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Einreichung zum Call for Publications im Rahmen der vDHd21.
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Es wurden folgende Änderungen vorgenommen: Inhaltliche und strukturelle Anpassungen, wie sie von den Gutachten angemerkt worden sind. Aktualisierung und Ergänzung der Fußnoten und der bibliografischen Angaben. Formale Korrekturen.
Open Access stößt innerhalb der Geisteswissenschaften nach wie vor auf gemischte Reaktionen. Insbesondere wird Open-Access-Publikationen oft eine mangelnde Qualitätssicherung vorgeworfen. Doch das Gegenteil ist der Fall, jedenfalls dann, wenn der Öffnungsgedanke konsequent auf Prozesse und Verfahren der Qualitätssicherung angewendet wird. Durch die Öffnung und Digitalisierung des Peer-Review-Prozesses werden signifikante Verbesserungen in der Qualität geisteswissenschaftlicher Arbeiten möglich. Gleichzeitig wird deutlich, wie sich der Begriff der wissenschaftlichen Arbeit durch die Ablösung von tradierten Publikationspraktiken verändert.
Open Access is still met with mixed reactions and hesitation from scholars in the humanities. In particular, a lack of quality assurance is often assumed. But quite the opposite is true, at least when the idea of openness is thoroughly applied to quality assurance processes and procedures. By opening up and digitising the peer review process, significant improvements in the quality of works in the humanities become possible. It also becomes clear how the concept of academic work is changing through the movements inside traditional publication practices.
Dieser Textübergeordneten Ebene zielt er zum einen auf eine Verknüpfung neuer mit
bekannten Themen und zum anderen auf eine Verbindung theoretischer Fragen mit
praktischen Aufgaben. Zu den neuen Themen gehören die Reichweite und Auswirkung der
Digitalisierung auf wissenschaftliche Praktiken, aber auch die Öffnung dieser
Praktiken und dadurch stimulierte innerdisziplinäre Reflexionsprozesse. Besonders
relevant sind in diesem Zusammenhang Themen wie die wissenschaftliche Arbeit bzw.
Publikation oder das Wissenschaftsethos. Die praktischen Aufgaben lassen sich
unterteilen in Modelle für Open Peer Review und Erfahrungen mit ihrer Umsetzung auf
der einen Seite und spezifische Aufgaben der Open-Access-Publikationspraxis in den
Geisteswissenschaften auf der anderen Seite.
Open Access bezeichnet den kosten- und schrankenlosen Zugang zu und Nutzung
wissenschaftlicher Erkenntnisse, vor allem wissenschaftlicher Literatur, aber
auch anderer Forschungsergebnisse wie Forschungsdaten, Code, Korpora etc. Ist
eine wissenschaftliche Publikation Open Access, dann ist sie digital, online,
free of charge, and free of most copyright and licensing restrictions.
gratis
und libre
.und die
freie Verwendungserlaubnis.
Theoretische Fragen betreffen den
Begriff einer wissenschaftlichen Arbeit und seine Verbindung zum Begriff der Qualität
sowie die wissenschaftssoziologische Reflexion der gerade stattfindenden
Veränderungen der Wissenschaftskommunikation durch die Open-Access-Bewegung. Wir –
Akteur*innen innerhalb der Digital Humanities – nehmen im aktuellen Publikations- und
Wissenschaftsgeschehen eine doppelte Rolle ein, zum einen aus der Perspektive der
wissenschaftlichen Analyse der Umbrüche sowie der möglichen weiteren Folgen für die
Zukunft der Wissenschaft. Zum anderen sind wir selbst als Teilnehmende in vielen
überlappenden Rollen in dieses Geschehen involviert. Wir gestalten es mit und können
uns nur zum Teil davon distanzieren, um die Perspektive des desinteressierten
Beobachters
Auf konkreter Ebene geht es um die Diskussion des Open Peer
Reviews, also der unterschiedlichen Weisen, die Praxis der Begutachtung zu öffnen,
in Bezug auf die Qualitätssicherung wissenschaftlicher Arbeiten.
Ich argumentiere dafür, dass durch Open Peer Review eine Qualitätssteigerung möglich ist. Diese
Steigerung zeigt sich aktuell in der Erprobung unterschiedlicher digitaler Methoden.
