch dann brauchbare Ergebnisse zu erwarten sind, wenn die Normalisierung nicht hundertprozentig übereinstimmt. Dimpel zeigt in seinem Beitrag zu Evert 2013, S. 65–66, dass auch nicht-normalisierte mittelhochdeutsche Texte mit stilometrischen Methoden korrekt nach Autorschaft sortiert werden können. Für den hier zu belegenden Sachverhalt, nämlich die Unterscheidbarkeit des Minnesangs von anderen Gattungen aufgrund seiner Ich-Formen, dürfte die Vergleichbarkeit der Datenbasis jedenfalls ausreichend sein.

  • [15]
    Am linken Rand, hier aufgeteilt in die beiden Teilkorpora ›Früher Minnesang‹ und ›Hoher Minnesang‹, deren Einteilung der in der Forschung etablierten Trennung zwischen ›donauländischem Minnesang‹ und ›Hohem Sang‹ entspricht.

  • [16]
    Die PCA wurde mit dem Stylo-Package von Eder et al. 2013 erstellt.

  • [17]
    Vgl. hierzu Glauch 2010, passim.

  • [18]
    Zur Zusammenstellung des Sangspruchkorpus siehe den Anhang.

  • [19]
    Dass dies so ist, hängt auch mit der geringen Lyrizität des Sangspruchs zusammen: Obwohl Sangspruch aus formalen Gründen (Strophenform, Kürze) zumeist zur Lyrik gezählt wird, entspricht diese Unterform thematisch und von der Redehaltung her kaum den Erwartungen, die ein neuzeitlicher Lyrikbegriff suggeriert. Dies führt soweit, dass in der Forschung gelegentlich die Einschätzung geäußert wurde, dass man den Sangspruch »nach heutigen poetologischen Kriterien zur Kurzepik« zählen müsse (Reichert 1998, S. 43), doch wird diese Auffassung von den meisten literaturgeschichtlichen Darstellungen aus den genannten formalen Gründen nicht geteilt.

  • [20]
    Vgl. die zusammenfassende Definition bei Hübner 2008, S. 5f.

  • [21]
    Die Ich-Aussage ist also für den Minnesang charakteristischer als die minne selbst, was sich auch in der Hauptkomponentenanalyse von Abbildung 2 abzeichnet: Die Wortform minne ist leicht oberhalb des Zentrums der Darstellung in der Mitte positioniert, sie differenziert demnach zwar innerhalb der höfischen Epik zwischen Hartmann und Wolfram, bleibt aber in Bezug auf die Unterscheidung zwischen Minnesang und den epischen Texten auf der x-Achse neutral.

  • [22]
    Intuitiv dürfte zu erwarten sein, dass auch andere Gattungen als der Minnesang Korrelationen zwischen thematischen Strukturen und sprachlich-stilistischer Gestaltung aufweisen. Einen solchen Zusammenhang legen beispielsweise die Ergebnisse von Schöch 2017, S. 14–18, nahe, bei denen die Unterscheidung von Komödien und Tragödien in der französischen Literatur von 1610 bis 1810 mittels Topic Modeling und Frequenzanalysen in beiden Fällen zu ähnlichen Clusterbildungen der Einzelwerke führt.

  • [23]
    Vgl. hierzu die Einschätzung Franz-Josef Worstbrocks, der die »Frage nach Veränderungen der Position und Konzeption der literarischen Ich-Rolle « als die »innerste« der »historischen Poetologie des späteren Minnesangs« bezeichnet. (Worstbrock 1996, S. 184).

  • [24]
    Vgl. Kuhn 1952, insbesondere S. 143–158.

  • [25]
    Vgl. Kuhn 1952, S. 145: »Aber gerade der Inhalt des Minnedienstes unterliegt dem tiefsten Wandel. Er wird bei ihnen [den drei von Kuhn exemplarisch behandelten Minnesängern des 13. Jahrhunderts] und durch sie – plötzlich, ohne Übergang – »objektiv«, seine Motive lösen sich los von der persönlich-ethischen Leistung der gesellschaftlichen Werte, werden zu frei verfügbaren Formeln.« Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Hübner 2008, S. 7–13.

  • [26]
    Vgl. Hübner 2008, S. 7–13.

  • [27]
    Vgl. Hübner 2013, S. 389.

  • [28]
    Vgl. Hübner 2013, S. 399 und 402: »Die gattungskonstitutive Sinnordnung scheint mir so fest gefügt, im Verhältnis aller ihrer Bestandteile zueinander so genau strukturiert zu sein, dass jede Transformation die Stabilität der gesamten Konstruktion bedrohen würde.«

  • [29]
    Vgl. Moretti 2000, S. 54–58.

  • [30]
    Vgl. Schnell 2013, passim.