Die Verknüpfung dieser Themenkomplexe –
– wird im inter- und transdisziplinären ›Labor‹ der Digital Humanities auf genuin neuartige, qualitative Weise
gebündelt und adressiert. In diesem Kontext verstehe ich Digital Humanities in einem
umfassenden, pluralistischen Sinne, wie ihn Fitzpatrick beschreibt: The particular
contribution of the digital humanities [...] lies in its exploration of the
difference that the digital can make to the kinds of work that we do as well as to
the ways that we communicate with one another.
for the sake of the argument –
unter die Rede von digitalen Verfahren und Technologien auch die ubiquitäre
Verfügbarkeit des Internets auf institutioneller und individueller Basis
ein.
Was heißt in diesem Zusammenhang ›genuin neuartige, qualitative Weise‹? Schließlich ist der gesamte disziplinäre Bereich der Digital Humanities vergleichsweise ›neu‹. Doch es geht nicht um die Feststellung, dass es sich um ein junges Phänomen handelt oder darum, dass die Digital Humanities wesentlich durch den Bezug auf ein neuartiges und sich rasant entwickelndes Kulturgut – das Digitale – gekennzeichnet werden sollen. Hier ist das Zusammenspiel folgender Eigenschaften gemeint:
In gleicher Weise werfen digitales Publizieren und insbesondere der bisher nur
formal,
Auf der anderen Seite stehen Fragen, die den zukunftsgerichteten, transformativen Charakter der digitalen Veränderungen betreffen:
Auf die konkrete Thematik der Qualität (geistes-)wissenschaftlicher Texte richtet
sich der Fokus des Textes. Speziell für Geisteswissenschaftler*innen ist die
Qualitätssicherung eine Frage, die in Bezug auf eine Open-Access-Publikation eigener
Arbeiten noch verunsichert. Hartnäckig hält sich das Vorurteil minderwertiger
Qualität bzw. unzureichender Verfahren der Qualitätssicherung.durch einen Verlag bzw. eine
Zeitschrift, das zwischen einer Publikation und grauer Literatur unterscheidet,
wird zunehmend durch die digitale Möglichkeit der Veröffentlichung ergänzt
oder ersetzt.
Zum anderen speist sich das Vorurteil aus dem (Misstrauen
erweckenden) Neuheitscharakter der zahlreichen Open-Access-Publikationsformen und
-modelle. Da Reputation im geisteswissenschaftlichen Bereich häufig an die Tradition
eines Verlags bzw. einer Zeitschrift gebunden wird, haben es neue Modelle und Marken
grundsätzlich schwer, sich zu etablieren.
Am besten kann diese Argumentation durch möglichst transparente und detaillierte
Explikation und natürlich stete Verbesserung der Qualitätssicherungsverfahren
erfolgen. Die Open-Access-Publikationslandschaft ist komplex und divers, so dass
weitere Eingrenzungen notwendig sind. Bereits eine oberflächliche Beschäftigung mit
der Qualitätssicherung in Open Access zeigt zwei Dinge: Erstens, die Methoden der
Qualitätssicherung, insbesondere der Peer Review, sind bei Open Access nicht
grundsätzlich anders als im Closed Access.
Peer Review, die Begutachtung durch themenkundige Fachkolleg*innen, gilt
als die wichtigste Methode der Qualitätssicherung, ist aber auch eine
kontrovers diskutierte Methode
Die sorgfältige und
begründete kritische Stellungnahme zu einer Arbeit innerhalb des eigenen
Spezialgebiets ist eine wissenschaftliche Kernkompetenz. Dazu gehört auch die
wissenschaftsethische Forderung,
Peer Review bezeichnet als Terminus die Praxis der
Begutachtung durch Fachkolleg*innen.
Werden einzelne Schritte dieses Prozesses bekannt gegeben, in Form einer Rückmeldung
an Autor*innen oder durch Veröffentlichung, wird von Open Peer
Review gesprochen, häufig jedoch ohne weitere Differenzierung.
Ross-Hellauer
Ross-Hellauer schlussfolgert, dass Open Peer Review ein Sammelbegriff (open
identities und open reports – einzeln oder in
Kombination – als Kennzeichen von Open Peer Review verwendet.Open participation, das interdisziplinär zweithäufigste
Merkmal, should perhaps be considered a core trait
Zu zentralen Problemen aktueller Review-Praxis zählen insbesondere in den
Geisteswissenschaften gerade solche Faktoren, die sich sowohl schwer eliminieren
lassen, weil sie als funktionaler Teil des Review-Prozesses selbst gelten, als auch –
paradoxerweise – zu seinen Stärken gezählt werden. Dazu gehören die Geschlossenheit
der internen Abläufe, vor allem der Gutachten, Entscheidungsprozesse und die
(asymmetrische)double und triple blind gerade dieser Asymmetrie
vorbeugen sollen, wird oft darauf hingewiesen, dass eine Anonymisierung der
Autor*innen nicht immer möglich ist. Durch inhaltliche Ausrichtung bzw. die
Zugehörigkeit zu einer Schule, durch persönliche Merkmale wie Schreibstil und
Zitationsverhalten oder auch bei geringer Anzahl aktiver Wissenschaftler*innen in
einem Spezialgebiet ist die Identifikation zumindest bestimmter Personen für Peer Reviewer häufig nicht schwierig.
Ross-Hellaueropen identities
,
open report und open participation
. Seine Untersuchung zeigt eindeutig die Vorteile der offenen
Review-Verfahren.
Die Wirksamkeit der Öffnung einzelner Verfahren misst Ross-Hellauer empirisch, u. a.
anhand der Aufdeckungsquote von Fehlern durch Reviews und Angaben zur
Review-Bereitschaft unter offenen Bedingungen. Für die Geisteswissenschaften sind
jedoch andere Kriterien - argumentative Stringenz, Originalität der Gedankenentwicklung,
explanative Stärke oder gründliche Auseinandersetzung mit Einwänden - relevanter, die zum einen nicht in der gleichen Weise
empirisch mess- und nachweisbar sind wie im STEM-Bereichsollte. Es bedarf einer spezifisch geisteswissenschaftlichen
Differenzierung der Funktionen der Review-Praxis bzw. der Anforderungen an sie. Eine
wichtige Funktion ist das sogenannte
Gerade in dieser zweiten Funktion zeigt sich das Potenzial digitaler Technologien, um
die bisher ›analoge‹ und geschlossene Praxis des Peer Reviews als kollaborative,
offene Methode in qualitativer Hinsicht zu erweitern. Das geschieht zum einen durch
die Entwicklung und Bereitstellung von Review-Plattformen bzw. weiterer Open Source
Software
Digitale Peer-Review-Portale funktionieren in mehreren Hinsichten als ein Labor für
die qualitative Verbesserung der bisherigen Praxis und ihrer Ergebnisse. Mir geht es
weniger darum, für eine konkrete Plattform oder ein einziges Modell des Open Peer
Reviews zu argumentieren. Ich schließe mich dem Urteil Ross-Hellauersopen participation ein. Es
impliziert die weiteren Merkmale open pre-review manuscript
und open report,open
participation von Laborbedingungen die Rede sein, insbesondere in Anbetracht
der nicht-empirischen Natur meiner Argumentation?
Eine Lesart von Labor besteht im Experimentieren mit der Vielfalt digital-technischer Optionen, z. B. mit dem
Eine weitere Lesart hängt mit der Tradition wissenschaftlichen Arbeitens in den Geisteswissenschaften zusammen, zu der wesentlich die Entwicklung und Veränderung von Ideen gehört. Im STEM-Bereich gilt häufig, Ergebnisse zuerst zu erzielen und durch die Publikation zu sichern, d. h. an den eigenen Namen und die eigene Institution zu binden; eine Entdeckung bringt der ersten Forschungsgruppe das meiste Renommee und weitere Verwertungsmöglichkeiten wie Patente und Förderungen. Diese Sorge in Bezug auf die Schnelligkeit der Veröffentlichung gibt es im geisteswissenschaftlichen Publizieren nicht, auch weil die Konstellation viel seltener ist, dass mehrere Wissenschaftler*innen in Bezug auf die Forschung am selben Gegenstand (um erwartbar gleiche Ergebnisse) konkurrieren.
Zeit spielt in einer anderen Hinsicht eine wichtige Rolle für die Qualitätssteigerung
eines geisteswissenschaftlichen Textes. Diese Hinsicht kann metaphorisch als
›Reifung‹ bezeichnet werden. Geisteswissenschaftliche Texte haben den Anspruch,
relevante Beiträge zu komplexen, synchronen und diachronen Diskursen zu sein, bei
denen es um innovative und kreative Blickwinkel auf Probleme geht, um die Entwicklung
neuer Argumente, konsistenter Narrative und Interpretationen.Open review is not a radically new scholarly
practice driven by technological innovation; rather, it has developed out of a
long history of humanities-based scholarly endeavors, taking forms including the
presentation of conference papers, the formation of working groups, and other
forms of process-oriented scholar-to-scholar communication.
Vgl. Fitzpatrick / Santo
2012, S. 3.
Open Peer Review stellt die technische und methodische Fortsetzung und Erweiterung
dieser Praxen dar, leistet aber auch durch die Nutzung der Interaktionsmöglichkeiten
einen Beitrag zur Erweiterung des AutorschaftskonzeptsOpen participation steht der
Forderung Feyerabends nach methodologischer Diversität und
Experimentierfreude nahe, vgl. Feyerabend 1993.