  • [31]
    Für Gottfried von Neifen und Konrad von Würzburg konstatiert schon Worstbrock 1996, S. 201f., einen Prozess der Atrophie der Ich-Rolle, die zur Angleichung an den Redeakt des Sangspruchs führe.

  • [32]
    Hübner 2008, S. 18–21.

  • [33]
    Gedrut, Hawart, Hugo von Mühldorf, Kunz von Rosenheim, Leuthold von Seven, Niune, Reinmar der Junge.

  • [34]
    Vollständigkeit anzustreben ist im Fall der mittelhochdeutschen Literatur ohnedies illusorisch, da die lückenhafte und erst später einsetzende handschriftliche Überlieferung nur einen Ausschnitt der gesamten damaligen Produktion wiedergibt. Die unsichere Überlieferungssituation mittelhochdeutscher Lyrik bringt zudem eine Fülle von Fragen mit sich, welche die Verlässlichkeit der Zuschreibung von Texten zu einzelnen Autoren betreffen. Auf diese Fragen kann ich im Rahmen der Studie nicht eingehen, ich habe mich jeweils auf die in den Textausgaben getroffenen Entscheidungen gehalten, welche Texte welchem Autor zuzuordnen sind.

  • [35]
    Für die digitale Version der Texte habe ich auf die Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB) zurückgegriffen. Insgesamt hat das Korpus eine Größe von 1,95 Megabyte. Die einzelnen Autorenkorpora variieren in ihrer Länge teils beträchtlich, da von vielen Autoren nur wenige Strophen überliefert sind. Dem stehen größere Korpora wie jenes von Walther (17277 Wörter) und Reinmar (15332 Wörter) gegenüber. Ich bin mir bewusst, dass der vergleichsweise kleine Textumfang der einzelnen Korpora für eine quantitative Analyse Schwierigkeiten mit sich bringt. Wie die anderen erwähnten Probleme (zeitliche und Autorenzuordnung, sprachliche Gestalt) führt dieser Umstand dazu, dass quantitative Auswertungen mittelhochdeutscher Literatur immer mit Vorsicht zu behandeln und in erster Linie explorativ zu verstehen sind. Dass sich durch die Anwendung dieser Methoden dennoch ein Mehrwert ergibt, hoffe ich zeigen zu können.

  • [36]
    Da von den meisten Minnesängern keine eindeutig zuordenbaren Lebenszeugnisse erhalten sind, ist auch die zeitliche Einordnung ebenso wie die Autorzuschreibung mit erheblichen Unsicherheiten belastet. Diese Unsicherheiten klammere ich aus, im Bewusstsein, dass die Einteilung der Autoren in die einzelnen Gruppen (insbesondere in die Untergruppen des SM) immer nur ungefähr erfolgen kann und in Einzelfällen sehr wahrscheinlich Fehlzuweisungen mit sich bringt. Für die Datierung habe ich mich an den Angaben des Verfasserlexikons und Hübners Liste der Minnesänger orientiert.

  • [37]
    Die Abbildungen der Frequenzverläufe wurden mit dem Programm voyant-Tools (Sinclair et al. 2012) erstellt.

  • [38]
    Da das Sangspruch-Korpus nicht zeitlich differenziert wurde, ist in der Visualisierung die Verbindungslinie zwischen Punkt 6 und 7 im Gegensatz zu den ersten sechs Punkten nicht als zeitliche Verlaufskurve zu verstehen. Aussagen über den gattungsgeschichtlichen Verlauf der Ich-Haltigkeit des Sangspruchs lassen sich aus der Grafik also nicht gewinnen, diese Frage bleibt für den Zweck der Studie zunächst zurückgestellt.

  • [39]
    Der Begriff des Scalable Reading wurde von Martin Mueller in die Diskussion eingeführt und wird in Mueller 2014, Absatz 31, erläutert.

  • [40]
    Zumindest Engelhart ließe sich zudem bei Identifizierung des Dichters mit einem 1224 und 1230 urkundlich belegten Namensträger aus dem Geschlecht der Freiherren von Adelnburg auch in die Gruppe SM 1 einordnen, vgl. Worstbrock 1980, Sp. 554. Aufgrund seiner Aufnahme in MF behalte ich jedoch die vorläufige Zuordnung seiner Lieder zum hohen Sang bei.

  • [41]
    Von Engelhart sind nur zwei Lieder, von Bernger sechs und vom Burggrafen von Rietenburg nur acht Strophen überliefert.

  • [42]
    Das Tagelied berichtet in erzählender Form vom Aufbruch der Liebenden nach einer gemeinsamen heimlichen Liebesnacht. Im Gegensatz zur gängigen Minnekanzone kann im Tagelied also die Vereinigung der Liebenden gelingen, allerdings nur um den Preis, dass der Sänger nicht von sich, sondern in der Er-Form von einem unbestimmten Ritter erzählt.