Digitale Plattformen bieten die Möglichkeit, asynchron umfangreichen, detaillierten
und nachverfolgbaren Austausch mehrerer Personen zu punktgenau identifizierbaren
Textpassagen zu initiieren; zwischen beinahe beliebig vielen Interessierten. Zudem
bietet die digitale Aufarbeitung verschiedener Ressourcen an einem Ort (Einbindung
von Quellen, multimediale Formate, Nebeneinander von Text und Kommentar, schnelle
Orientierung durch Durchsuchbarkeit etc.) einen wichtigen pragmatischen Überblick,
der mit gedruckten Exemplaren in dieser Weise nicht möglich ist.
Open participation auf digitalen Plattformen erweitert die
lange Tradition gemeinsamer, kritisch-kontroverser Textdiskussion um die Ablösung von
der Kopräsenz. Die involvierten Personen müssen nicht mehr zur gleichen Zeit am
gleichen Ort sein, es gibt keine durch das Format der Veranstaltung (von Lesekreis
bis Vorlesung im Stil von Michael Sandell) bestimmte Mindest- oder Maximalzahl. Damit
werden limitierende Faktoren wie Termin- und Ortsbindung, die persönliche kognitive
und motivationale Tagesform sowie der einmalige Ereignischarakter der Diskussion
erheblich gemildert. Interessierte können die Dauer des Reviewprozesses auf der entsprechenden Plattform für die Entwicklung
ihrer eigenen Kommentare und Kritikpunkte nutzen.
Die Öffnung einzelner Bereiche der Wissenschaftskommunikation, insbesondere Open
Access, steht im Kontext komplex ineinandergreifender Faktoren, u. a. globaler
ökonomischer und wissenschaftspolitischer Entwicklungen, multinational agierender
Großverlage und der fortschreitenden Digitalisierung. Mittel- und langfristige Folgen
der Interaktions- und Rückkopplungsfunktionen des Web 2.0
Ein Beispiel für eine solche Voraussetzung ist die Materialität des Drucks.
Die zahlreichen digitalen Möglichkeiten – insbesondere Versionierung,
Langzeitverfügbarkeit, Auffindbarkeit – machen es möglich, auch jene Prozesse
systematisch zu beobachten, in deren Entstehen und Wirken wir uns
selbst befinden. Wissenschaftshistorische und -soziologische Arbeiten sind
aus einer gewissen zeitlichen Distanz zum Untersuchungsgegenstand entstanden;
Neben der Metaperspektive sind noch zwei Dinge interessant. Digitale Technologien versetzen uns in die einzigartige Situation, die Daten über alle Schritte und Regungen dieser Transformation in bisher unerreichter Genauigkeit erheben und bei Bedarf direkt verfügbar machen zu können. Das befördert die wissenschaftliche Kollaboration für eine umfassende, gründliche Analyse eher als die Konkurrenz um schnelle Ergebnisse.
Der zweite Punkt betrifft den disziplinären Gegenstand. Science and Technology Studies, Laboratory Studies, die klassischen wissenschaftshistorischen Untersuchungen stehen schon seit geraumer Zeit im wissenschaftssoziologischen Fokus. Die Digital Humanities machen diese Art akribischer Untersuchung für die Geisteswissenschaften möglich. Die Pointe liegt also weniger darin, für die Existenz unterschiedlichster soziologischer Faktoren in der Wissenschaft zu argumentieren, sondern im neuartigen, digital erweiterten Einblick in den geisteswissenschaftlichen Arbeitsprozess. Die bereits heute technisch möglichen Formen von Open Peer Review lassen diesen Einblick und die methodologischen, kommunikations- und wissenschaftstheoretischen Implikationen mit Spannung erwarten.
Für Autor*innen bedeutet die Öffnung des Review-Prozesses, insbesondere open participation und open reports
, eine sprunghafte Vergrößerung der erreichbaren, relevanten Zielgruppe für
die Diskussion ihrer Texte. Weil dieser kommunikative Austausch für die Entfaltung
geisteswissenschaftlicher Themen besonders wichtig und fruchtbar ist, steigt durch
die Öffnungsprozesse auch das Potenzial für die qualitative Verbesserung der
Arbeiten. Reviewende können sich miteinander austauschen, was im geschlossenen
Verfahren unüblich bzw. nur in Einzelfällen möglich war, und ihre Zeit und
Aufmerksamkeit mit entsprechender beruflicher Anerkennung dafür einsetzen. Die
aufwendige und zeitintensive Review-Arbeit kann dadurch gewinnen, dass sie
transparenter, schneller und vielstimmig durchgeführt werden kann. An dieser Stelle
zeigt sich eine weitere signifikante Eigenschaft des digitalen Publizierens, auf die
Fitzpatrick
In Bezug auf die Bereitschaft von Wissenschaftler*innen, sich im Open Peer Review zu
engagieren, ist die Motivation ein entscheidender Faktor. Um diese zu steigern, ist
die Anerkennung der Review-Arbeit als karriererelevante Leistung zentral. In diesem
Lichte sollte die (erwartungsgemäß) gesunkene Review-Bereitschaft bei open identities, die Ross-Hellauer konstatiert, gewertet
werden: Nur diesen Faktor abzufragen, während die anderen Bereiche des Prozesses
geschlossen bleiben, ist nicht zielführend.