  • [43]
    Vgl. die Einschätzung von Hübner 1999, Sp. 1097, im Verfasserlexikon: »Die Beherrschung der Verssprache bleibt hinter den großen Liederdichtern des 13. Jahrhunderts zurück: die elokutionäre Ausstattung ist unambitioniert. Einziger Liedtypus ist die Minnekanzone, die Motive sind durchweg traditionell.« Auffällig ist lediglich die durchgängige Einstrophigkeit der Lieder sowie der Umstand, dass das lyrische Ich »die im Dienst verrinnende Zeit« überdurchschnittlich oft ins Spiel bringt (Hübner 1999, Sp. 1097). Beides lässt nicht unbedingt ein über die normale Selbstreflexion hinausgehendes Maß an Ich-Formen erwarten.

  • [44]
    Vgl. Worstbrock 1985, Sp. 835. Bei beiden Autoren ist die Deutbarkeit des Befundes wieder durch die relative Kürze der Korpora beeinträchtigt.

  • [45]
    Einzig der Goeli (1,11%) fällt als reiner Minnesänger nicht in dieses Schema.

  • [46]
    Vgl. Hübner 2013, S. 397.

  • [47]
    Schöch 2017, S. 4–5 und passim, dort auch weitere Literatur.

  • [48]
    Vgl. Schöch 2017, S. 4.

  • [49]

  • [50]
    McCallum 2002. Zur Prozessierung der Topics wurden 2000 Iterationen vorgenommen.

  • [51]
    Jockers 2014, S. 136–155.

  • [52]
    Das Topic Modeling-Verfahren entfaltet seine Stärke insbesondere bei größeren Textkorpora als dem hier vorliegenden. Zwar hat z.B. auch Jockers selbst auf von der Größe her vergleichbare Korpora Topic Modeling-Verfahren angewandt (vgl. Jockers 2010), dennoch muss ich einmal mehr auf den explorativen Charakter der Analysen hinweisen.

  • [53]
    Schöch 2017, S. 7.

  • [54]
    Erstellt mit dem Wordcloud-Package, Fellows 2014.

  • [55]
    Die ersten sechs Säulen repräsentieren die Autoren des FM, Säule 7 bis 21 HM, 22 bis 38 SM 1, 39 bis 71 SM 2, 62 bis 88 SM 3, 89 bis 101 SM 4, 102 bis 117 SS.

  • [56]
    Vgl. Schnell 2013, S. 326: »Die wachsende Affinität von Minnesang und Sangspruch hat von der zweiten Hälfte des 13. Jhs. an offensichtlich dazu geführt, dass Minnesänger neue Gattungssignale installierten, um die Differenz der beiden Gattungen zu markieren. Als so ein Gattungssignal des Minneliedes fungiert der Natureingang.«

  • [57]
    Als Vertreter dieses Freude-Modell können etwa Ulrich von Liechtenstein, der Tannhäuser oder Konrad von Würzburg angesehen werden, vgl. Hübner 2008, S. 89, S. 112 und S. 137.

  • [58]
    Vgl. hierzu auch die Studie zum französischen Kriminalroman bei Schöch 2015.

  • [59]
    Freilich müsste die Differenzqualität des Natureingangs als Indikator im Gattungssystem durch eine vergleichende Analyse eines umfangreicheren Korpus überprüft werden, das auch Texte anderer Gattungen umfasst.


Bibliographische Angaben

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  • Rüdiger Zymner: Gattungstheorie. Probleme und Positionen der Literaturwissenschaft. Paderborn 2003. [Nachweis im GVK]

Abbildungslegenden und -nachweise

  • Abb. 1: Wordcloud der häufigsten Wörter im Minnesang (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 2: PCA mittelhochdeutscher höfischer Literatur (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 3: Verlaufskurve der Ich-Frequenz im Minnesang (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 4: Verlaufskurve der Ich-Frequenz im Minnesang, gegliedert nach Autoren (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 5: Topic ‚Tagelied‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 6: Topic ‚Tagelied‘ (Verlauf über Korpus) (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 7: Topic ‚Sangspruch‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 8: Topic ‚Sangspruch‘ (Verlauf über Korpus) (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 9: Topic ‚Natureingang‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 10: Topic ‚Natureingang‘ (Verlauf über Korpus) (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 11: Topic ‚Minne und Freude‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 12: Topic ‚Minne und Leid‘ (Wordcloud der häufigsten Wörter) (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 13: Topic ‚Minne und Freude‘ (Verlauf über Korpus) (eigene Darstellung, 2017)
  • Abb. 14: Topic ‚Minne und Leid‘ (Verlauf über Korpus) (eigene Darstellung, 2017)