Der Umgang mit open identities ist aber auch eine Frage der Praxis einzelner
Disziplinen. So können Befürchtungen über negative Folgen der namentlichen
Bekanntgabe von Gutachter*innen, die Ross-Hellauer für die Fächer in seiner
Untersuchung nennt, in anderen Disziplinen weitaus weniger relevant sein.
Für diese Problematik gibt es keine einfache Lösung. Neben strukturellen Änderungen
und Antidiskriminierungsmaßnahmen ist es sinnvoll, sowohl auf größere Transparenz zu
setzen, um den Spielraum für direkte Vergeltungshandlungen zu verkleinern, als auch
die Modularität der Merkmale im Blick zu behalten. So könnten die relevanten Merkmale
für die diskursive Verbesserung der Arbeit – open report und
open participation – auf Wunsch auch ohne open identities praktiziert werden.
Eine motivierende Änderung für die Review-Arbeit mit open
identities entsteht als Gegengewicht erst durch weitere Öffnungen. Am
wichtigsten ist dabei open report, weil Reviews als
eigenständige Arbeiten (ähnlich der Rezension) publiziert und so im eigenen Profil
aufgenommen werden können.
Zum Schluss komme ich auf das Vorurteil gegenüber der Qualitätssicherung im
geisteswissenschaftlichen Open-Access-Publizieren zurück. Was können offene Formate
einem auf Alter und tradierten
Verlagsnamen basierenden Reputationssystem, zumindest in Bezug auf
die klassischen ›analogen‹ Geisteswissenschaften, entgegenstellen? Häufig handelt es
sich bei solchen Formaten um wissenschaftlich organisiertes Publizieren, um Universitätsverlage oder
Initiativen, denen sowohl Alter als auch Bekanntheit fehlen. Haben die großen
Verlagshäuser, die das Feld bereits dominieren, hier einen Vorteil? Sie konnten
frühzeitig in Open Access investieren und bieten nun Open-Access-Versionen ihrer
Publikationen gegen (teilweise sehr hohe) Gebühren an, die von Autor*innen bzw.
ihren Institutionen getragen werden müssen.
Tatsächlich haben neue, offene Publikationsformate zunächst einen gewissen Nachteil
gegenüber renommierten Verlagen. Diesem Nachteil stehen auf positiver Seite die Diversität der
Publikationslandschaft und die vielen Entwicklungen hin zur bibliodiversity
im Publizieren
gegenüber, die Pierre Mounieropen participation und open
report exemplifizieren zentrale geisteswissenschaftliche Ideale der Qualität.
Folgt daraus, dass offene Verfahren in jedem Fall und in Bezug auf jedes Merkmal geschlossenen Verfahren vorzuziehen sind? Nein. Insbesondere für Reviewende kann die Option sinnvoll sein, im Einzelfall anonym zu bleiben. Die sieben von Ross-Hellauer bestimmten Merkmale unterscheiden sich in der Gewichtung und innerdisziplinärer Relevanz. Das spezifisch geisteswissenschaftliche Qualitätssteigerungspotenzial betrifft ebenfalls nicht alle Merkmale. Es gibt einen anderen Grund, Begutachtungspraktiken als grundsätzlich offen anzulegen, um von dieser Ausgangssituation begründete Ausnahmen zu machen, also das Verhältnis zwischen offenen und geschlossenen Verfahren umzudrehen. Das ist der Bezug von Open Peer Review zu Open Science als einem praktisch umzusetzenden Ideal. Die konsequente Öffnung der Wissenschaft – ihrer Literatur, Methoden, Daten, Ergebnisse, Prozesse und Software – beinhaltet als Konsequenz die Öffnung von Verfahren der diskursiven, kollaborativen und kontingenten Wissensentstehung und Weiterentwicklung im digitalen Publizieren.